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KOMMENTAR/154: "Wir für Deutschland" - Nationale Rundumbespaßung für sportliche und militärische Kriege (SB)




Deutschland macht mobil - auf militärischen wie sportlichen Kriegsschauplätzen. Seit Juli vergangenen Jahres wirbt die Bundeswehr mit dem Slogan "Wir. dienen. Deutschland" für ihre neue Freiwilligenarmee, die überall auf der Welt ihre Interventionsfähigkeit unter Beweis stellen will. Eine "Herausforderung" und "Chance", die es laut Werbetext der Bundeswehr "zu ergreifen gilt" - "für Deutschland, auch unter Einsatz unseres Lebens". [1]

Kämpfen, letzten Einsatz zeigen, für Deutschland siegen - das sollen und wollen auch die Elitesportlerinnen und -sportler, zu deren größten Förderern die Bundeswehr zählt. Knapp 100 Tage vor den Olympischen Spielen in London hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) eine "Kommunikationsoffensive" gestartet, die auf dem wiedererstarkten Nationalismus aufsetzt, welcher während der Fußball-WM 2006 in Deutschland (Stichwort "positiver Patriotismus") maßgeblich entfacht worden war. "'Wir für Deutschland': drei Worte, ein klares Bekenntnis für Athleten, Fans und Gesellschaft", lautet die Ansage des DOSB, dessen Deutschlandmotto "sich ab sofort durch die gesamte Kommunikation des DOSB zum Thema Olympia" und darüber hinaus ziehen werde. Das solle auch für die Sporthilfe-Geldbeschaffungs-Kampagne "Dein Name für Deutschland" gelten, unterstrich Michael Vesper, Generaldirektor des DOSB und Chef de Mission der Olympiamannschaft [2]. Bei der Kampagne der Sporthilfe, die das privatwirtschaftliche Pendant zur Bundeswehrsportförderung darstellt, kann jeder Bürger ab drei Euro im Monat Sponsor der deutschen Spitzensportler werden. Offizielles Auftragsziel der rund 400 deutschen Athleten in London: Verteidigung von Platz fünf im Medaillenspiegel.

Während alle Welt staunend mit dem Widerspruch abgefunden wird, daß im Sicherheitsstaat Großbritannien für die Durchführung des "friedlichen Festes" das teuerste und größte Polizei- und Militäraufgebot seit dem 2.‍ ‍Weltkrieg aufmarschiert, gerät fast schon zur Marginalie, daß beinah das halbe deutsche Olympiateam aus Sportsoldaten besteht, die keineswegs nur für die vielbesungenen "Werte des (Spitzen-)Sports" stehen, sondern auch "für ein positives Bild der Bundeswehr", wie Michael Vesper (Grüne) unlängst wissen ließ [3]. Bei den letzten Sommerspielen in Peking waren knapp 30 Prozent des Olympiateams bei Bundeswehr, Bundespolizei oder Zoll beschäftigt, bei den Winterspielen in Vancouver betrug der Anteil knapp 65 Prozent. In einem Radio-Beitrag über die "Goldschmiede" Bundeswehr hieß es kürzlich über die Sportsoldaten: "Vor allem die jüngeren Jahrgänge tragen den Bundesadler stolz auf ihren Trainingsanzügen, erscheinen zu Siegerehrungen auch schon mal in Uniform." [4] Über 30 Millionen Euro schießt die Bundeswehr jährlich in die nationale Medaillenproduktion, die auch der Stärkung des inneren Corpsgeistes und der äußeren Strahlkraft der Armee dient. Auf den Sport fokussierte und von bittersten Militärtraumata weitgehend freigehaltene Spitzenathleten, die der Bundeswehrsportförderung "sehr viel" zu verdanken haben, lassen in der Regel nur "Gutes" über den Barras verlauten.

