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TIERHALTUNG/449: Debatte um Ferkelkastration geht weiter (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 313 - Juli/August 2008
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Schnellere Nachbarn
Die Debatte um die Ferkelkastration geht weiter, auch für den Ökolandbau

Von Claudia Schievelbein


Wie je zivilisiert eine Gesellschaft ist, lässt sich auch daran ablesen, wie sie mit ihren Tieren umgeht, so ähnlich hat es schon vor Jahren die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren formuliert. Unsere Nachbarn sind ein Stück weiter als wir. In den Niederlanden und in der Schweiz wird nicht mehr darüber diskutiert, ob es praxistaugliche Alternativen zur Ferkelkastration ohne Betäubung gibt oder nicht und ob man die Schweinehaltungsbranche damit belästigen darf. Dort hat man längst erkannt, dass es gesellschaftlich nicht mehr tragbar ist, männliche Mastferkel zur Vermeidung des Ebergeruchs ohne Betäubung zu kastrieren. Geführt werden nun die Debatten um die Umsetzung. So will der Schweizer Fleischfachverband eine Umsetzung des gesetzlichen Verbots der Ferkelkastration ohne Schmerzausschaltung rasch, und nicht erst bis Ende 2009, wie es die Übergangsregelung vorsieht. Das Gesetz tritt Anfang 2009 in Kraft, mit der Übergangsregelung will man dem Umstand Rechnung tragen, dass auch aus produktionstechnischen Gründen der Apparatebauer, nicht für jedes männliche Ferkel in der Schweiz eine Möglichkeit vorhanden sein wird, betäubt kastriert zu werden. Auch nicht, obwohl sich Teile des Lebensmittelhandels dazu entschlossen haben, Fleisch von Tieren zu verkaufen, die per Immunokastration von ihrem Ebergeruch befreit wurden. Das entsprechende Mittel des Arzneimittelriesen Pfizer ist in der Schweiz bereits zugelassen. Pfizer versucht nun mit Druck und Imagewerbung seine Monopolstellung auch nutzbar zu machen. Von der Zulassung des Mittels für die EU geht der Konzern laut eigenen Angaben "im ersten Quartal 2009" aus. Ob Pfizer dann noch einen Fuß in die Tür der Niederländer bekommt, ist fraglich. Dort haben Politik, Handel und Schweinehalter beschlossen, jetzt im Juli Perspektiven aufzuzeigen, wie der Anspruch des Handels, ab 2009 nur noch Fleisch von betäubt kastrierten Schweinen in die Regale zu legen, umzusetzen ist. Momentan setzt man auf die Betäubung mit CO2, als Alternative zu dem von Neuland eingesetzten Narkosegas Isofluran. Neuland hatte sich bewusst gegen CO2-Betäubung entschieden, da der Einschlafvorgang per Sauerstoffentzug unangenehmer für die Tiere ist. Ein Vertreter der holländischen Schweinehalter hält allerdings die Kosten für die CO2-Betäubung für viel geringer als die von Neuland für die Isofluran-Betäubung geschätzten 5 Euro pro Ferkel. Auch Pfizers Immunokastration wird bei 3 bis 5 Euro pro Tier liegen. An den Kosten für die betäubte Kastration in den Niederlanden soll über ein Stiftungsmodell auch der Handel beteiligt werden.


Und bei uns?

In Deutschland wehrte sich die Lobby der Schweinehalter jüngst erneut gegen jegliche Vorstöße in Sachen betäubte Kastration. Anlässlich des Spanferkelessens der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) in Berlin beschwerte sich ihr Vorsitzender Franz Meyer zu Holte erneut über die Kampagne des Tierschutzbundes und den Vorstoß von Neuland mit einem "Umweltgift" zu betäuben, was "keine Schmerzlinderung" bringe. Filter und Schmerzmittelgabe erwähnte er nicht. Erste Politiker interessieren sich nun auch für das Thema. So bekundete der stellvertretende agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Priesmeier, Verständnis für die Kampagne des Tierschutzbundes und sieht "Handlungsbedarf auch für die heimischen Schweineproduzenten, da auf EU-Ebene bereits ein Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration diskutiert werde." Die Bundestagsfraktion der Grünen möchte nach der Sommerpause einen Antrag zum Verbot der Ferkelkastration ohne Betäubung in den Bundestag einbringen, kündigte Ulrike Hüfken, Vorsitzende des Ernährungsausschuss des Deutschen Bundestages an. Umso erstaunlicher ist, dass sich der Ökolandbau jetzt nicht auch schnellstens auf den Weg macht. In den Durchführungsbestimmungen für die neue EU-Ökoverordnung, die eigentlich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollen, ist von der EU-Kommission nur noch die Kastration mit Betäubung vorgesehen. Die Mitgliedstaaten waren aufgefordert, Anmerkungen zu machen, sich dabei aber auf für sie besonders wichtige Kernforderungen zu beschränken. Eine Kernforderung des deutschen Bundesministeriums - und damit auch der bei solchen Mitbestimmungsverfahren beteiligten Interessensgruppen - ist, die betäubte Kastration wieder herauszunehmen. Noch nicht einmal Übergangsmaßnahmen werden akzeptiert. "Regelung erst, wenn gesicherte praxisreife Erkenntnisse vorhanden. Regelung hat enorme wirtschaftliche Auswirkungen", heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums. Nun wird in nächster Zeit darüber mit der EU-Kommission verhandelt werden. Die Verbände des Ökolandbaus begeben sich da auf relativ dünnes Eis, anstatt die Debatte in ihrem Sinne zu bestimmen.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 313 - Juli/August 2008, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2008