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KOMMENTAR/195: Perspektiven des Antidoping-Spitzelsports (SB)


Spitzensport-Investment: Mehr Millionen, mehr Medaillen, mehr Polizisten



Um es mit den Helden, nicht den sportlichen, sondern den musikalischen, zu sagen: "Ich glaub, es hackt. [...] Selten hat eine Werbekampagne so geschickt mit der Dummheit auf allen Seiten gespielt ..." [1]

Ihr habt einen Mehrbedarf von 38 Millionen Euro pro Jahr errechnet, damit Deutschland im internationalen Medaillenwettlauf nicht abgehängt wird? Das sind 33 Prozent mehr als bisher. Damit stiege der Beitrag des Steuerzahlers für die Finanzierung des olympischen Spitzensports von derzeit 113 Millionen Euro auf gut 150 Millionen Euro. Und um das dem Volk unterzujubeln, müßt ihr eine Werbeagentur engagieren, welche die Gründe für den Mehrbedarf darlegen soll? "Das ist definitiv notwendig. Der Punkt ist gekommen, auf die positiven Effekte hinzuweisen und die damit verbundenen Kosten", sagt Bernhard Schwank, der hauptamtliche Direktor für den Leistungssport im DOSB. "Wenn wir uns im internationalen Wettbewerb entwickeln wollen und mithalten sollen, dann brauchen wir auch die finanziellen Mittel." [2]

Von welchem "internationalen Wettbewerb" ist hier die Rede - vom sportlichen oder vom wirtschaftlichen? Ist die Frage, wer das "Mithalten sollen" bestimmt, in Anbetracht der totalen Vereinnahmung des Spitzensports für massenmediale, politische und ökonomische Zwecke nicht längst beantwortet? Erst jüngst hat der Chef des Weltfußballverbandes FIFA, Joseph Blatter, erklärt, daß es "direkte politische Einflüsse" durch europäische Regierungschefs gab, die Fußball-WM 2020 nach Katar zu vergeben, "weil sie große wirtschaftliche Interessen mit diesem Land verbinden" [3]. Nachdem wiederholt Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen sowie die britische Zeitung The Guardian angeprangert hatten, daß auf katarischen Baustellen ausländische Arbeitsmigranten wie Sklaven ausgebeutet werden und es unter ihnen zu Hunderten von Todesfällen kommt, mahnte Karl-Heinz Rummenigge gegenüber den Medien, daß man es mit der Kritik an Katar nicht übertreiben dürfe. Auf den Medientagen in München erklärte der Präsident der Europäischen Klub-Vereinigung ECA und Vorstandschef von Bayern München, daß deutsche Unternehmen von der Fußball-WM 2022 wirtschaftlich massiv profitieren würden, weil sie dort "Milliardenaufträge" hätten.

Wo auch immer Sport- und Olympiaunternehmen wie die FIFA oder das Internationale Olympische Komitee (IOC) in naher Zukunft ihre Megaevents steigen lassen - sei es in Rußland, Brasilien oder Katar -, aus allen Ländern werden im Zusammenhang mit dem Bau der modernen Sportarenen und Infrastrukturmaßnahmen Formen "moderner Sklaverei" gemeldet.

Der "partnerschaftlich" eng mit der Wirtschaft verklammerte Profi- und Spitzensport ist dabei keinesfalls als Opfer der kapitalistischen Produktionsweise zu sehen, der auf der Suche nach neuen Märkten blind, unwissend oder naiv in die Fallen der Globalisierung tappt. Ganz im Gegenteil. Als legale Kontaktbörse der im Hintergrund wirkenden Sponsoren, Unternehmen und Industrien erfüllt er genau die Geschäftsanbahnungsfunktion, die sein Überleben garantiert - Kostengräber, Ökozide und Sozialraub hin oder her. Ebensowenig ist von Belang, daß sich Spitzensportler zu Lasten ihrer Gesundheit zunehmend mehr schinden und quälen müssen, um im härter werdenden internationalen Wettbewerb mithalten und staatliche Repräsentationsziele verwirklichen zu können.

