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KOMMENTAR/063: Ein bißchen Sklavenhalter spielen - neues Spenden- und Eliteförderkonzept der Sporthilfe (SB)



Die soziale Kälte im Land nimmt spürbar zu, und zwar in jeder Hinsicht. Nicht nur weil vor dem Hintergrund der schlechten Haushaltslagen in vielen Kommunen darüber nachgedacht wird, die Eintrittspreise für Schwimmbäder anzuheben und sogar erwogen wird, aus Spargründen die Temperatur in den Bädern zu senken, sondern weil immer mehr minderbemittelte Bürger die Krisen der kapitalistischen Marktwirtschaft ausbaden müssen.

Daß Staat und Kapital bei der Sozialisierung der Verluste und der Privatisierung der Gewinne auch im Sport bestens zusammenarbeiten, läßt sich an der jüngsten Kampagne der Stiftung Deutsche Sporthilfe (DSH) ablesen. Die private Organisation, die knapp 4.000 Leistungssportler mit jährlich rund 11 Millionen Euro unterstützt und neben Deutschen Olympischen Sportbund, Bundesinnenministerium, Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll zu den Hauptförderern des deutschen Spitzensports zählt, will ihr elitäres Gesellschaftsprojekt im Jahr 2010 auf ein neues Fundament stellen. Angesichts düsterer Prognosen im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise, wonach es im Sponsering-Bereich für Sport und Kultur zu einem Rückgang der Gelder um mindestens 25 Prozent kommen wird, sowie Einnahmeverlusten bei den Sportbriefmarken und der Glücksspirale, sieht sich die Stiftung veranlaßt, neue Wege bei der Finanzakquise zu gehen. Zwar halten die nationalen Topförderer aus der Wirtschaft wie Deutsche Lufthansa, Mercedes-Benz, Deutsche Telekom oder Deutsche Bank sowie der Sportindustrie wie die Deutsche Fußball-Liga (DFL) der Sporthilfe noch die Stange, schließlich stellt der Spitzensport ein Opium erster Güte dar, über dessen gesellschaftsstabilisierende Funktionen keine Zweifel bestehen, doch die Profiteure der kapitalistischen Ordnung sind stets bestrebt, ihr Herrschaftsmodell zu optimieren.

Weil sich Staat und Kapital in Krisenzeiten rar machen, der Konsument sich aber weiterhin an sportlichen Top-Plazierungen, nationalen Heldenbildern und Doping-Skandalen emotional abreagieren soll, will die Sporthilfe den sportbegeisterten Bundesbürger noch stärker in ihr Sponsoringkonzept einbinden. Der während der Fußball-WM 2006 erfolgreich auf positiven Patriotismus getrimmte Sportfan soll noch weitreichender als bisher schon der Finanzier seiner eigenen Couch-Potatoe-Existenz werden. "Wir laden jeden ein, schon mit einem kleinen Betrag von drei Euro im Monat - gerne auch mehr - ein Förderer der Sporthilfe-Athleten zu werden. Denn alle wollen doch am Schluss vor dem Fernseher sitzen und sehen, dass ihre deutschen Kollegen Erfolg haben. Und das kostet Geld", sagte der neue Vorstandschef der Sporthilfe, Werner E. Klatten in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel (30.12.09).

Einen ähnlichen Vorschlag zur Finanzierung der Fußball-Millionäre hatte vergangenen März auch Bayerns damaliger Manager Uli Hoeneß unterbreitet, als er eine Art "Bundesliga-GEZ" anregte, um den deutschen Fußball international konkurrenzfähig zu halten. Jeder Fußballfan sollte freiwillig ein paar Euro abdrücken - damit der "kleine Mann", der vielleicht das Geld nicht mehr hat, um von weither zu seinem Klub zu fahren und das Ticket im Stadion zu kaufen, "für zwei Euro an vier Tagen in der Woche, von Freitag bis Montagabend Fußball satt sehen" könne, so Hoeneß sorgenvoll. Wegen dieser und ähnlicher "humanitärer Aktionen" (FAZ) wurde der bayerische Zyniker wenig später von der Deutschen Sporthilfe für sein Lebenswerk mit der Goldenen Sportpyramide, "Deutschlands wertvollster Sportauszeichnung", gewürdigt. Bedarf es da noch der Rede, daß Werner E. Klatten die Ehrung bei der Sporthilfe-Benefizgala in Berlin eigenhändig überreichte?

