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KOMMENTAR/263: Gladiatorenschmiede - mit umgekehrten Vorzeichen ... (SB)



Das Posten und Anschauen von Kinder-, Baby- oder Katzenfotos gehört bekanntlich zu den Lieblingsbeschäftigungen in den sozialen Medien. Es gibt kaum Menschen, die sich nicht von den "putzigen", "niedlichen", "süßen" Bildern emotional angesprochen fühlen. Das macht sich auch die Wirtschaft zunutze, die in ihren Werbespots gerne kleine Kinder oder Tiere auftreten läßt, um auf diese Weise Sympathien zu wecken. Weil niemand den "unschuldigen" Kleinen Böses unterstellt, kann auch die Marke, das Produkt oder die Dienstleistung nicht schlecht sein. Entscheidend für den Erfolg der Werbepsychologie ist allerdings, daß bei den Konsumenten nicht das Gefühl aufkommt, die Interpreten und Motive seien nur Mittel zum Zweck, um das Produkt zu verkaufen.

Wie nicht anders zu erwarten, macht auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit Kleinkindern Werbung in eigener Sache. Unter der Überschrift "Wenn süsse Babies an Olympischen Spielen teilnehmen würden" hat der "Olympic Channel" ein Video veröffentlicht, das Kinder im gerade lauffähigen Alter als Olympiateilnehmer von Gymnastik-, Turn-, Lauf- und Gewichtheberwettbewerben zeigt. Das augenzwinkernd kommentierte Werbevideo ist bei YouTube inzwischen über sechs Millionen Mal aufgerufen worden. [1]

Bekanntlich schießt der "Olympic Channel" seit August 2016 "non-stop" aus allen Rohren (seit Juli 2017 auch in den USA). Der hauseigene Online-TV-Kanal, dem laut IOC-Beschluß bis 2021 Geldmittel in Höhe von 490 Millionen Euro zur Verfügung stehen, dient als Plattform, das Markenprodukt in die Internetwelt hinaus zu tragen und möglichst allen Aktiv- und PassivsportlerInnen, insbesondere der jüngeren Generation, das Ringezeichen in die Netzhaut zu brennen. Nach Angaben des IOC sollen mehr als 77 Prozent der Zuschauer, die sich auf seinen Social-Media-Plattformen mit Inhalten des Olympiakanals befassen, jünger als 35 Jahre sein.

Emotional packende Sportbilder gehören immer noch zu den wirkmächtigsten Mitteln, um vom miserablen Image des IOC als Abzockerorganisation abzulenken. Gleichzeitig verfolgt das IOC mit dem Streamingangebot die Absicht, das eigene Marktmonopol zu sichern und im Kampf um die neuen Digitalmedien die Nase vorn zu behalten. Im September 2017 wurde auf einer IOC-Sitzung in Lima bekanntgegeben, daß der Olympiakanal knapp eine Milliarde Besucher auf den Online- und Social-Media-Plattformen erreicht habe. Die schrittweise, mit Zögern und Zagen vorbereitete Öffnung der Olympischen Spiele für die umstrittenen E-Sport-Wettbewerbe dürfte dem IOC weitere Akzeptanzgewinne insbesondere bei Kindern und Jugendlichen einbringen. Sport- und Computerwirtschaft haben längst entsprechende Allianzen geschmiedet, um die Boombranche des Gamings mit dem Traditionssport zu verkuppeln. Anläßlich der kommenden Winterspiele in Südkorea haben Technologie-Konzerne dafür gesorgt, daß ein südkoreanisches "League of Legends"-Team am olympischen Fackellauf teilnimmt und dem elektronischen Sport die Bühne bereitet wird. Über den "Olympic Channel" werden Interessierte schnurstracks zu E-Sport-Wettbewerben des IOC-Sponsors Intel geführt.

Die Macher des Baby-Videos für den "Olympic Channel" erklären in einem Behind-the-scenes-Video mit ironischem Unterton, daß das Internet Babies liebe, es um Spaß ginge und man die Sache nicht zu ernst nehmen solle. [2] Den wenigsten dürfte beim Betrachten der Bilder in den Sinn kommen, daß Kinder für ein multinationales Unternehmen wie das IOC der Rohstoff sind, um für die Unterhaltungsindustrie nützliche Medaillenkandidaten heranzuzüchten. Oder daß Kleinkindern, die vor Hürden haltmachen, statt sie im Streckgalopp zu überspringen, heute noch mit amüsiertem Lächeln verziehen wird, während ihnen in späteren Jahren, wenn sie die Konkurrenzregeln erst einmal verinnerlicht haben, jedes Zögern als Schwäche zur Last gelegt wird. Genausowenig dürfte in Frage gestellt werden, ob es wirklich zur vielzitierten "Persönlichkeitsentwicklung" der Kleinsten beiträgt, wenn sie wie in der Rhythmischen Sportgymnastik oder beim Kunstturnen gelernt haben, ihren Körpern jede nur denkbare Dehnung, Streckung, Verdrehung oder Stauchung abgefordert zu haben. Die Ästhetisierung körperlicher Zerreißprozesse bei einer Vielzahl von olympischen Sportdisziplinen spricht eine deutliche Sprache, welchen Körper- oder Menschenbildern die Industriegesellschaft den Vorrang gibt. Früh übt das Kind ein, was als "schön" und "positiv" für die künftige Leistungsentwicklung bestätigt wird. Die größte soziale Anerkennung gilt denen, die später ihre Bewegungen den vorherrschenden Leistungsnormen in Form, Inhalt und Maß vollständig angepaßt haben und alle damit verbundenen Lebensreglementierungen bereitwillig schlucken.