Der von vielen Kommentatoren als Hybris zurückgewiesene Vorstoß des DOSB, rund 40 Millionen Euro per anno mehr an Steuergeldern zu verlangen, ist keinesfalls so unüberlegt und brüsk erfolgt, wie es den Anschein hat. Der Dachverband kommuniziert nichts, was nicht Teil einer breitangelegten Gesellschaftskampagne wäre. Nur wenige Tage, nachdem der DOSB den horrenden Mehrbedarf bekanntgegeben und die olympischen Spitzensportverbände mit dem Skiverbandspräsidenten Alfons Hörmann einen Türfabrikanten auf dem Chefsessel des Dachverbandes positioniert hatten, dessen Referenzen "Medaillen für Deutschland" und ein Unternehmen "mit rund 3500 Mitarbeitern und 590 Millionen Euro Umsatz " sind, lancierte der DOSB das wenig überraschende Ergebnis einer Auftragsstudie durch die Deutsche Sporthochschule Köln, wonach Sport ein hochprofitables Investment für den Staat sei. Präsentiert wurde die Untersuchung "Wert des Sports - eine ökonomische Perspektive" [4] vom Interimspräsidenten des DOSB und ehemaligen Wirtschaftsmanager, Hans-Peter Krämer, sowie den Wissenschaftlern Felix Mutter und Prof. Christoph Breuer. Letzterer Sportökonom war bereits mit früheren Studien diesen Kalibers zugunsten seiner Auftraggeber aus der Spitzensport-Produktion aufgefallen.

In der besagten Studie, in der die ökonomischen Effekte - keinesfalls die Sozialverträglichkeit der "Höher, Schneller, Stärker"-Ideologie, die Mythen des "Heile-Welt-Sports" oder die Pathologien des Leistungs-, Erfolgs- und Konkurrenzdenkens - untersucht werden, wird letztlich suggeriert, positive Bilanzen zur sportindustriellen Wertschöpfung, zum Sportkonsum, Steueraufkommen oder Bruttosozialprodukt bedeuteten automatisch glückliche und gesunde Menschen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß die Studie auf den "sozioökonomischen Mehrwert" von Investitionen in den Sport abhebt, als handele es sich hier um eine harmonische Gleichung à la "Soziales + Ökonomisches = Mehrwert". Entsprechend vage, oberflächlich und obskur fällt auch die Bewertung der sozioökonomischen Aspekte durch die Studienmacher aus: "Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass Investitionen in den Sport auch eine gesellschaftspolitische Rendite erzeugen. Derartige intangible sozio-ökonomische Effekte entziehen sich einer direkten monetären Quantifizierung, bzw. die Quantifizierung wird als sehr schwierig angesehen. Nichtdestotrotz sind es gerade diese externen Effekte, die eine positive Rendite staatlicher Investitionen in den Sportsektor versprechen lassen. Konsequenterweise müssen diese daher bei einer ökonomischen Bewertung des Sports mit bedacht werden." [5]

Was auch immer sich der Bürger hinzudenken soll, wenn Sportökonomen Renditerechnungen aufmachen, am Ende sind es die in Sonntagsreden und sprachlichen Verallgemeinerungen geübten Funktionäre, die den Menschen ein X für ein U vormachen. Obwohl die sozialen Auswirkungen des Spitzensports, insbesondere seine Dysfunktionen und Schattenseiten, gar nicht Untersuchungsgegenstand der Studie waren, sondern nur die ökonomischen Effekte, werden dennoch rhetorische Brückenschläge vollführt, als sei jede Million, die der Staat mehr in den Spitzensport steckt, auch eine Investition in die soziale Wohlfahrt. Wer am Sport spare, riskiere negative Auswirkungen auf essentielle Bereiche unseres Miteinanders, erklärte Hans-Peter Krämer bei der Vorstellung der Studie.

Natürlich sollen Schulsport, Breitensport, Gesundheitssport und zivilgesellschaftliches Engagement im organisierten Sport finanziell gefördert werden, das steht ja gar nicht in Abrede. Es sind vielmehr der Hochleistungssport, seine Verklärungen, Alibifunktionen und sportübergreifenden Instrumentalisierungen, die immer größere Bauchschmerzen bereiten. Der ökonomisierte Leistungssport, der seine ureigensten Probleme immer dreister auf die Gesellschaft umlastet und eine rote Linie nach der anderen überschreitet, scheint auf dem besten Wege zu sein, in ein Stadium vordemokratischer Erzwingungspraktiken zurückzufallen. Solange sich die Athleten nur in ihren Reservaten tummelten, einschließlich der "freiwilligen" Unterwerfung unter das sporthoheitliche Disziplinarregime, galt immer noch das Motto "jedem Tierchen sein Pläsierchen". Seitdem sich der medaillenträchtige Sport jedoch zu einem Motor für Generalverdacht, Denunziation und menschlich entwürdigende Kontrollpraktiken verwandelt hat, der leicht prognostizierbar in eine Art Panopticon münden wird, hat die "schönste Nebensache der Welt" jeden Anspruch auf Glaubwürdigkeit verloren. Ein Leistungssport, der nur noch mit weltweit expandierenden Überwachungs-, Sanktions- und Verfolgungssystemen aufrechterhalten werden kann (siehe neben der Doping- auch die Wettproblematik), bedarf keiner zusätzlichen Millionen vom Staat, sondern der Entsolidarisierung durch eine aufgeklärte Öffentlichkeit. Legalistischen Scharfmachern wie Dr. Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, der mit der Behauptung hausieren geht, ein Engagement des Staates mittels Antidopinggesetz, Telefonüberwachung und Polizeieinsätzen würde der Glaubwürdigkeit des Sportes nützen, ist entschieden zu widersprechen. Prohibition, Kriminalisierung und staatlicher Autoritarismus haben noch nie zu etwas anderem geführt als zu verschärften Formen sozialer Kontrolle und Unterdrückung.

