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KOMMENTAR/070: Magdalena Neuner ... wie ein Schaf, das zum Schlachten geführt wird (SB)



Die Entwürdigung und Entrechtung von Spitzensportlern im Zuge des totalitären Antidopingkampfes, die von der Gesellschaft nicht mehr als Menschen, sondern als bloße Verdächtige wahrgenommen und wie potentielle Verbrecher behandelt werden, nimmt immer brutalere Formen an und beginnt sich auch auf die sozialen Reservate auszuweiten, in denen Sportler bislang noch zugestanden wurde, relativ unbehelligt von Kontrolleuren ihren Gefühlen - sei es aus Freude, sei es aus Leid - freien Lauf zu lassen. Gemeint ist nicht die Privat- und Intimssphäre, die von den Funktionsträgern der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) bereits massiv verletzt wird, indem Topathleten einer bestimmten Verdachtsgruppe dazu gezwungen werden, jederzeit und allerorten gegenüber Kontrolleuren Rechenschaft über ihren biochemischen Körperhaushalt abzulegen, was nicht ohne menschlich entwürdigende Kontrollprozeduren bei der Urin- und Blutabnahme sowie einer Stunde Freiheitsberaubung pro Tag vonstatten geht, sondern der nicht minder rabiate Umgang mit den "Verdachtsobjekten" gleich nach Wettkampfende oder Zieleinlauf. Auch dort, wo den Leistungssportlern nach all den körperlichen und geistigen Strapazen sowie der Selbst- und Fremddisziplinierung der versprochene "Lohn" in Form gesteigerter Emotionalität und sozialer Interaktion winkt, werden sie sofort auf den Boden eines totalitären Kontrollanspruchs zurückgeholt, der keine Zuwiderhandlung duldet, und sei das Verlangen, das kurze sportliche Glück zu genießen, noch so groß.

"Man wird schlimmer behandelt, als ein Schaf, das zum Schlachten geführt wird", übte Biathlon-Star Magdalena Neuner harsche Kritik an den Kontrollhelfern in Whistler, kaum daß sie ihre zweite Goldmedaille bei den Olympischen Winterspielen errungen hatte. "Da wird phasenweise wirklich Gewalt angewandt", schimpfte Neuner über die rüden Umgangsformen der kanadischen Veranstalter. "Man wird gleich angeschrien. Es fällt ein bißchen schwer, sich zu freuen, wenn man gleich links und rechts am Arm gezogen wird." Im ZDF forderte Neuner gegenüber den Sportlern mehr Respekt. "Ich denke, wir haben als Olympioniken schon etwas mehr Respekt verdient."

Die Offiziellen, die wegen ihrer Kleidung "Blaubärjacken" genannt werden, kümmern sich nach dem Zieleinlauf um das Material der Athleten und bringen sie zur Blumen-Zeremonie. Zudem achten sie darauf, daß die Sportler nicht sofort die Kleidung wechseln (Vorsicht Manipulationsgefahr!) und schnellstmöglich zur Dopingkontrolle kommen. "Das verdirbt einem echt die Laune. Man kann sich nicht einmal etwas überziehen. Man kommt ins Ziel, ist fix und fertig mit der Welt, möchte sich gerne umziehen, um nicht krank zu werden - dafür gibt es gar kein Verständnis", meinte Neuner. "Die Leute hier sind leider sehr unflexibel, halten sich nur an ihre Regeln und vergessen dabei die Sportler." Auch Bronzemedaillen-Gewinnerin Simone Hauswald bemängelte die Ruppigkeit der Veranstalter im Ziel: "Wir werden da teilweise schon nicht mehr wie Menschen behandelt." Vor den Doping-Kontrollen werde den Athleten zudem ein "Megatext" vorgelesen. "Ob man zuhört oder nicht, ist eigentlich egal, sie könnten auch mit der Wand reden. Sie machen es nur, weil sie es machen sollen", so Hauswald.

