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KOMMENTAR/162: Olympische Erträge - Merk und Prokop checken Stimmung für Anti-Doping-Gesetz (SB)




Zwar haben Entmündigung und Entrechtung von Athleten im Zuge des verdachtshuberischen Antidopingkampfes Ausmaße angenommen, die allen Grundsätzen einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft spotten, doch das Totschweigen der Zumutungen und das gleichzeitige Zelebrieren der neuen Mißtrauenskultur während der Olympischen Spiele in London hat eindrucksvoll demonstriert, daß das moderne Blockwartsystem des Hochleistungssports nahezu reibungslos vergesellschaftet werden kann. Während die Kritik des Volleyball-Nationalspielers Georg Grozer an den schikanösen Meldepflichten für Spitzensportler ohne öffentliche Resonanz blieb, herrschte in den meinungsbildenden Medien große Einigkeit, daß es sich bei dem Kurz-Statement von Wolf-Dieter Poschmann zum Antidopingkampf nur um Dummschwätzerei handeln könne. Der Sportmoderator des ZDF hatte während des 100-m-Finales der Männer mit dem Ex-Doper Justin Gatlin (USA) unter anderem die rechtlich umstrittenen Langzeitsperren, den "wenig effektiven Kontrollaktivismus", die "hohen Kosten" und die "Dämonisierung" der Athleten als heuchlerisch beschrieben [1] - alles Dinge, die unter Experten seit langem kritisch diskutiert werden. Weil Poschmann aber nicht ins populistische Horn der Dopingjäger stieß, bekam er von den Vertretern des wissenschaftlich-kriminologischen Kartells (Dr. Helmut Pabst, Prof. Werner Franke, Prof. Wilhelm Schänzer) die bekannten Argumente um die Ohren geschlagen [2], mit denen auch die Sportfunktionäre ihr leistungszentriertes Wettbewerbsmodell und die dazu zwingend erforderlichen Disziplinarsysteme zu rechtfertigen pflegen.

Wenn hingegen der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Dr. Clemens Prokop, vor dem Hintergrund der umstrittenen Olympia-Teilnahme von "Prothesenläufer" Oscar Pistorius allen Ernstes weiszumachen sucht, daß Leichtathletik "die Summe von Talent und Training" sei, dann meldet sich aus der autoritätsverliebten Journaille niemand zu Wort, um den Regensburger Amtsgerichtsdirektor Lügen zu strafen. Der ehemalige Weitspringer, dessen Doktorvater Prof. Ulrich Haas den freiheitsberaubenden WADA-Code mit ausgearbeitet hat, ist im antidopingpolitischen Establishment bestens gesattelt. Zusammen mit seiner Vorgesetzten Dr. Beate Merk, CSU-Justizministerin in Bayern, unternimmt Clemens Prokop immer wieder Vorstöße, um in Deutschland ein Anti-Doping-Gesetz und den Straftatbestand "Sportbetrug" einzuführen. Der ist bislang noch nicht mehrheitsfähig. Daher wollen sich Merk und Prokop zunächst mit Verschärfungen des Arzneimittelgesetzes begnügen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf - vorerst noch als "Diskussionspapier" deklariert, "um die Stimmung abzuchecken" (Merk) - stellten Prokop, Merk und der Dopinganalytiker Dr. Detlef Thieme am 18. Juli 2012 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in München vor.

Demnach soll jedwede Dopingmethode verboten werden, ohne Einschränkung auf bestimmte Stoffe. Schon der "Besitz von Arzneimitteln oder Wirkstoffen zu Dopingzwecken ab dem ersten Milligramm" soll laut Bayerischem Justizministerium unter Strafe gestellt werden. "Sonst kommen wir an die dopenden Sportler selbst nicht heran. Außerdem brauchen wir eine Kronzeugenregelung, um die Mauer des Schweigens gerade im Spitzensport zu durchbrechen", erklärte Merk [3]. Hohe Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren sind geplant. Zudem sind größere Eingriffsrechte der Strafverfolgungsbehörden vorgesehen wie erweiterte Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis können eingeschränkt werden.