Am 26. September 2013 hatte im Bundesinnenministerium ein hochinteressantes Expertengespräch zur Dopinggesetzgebung stattgefunden [6]. Zwar wurde die Diskussion im Internet veröffentlicht, doch die in den verkaufsträchtigen Antidopingkampf eingebetteten Medien nahmen von den erhellenden Ausführungen und Widerspruchslagen kaum Notiz. Das inhaltlich sehr ergiebige und kontroverse Gespräch, über das ganze Artikelserien hätten verfaßt werden können, wurde im Medienmainstream regelrecht totgeschwiegen. Die Vorbehalte und Einwendungen der Experten gegen ein Antidopinggesetz im besonderen wie auch zu den Fragwürdigkeiten des Spitzensports im allgemeinen paßten offenbar nicht in das Konzept der Sportredaktionen.

Insbesondere der erfahrene Rechtswissenschaftler und Kriminologe Prof. Dr. Arthur Kreuzer (Universität Gießen) hatte mit überzeugenden Argumenten von einer flächendeckenden Kriminalisierung des Dopings abgeraten - nicht nur aus rechtsdogmatischen, sondern mit Verweis auf die inhärenten Fragwürdigkeiten des Leistungssports auch aus sozialen Gründen. Die Forderung nach einem Strafrechts-Tatbestand Doping wird in aktuellen Koalitionsverhandlungen besonders aggressiv von der SPD und ihr nahestehenden Spitzensportlobbyisten vorgetragen. Angeblich soll es bereits einen Konsens von CDU/CSU und SPD in der Frage einer konsequenten Bestrafung des Besitzes geben. Man hat fast den Eindruck, daß sich hier Geschichte wiederholt: Es war die SPD, die die Bundeswehr wieder in Kriege schickte und mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen den Weg für neue Formen sozialer Grausamkeit ebnete. Nun könnte sie wieder für einen Paradigmenwechsel sorgen: Sollte ein Sportregelbruch zum Verbrechen werden, könnten sündige Athleten aufgrund der Parallelität von Sport- und Strafrecht als "Dopingsäue" und "Schwerverbrecher" durchs mediale Dorf getrieben werden. Ein tolles Ablenkungsspektakel angesichts der drängenden gesellschaftlichen Probleme wie zunehmende Kinder- und Altersarmut, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wachsende Niedrigentlohnung, staatliche Schuldenbremsen zu Lasten der Schwächsten und so weiter. Vor diesem Hintergrund wären staatliche Fördermillionen in spitzensportliche Medaillen- und Dopingjagden - das wird auch die CDU/CSU begrüßen - sicherlich gut investiert, gäbe es doch immer irgendwo einen Athleten, der zur Hebung der allgemeinen Bürgermoral als Looser oder Betrüger an den Pranger gestellt werden kann. Da auch der Breiten-, Freizeit-, Hobby- und Schulsport ins Fadenkreuz staatlicher Ermittlungsoffensiven geriete, sollten wie geplant auch geringste Besitzmengen bestraft werden, dürfte an der Verfolgung und Aufklärung von Bagatellen kein Mangel bestehen.

