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KOMMENTAR/100: Eliteprojekt Olympia 2018 - "Stuttgart 21" des Sports? (SB)



Daß es sich bei der Bewerbung Münchens für die Olympischen bzw. Paralympischen Winterspiele 2018 um ein elitäres Profit- und Renommierprojekt handelt, das von den Oberen der Gesellschaft gegen die Interessen von erheblichen Teilen der Bevölkerung sowie die Proteste diverser Basisbewegungen vornehmlich aus dem Natur- und Umweltschutz durchgesetzt werden soll, läßt sich kaum noch verleugnen. Ähnlich wie im Fall Stuttgart, wo ein größenwahnsinniges Bundesbahnprojekt gegen Bürgerproteste buchstäblich durchgeprügelt wird, oder in Gorleben, wo der Steuerzahler die radioaktive Müll-Suppe der Energiewirtschaft auslöffeln und auf Biegen und Brechen ein Endlager gegen den Widerstand der Bevölkerung durchgeboxt werden soll, oder in Wietze nahe bei Celle, wo Europas größte Hähnchenschlachtfabrik entstehen und eine ganze Region zum Leidwesen der dort lebenden Menschen in eine Industrielandschaft von Zuliefer-Mastbetrieben verwandelt werden soll, haben sich auch rund um die Münchner Bewerbergesellschaft Lobbyistengruppen gebildet, um für die milliardenschwere Sportindustrie ein Megaevent aus dem Boden zu stampfen, dessen Kostendimensionen und negativen Auswirkungen auf das Gemeinwesen noch gar nicht abzuschätzen sind.

Als die Bundesregierung mit den Stimmen von SPD und FDP vor etwa 15 Monaten die Münchner Bewerbung kurzerhand zur "nationalen Aufgabe" erklärte, ging das Berliner Establishment offenbar davon aus, daß es sich um einen "schwarz-rot-geilen" Selbstläufer handeln würde. Nachdem es Politik und Wirtschaft anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 gelungen war, die sportbegeisterte Bevölkerung in Deutschland auf den "positiven Patriotismus" einzuschwören, der sich durch emotional aufgeladene Medienkampagnen jederzeit aktivieren läßt, hoffte auch Kanzlerin Angela Merkel auf eine Verlängerung der nationalen Welle: Es wäre großartig, wenn sich Deutschland 2018 "erneut als weltoffener und freundlicher Gastgeber präsentieren dürfte", sagte die Regierungschefin und versprach, "mit Leidenschaft" dafür zu kämpfen, daß das Internationale Olympische Komitee (IOC) im Juli 2011 in Durban eine positive Entscheidung für Deutschland fälle.

Doch das Durchregieren gestaltete sich schwieriger als erwartet. Gegen die selbstherrlichen Olympiamacher und ihr Größenwahnprojekt, das mit gravierenden Eingriffen in die Natur verbunden ist, regte sich immer mehr Widerstand. Weil zahlreiche Bauern in Garmisch-Partenkirchen ihr Land nicht für Jahre der mehrwöchigen Olympiasause zur Verfügung stellen wollten, versuchte es Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit Engelszungen und sprach von einem "großen patriotischen Anliegen" und von einer "riesigen Chance für alle beteiligten Kommunen, für Bayern und für Deutschland". Zuvor waren die Grundstückseigentümer keines Wortes würdig gewesen - sie waren weder nach ihrer Meinung gefragt worden noch ob sie ihr Land überhaupt verpachten wollten. Zwar hatte sich der Rat von Garmisch-Partenkirchen Jahre vorher einhellig für das Olympia-Projekt ausgesprochen. Doch ähnlich wie in Stuttgart, wo der Bevölkerung das ganze Ausmaß der Bauvorhaben und damit verbundenen Umweltzerstörungen und Beeinträchtigungen ihres Lebensraumes, die durch keine Verträglichkeitsstudien oder Kosten-Nutzen-Rechnungen wirklich auszudrücken sind, ging vielen Garmisch-Partenkirchenern erst dann ein Licht auf, als die Olympiaplaner sich nach Gutsherrenart ihrer ökologisch wertvollen Blumenwiesen bemächtigen wollten, um an ihrer Stelle Sportlerunterkünfte, Medienzentren, Straßen und jede Menge Parkplätze wachsen zu lassen.