Das heißt nichts anderes, als daß bei einem entsprechenden Anfangsverdacht, der sich durch die geplante uneingeschränkte Besitzstrafbarkeit problemlos erwirtschaften läßt, der staatlichen Bespitzelung der Bürger weiter Vorschub geleistet wird. Nicht ohne Grund waren bei der Novellierung des Arzneimittelgesetzes 2007 der Strafverfolgung Zügel angelegt worden, denn nur der Besitz "nicht geringer Mengen" bestimmter Arzneimittel zu Dopingzwecken sollte dem Staat erlauben, erweiterte Ermittlungs- und Strafinstrumente in Anschlag zu bringen. Diese gesetzliche Einschränkung wird von den dopingpolitischen Scharfmachern inzwischen als lästiger Hemmschuh dargestellt. Im Widerspruch dazu spricht Merk davon, daß ihre Sonderstaatsanwaltschaft Doping trotz des geltenden Rechts in den letzten Jahren "sehr erfolgreich gearbeitet" hätte.

Schon das Kontroll- und Überwachungsregime von seiten des Sports verschlingt ungeheure Mengen an Steuergeldern, die dem Breiten- und Leistungssport an anderer Stelle fehlen. Eine "effektive und schlagkräftige" Dopingbekämpfung von seiten des Staates, wie sie die Law-and-order-Vertreter als Heilmittel propagieren, würde noch mehr Gelder und Mittel verbrennen. Im Gesetzentwurf heißt es dazu lediglich, daß der Mehraufwand für Länder und Kommunen hinsichtlich der "Schaffung neuer Strafbarkeiten und die Ermöglichung bestimmter Ermittlungsmethoden" bei Strafjustiz und Polizei "nicht sicher abgeschätzt werden" könne. [4]

Was über die in einer hochgradig medikalisierten Gesellschaft lebenden Menschen hinwegrollt, wenn sich die konsequente Verfolgung von Geringstmengen erst einmal Bahn bricht, wird in den Skandalmedien, die jedwede demokratische Kontrollfunktion zugunsten einer opportunistischen Dopingpolizeiberichterstattung aufgegeben haben, geflissentlich ignoriert. In einem Klima der Vorverurteilung und Stigmatisierung, wie sie der die "skurrilsten Ausreden der Dopingsünder" abfeiernde Mainstream an den Tag legt, erscheinen Verdächtige schon heute wie Witzfiguren, die nach jedem Strohhalm der Unschuldsbeteuerung greifen, um sich der "gerechten Strafe" zu entziehen. Von nichts anderem ist daher auszugehen, wenn die Staatsanwälte zum großen Halali auf Dopingsünder und ihre Hinterleute blasen. Investigativjournalisten beklagen oft die "fehlende Distanz" vieler ihrer Branchenvertreter zu den Sportlobbyisten in Verbänden und Politik. Eine solche kritische Distanziertheit zu den Lobbyisten der institutionalisierten Antidopingjagd, welche sich nicht auf das Glatteis systemimmanenter Kritik begibt, existiert erst recht nicht.

Da es sich beim Doping-Konstrukt von Beginn an um ein wissenschaftlich haltloses, geradezu willkürliches Definitionsprodukt handelt, sind dem Verfolgungseifer der Behörden beim Wegfall letzter rechtlicher Hürden Tür und Tor geöffnet. Jeder heimische Apothekenschrank, in dem sich legale Medikamente mit geringen Mengen von Wirkstoffen befinden, die im Sportbereich zu Dopingzwecken mißbraucht werden könnten, könnte letztlich eine Ermittlungsoffensive auslösen. Zwar gibt der Gesetzentwurf vor dem Hintergrund der umstrittenen Pönalisierung (unter Strafe stellen) des Sportlers vor, bewußt entschieden zu haben, wie bisher den "Konsum von Dopingmitteln straflos zu stellen", doch hierbei handelt es sich um reine Augenwischerei. Denn im Ergebnis wird nun der Sportler über den juristischen Winkelzug der strikten Besitzstrafbarkeit kriminalisiert. "Es wird daher voraussichtlich häufiger als bisher zu Situationen kommen, in denen die im Einzelfall neben einer positiven Dopingprobe vorliegenden Anhaltspunkte ausreichen, um einen Anfangsverdacht für einen strafbaren Besitz auch gegenüber einem Sportler zu begründen", heißt es dazu im Entwurf.