Die Bourgeoisie beschenkt sich nicht nur gegenseitig mit Preisen, sie weiß auch, wie man sich die öffentliche Meinung vermittels ihrer PR-Netzwerke und Marketingstrategien Untertan macht. Der 64jährige Millionär Werner E. Klatten, Schwager von Susanne Klatten, der "reichsten Frau Deutschlands" (Quandt-Clan), übernahm im Dezember 2008 den Vorstandsvorsitz der Stiftung Deutsche Sporthilfe, nachdem er sich zuvor seine Sporen in Medienbetrieben wie Sat.1, dem Spiegel-Verlag und EM.TV als Wirtschafts- und Medienmanager vergoldet hatte. Mit Hilfe des Juristen soll ein Reformprozeß zu Ende gebracht werden, der die Führungsstruktur des privaten Sportförderers unter dem modernen Schlagwort der Corporate Governance verschlankt und die ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder durch hauptamtliche ersetzt. Außerdem soll die Sporthilfe, die für Klatten eine "ungeheuer wichtige, sportpolitisch bedeutende, für die Finanzierung des Leistungssports ungemein wichtige Marke" (DLF, 4.1.09) ist, weiterentwickelt werden. Um den Wert der Marke nicht zu beschädigen, müssen sich Sportler strengen Anti-Doping-Regeln unterwerfen (im Dopingfall Rückzahlung der Fördergelder), damit auch der Zuschauer und Konsument nicht das Gefühl habe, das sei "wie im Zirkus, was hier passiert, sondern er muß das Gefühl haben, was ich hier sehe, ist wirklich fair erzielte Leistung, die ich mit meinem Geld fördere".

Deshalb will Klatten den Anti-Doping-Kampf auch "in großer Radikalität führen", wie er dem Tagesspiegel verriet. "Da können wir nicht nur das Einzelschicksal einer sicher einmal hochgelobten Person im Auge haben, sondern müssen auch das Ganze sehen", so Klatten, der die gerade auf zweifelhafter Indizienbasis für zwei Jahre gesperrte Eisschnelläuferin Claudia Pechstein für eine Doperin hält, weil der Internationale Sportgerichtshof CAS, der seine Urteile bekanntlich auf der Grundlage athletenfeindlicher Beweislastregeln fällt, das so entschieden hat.

Um sich nicht dem jüngst von einigen leistungssportkonformen Sozialwissenschaftlern erhobenen Vorwurf einer staatlich forcierten Medaillenjagd, die die nicht medaillenträchtigen Leistungen von Athleten systematisch desavouiert, offen auszusetzen, spricht der Sporthilfechef lieber mit gespaltener Zunge und bezeichnet den Medaillenspiegel "im Sinne des gesamtgesellschaftlichen Konzepts" für "begrenzt aussagekräftig". Gleichzeitig seien aber der Medaillenspiegel und die Goldmedaille für die Vermarktung und wenn es darum gehe, "Vorbilder aufzubauen", wichtig.

Seit ein paar Jahren versuchen die gesellschaftlichen Funktionseliten verstärkt, mittels Leistungssport ihre eigene Brut heranzuzüchten. Das nennt sich dann duale Karriereplanung. "Es geht uns auch darum, Athleten nach der Karriere mit ihrer Leistungsstärke in die Gesellschaft einzubinden." Mit Blick auf berufliche Anschlußkarrieren von Profisportlern hatte Klatten gegenüber FAZ-online (28.5.09) erklärt: "Wenn jemand so diszipliniert auf den Punkt gerichtet arbeiten und das dann auch noch mit Medaillen belegen kann, dann ist das einer, den die Wirtschaft oder die Gesellschaft suchen muss - im Sinne von Leistungsorientierung und Selbstdisziplin ist ein erfolgreicher Sportler eigentlich ideal als Führungskraft, egal, in welchem Unternehmen."

Er vergaß zu erwähnen, daß Athleten, die etwa im Antidopingkampf von der Pike an gelernt haben, sich maximal gläsern zu machen, sich für Kontrollen jederzeit verfügbar zu halten und sich Zug um Zug ihre Persönlichkeitsrechte einschränken zu lassen, nach der leistungssportlichen Prägephase im späteren Berufsleben mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht anders ticken werden. Als unternehmerische Leitwölfe, welche das sozialrepressive Rüstzeug für intelligentes Anpassertum restlos verinnerlicht haben, können sie dann ihre "positiven Erfahrungen" möglichst unverdünnt an die Untergebenen in den Betrieben und an den Werkbänken weitergeben.