Daß die Förderung und hegemoniale Sicherung des marktorientierten Hochleistungssports immer mehr zu einer Real-Dystopie gerät, scheint seinen Renditejägern schnurzpiepegal. Selbst Polizeistaatsverhältnisse würden sie in Kauf nehmen, um die vermeintliche "Integrität des Wettbewerbs" - gemeint ist vor allem der geschäftstüchtige Teil - sicherzustellen. Wenn der DOSB bezugnehmend auf die neueste Ökonomie-Studie reklamiert, Sport wirke sich positiv auf die physische und psychische Gesundheit aus, dann aber meint, den Spitzensport nötig zu haben, weil er Vorbilder schaffe, "um die Bevölkerung - insbesondere Kinder und Jugendliche - zum Vereinssport zu animieren" (Krämer), dann unterschlägt er sträflichst, daß der hochgezüchtete Leistungssport, wie er uns auf den Megaevents unter Ausblendung seiner sozialen und materiellen Verbrauchsgrößen und Schadensfolgen als Konsumprodukt präsentiert wird, alles andere als Vorbildcharkter hat. "Diese vermeintlich heile Welt macht 'kaputt und krank'. Sie taugt eher als negatives Vorbild. Was soll eine Gesundheitsideologie angesichts offenkundiger Schädigungen?", fragte der Rechtsexperte Prof. Kreuzer in einem Gastbeitrag in der FAZ [7]. Angesichts der Desillusionierung erscheint auch ihm plausibler, wenn sich der Staat aus der finanziellen Förderung und strafrechtlichen Absicherung des Spitzensports zurückzieht. "Da kein Land Vorreiter sein will, sollte auf europäischer Ebene eine Initiative in dieser Richtung ergriffen werden. Die Verantwortung ist zurückzugeben an Sportorganisationen."

Zu befürchten steht aber eher, daß der von staatlicher Alimentierung abhängige organisierte Sport sich zu jedem politisch opportunen Lakaiendienst bereiterklärt, um weiterhin Fördermillionen vom Bund zu bekommen. Und siehe da, vor wenigen Tagen preschte der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) mit einem Antrag vor, wonach der DOSB am 7. Dezember bei seiner Mitgliederversammlung in Wiesbaden eine Resolution verabschieden solle, in der sich der gesamte deutsche Sport gegenüber dem Bundestag für ein Antidoping-Gesetz ausspricht. Kernelement der DTTB-Initiative ist, daß der Gesetzgeber einen Straftatbestand Doping einführt. Begründung von DTTB-Präsident Thomas Weikert: In weiten Teilen der Öffentlichkeit und Politik sei die Meinung verbreitet, der organisierte Sport führe den Kampf gegen Doping nicht konsequent genug und nutze dabei nicht ausreichend die Hilfe staatlicher Institutionen. DTTB-Ehrenpräsident Hans-Wilhelm Gäb, langjähriger Industriemanager, sattelte noch einen drauf: "Doping-Kriminalität gefährdet die gesellschaftliche Anerkennung des gesamten Sports als positives Element der Demokratie." [8]

Offenbar gibt es für die Sportfunktionäre kein Halten mehr. Die unheilige Allianz von Sport, Politik und öffentlicher Meinung führt direkt in den Demokratieabbau. Ein "sauberer" Kriminalsport, der nicht nur immer mehr Gelder, sondern zu seiner Rechtfertigung auch immer mehr Kontrolleure, Polizisten oder V-Leute benötigt, hat alle Sympathien verloren. Wie sagte doch Judith Holofernes von der Gruppe "Wir sind Helden": "In der Gefahr, dass ich mich wiederhole: ich glaub, es hackt."


Fußnoten:

[1] Antwort von Judith Holofernes auf eine Anfrage der Werbeagentur Jung von Matt, bei einer Bild-Zeitungskampagne mitzumachen. 24.02.2011
http://www.wirsindhelden.de/2011/02/1069/

[2] http://www.spiegel.de/sport/sonst/dosb-fordert-40-millionen-euro-mehr-vom-bund-a-928939.html. 20.10.2013.

[3] http://www.zeit.de/2013/39/sepp-blatter-interview. 19.09.2013.

[4] http://www.dosb.de/fileadmin/fm-dosb/downloads/News-Downloads/Wert_des_Sports_Langfassung_Finale_Version.pdf

[5] http://www.dosb.de/fileadmin/fm-dosb/downloads/News-Downloads/Wert_des_Sports_Exzerpt_18_06.pdf

[6] http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Kurzmeldungen/bericht.pdf?__blob=publicationFile

[7] http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/doping-und-strafrecht-schneller-kaputt-12185143.html. 17.05.2013.

[8] http://www.neues-deutschland.de/artikel/838262.im-zweifel-gegen-den-angeklagten.html. 07.11.2013.

11. November 2013