Rückendeckung für ihre Kritik erhielten die Biathletinnen auch aus dem Lager der deutschen Bobfahrer. "Ich kann Lena nur absolut recht geben. Man hat im Ziel noch nicht einmal den Helm abgenommen, da wird man schon weggezerrt. Das kann nicht sein", sagte Olympiasieger André Lange. Und Bob-Anschieber Richard Adjei erklärte: "Du wirst auf der Bahn durchgeschüttelt. Im Ziel weißt du gar nicht genau, wo du bist, mußt dich erst einmal sammeln, da wirst du gleich von irgendwelchen Leuten zugetextet. Da denkst du nur: Was willst du eigentlich von mir, ich muß erst einmal zu mir kommen."

Die "Blaujacken" in Vancouver und Whistler, in der Regel freiwillige Helfer, sind nur die ausführenden Organe von IOC und WADA, die sich das schärfste und umfangreichste Doping-Kontrollprogramm, das es jemals bei Winterspielen gab, auf die Fahnen geschrieben haben. Um die Massen auf eine erfolgreiche Dopingjagd einzuschwören, versuchte die WADA gleich zum Auftakt der Spiele in Kanada einen demonstrativen Doping-Coup zu landen, den aber selbst die antidopingkonformen Medien als plumpen "PR-Bluff" erkannten: Das vermeintlich kurzfristig verhängte Startverbot gegen mehr als 30 positiv getestete Athleten entpuppte sich als Aufsummierung von alten Fällen teilweise noch aus dem letzten Jahr.

Weil es bislang keinen einzigen positiven Befund in Vancouver gibt, fangen die Sportjournalisten, denen der "Dopingpapst" Prof. Werner Franke zuvor hinter die Ohren geschrieben hatte, "dass in den Ausdauerwettbewerben die Mehrzahl der Spitzenathleten gedopt" seien und nur jene erwischt würden, die "aus Doofmannshausen kommen", allmählich selbst an, irre zu werden und den Betrugsverdacht in einer semantischen Kehre als "trügerische Sauberkeit" (SZ) zu präjudizieren. Man ist ja sowas von kritisch als aufgeklärter Reporter, wenn man argwöhnt und den Schein nicht für bare Münze nimmt ...

Auch Rußland, dessen Athleten laut öffentlich-rechtlicher Stimmungsmache angeblich zugedopt sind und dessen staatliche Stellen laut einem "vertraulichen Bericht" der WADA, der seltsamerweise dem ZDF vorliegt, die Arbeit internationaler Dopingkontrolleure auf russischem Gebiet massiv gestört haben sollen (haben die "Polizisten" der privatrechtlichen WADA-Stiftung bereits uneingeschränkte Handlungsgewalt in fremden Ländern?), sahnte nicht wie gewohnt die Medaillen ab. Sind die russischen Wintersportler vier Jahre vor den Spielen im eigenen Land etwa so durchtrieben, daß sie trotz Dopings lieber keine Medaillen ernten, um der internationalen Presse glauben zu machen, der russische Sport sei sauber? Die Verschwörungstheorien werden immer abstruser. Fehlt eigentlich nur noch, daß Journalisten behaupten - was von der Anti-Doping-Wirtschaft zwecks profitabler Etablierung neuester Analyse- und Bezichtigungsmethoden ohnehin permanent suggeriert wird -, keine Dopingfälle bedeuten das genaue Gegenteil.

Wie man es auch dreht und wendet, der inquisitorische Antidopingkampf ist programmatisch darauf angelegt, die Verdachtshuberei ad infinitum zu betreiben. Mal sind die Athleten doof, mal gerissen - in den Augen ihrer Überwacher und Ankläger auf jeden Fall verdächtig und daher noch enger an die Kandare zu nehmen. Was wunder, daß der Chef der Medizinischen Kommission des IOC, Professor Arne Ljungqvist, zum Abschluß der Spiele anregte, den weltweiten Dopingkampf mit Hilfe neuer Sponsoren, beispielsweise aus der Sportartikelindustrie, in noch viel höherem Ausmaß zu betreiben. "Wir haben derzeit international 250.000 bis 300.000 Kontrollen im Jahr. Aber es gibt mehrere Millionen registrierte Athleten. Sie müssen alle davon ausgehen können, daß sie einige Male im Jahr getestet werden", so der Schwede, der die Kontrollzahlen offenbar in schwindelerregende Höhen treiben will, was horrende Summen an Geldern verschlingen wird - die wiederum den entsprechenden Berufsständen und Institutionen, die die Antidopinghatz maßgeblich vorantreiben, zugute kommen.