Unter Vorgabe lauterster Motive versucht das IOC, immer jüngere Zielgruppen als Konsumenten oder zukünftige Olympiateilnehmer einzuspannen. 2010 wurden erstmals Olympische Sommerspiele und 2012 Winterspiele für Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren ausgetragen - flankiert von Kultur- und Erziehungsprogrammen, die für das notwendige Sozialmarketing sorgten und Kritik am vorverlagerten Leistungsdruck für Minderjährige, die wie die Erwachsenen mit Höchsteinsatz um die vordersten Plätze rangen, abschwächten.

Es gibt zwar noch keine Olympischen Kinderspiele, um Nachwuchstalente "kindgerecht" an den Hochleistungssport der Erwachsenen heranzuführen, gleichwohl wird überall auf der Welt versucht, potentielle Medaillenkandidaten so früh und so flächendeckend wie möglich hinsichtlich spezifischer Tauglichkeitsmerkmale zu untersuchen. Vor dem Hintergrund, daß Deutschland nicht genug Medaillengewinne produziert, hatte eine Art Strategiekommission des deutschen Sports 2013 den Vorschlag unterbreitet, daß Spitzensportplaner frühzeitig Zugriff auf Talente erhalten. "Grundschulkinder könnten dann frühzeitig auf ihre sportliche Eignung überprüft werden; ein entsprechendes Testverfahren sei zu etablieren", berichtete die FAZ von den Begehrlichkeiten des organisierten Sports. [3]

Bereits im Jahr 2010 hatte die CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen den Vorschlag unterbreitet, flächendeckend sogenannte sportmotorische Tests für Kinder in den Grundschulen (Klasse 2 und 4) zur Erfassung aller sportlichen Talente einzuführen, um international konkurrenzfähigen Spitzensport sicherstellen zu können. Von 2010 bis 2015 wurde in Hessen ein Modellprojekt durchgeführt, der sogenannte Fuldaer Bewegungs-Check. Ein Ziel der regional begrenzten Kampagne war, alle sieben- bis achtjährige Kinder der 2. Grundschulklassen daraufhin zu untersuchen, ob ihre sportmotorischen Fähigkeiten ausreichen, um sich für einen weiteren Talente-Check zu qualifizieren. Dieser war darauf ausgerichtet, Nachwuchstalente für den Leistungssport zu gewinnen und mit Empfehlungen, für welche Sportarten sie besonders geeignet sind, an Vereine weiterzuvermitteln. Der Fuldaer Bewegungs- und Talentecheck, wissenschaftlich begleitet von der Universität Bayreuth, wurde mit Unterstützung des DOSB auch in den Folgejahren fortgeführt. Wen das Verfahren an die Screenings der Kinder- und Jugendsportschulen (KJS) der DDR erinnert, liegt keineswegs falsch. In der DDR war die Suche nach leistungssportbegabten Talenten nur sehr viel umfassender organisiert und erfolgte teilweise schon im Kindergarten. Flächendeckende, bundesweite Talentechecks - legitimiert und schmackhaft gemacht durch begleitende Gesundheits- und Präventionsmaßnahmen für die Normalschüler (siehe Fulda) - könnten auch in "Sportdeutschland" wieder zum Thema werden, wenn die politische Forderung nach dreißig Prozent mehr Medaillen (Thomas de Maizière) unerfüllt bleibt und das neue "Potenzialanalyse-System" (PotAs) in der Spitzensportförderung nicht die erwünschten Erträge bringt.

Der systematischen Suche nach erfolgversprechenden Bewegungstalenten sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt. Schon für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney hatte die australische Regierung ein 135-Millionen-Dollar-Programm auf den Weg gebracht, das mit Hilfe eines Computers talentierte Kinder suchen sollte, deren Körperdaten darauf hindeuteten, daß sie aussichtsreiche Kandidaten für olympische Erfolge sein könnten. Mit dem Suchprogramm wurden über 200.000 Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren überprüft. "Ein Prozent wurde aufgrund des Programms ausgewählt und ins Training geschickt, von denen wiederum 27 für Australien Medaillen bei weltweiten Kinderwettkämpfen holten", berichtete seinerzeit die Onlinezeitung Telepolis. [4]

Bigdata-Analysen, aber auch Gentests, die Eltern und Trainern frühzeitig Auskunft geben, ob ein (werdendes) Kind für den Spitzensport geeignetes Genmaterial aufweist, sind längst Forschungs- oder Vermarktungsgegenstand von Fitness- und Gentech-Unternehmen. Vor ein paar Jahren schrieb die US-Firma Atlas Sports Genetics Schlagzeilen, die einen umstrittenen Abstrich-Test angeboten hatte, der angeblich Aussagen über die genetische Prägung bzw. Eignung des Kindes für Team- oder Einzelsport, Schnellkraft/Kraft- oder Ausdauersport zulassen sollte. In der pränatalen Diagnostik geht es schon heute nicht mehr um die Gesundheit des ungeborenen Kindes, sondern um die Selektion von körperlich vorteilhaften Grunddispositionen, damit ein möglichst leistungsstarkes Kind die Lebensarena betritt.

