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MELDUNG/2351: Schwergewicht - Kombinationen Mangelware ... (SB)



Alexander Powetkin zeigt Hughie Furys Grenzen auf

Alexander Powetkin lag ein Angebot vor, sich am 14. September mit Tyson Fury zu messen, doch er lehnte es ab und trat nun für weniger Geld und Prestige gegen dessen jüngeren Cousin Hughie Fury an. Wie sich der Russe gegen den früheren Weltmeister geschlagen hätte, wissen wir natürlich nicht, doch dessen Anverwandten wies er in die Schranken. Im zweiten Hauptkampf des Abends neben dem Sieg des Ukrainers Wassyl Lomatschenko über den Briten Luke Campbell im Leichtgewicht behielt der russische Schwergewichtler in der Londoner O2 Arena einstimmig und verdient nach Punkten die Oberhand (117:111, 117:111, 117:111). Der bei seinem Auftritt 39jährige Powetkin baute seine Bilanz auf 35 Siege und zwei Niederlagen aus, während für den mit 24 Jahren wesentlich jüngeren Fury nun 23 gewonnene Kämpfe drei verlorenen gegenüberstehen. Der Sieger bleibt damit weiter im Rennen um einen Titelkampf, dem Verlierer wurden so deutlich die Grenzen seines Könnens aufgezeigt, daß er künftig kaum mehr in den Genuß eher geschenkter als hart erfochtener Chancen, nach einem Gürtel zu greifen, kommen wird.

Angesichts der fast schon weichenstellenden Bedeutung dieses Kampfs für beide Akteure boten sie eine insgesamt enttäuschende Vorstellung. Keiner von beiden schlug in hoher Frequenz, die Wirkung der Treffer hielt sich in Grenzen und die zweite Hälfte ihres Auftritts litt unter deutlichen Ermüdungserscheinungen. Powetkin, der im September 2018 gegen den damaligen Weltmeister Anthony Joshua im Londoner Wembley-Stadion in der siebten Runde verloren und danach elf Monate nicht mehr im Ring gestanden hatte, zeigte indessen eine konsistentere Leistung als sein wesentlich jüngerer Kontrahent und ging insgesamt angriffslustiger zu Werke. Fury vermied zumeist den offenen Schlagabtausch und versuchte, technisch zu boxen, was ihm jedoch nicht allzu gut gelang. Häufig fiel er auf den Gegner und klammerte, was natürlich beim Publikum nicht gut ankam.

Der russische Olympiasieger des Jahres 2004 schlug härter und präziser zu, wodurch der Brite in der neunten Runde eine Rißwunde über dem linken Auge davontrug. Da aber beide Konditionsprobleme bekamen, spielte sich auch gegen Ende ihres Auftritts nicht mehr viel ab. Zwar raffte sich Fury in der elften Runde noch einmal auf und brachte eine Rechte ins Ziel, die Powetkin in Verlegenheit brachte, so daß er in den Clinch ging. Der Brite legte jedoch nicht nach und so setzte sich das Bild im letzten Durchgang fort, da auch in den verbliebenen drei Minuten mehr geklammert als geboxt wurde. Ein ausgeprägter Drang, wenigstens am Ende noch einmal ein Zeichen zu setzten, war beiderseits nicht erkennen. [1]

Laut der Statistik von CompuBox hatte Powetkin 105 von 390 Schlägen ins Ziel gebracht (27 Prozent), während Fury lediglich 82 Treffer bei 296 Versuchen geglückt waren (28 Prozent). Dem Briten gelang es in keiner einzigen Runde, eine zweistellige Trefferquote zu erzielen, wobei seine beste Ausbeute neun erfolgreiche Schläge in der siebten Runde waren. Das war eine magere Ausbeute, zumal Hughie Fury gemeinsam mit seinem Vater und Trainer Peter Fury als taktische Marschroute angekündigt hatte, man werde den Russen mit Kombinationen aus fünf Schlägen vor Probleme stellen, die er nicht bewältigen könne. Angesichts dieser Vorhersage mutete es dann doch recht befremdlich an, daß selbst von einfacheren Kombinationen des Briten lange Zeit überhaupt nichts zu sehen war. Erst kurz vor Ende befleißigte er sich dieser Kampfesweise, die dann auch einen guten Eindruck machte, aber viel zu spät kam, um den Rückstand wettzumachen.

Dabei ließ es Fury in den ersten sechs Runden durchaus nicht an Einsatz fehlen, denn er konnte bis dahin gut mithalten. In der Folge ermüdete er jedoch schneller als sein Gegner, dessen Erfahrung und gesammelter Wucht er nicht gewachsen war. Der Brite bewegte sich viel umher, klammerte jede Menge und schlug im Zweifelsfall auch zum Hinterkopf, was weder den Punktrichtern noch den Zuschauern gefiel. Sollte er einen Heimvorteil genossen haben, war seine Kampfesweise wenig dazu angetan, diesen zu aktivieren und in Anspruch zu nehmen.