Da zu befürchten steht, daß Deutschland im internationalen Rüstungswettlauf an Boden verliert, erklärte DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach bereits vor den Londonspielen: "Die Konkurrenzsituation ist härter denn je. Noch niemals, ja nicht einmal in Zeiten des Kalten Krieges, ist so viel Geld und Knowhow in den internationalen Leistungssport investiert worden." [5]

Die sportlichen Stellvertreterkriege sind nach dem Ende der politischen Blockkonfrontation keinesfalls abgekühlt, sondern sie werden heißer denn je geführt, sowohl im Spitzen- als auch im Breitensport. Um der Gesellschaft letzte Vorbehalte gegen eine aggressive Kriegführung auszutreiben, die die Umformung der Bundeswehr von der reinen Verteidigungsarmee zur global intervenierenden "Einsatzarmee" zwangsläufig mit sich bringen wird, müssen alle Propaganda- und Werberegister gezogen werden. Zumal ebenso die Heranwachsenden überzeugt werden sollen, daß es sich lohnt, für "ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit" (siehe die Aussagen von Bundespräsident Horst Köhler unmittelbar vor seinem Rücktritt) notfalls auch ins Gras zu beißen. Um sich als attraktiver Arbeitgeber darzustellen, der interessante und spannende Jobs zu bieten hat, versucht sich die Bundeswehr zusehends als Event-Marke zu profilieren.

So ist vor kurzem eine weitere Bespaßungskampagne in Deutschland angelaufen, die den Sport unmittelbar für militärische Rekrutierungsziele instrumentalisiert. Sie wirbt für die 6. BW-Olympix in der Sportschule der Bundeswehr im westfälischen Warendorf (1. bis 3. Juni). Auch der sich politisch "neutral" gebende DOSB rührt auf seiner Website die Werbetrommel für das "Großevent", zu dem etwa 1000 Mädchen und Jungen im Alter von 16 bis 17 Jahren in den Trendsportarten Beachvolleyball, Beachhandball, Minisoccer und Streetball erwartet werden. Teilnahmeberechtigt sind ausschließlich Teenager, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, also ins Anforderungsprofil der Bundeswehr passen, die sich auch die Bildrechte für spätere PR-Aktionen vorbehält. Während des "Event-Wochenendes", für das die Bundeswehr sämtliche Kosten inklusive Bahnreise, Unterbringung und Verpflegung übernimmt, können laut Pressemitteilung des Bundesverteidigungsministeriums [6] die Teilnehmer/-innen "die Bundeswehr hautnah erleben". Highlights des diesjährigen Rahmenprogramms mit Sportstars, Musik und Infotainment seien die Welcome Party sowie die Players' Party. Laut Akquisition der Website www.bw-olympix.de winken den Siegerteams "einmalige Gewinne", die es "nirgendwo zu kaufen" gebe. Etwa "Action" mit der Luftwaffe auf Sardinien. "Auf der italienischen Insel lernt ihr das taktische Ausbildungskommando der Luftwaffe kennen. Ein Highlight des Aufenthalts ist die Teilnahme an der Übung 'Überleben auf See'", heißt es im Werbetext. "Hierbei lernt ihr unter anderem, euch aus dem Wasser in eine Rettungsinsel zu bergen." Ferner bieten die Veranstalter ein "Fun-Wochenende in der Elbmetropole Dresden" mit dem Sanitätskommando und abschließender Führung durch das kürzlich neu eröffnete Militärhistorische Museum. Oder einen "flotten Segeltörn" nach Dänemark mit der Marine. "Die gemeinsamen Abende werden sowohl in Restaurants als auch an Bord verbracht."

Die Party ist also bereitet, nicht nur für die Olympioniken bei den "Militärfestspielen" in London, sondern auch für die jugendliche Zielgruppe bei den BW-Olympix in Warendorf. Während die Werbetreibenden der Elitesport- und Bundeswehr-Funsport-Events die Nutzung von social media wie Facebook explizit fördern, um größtmögliche Breitenwirkung und Identifikation zu erzielen, empfiehlt die Hardthöhe ihren Soldaten, grundsätzlich auf die Nutzung der Internet-Netzwerke zu verzichten. Nach einem Bericht von Bild.de von Mitte April heißt es in einem Papier der Bundeswehr-Leitung dazu: "Öffentlich gemachte persönliche Erfahrungen von Einzelpersonen oder Soldaten können komplexe Zusammenhänge meist nur unvollständig wiedergeben und sind hinsichtlich der Einschätzung ihrer Wirkung in der Öffentlichkeit unkalkulierbar." [7]