Man könnte das Olympic-Channel-Video "Wenn süsse Babies an Olympischen Spielen teilnehmen würden" schmunzelnd als Werbegag abtun, wüßte man nicht, daß die ach so kinderlieben Medien-Profis des IOC keine Werbebotschaft versenden, die nicht auch auf eine internationale Breitenwirkung abzielte. Und siehe da, zu Beginn des Jahres hat das Olympische Komitee von Bahrain (BOC) bekanntgegeben, im April 2018 die ersten "Baby-Olympics" für Zwei- bis Vierjährige im eigenen Land austragen zu wollen. Die Spiele dienten dazu, die olympischen Prinzipien und Werte in jungen Jahren zu fördern, heißt es in einer Pressemitteilung. Laut BOC gehe es darum, "bei den Kindern ein Bewußtsein für die Ausübung von Sport zu schaffen". [5]

Angedacht sind Wettbewerbe in der Leichtathletik, Gymnastik, im Fußball, Basketball und Gewichtheben. Das Olympiakomitee Bahrains hat sich bereits mit Vertretern des Bildungsministeriums, des Arbeitsministeriums und des Ministeriums für soziale Entwicklung getroffen, um erste Schritte zur Organisation der "Baby Games" zu besprechen. Die Spiele sollen unter Einbeziehung der Kindergärten durchgeführt werden, die Zahl der Teilnehmer soll zunächst auf 2000 begrenzt sein. Auch über die Preise für erfolgreiche Kinder in den einzelnen Sportdisziplinen sollen sich die Funktionäre schon Gedanken gemacht haben. [6]

Der repressive Golfstaat, der ein noch viel schlechteres Image als das IOC hat, hat sich offenbar die Olympic-Channel-Kampagne zum Vorbild genommen und will mit erfolgreichen Babyspielen punkten. Zu den bisherigen "Erfolgen" der sunnitischen Königsfamilie in dem kleinen Inselstaat, der die 5. US-Flotte beherbergt, militärisch und politisch aber von Saudi-Arabien kontrolliert wird, gehört nicht nur die brutale Unterdrückung der Demokratiebewegung im Jahr 2011 sowie die fortschreitende Militarisierung des Sicherheitsapparats im eigenen Land, sondern auch die Beteiligung an der saudisch angeführten Kriegskoalition gegen Jemen. Nach Angaben der UN-Kinderhilfsorganisation Unicef vom vergangenen Jahr sind dem Jemen-Krieg über 5.000 Kinder zum Opfer gefallen, um ein Mehrfaches sind infolge der Kämpfe verletzt oder verstümmelt worden. Aufgrund der Seeblockade der saudischen Allianz wird der Jemen kontinuierlich ausgehungert, jeden Tag sterben weit über hundert Kinder allein an Unterernährung und Krankheiten. [7]

Da kann es für das kriegsbeteiligte, mit deutschen Rüstungsgütern gut versorgte Herrscherhaus in Bahrain durchaus hilfreich sein, sich auf die hehren olympischen Werte zu berufen und "Olympic Games" für Babies zu veranstalten, um sich als kinderliebe, dem Sport verpflichtete Nation darzustellen. Das Ausbleiben jedweder öffentlicher Reaktion von seiten des IOC demonstriert, daß mit der "cute babies"-Kampagne mehr gesellschaftliche Verwertungsinteressen berührt sind, als sich durch den simplen Vorwurf, Bahrain instrumentalisiere Kinder für staatliche Propagandazwecke, abtun ließe.

Fußnoten:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=x04jgjQ_hLI
oder
https://www.olympicchannel.com/en/playback/if-cute-babies-competed-in-the-olympic-games/

[2] https://www.olympicchannel.com/en/playback/baby-games-behind-the-scenes/

[3] http://www.faz.net/aktuell/sport/sportpolitik/spitzensportfoerderung-ein-sportministerium-im-kanzleramt-12198582.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0. 29.05.2013.

[4] https://www.heise.de/tp/features/Wie-erkennt-man-Kinder-die-olympische-Erfolge-erzielen-koennten-3450999.html. 21.09.2000.

[5] http://www.bna.bh/portal/en/news/819751. 08.01.2018.

[6] http://bna.bh/portal/en/news/822500. 25.01.2018.

[7] https://www.unicef.de/informieren/projekte/asien-4300/jemen-19406/kinder-im-krieg/75274

5. Februar 2018


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