Alexander Powetkin war früher regulärer Weltmeister der WBA im Schwergewicht. Damit rangierte er zwar unter dem Superchampion dieses Verbands, doch zählte er damals zu den besten Vertretern der Königsklasse. Wenngleich er nach wie vor ein guter Schwergewichtler ist, hat er doch den Zenit seines Könnens überschritten und muß angesichts seines Alters von inzwischen 40 Jahren dem Verschleiß einer langen Karriere Tribut zollen. Überdies war das sein erster Auftritt nach der vorzeitigen Niederlage gegen Joshua, so daß es für Hughie Fury wohl der günstigste Zeitpunkt war, sich womöglich mit einem Sieg über den namhaften Russen zu profilieren.

Er sei enttäuscht, denn er habe sein Bestes gegeben, sei aber am Ende nur Zweitbester geworden, zog der Brite kurz und bündig Bilanz. Um zu gewinnen hätte er jedoch Powetkin auch in den letzten Runden Paroli bieten müssen, was ihm nicht gelang. Als der Russe zulegte und trotz seiner Erschöpfung den Druck etwas erhöhte, zog Fury den kürzeren. Warum er nicht von Anfang an wie angekündigt Kombinationen geschlagen hatte, ist insofern kein Rätsel, als das doch eine grundlegende Modifikationen seiner Kampfesweise voraussetzen würde. Er war indessen noch nie ein filigraner Techniker, wendig auf engem Raum oder gar ein gefährlicher Konterboxer und überdies schlägt er trotz seiner Größe von 1,98 m auch nicht besonders hart zu, worin er seinem prominenteren Cousin Tyson Fury ähnelt. [2]

Nur phasenweise machte er eine wirklich gute Figur, wenn er wie in der achten Runde plötzlich einen ausgezeichneten Jab schlug und den zehn Zentimeter kleineren Russen nicht an sich herankommen ließ, der daraufhin sichtlich frustriert war und fast ratlos wirkte. Dann schaltete Powetkin jedoch einen Gang höher, worauf Fury mit seinem Latein am Ende war und schon aus Konditionsgründen ins Hintertreffen geriet. Von Kombinationen konnte nun noch weniger als zuvor die Rede sein, da sich der Brite bereits zu sehr verausgabt hatte, als daß er noch zu aufwendigen Manövern in der Lage gewesen wäre. Powetkin schlug zwar nicht wirksam genug, um den Kontrahenten zu Boden zu schicken, brachte ihn aber mehrmals aus der Balance, was aus Perspektive der Punktrichter fast immer schlecht aussieht, da der Boxer nach einem Treffer zu wackeln scheint.

Im Jahr 2017 mußte sich Hughie Fury dem damaligen WBO-Weltmeister Joseph Parker aus Neuseeland nur knapp nach Punkten geschlagen geben. Daß damals nicht nur in Kreisen der Furys von einer umstrittenen Niederlage oder gar einem geraubten Sieg die Rede war, läßt sich bei nüchterner Analyse keinesfalls bestätigen. Wenngleich Parker beträchtliche Probleme erkennen ließ, den Gegner zu stellen, war das vor allem darauf zurückzuführen, daß der Brite ständig weglief. Natürlich kann ein Boxer gewinnen, wenn er sich gut bewegt und aus der Distanz häufiger trifft als sein Kontrahent, der nicht an ihn herankommt. Aber einen Herausforderer auf der Dauerflucht, der sich jedem Schlagabtausch entzieht, als wolle er gar nicht gewinnen, sondern nur davonkommen, kann man sich doch nicht ernsthaft als neuen Weltmeister wünschen. Eher schon drängt sich die Frage auf, ob die knappe Punktwertung nicht vielmehr ein Geschenk an den dauerlaufenden Briten war.

Trotz dieser Niederlage bekam Hughie Fury im Oktober 2018 einen Ausscheidungskampf der IBF gegen Kubrat Pulew, dessen Sieger Pflichtherausforderer dieses Verbands wurde. Auch gegen den Bulgaren zog Fury den kürzeren, da dieser ähnlich wie Powetkin ein für heutige Verhältnisse nicht besonders großer, aber kompakter und vor allem sehr gut ausgebildeter und versierter Boxer ist. Weder kann Fury auf eine nennenswerte Amateurlaufbahn zurückblicken noch zeichnete er sich je durch ein anspruchsvolles Repertoire aus. Nach dieser Niederlage, die eine weitere Standortbestimmung des Briten darstellte, setzte man ihm zwei erheblich schwächere Gegner vor, die er denn auch besiegte. Dann unterschrieb er einen neuen Promotervertrag bei Eddie Hearn, unter dessen Regie er Powetkin vor die Fäuste bekam, aber gleich bei seinem Debüt für Matchroom Boxing auf sein tatsächliches Format zurechtgestutzt wurde.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/27506944/lomachenko-campbell-undercard-povetkin-outpoints-fury-unanimous-decision

[2] www.boxingnews24.com/2019/08/lomachenko-defeats-campbell-povetkin-schools-fury/

6. September 2019


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