An warnenden Stimmen von engagierten Naturschützern im Vorfeld hatte es nie gemangelt. Während die Bundesgrünen noch opportunistisch abwarteten, in welche Richtung sich der Wind drehen würde, hatten sich an der Basis längst NOlympia-Intitiativen gebildet, die von Grünen des bayerischen Landesverbandes und der Landtagsfraktion unterstützt wurden. Das Hierarchiegefälle innerhalb der Grünenpartei spiegelt quasi den Lobbyistenstatus der Politprofis wider: Unten die unabhängige Protestbewegung, darüber der Münchner Stadtrat mit grünen Olympia-Befürwortern und ganz oben Parteichefin Claudia Roth, die auch im Kuratorium der Olympia-Bewerbungsgesellschaft sitzt. Im selben Kungelklub ist auch Michael Vesper vertreten, Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Aufsichtsratsvorsitzender der München 2018 GmbH. Das Grünen-Mitglied verteidigt das "konservativen Rechnungen" zufolge mit mehr als drei Milliarden Euro zu Buche schlagende Olympiaspektakel (die Gesamtkosten für die "Grünen Spiele" in Vancouver 2010 hatten sich im Laufe der Zeit vervielfacht - für den Schuldenabbau sollen nun in der Stadt u.a. 90 Prozent des Kulturausgaben gekürzt werden!), in das noch nicht die horrenden Sicherheitskosten eingerechnet sind, mit Händen und Füßen. Vesper gibt vor, nicht verstehen zu können, warum nach dem "Bund Naturschutz", dem "Verein zum Schutz der Bergwelt", "CIPRA Deutschland", "Mountain Wilderness" sowie dem "Bund für Umwelt und Naturschutz" sich nun auch noch der "Deutsche Naturschutzring" (DNR), Dachverband von 96 Umweltverbänden, aus der Fachkommission Umwelt der Olympiabewerbung verabschiedet hat. Die "NaturFreunde Deutschlands" kündigten ebenfalls ihren Rückzug an. Alle abtrünnigen Umweltorganisationen versichern einhellig, nicht als grünes Deckmäntelchen der Münchner Bewerbung dienen zu wollen, die einst vollmundig mit herausragenden Umweltschutzkonzepten geworben hatte.

Wie der Naturschutzring vor kurzem erklärte, halte er "nach sorgfältiger Prüfung der Bewerbungsunterlagen und zwei ausführlichen Gesprächen mit führenden Vertretern der Bewerbungsgesellschaft, dem Generalsekretär Michael Vesper und dem Präsidenten des DOSB Thomas Bach die Durchführung der Spiele in Garmisch-Partenkirchen mit seinen engen Gebirgstälern und ökologisch bedeutsamen Flächen für nicht verantwortbar". Sebastian Schönauer vom DNR und Bund Naturschutz in Bayern unterstrich seine ablehnende Haltung mit den Worten: "Natur- und Landschaftszerstörung im Oberland in Zeiten des Klimawandels, fehlende Transparenz und explodierende Kosten, für all das steht inzwischen München 2018." Schlimm, so der DNR weiter, seien vor allem die vorgesehenen und teilweise bereits erfolgten Eingriffe beim Ausbau der Kandahar-Abfahrt und der Weltcup-Strecke Gudiberg (für die schon viele tausend Bäume geopfert wurden) sowie das unerfüllt gebliebene Versprechen eines Biosphärenreservates als Ausgleichsmaßnahme, das sich als "bloße Luftblase" entpuppt habe.

Der Deutsche Alpenverein (DAV) und der bereits schwankende Landesbund für Vogelschutz (LVB) sind die beiden letzten Umweltverbände, welche der Münchner Bewerbung noch die öko-legitimatorische Stange halten. Der offizielle Antragstext der Münchner Grünen an ihre Stadtratsfraktion vom 4. Oktober, worin sie ein klares "Nein" zur Olympiabewerbung Münchens fordern, läßt erahnen, warum DAV und LVB noch im Olympia-Boot sitzen, denn sie werden "ohne Ausschreibung mit direkten Zuschüssen bedacht" [1].