Im Prinzip könnte jede Arzneimittelbestellung via Internet unter Verdacht geraten, da der Gesetzentwurf auch einen "Verbotstatbestand des unerlaubten Erwerbs von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport" vorsieht. Wer will am Ende sicher entscheiden, ob die bestellten Medikamente für die zuckerkranke Mutter waren oder für den des Insulindopings verdächtigten Sohnemann? Dienten die Anti-Aging-Produkte des Vaters nun seiner Fitneß oder doch der unterstellten Hormonkur eines Leistungssportlers? War das Aufputschmittel, das sich ein Sportjournalist in einer schwierigen Arbeitssituation eingeschmissen hat, nur für den Eigenbedarf gedacht oder legt die angebrochene Großpackung Zeugnis von einer kriminellen Konspiration innerhalb der Sportlerfamilie ab? Um all die Beweggründe und Umstände, auch in puncto fahrlässiger oder vorsätzlicher Handlungen, zu überprüfen, bedarf es einer Eindringtiefe in private Belange durch die Strafjustiz, daß für das Gemeinwohl wichtige Schutzfunktionen außer Kraft gesetzt werden. Und am Ende der negativen Schuldfeststellung bleibt doch etwas hängen.

"Der Besitz gesundheitlich möglicherweise unbedenklicher Kleinstmengen an Dopingmitteln wird im Einzelfall über das subjektive Kriterium straffrei gestellt bleiben, sofern der Tatvorwurf über einen entsprechenden Fund nicht hinausreicht", heißt es nebulös in Merks Gesetzentwurf. "In der Strafverfolgungspraxis wird hierbei die Frage relevant sein, ob es sich um eine ursprüngliche Kleinstmenge oder um eine Teil- bzw. Restmenge aus einer zur Leistungssteigerung geeigneten Menge handelt."

Mit anderen Worten, es obliegt den Strafverfolgern, die über das mysteriöse "subjektive Kriterium" gebieten, ob geheime oder offene Ermittlungen eingeleitet werden. Und was heißt schon "zur Leistungssteigerung geeignete Menge" - wo doch die gesamte Sportphysiologie aufgrund der multikomplexen Wirkzusammenhänge keine gesicherten Vorhersagen machen kann, wie individuelle Leistungssteigerungen quantitativ zu bestimmen sind. Letztlich dient alles, was der Mensch an Nähr- oder Reizstoffen zu sich nimmt, der Leistungssteigerung. Im Sport indes, der das Märchen von der "natürlichen" Leistungssteigerung erzählt, wird ein Stroh gedroschen, das noch aus voraufklärerischen Zeiten stammt.

Wie sehr Merk und Co. im trüben fischen, wird auch daran deutlich, daß im Entwurf geschrieben steht: "Die Strafbarkeit des Besitzes zu Dopingzwecken im Sport wird über das geschützte Rechtsgut der Volksgesundheit gerechtfertigt, da jede missbräuchliche und tatsächlich leistungssteigernde Anwendung von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport zugleich gesundheitsschädlich ist."

Der kausale Determinismus, wie er hier im Juristenlatein daherkommt, mutet geradezu hinterwäldlerisch an. Kein seriöser Wissenschaftler würde "die Anwendung von Arzneimitteln zu Dopingzwecken" mit Gesundheitsschädigung gleichsetzen. Zwar gehört es zu den Binsen in der Pharmakologie, daß die Wirkung von Arzneimitteln auf dem Giftprinzip beruht und keine Wirkung ohne Nebenwirkung ist, gleichwohl kommt es vorrangig auf die Dosierung und nicht auf einen Legalismus an, ob ein Medikament schadet oder nicht. Warum sollte ein Arzneimittel im Sportmilieu gesundheitsschädlich sein, das die arbeitende Bevölkerung ansonsten millionenfach appliziert - weil es Juristen im Dienste der Politiker-, Verbands-, Sponsoren- und Medieninteressen, die den "sauberen Sport" als hegemoniales Geißelinstrument einsetzen, so definieren? Das soll nicht in Abrede stellen, daß sich Spitzensportler mit Dopingmitteln auch massiv schädigen können, doch die Anreiz-Problematik liegt viel tiefer im System des Leistungssports und der Wettbewerbsgesellschaft begründet, als daß man ihr staatlicherseits mit repressiver Symptomunterdrückung beikommen könnte.