Passend dazu gaben IOC und WADA während der Winterspiele bekannt, daß im Antidopingkampf auf der Grundlage eines vom Berliner Endokrinologen Christian Strasburger entwickelten Nachweisverfahrens ein spektakulärer Durchbruch gelungen sei. Erstmals wurde mit dem britischen Rugbyprofi Terry Newton einem Athleten das Doping mit dem Wachstumshormon HGH nachgewiesen. Die neue Nachweismethode wird überschwenglich als "Meilenstein im Anti-Doping-Kampf" und "Erfolg des Zusammenspiels von intelligenter Zielkontrolle und der Kooperation unter Wissenschaftlern" (Spiegel online, 23.2.10) gepriesen. Warum das Verfahren, das jahrelang als "juristisch anfechtbar" und "nicht als hundertprozentig wasserdicht" galt, plötzlich justitiable Serienreife erlangt hat, erfährt der gemeine Sportkonsument indessen nicht. "Jetzt erst habe man die Erfahrung aus Tausenden Anwendungen und die Möglichkeit, in fast allen der 33 IOC-akkreditierten Labors zu testen", beruft sich der Spiegel auf die lapidare Aussage von Strasburger, so als ob das etwas über die Zuverlässigkeit der Tests aussagen würde, deren Unwägbarkeiten eben gerade nicht Thema allgemeiner Erörterungen sind.

Schon gar nicht wird in diesem Zusammenhang über die verschiedenen internationalen Wissenschaftlergruppen berichtet, die sich im Reigen um Förder- und Forschungsgelder, Reputation und Marktmonopole einen ähnlichen Wettkampf liefern wie die Athleten um Medaillen. Obwohl in der Wissenschaftsgeschichte die Fälle von Betrug und Fälschung überreichlich gesät sind, wird nämlicher Sumpf ausschließlich bei den Sportlern verortet. Etwa weil sie das schwächste Glied in der gesellschaftlichen Bezichtigungskette sind und keine mächtige Standesvertretung haben? Bezeichnend für die vollkommen einseitige Wahrnehmung der Anti-Doping-Berichterstattung ist doch, daß nicht hinterfragt wird, wie es sein kann, daß das Strasburger-Verfahren - obwohl es erst seit 2007/08 in der jetzigen Form in Händen der WADA liegt und seine vermeintliche Wasserdichtigkeit erst seit kurzem von den entsprechenden Sport- und Rechtsinstanzen erklärt wurde - schon etliche Jahre vorher, als nämliche Kriterien der Massenanwendung und Serienreife noch nicht im vollen Umfang erfüllt sein konnten, zum Einsatz kommen sollte. Bereits zu den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wollte die Strasburger-Gruppe mit ihrem Nachweisverfahren auf Athleten losgehen und sie "überführen". Ob das in ein ähnliches Desaster gemündet wäre wie im Fall von Claudia Pechstein? Die deutsche Eisschnelläuferin wird auf der Grundlage des neuen "biologischen Passes", der vom IOC/WADA/CAS/NADA/DOSB/BMI-Verurteilungskartell trotz aller Fragwürdigkeiten und profunden Einwände ebenfalls als "justitiabel" deklariert wird, des Dopings bezichtigt, hat sich aber als wehrhafte Sportlerin von höchster Glaubwürdigkeit erwiesen, die von ihren Bestrafern bislang nicht kleingerieben werden konnte.

"Bereits bei den Olympischen Sommerspielen in Athen 2004 war das Verfahren angewandt worden. Die Kriterien für einen positiven Befund seien damals allerdings derart streng gefasst gewesen, dass niemand überführt wurde", berichtet FAZ-online (23.2.10) über das Strasburger-Verfahren, ohne die naheliegende Frage aufzuwerfen, warum die Kriterien jetzt offensichtlich weniger streng gefaßt wurden und wer das entscheidet - etwa die gleichen WADA-Experten, die auch den gerichtsfesten Schulterschluß des "biologischen Passes" gedeichselt haben?

