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KOMMENTAR/023: Uli Hoeneß - dem kleinen Mann die Taschen leeren (SB)



Angesichts von Abermilliarden, die der Staat auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger in die großen Unternehmen und Banken steckt, um das kapitalistische System sowie die Boni und Spitzengehälter seiner größten Nutznießer zu retten, scheint es nur logisch, wenn auch die Manager, Macher und "Millionarios" des vollständig in den kapitalistischen Verwertungszusammenhang integrierten Profifußballs Ansprüche von "Systemrelevanz" anmelden. In einem vielbeachteten Interview mit der Wirtschaftswoche (14.3.2009, online) verlieh Uli Hoeneß, Manager des reichsten und erfolgreichsten deutschen Fußballklubs FC Bayern München, seiner Hoffnung Ausdruck, "dass die Leute irgendwann bereit sind, zwei Euro im Monat für Fußball zu bezahlen". Das sei "nicht mal eine halbe Schachtel Zigaretten oder ein kleines Bier in der Kneipe", machte der Wurstfabrikant die Rechnung auf. Bei 37 Millionen TV-Haushalten wären das dann "im Monat rund 75 Millionen Euro, im Jahr gut 900 Millionen. Damit kämen wir den 1,2 Milliarden Euro in England und den 1,1 Milliarden in Italien sehr nahe."

Die naheliegenden Einwände gegen die "Bundesliga-GEZ", daß die ARD doch schon 100 Millionen Euro pro Jahr für die Sportschau-Rechte bezahle und Fußball-Desinteressierte ein zweites Mal gegen deren Willen abkassiert würden, konterte Hoeneß mit den Hinweisen, wie gering der Fußballanteil im Gesamtfernsehprogramm sei und für welche Einschaltquoten der Fußball gleichzeitig sorge, außerdem werde er "doch auch monatlich abkassiert, obwohl ich nur Nachrichten, Sport und politische Diskussionen anschaue".

Seinen Soli-"Traum" begründet Hoeneß zum einen mit der heraufdämmernden Wirtschaftskrise, zum anderen mit dem "riesigen Unterschied" zu den Topklubs in England, Spanien und Italien, die fast drei- bis gut viermal so viel Millionen Euro aus der TV-Vermarktung erhielten wie der FC Bayern. Die Differenz werde auf Dauer dazu führen, "dass der deutsche Fußball enorme Schwierigkeiten bekommt, international mitzuhalten und irgendwann noch einmal die Champions League zu gewinnen". Weil Pay-TV in Deutschland nicht profitabel betrieben wird, wäre es am besten, so Hoeneß, "wenn die öffentlich-rechtlichen Sender alle Fußballrechte kaufen und dem Bürger Fußball quasi gratis nach Hause senden würde".

Übersetzen wir die Vorschläge von Herrn Hoeneß einmal ins Reine: "Quasi gratis" heißt zwei Euro mehr auf die derzeitige Zwangsabgabe von 17,98 Euro GEZ-Gebühren, die monatlich fällig werden und die sich bereits jetzt immer mehr "abgehängte" Menschen buchstäblich vom Mund absparen müssen.

Mag es in einer raucherfeindlichen Gesellschaft, die bereits für das nächste soziale Feindbild, den an seinem Dicksein selbst schuldigen Menschen, mobilisiert, auch opportun erscheinen, auf "eine halbe Schachtel Zigaretten oder ein kleines Bier in der Kneipe" zu verzichten, für das wachsende Heer der Billiglohnjobber und für die über zwei Millionen Kinder unter 14 Jahren, die in Deutschland in Armut leben und deren zwangsverpflichtete Eltern für einen Euro den Park säubern müssen, sind zwei Euro keinesfalls ein Pappenstiel.

Die "soziale Ader" von Uli Hoeneß, der nach seinem Interview in der Wirtschaftswoche etwas zurückruderte und im Bayerischen Fernsehen unterstrich, die zusätzlichen Fußballfernsehgelder sollten "keine Zwangsabgabe" sein, "sondern eine freiwillige Geschichte", drückt sich vor allem in der Absicht aus, auch noch die ärmsten Zuschauer dauerhaft abschöpfen zu können. So hat der Manager eine Senkung der Eintrittspreise in Aussicht gestellt, sollte die Wirtschaftskrise weiter anhalten und sich sogar noch verschärfen: "Wenn es wirklich schlimmer wird und die Arbeitslosigkeit extrem zunimmt, werden wir über die Eintrittspreise nachdenken und sie der jeweiligen Situation anpassen." Im Brustton der Überzeugung gab sich der Schlachter-Sohn als wahrer Menschenfreund aus: "Gerade jetzt sollten wir uns Gedanken um den 'kleinen Mann' machen, um diejenigen, die es am meisten treffen wird, die nicht mehr am Wochenende schnell wegfahren können, die vielleicht das Geld nicht mehr haben. Genau diese Leute könnten für zwei Euro von Freitag bis Montagabend Fußball satt sehen." (sid, 16.3.2009)

Mit "wir" kann nur die Klasse der Besitzenden gemeint sein, die keineswegs die Absicht hegt, ihren Reichtum nach unten zu verteilen, damit der "kleine Mann" tatsächlich satt wird, sondern die lediglich der Gedanke treibt, wie sie den angefixten Sportkonsumenten an der Nadel hält, damit er sich, mangels finanzieller Mittel beschränkt auf seine Wohnzelle, weiterhin am Fußball berauscht. Wer dafür zwei oder gar drei Euro (Hoeneß erhöhte unterdessen den freiwilligen Obulus) zusätzlich abdrückt und sich tatsächlich "satt" zu sehen vermag, hat endlich jenen Status eines Konsumenten verinnerlicht, der den Herren des Fußballs schwanzwedelnd die Hände leckt, während ihm die neueste Dosis Live-Berichterstattung verabreicht wird.