Das strafbewehrte Verbot, "einen anderen dazu zu verleiten, dass er eine Methode zu Dopingzwecken im Sport an sich vornehmen lässt", wie es im Entwurf heißt, eröffnet weitere Ermessenspielräume und stellt nichts anderes als ein Zensurinstrument für das Internet dar, das auch diejenigen Blogs und Foren betrifft, in denen ergebnisoffen und abweichend von den offiziellen Doping-Wahrheiten über die Probleme von Leistungsgenese und unterstützender Mittel diskutiert wird.

Prokops dopingpolitische Statthalterin im Parlament, die Vorsitzende des Sportausschuß des Deutschen Bundestages Dagmar Freitag (SPD), zugleich Vizepräsidentin des DLV, betreibt ebenfalls (Verbands-)Lobbyarbeit für ein scharfes Antidopinggesetz. Mitunter leisten auch DLV-Athleten Schützenhilfe. So forderte Kugelstoß-Europameisterin Nadine Kleinert nach den London-Spielen, wo die Olympiasiegerin Nadeschda Ostaptschuk positiv getestet worden war, lebenslange Sperren bei Erstvergehen sowie Gefängnisstrafen für Dopingsünder. "Doping ist in meinen Augen nichts anderes als Drogen. Und wer nach deutschem Gesetz damit handelt oder sie konsumiert, bekommt Gefängnisstrafe von fünf Jahren und mehr", sagte die 37jährige. "Ich glaube, Doper überlegen es sich dreimal, ob sie es tun oder nicht, wenn sie in den Knast müssen." Ihrer Meinung nach bekomme man den Sport nur "sauber", wenn die Strafen drastischer und abstoßender seien. [5]

In der Vergangenheit gab es weitere prominente (Ex-)Leichtathleten, die längere Strafen, härtere Gesetze, schärfere Kontrollen oder erweiterte Überwachungsmaßnahmen bis hin zu Computerchip-Implantaten für verbesserte Aufenthaltskontrollen verlangt haben. Von den Medien begierig aufgenommene Forderungen dieser Art bilden den Hintergrund, vor dem der Oberfunktionär Clemens Prokop auf der Münchner Werbeveranstaltung bezüglich eines Antidopinggesetzes behaupten konnte: "Das Meinungsbild bei den Athleten ist klar. Sie verlangen ein viel stärkeres Eingreifen des Staates und eine Bestrafung der dopenden Sportler, auch um die Glaubwürdigkeit des Sports zu erhalten."

Weitere Begleitmusik für den Anti-Doping-Schnüffelstaat steuern Pharmakologen vom Schlage Fritz Sörgels bei. Gegenüber dem boulevardesken Internetportal news.de (29.7.2012) plädierte der Stimmungsmacher für den Einsatz von Detektiven und V-Männern, um Dopern und Dopinglaboren auf die Schliche zu kommen. Natürlich müßten in Deutschland auch Doping-Staatsanwaltschaften gebildet werden, so Sörgel. "Inwieweit die dann Detektive beauftragen könnten, kann ich allerdings nicht sagen. Aber erst dann ginge der Anti-Dopingkampf richtig los."

Wehret den Anfängen, damit es in Deutschland nie wieder richtig losgeht!

Fußnoten:

[1] Wolf-Dieter Poschmann am 5.8.2012 im ZDF: "Das Vorhaben, Dopingsünder im Grunde genommen lebenslang wegzusperren, ist ja gescheitert - das ist auch nachvollziehbar. Weder die Vier-Jahres-Sperre noch ein Olympia-Verbot sind rechtlich durchsetzbar und wären ja auch nicht die Lösung. Im Grunde genommen wäre es nur die Fortsetzung der Augenwischerei, der Heuchlerei des immer noch unorthodoxen, wenig effizienten Kontroll-Aktivismus, verbunden mit hohen Kosten und mit der Dämonisierung der wenigen, die dann noch ins Netz gehen - das ist nicht die Lösung!"

[2] http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.olympia-2012-in-london-poschi-und-die-doping-jaeger.dedadbae-e838-4968-8e80-8d81bf7bc05d.html

[3] http://www.justiz.bayern.de/ministerium/presse/archiv/2012/detail/176.php

[4] Der Gesetzentwurf ist im Internet unter http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/ministerium/ministerium/gesetzgebung/gesetzentwurf_arzneimittelgesetz.pdf abrufbar.

[5] http://www.welt.de/sport/olympia/article108618873/Kleinert-Doper-muessten-in-den-Knast.html

20. August 2012