Zumindest auf der PR-Seite scheinen die Hexenjäger dazugelernt zu haben. Anders als in der Causa Pechstein, die bekanntlich von renommierten Wissenschaftlern und Medizinern auf die juristische Schlachtbank des Internationalen Sportgerichtshofes (CAS) geführt wurde, um sie dort für die weltweite Einführung des indirekten Dopingnachweises anhand bloßer Indizien bluten zu lassen, haben die Verantwortlichen beim HGH-Präzedenzfall einen Sportler herausgepickt, der ohne Umschweife seinen Fehltritt zugab. Wer mag da an Zufall glauben, zumal vor dem Hintergrund "intelligenter", d.h. gezielter Kontrollen? Zudem wäre zu fragen, warum das vom IOC und der WADA finanziell unterstützte HGH-Nachweisverfahren à la Strasburger als "unabhängig" zu gelten hat, während von Sportlern bezahlte wissenschaftliche Expertisen zu ihrer Entlastung als "gekauft" gebrandmarkt werden - siehe die mediale Hetze gegen von Pechstein in Auftrag gegebene Studien bezüglich ihrer vermuteten Blutanomalie.

Ebenso wie Wissenschaftler oder Mediziner, die noch nicht vollständig vom WADA/IOC-Akkreditierungsapparat vereinnahmt sind, sich permanent von Beschuldigungen, insgeheim Doping zu unterstützen, freisprechen müssen, indem sie die Legitimität des Antidopingkampfes bekräftigen, sind Sportler gezwungen, in der Öffentlichkeit ständig Zeugnis von ihrer "sauberen" Gesinnung abzulegen. So blieb auch Magdalena Neuner und Simone Hauswald nach ihren deutlichen Aussagen nichts anderes übrig, als umgehend zu versichern, daß sie ihre Kritik nicht als Kritik an den Dopingkontrollen verstanden wissen wollten: "Bei unseren Äußerungen handelte es sich nicht um Kritik am Dopingkontroll-System. Dieses wird von uns in vollem Umfang und aktiv unterstützt. Vielmehr bezog sich die Kritik auf einige offensichtlich ungeordnete Abläufe im Zielbereich des Biathlon-Venues, die es uns erschwert haben, uns über unsere Medaillen zu freuen."

Selbst der Olympiapfarrer Thomas Weber kritisierte unterdessen, wie Medien und Offizielle bei den Spielen mit den Sportlern umgehen. Der Athlet verkomme immer mehr zum Objekt, bestätigte er im Interview mit Zeit-online (26.2.10). "So, wie die Athleten behandelt werden, könnte ein verantwortungsbewusster Vater heute kaum noch zulassen, dass sein Kind in den Leistungssport geht." Man werde bis in den intimsten Bereich untersucht und beobachtet, die Menschenwürde werde herabgesetzt. "Aus Angst sprechen die meisten Athleten aber nicht darüber. Sie wollen nicht den Eindruck erwecken, sie hätten etwas zu verbergen", so Weber.

Es ist einfach, über die "Boulevard-Medien" zu schimpfen, die Athleten oft auf übelste Weise hoch- und niederschreiben. Diesem durchsichtigen kommerziellen Skandalgeschäft mit seinen ebenso überschaubaren Polarisierungen, Moralisierungen und Glorifizierungen steht indessen ein gesellschaftlich hochentwickelter, wissenschaftlich, medizinisch und sportjuristisch ausgebauter Systemkomplex gegenüber, dessen Einschüchterungs- und Entmündigungspraxen viel schwerer wiegen, eben weil sie sich auf dem neusten Stand elitärer Herrschaftssicherung befinden, die naturgemäß nicht ohne die Teilhaberschaft und inhärenten Verschleierungstaktiken des Politik- und Wissenschaftsbetriebes auskommt. Derweil sind die Möglichkeiten von Athleten, argumentativ im Gängelsystem funktionalistischer Sachzwanglogik (selbst)kritisch und wehrhaft Fuß zu fassen, nicht einmal als "unterentwickelt" zu bezeichnen.

Ein schlagendes Beispiel für schlachthofreife Schafsköpfigkeit lieferte indes der schwedische Biathlet Björn Ferry, der einer schwedischen Tageszeitung gegenüber erklärte: "Von mir aus könnte es bei allen Dopingurteilen gerne die Todesstrafe geben oder mindestens wiederholte Schläge auf die Eier. Solange die Strafen nicht strenger werden, werden wir die Leute ohne Moral nicht los."

1. März 2010