Der Zynismus von Hoeneß und Konsorten könnte kaum größer sein und steht im direkten Zusammenhang zu den exorbitanten Gewinnen, die sie bei der profitablen Veranstaltung von panem et circensem einstreichen. Ab der kommenden Saison kassiert die Bundesliga durch den neuen TV-Vertrag insgesamt 412 Millionen Euro pro Jahr. Davon stammen von der ARD für die Sportschau-Berichterstattung rund 100 Millionen Euro und von Premiere, das alle Begegnungen live übertragen darf, 225 Millionen Euro.

Vor der Wirtschaftskrise konnte die FC Bayern München AG in der Saison 2006/07 ihren Inlandswert um 24 Millionen Euro und seine Einnahmen in der Champions League um satte 29 Millionen Euro steigern. Gegenwärtig erlösen die Bayern 50 Millionen pro Saison aus Fernseh-Rechten, davon 30 Millionen aus der Bundesliga. Dafür können FC-Spieler wie Ribery und Luca Toni locker zehn Mio. Euro pro Saison abkassieren. Hoeneß glaubt, daß sein Fußballunternehmen auch weiterhin schwarze Zahlen schreiben wird, offenbar fest davon überzeugt, daß das Fußball-Opium zu allen Zeiten funktioniert. "In allen früheren Krisen", so Hoeneß, habe sich gezeigt, "dass sich die Fans das Vergnügen am Fußball, die Muße, am Samstag ins Stadion zu gehen, nicht haben nehmen lassen".

Bislang scheinen die Zahlen für diese These zu sprechen. Erst vor wenigen Tagen präsentierte die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) stolz den "Bundesligareport 2009" für die Saison 2007/08. Demnach erzielten die 36 Vereine, zum Teil sind es Kapitalgesellschaften, in der vergangenen Spielzeit Umsätze in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro. Das war der vierte Rekorderlös in Folge. Mit 17.432.953 Zuschauern verbuchte der Profifußball zudem den sechsten Zuschauerrekord nacheinander. "Wir sind die zuschauerträchtigste Liga in Europa, vielleicht sogar weltweit. Und in diesem Segment erwarten wir für die laufende Saison sogar den siebten Rekord in Folge", prahlte DFL-Geschäftsführer Seifert.

Und dennoch scheint die Rechnung nicht aufzugehen, denn tatsächlich sind immer weniger Menschen in Deutschland, wo mittlerweile 22 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich arbeiten müssen, in der Lage, sich Stadionbesuche, teure Merchandiseartikel oder das Pay-TV zu leisten. Da es dem Rupert Murdoch-Privatsender Premiere höchstwahrscheinlich nicht gelingen wird, die 1,65 Milliarden Euro für die Live-Pay-TV-Rechte der nächsten vier Jahre zu refinanzieren, befürchten auch die Vereine, daß ihre Haupteinnahmequelle mittelfristig wegbricht. Diesem Umstand trägt Hoeneß Rechnung, wenn er vorgibt, sich um den "kleinen Mann" zu sorgen. "Wenn Pay-TV nicht funktioniert, müssen wir etwas tun, damit der kleine Mann sich Live-Fußball leisten kann. Und dann kommen die Öffentlich-Rechtlichen ins Spiel", so Hoeneß, der gar keinen Hehl daraus macht, daß die ARD lediglich Mittel zum Zweck wären, damit sich auch weiterhin der bezahlte Fußball die Taschen füllen kann.

Die Schelte indes, die der Bayern-Manager von Politikern aller Couleur für seinen Vorschlag einstecken mußte, könnte verlogener nicht sein. Er habe "vollkommen die Bodenhaftung verloren", meinte etwa der FDP-Bundestagsabgeordnete und kultur- und medienpolitische Sprecher seiner Fraktion, Christoph Waitz, und der Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag Peter Danckert (SPD) hält Hoeneß' Gedanken "für unrealistisch und völlig überzogen. Das ist so irrwitzig, wie es nur irgendwie geht". Auch wenn sie es nicht ständig an die große Glocke hängen, sind sich die Sportpolitiker vollkommen der dem Spitzensport im allgemeinen und dem Fußball im besonderen herrschaftsstabilisierenden und mithin "systemrelevanten" Funktionen bewußt. Der Sport dient der Identifikation des einzelnen mit dem System, entpolitisiert die Massen und sichert bei Großveranstaltungen Systemkonformität. Gerade weil Uli Hoeneß dieses Herrschaftswissen mit der bürgerlichen Klasse teilt, fällt es ihm trotz aller Kritik leicht, auch weiterhin seine Idee von einer freiwilligen Abgabe zu verteidigen: "Wenn die Schwellenangst erstmal überwunden ist, ist das eine Sache, um die uns die ganze Welt beneidet."

Ebenso wie sich mit Blick auf die Finanz- und Wirtschaftskrise der "kleine Mann" nicht die Systemfrage stellen soll, obwohl doch die Spekulationsverluste und kapitalistischen Raubzüge in existentiell einschneidendem Maße letztlich zu seinen Lasten gehen, soll sich auch der gemeine Fußballanhänger nicht weiter darum sorgen, wem er seine Almosenexistenz, die selbst vor dem Fernsehapparat noch abgeschöpft wird, zu verdanken hat. So geht ihm auch nicht auf, was der linke Sportkritiker Gerhard Vinnai einmal so formulierte: "Die Tore auf dem Fußballfeld sind die Eigentore der Beherrschten."

22. März 2009