Um den privilegierten sportlichen Leistungsträgern frühzeitig elitäres Standesdenken und Corporate Identity beizubringen, werden sie im Rahmen des "Sporthilfe-Eliteforums" nach Maßgabe ihrer Förderer mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Kultur, Wissenschaft und Medien zusammengebracht. Seit 2005 veranstaltet die Sporthilfe im Schloss & Gut Liebenberg (Brandenburg) regelmäßig solche mehrtägigen Seminare für handverlesene Spitzenathleten, macht sie u.a. mit den "Regeln und Mechanismen des Mediengeschäfts" vertraut und läßt sie die Luft korporatistischen Bildungsbürgertums schnuppern. "Wir wollen einen informierten und gebildeten Athleten. Wir wollen keine Roboter produzieren", behauptet Klatten, obwohl von den Athleten letztlich nichts anderes erwartet wird, als daß sie als ideale Führungskräfte nach den Regeln des bürgerlich-kapitalistischen Systems funktionieren.

Führung zu übernehmen heißt auch andere zu opfern. "Einzelschicksale", wie das von Claudia Pechstein und ihr nachfolgenden, spielen dann keine Rolle mehr, da es ja nach Aussage Klattens um das "Ganze" geht. "Wir lassen einen Menschen hochleben, aber immer mit dem Vorbehalt, die Hand wieder zurückziehen zu müssen, wenn etwas passiert", sagte Klatten gegenüber dem Tagesspiegel, und sein "Wir" gibt deutlich Auskunft, daß er sich nicht der Seite zurechnet, der "etwas passiert", sondern der, die den Sportlern ihr Schicksal zumißt.

Damit auch die sozial und ökonomisch gebeutelte Bevölkerung nicht weiter darüber nachdenkt, daß ihr zur Finanzierung der Brot-und-Spiele-Ablenkungsspektakel ja bereits durch den Staat über die Steuern, die Sportverbände über die erhöhten Mitgliedsbeiträge, die Privatwirtschaft über die verteuerten Eintrittskarten und das Fernsehen über die Gebühren und Bezahlformate immer tiefer in die Tasche gegriffen wird, wird ihr nun von der Sporthilfe bürgerschaftliche Partizipation versprochen. "Unser neues Ziel ist es daher, die Sporthilfe tiefer in der Bevölkerung zu verankern und sie zu einer Bürgerbewegung zu machen", so Klatten. Für einen Obolus von ein paar Euro kann der Bundesbürger Teil der nationalen Heldenmaschinerie werden und sich seine Fernsehträume erfüllen - vielleicht selbst als Patenonkel oder -tante ein bißchen Sklavenhalter spielen. "Jeder wird selbst sehen können, dass er ein Sponsor ist. Die Leistungssportler werden sich auch bei den Spendern bedanken", kündigte Werner E. Klatten an.

Bislang kann sich der Spender 'seinen Athleten' noch nicht aussuchen. "Das wird später noch mal eine Variante sein, die bauen wir aber nicht in der ersten Kampagnenstufe ein. Das ist erst mal ein Basiskonzept, das wir mit der Zeit anreichern, um es spannend zu halten", sagte der Medienmanager, der zum Abwettern kritischer Stimmen offensichtlich eine Kampagne-Schamfrist eingeplant hat. Gleichzeitig beklagt er, daß wir anders als die angelsächsischen Länder eine ganz andere Spendenfreudigkeit und Einstellung zum Spitzensport hätten. "Wir sind bei Turnvater Jahn stehen geblieben und sehen nicht die Bedeutung, zum Beispiel für die Förderung der Gesundheit."

Der Hochleistungssport mit seinen Verschleiß- und Verletzungsprinzipien steht bekanntlich in einem diametralen Verhältnis zu dem, was man volkstümlich "Gesundheit" nennt. In diesem Sinne sind Spitzenathleten tatsächlich Vorbilder, nämlich für die gesellschaftlichen Verwertungsinteressen, die bestens saturierte Ehrenamtler wie Klatten, angeblich "ohne einen eigenen Nutzen daraus zu haben" (DLF), zu Gunsten der herrschenden Klasse vertreten. Hinter dem neuen Spendenkonzept der Sporthilfe steckt nichts anderes, als daß die Dealer gesellschaftlicher Reproduktion den Preis für die Kulturdroge Sport erhöht haben. Der Sportkonsument soll noch weitreichender zum Produzenten und Sponsor seiner eigenen Abhängigkeit und Ohnmacht werden. Je mehr er glaubt, Kraft seiner Spende Herr über einen ihm danksagenden Athleten zu sein, desto weniger vermag er zu erkennen, daß er selbst Pferdchen am herrschaftlichen Triumphwagen ist, auf dem Klatten und Konsorten mit Gönnerlächeln stehen.

4. Januar 2010