Sicher, irgendeine abgespeckte Version mit einigen Vorzeigeprojekten für "grüne Spiele" im "naturverträglichen", "nachhaltigen", "CO2-reduzierten" oder "klimaneutralen" Verpackungsjargon wie das kostspielige "Plusenergiedorf", das keinesfalls hält, was es verspricht, wird es schon geben.

Das alles entkräftet aber nicht die "18 Gründe" gegen die Austragung der Winterspiele, die das Bündnis "NOlympia", an dem sich mehrere Umwelt- und Naturschutzorganisationen sowie der Landesverband der Grünen und der Münchner Kreisverband der Linken beteiligen, auf seiner Website zusammengetragen hat und ausführlich erläutert.

Im Gegensatz zu "Stuttgart 21", wo das Bauprojekt der Stadtoberen in weiten Teilen der Bevölkerung mit Blick auf die sozial-, umwelt- und verkehrspolitischen Implikationen viel kritischer reflektiert wird, werden die gesellschaftlichen Deformationen, die der sportindustrielle Komplex bei Mensch und Umwelt anrichtet, so gut wie gar nicht hinterfragt. Die nationalistischen und hurrapatriotischen Begeisterungsschübe, die Sport und Spiele versprechende Politiker und Funktionäre im Volk auszulösen vermögen, besitzen eine so hohe Massenwirksamkeit und Suggestivkraft, daß die Herrschenden in der Regel darauf bauen können. Zumal auch die von ihnen alimentierten und zu "Vorbildern" oder "Botschaftern" aufgebauten Spitzensportler sich dankbar erweisen, indem sie mit konformistischen Allgemeinplätzen Werbung für die elitären Projekte ihrer Gönnerschaften betreiben. Ski-Olympiasiegerin Maria Riesch trägt seit kurzem ein weißes "Freundschaftsband" um ihr Handgelenk, um weitere "Follower", vornehmlich aus dem Promi-Bereich, für die Initiative "PROlympia" zu gewinnen, die ein ebensolches Armband tragen werden. Nach Angaben Rieschs hätten aktuelle Umfragen ergeben, daß 80 Prozent eigentlich Befürworter von Olympia seien. "Aber laut wird halt immer leider nur die negative Kritik." Deswegen, so Riesch, solle das jetzt durch "prominente Gesichter" und "Meinungsbildner" ein bißchen mehr Pep bekommen.

Ihr erster prominenter Meinungsbildner aus dem Schaustellergewerbe, der Emotionen für Olympia wecken soll, war Thomas Gottschalk. Der steinreiche TV-Entertainer, der eine Luxusvilla in Malibu/Kalifornien und ein Schloß bei Remagen/Deutschland bewohnt und wohl nicht zufällig einem Firmenteil seines Unterhaltungsimperiums den Namen "Brot und Spiele" gegeben hat, erklärte seine "tiefe Verbundenheit" zu Olympia mit einer der Sportlerwohnungen, die er nach den Olympischen Spielen 1972 in München bezogen hatte. Da habe er immer aufs Olympiagelände geguckt, so Gottschalk im Bayerischen Fernsehen (28.09.10). Spätestens seit Vancouver sei er ein Fan von Maria Riesch, und sie liege bei ihm auch nicht ganz falsch, "weil es eben auch Entertainment ist".

Die "positive Kritik" der PROlympia-Bewegung besteht fast nur aus Stimmungen, Emotionen und Entertainment, weder Sportstar Riesch noch TV-Star Gottschalk sind offenbar gewillt, über den Tellerrand ihrer unmittelbaren beruflichen Interessenssphären hinauszublicken. Hätten sie sich wirklich mit den Auswirkungen von Vancouver oder den tückischen Knebelverträgen des IOC beschäftigt und nicht nur die Skipiste und den Fernseher im Blick gehabt, würden sie nicht so einen bedenkenlosen Schmarren daherreden. Oder besteht gerade darin ihre Profession?

Anmerkung:

[1] http://blog.dieter-janecek.de/files/2010/10/NEIN-zu-Olympia-2018.pdf

4. Oktober 2010