Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → MEINUNGEN

KOMMENTAR/007: Georgien legt die Lunte zum Pulverfaß Sotschi (SB)



Obwohl Georgien und Rußland seit Anfang der 1990er Jahre wegen der nach Unabhängigkeit strebenden Republiken Abchasien und Südossetien im Streit lagen, hatte Georgien noch vor 16 Monaten die Bewerbung Sotschis als Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014 unterstützt. Doch die Lage am Kaukasus hat sich seither verändert. Dramatischer Wendepunkt war sicherlich der 7. August, als die georgische Armee, just am Eröffnungstag der Olympischen Spiele in Peking, Südossetien überfiel und dessen Hauptstadt Tschinwali binnen eines Tages mit Luftangriffen dem Erdboden gleichmachte. Während des daraufhin einsetzenden Fünf-Tage-Krieges schlug Rußland, dessen Friedenstruppen in Südossetien ebenfalls angegriffen wurden, die Aggression Georgiens zurück. Zufall oder nicht - ebenfalls am 7. August wurde die russische Schwarzmeerstadt Sotschi Ziel eines blutigen Anschlags, bei dem zwei Badegäste getötet und 15 Personen verletzt wurden. Es war der schwerste Vorfall dieser Art in einer Reihe von sechs Anschlägen in der Olympiastadt seit April diesen Jahres, denen insgesamt vier Menschen zum Opfer fielen. Zuletzt wurde am 11. November einem Mann, der eine Metalldose vom Boden aufhob, durch eine darin versteckte Bombe die Hand abgerissen. Nach Angaben russischer Medien hätten die Behörden den oder die Urheber der Anschlagsserie bislang nicht ermitteln können. Auch Bekennerschreiben gebe es nicht.

Zweifellos birgt die Lage im Kaukasus jede Menge Konfliktstoff. Sotschi liegt nur 40 Kilometer von der Republik Abchasien entfernt, die sich von Georgien losgesagt hat und in der in der Vergangenheit ebenfalls mehrfach Bomben explodierten. Bereits vor Kriegsausbruch im August hatte die abchasische Führung der georgischen Regierung "Staatsterrorismus" vorgeworfen. "Bei uns gibt es keinen Zweifel, daß die Spur nach Georgien führt", zitierte tagesschau.de am 2. Juli den abchasischen Außenminister Sergej Schamba. Die Behauptung ließ sich ebensowenig bestätigen wie widerlegen.

Dafür sprach der Angriff Georgiens auf Südossetien eine deutliche Sprache. Wenige Stunden vorher hatten sich beide Seiten noch auf Verhandlungen verständigt, zudem hatte Georgiens Präsident Michail Saakaschwili in einer Fernsehansprache beteuert, er werde keine Gewalt anwenden. Doch es kam anders, georgische Bomben überraschten die Bewohner Tschinwalis praktisch im Schlaf. Saakaschwili, den die USA 2003 mit Hilfe der sogenannten "Rosen-Revolution" in Georgien an die Macht gebracht hatten, gilt als Vasall des Westens und strebt direkt vor der Haustür Rußlands den NATO-Beitritt seines Landes an. Schon vor Kriegsausbruch hatte er Hunderte amerikanische und israelische Militärberater ins Land geholt und für viel Geld die georgischen Streitkräfte neu ausbilden und ausrüsten lassen. Wie willig die georgische Regierung US-amerikanische Hegemonialinteressen vertritt, selbst wenn sie Tod und Verderben über die Menschen bringen, zeigt auch der Umstand, daß die Kaukasus-Republik mit zuletzt 2000 Mann das drittstärkste Truppenkontingent bei der nach wie vor andauernden Besetzung des Iraks stellte.

Was ist vor diesem Hintergrund also davon zu halten, wenn der neue erste Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees Georgiens (NOK), Ramas Goglidse, mit der Aufforderung an das Internationale Olympische Komitee (IOC) tritt, die Winterspiele 2014 von Sotschi an einen "sichereren Ort" zu verlegen? Muß die Behauptung Goglidses, Sotschi sei "ein sehr gefährlicher Ort", nicht als Drohung aufgefaßt werden, daß von interessierter Seite mit weiteren gefährlichen Störmanövern und provokanten Aktionen, die bis zu tödlich verlaufenden Anschlägen reichen können, zu rechnen ist? Da das Ersuchen Georgiens ummittelbar vor einem Treffen der europäischen NOKs in Istanbul (21./22. November) erging, wo erwartungsgemäß die Verlegung der Winterspiele kategorisch abgelehnt wurde, zumal Rußland sich eine solche politische Blöße niemals geben würde, kann nur davon ausgegangen werden, daß der georgische Giftpfeil Teil einer anti- russischen Offensive ist, der den Brunnen am Schwarzmeer weiter vergiften soll. Bekanntlich hatten einige US-Parlamentarier nach dem Kaukasuskonflikt gefordert, Sotschi die Austragung der Winterspiele zu entziehen - eine Forderung, welcher sich auch der frühere georgische Präsident Schewardnadse anschloß, der sogar einen Boykott verlangte.

Eine harte Front gegen Rußland zu bilden liegt allerdings schon aus energie- und wirtschaftspolitischen Erwägungen nicht unbedingt im allgemeinen europäischen Interesse, wenngleich die EU die Spannungen im Kaukasus nutzt, um sich in Konkurrenz zu den USA ihren Teil aus der Flanke des wehrhaften russischen Bären zu reißen. Die Fernziele, die Ukraine und Georgien in die NATO einzugliedern, sowie ein EU-Kredit in Höhe von 3,5 Milliarden Euro an den Aggressor Georgien gehören fraglos zu den Pfeilen im Köcher der EU-Politik.

Unter diesen Vorzeichen scheint auch die Meldung des US- Olympiabranchendienstes "Around the Rings", das den ebenfalls neu eingesetzten georgischen NOK-Chef Gia Nazwlischwili mit den Worten zitiert: "Wir können Abchasien nicht kontrollieren, und wenn während der Winterspiele in diesem Territorium etwas passiert, können wir nicht die Verantwortung übernehmen" (DLF, 20.11.08), Teil einer von außen provozierten Eskalationsstrategie zu sein, die Rußland ähnlich wie China während der Olympischen Sommerspiele in Bedrängnis bringen soll. Durch Anhänger des Dalai Lama in Westeuropa und in den USA unterstützte Exiltibeter hatten mit gewaltsamen Aktionen den olympischen Fackellauf gestört und einen Volksaufstand im von China kontrollierten Tibet anzuzetteln versucht. Da auch Rußland zur Gewährleistung "friedlicher" Winterspiele schwerste sicherheitsstaatliche Geschütze auffahren wird - was in Athen während der Sommerspiele 2004 nicht anders war -, könnte sich der öffentlichkeitswirksame Vorstoß des georgischen NOK, das IOC um die Verlegung der Winterspiele zu ersuchen, als Lunte zu einer Kette von politischen und medialen Sprengfallen erweisen, die das wiedererstarkte Rußland ins Straucheln bringen sollen.

26. November 2008