Hintergrund der Empfehlung ist offenbar die Gefahr, daß Soldaten, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, über ihre oftmals verstörenden Erfahrungen und schrecklichen Erlebnisse im Kriegseinsatz berichten könnten, was weder den Werbezielen des Verteidigungsministeriums noch den Image- und Rekrutierungskampagnen der Streitkräfte zuträglich wäre. Um die Kommunikationsplattform Facebook trotz der Gefahr eines "Shitstorms" (Empörungswelle) dennoch nutzbringend einsetzen zu können, wird bereits nach einschränkenden Regeln gesucht, die den Soldaten den "privaten" Plausch in der gewünschten selektiven Form möglich machen. So forderte der CDU-Verteidigungsexperte Henning Otte einen "Facebook-Kodex" für Soldaten. Dieser solle eine Imageschädigung oder Sicherheitsrisiken für die Bundeswehr verhindern. Ähnlich wie in der Praxis des Profi- und Spitzensportes müßten sich dann Armeeangehörige "freiwillig" einen Maulkorb anlegen. Der in den Medien kolportierte Anlaß für die Bundeswehr-Empfehlung, lieber auf die Nutzung von Facebook zu verzichten, bezieht sich auf mehrere Morddrohungen, die Wilson Gonzalez Ochsenknecht, einer der Söhne des bekannten Schauspielers Uwe Ochsenknecht, nach einem über Ostern ausgestrahlten "Antikriegsfilm" via Facebook erhalten hatte. Bei den Absendern der Kommentare soll es sich um Soldaten gehandelt haben, die offenbar selbst in Afghanistan im Einsatz sind und denen der ironische Grundton der ProSieben-Komödie "Willkommen im Krieg" mißfiel. Der u.a. als "schwuler Hurensohn" beschimpfte Ochsenknecht wird von einem Soldaten beispielsweise aufgefordert: "Sei ein Mann und komm mich doch im Fallschirmjägerbataillon 261 besuchen. Ich bring Dich um, Du Tunte!" Ein anderer Soldat schrieb: "Lass uns ihm mal ne kleine Tour durch die lustigen Hinterhalte und spaßigen Sprengfallen buchen..."[8]

Solche "Kommunikationspannen" wird es bei den Olympix, die ebenfalls mit hautnahem Bundeswehrerleben werben, höchstwahrscheinlich nicht geben. Das "Infotainment" über die "komplexen Zusammenhänge" von Sport und Krieg liegt hier vollständig in den Händen der Bundeswehr und ist in seiner öffentlichen Wirkung garantiert kalkuliert!

Anmerkungen:

[1]‍ ‍http://wirdienendeutschland.de/selbstverstaendnis.html. 26.4.2012.

[2]‍ ‍http://www.dosb.de/de/olympia/olympische-news/detail/news/deutsche_olympiamannschaft_wir_fuer_deutschland/. 29.4.2012.

[3]‍ ‍http://schattenblick.de/infopool/sport/meinung/spmek137.html

[4]‍ ‍http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/nachspiel/1660808/. 29.4.2012.

[5]‍ ‍Deutschlandfunk, Sport aktuell, 27.03.2012. Von Carsten Schellhorn.

[6]‍ ‍http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYxNC8IwEET_UTbJoYg3a0EUT3rQepG0XeJC88F2Gy_-eFvQGXhzeDDwgKXRFfJOKEU3wh3anrbdW3WheJUZpwl_E0gEaZyjx6gc9y8qT6uNhdv6MqDqU0RZKRiFFnp2kljlxDKuZmZejKIBWm2aWhv9j_lsrvvz6VDZqjnWF8gh7L7sZLol/. 29.4.2012

[7]‍ ‍http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/facebook-bundeswehr-23650380.bild.html. 29.4.2012.

[8]‍ ‍http://www.bild.de/unterhaltung/leute/wilson-gonzalez-ochsenknecht/erhaelt-morddrohungen-von-soldaten-23611338.bild.html. 29.4.2012.

1.‍ ‍Mai 2012