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TIERHALTUNG/482: Europas Schweine in Not (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Europas Schweine in Not
Neue Studie enthüllt unerträgliche Zustände

Von Stefan Johnigk


Schweine führen in Intensiv-Tierhaltungen ein elendes Leben. Das ist für Tierschützer nichts Neues. Dass deutsche Intensivhaltungs-Schweine ein wesentlich besseres elendes Leben führen als ihre Artgenossen in anderen europäischen Ländern, verkünden immer wieder lautstark die Verbandsvertreter der bundesdeutschen Schweinelobby. Nun straft sie eine aktuelle Studie von "Compassion in world farming" (CIWF) Lügen: Die Mehrzahl der intensiv wirtschaftenden Schweinemäster in den wichtigsten Ländern der EU-Schweineproduktion ignoriert offensichtlich die geltenden EU-Tierschutzbestimmungen - auch in Deutschland.

Die verdeckten Ermittlungen des britischen Nutztierschutz-Fachverbands in 60 Betrieben in Deutschland, Ungarn, Spanien, den Niederlanden und UK ergaben stets das gleiche Bild: Europas Mastschweine werden mehrheitlich in unzureichend ausgestatteten Stallungen gehalten und verstümmelt. Auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurde vor Ort ermittelt. In 15 von 19 der besuchten deutschen Betriebe (79%) waren bei einer beträchtlichen Anzahl der Schweine die Schwänze kupiert. Zudem waren nur 2 von 19 Stallungen vorschriftsgerecht ausgestaltet (11%). Beide Befunde verstoßen gegen geltendes EU-Recht.

Schweine reagieren auf extremen Stress mit Verhaltensstörungen, zum Beispiel mit Beißen in Schwänze und Ohren. Die EU erlaubt das Kupieren der Schwänze zur Vermeidung schlimmerer Verletzungen nur ausnahmsweise, wenn weder eine Verkleinerung der Bestandsdichte noch eine Verbesserung der Haltungsbedingungen ein Schwanzbeißen vermeiden hilft. Doch unter den üblichen Bedingungen der Intensiv-Schweinehaltung - in drangvoller Enge auf Vollspaltenböden, ohne Einstreu und ohne artgemäße Beschäftigungsmöglichkeiten - herrscht Dauerstress. Schwanzbeißen gilt dort als unvermeidlich, deshalb wird vorsorglich kupiert und keinen in der Branche scheint es ernsthaft zu stören. "Wenn so eine Ausnahme zur Regel wird, wurden entweder keine geeigneten Maßnahmen ergriffen oder die Haltungsform selbst beweist sich als nicht verhaltensgerecht", ärgert sich der Vorsitzende von PROVIEH, Prof. Dr. Sievert Lorenzen. Doch selbst der Präsident des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen, Dr. Heinrich Bottermann, findet die Ergebnisse der CIWF-Studie offenbar völlig normal. "Das Kupieren der Schwänze ist nach der geltenden Rechtslage zulässig. Ob wir das schön finden oder nicht", äußerte er sich in einem Interview gegenüber dem WDR.

Der Sender war durch PROVIEH auf die Filmaufnahmen der CIWF-Ermittler aufmerksam geworden und nahm sich des Themas in einer "Aktuellen Stunde" an. Das Filmteam um Reporter Thomas Görger konnte sich vor Ort einen persönlichen Eindruck verschaffen, welchen Unterschied eine artgemäße Schweinehaltung zur Intensiv-Tierhaltung macht. Sie besuchten den Hof von Gunter Buschhaus, der seit Jahren Schweine für den Thönes-Natur-Verbund aufzieht. Der Biobauer stellt klar: "Schwanzbeißen ist ein Alarmsignal. Wenn die damit anfangen, stimmt irgendwas im Stall nicht." Doch wer wie er seine Schweine auf artgemäße, aufwand- und pflegeintensivere Weise hält, hat solche Probleme nur selten. Und so wurden die Besucher vom WDR im Schweinestall von aufgeweckten, neugierigen Tieren mit prächtigen Ringelschwänzchen begrüßt - mit ausreichend Bewegungsraum und viel Stroh zum Wühlen.

Leider ist nicht nur das routinemäßige Kupieren der Schwänze in Europas Schweineställen immer noch an der Tagesordnung. Auch die Lebensbedingungen für Sauen in der Intensiv-Tierhaltung sind erbärmlich. Die meisten Sauen in der EU werden während ihrer viermonatigen Trächtigkeit in sogenannten "Kastenständen" gehalten (nur in Großbritannien ist das bereits verboten). Diese Metallkäfige sind so schmal, dass sich die Sauen darin nicht umdrehen können. Nicht einmal zur Geburt ihrer Ferkel werden die Muttertiere heraus gelassen. Vielmehr werden sie ein paar Tage, bevor sie die Ferkel zur Welt bringen, in einen noch engeren Käfig gesperrt, in eine sogenannte "Abferkelungsbucht". Auch darin kann sich die Sau weder umdrehen noch normal hinlegen.

Unter natürlichen Bedingungen würde eine Sau ein tiefes, weiches Nest aus Laub, Ästen, Stroh und anderen Materialien für sich und ihre Ferkel bauen. In der Abferkelungsbucht bleibt dieser angeborene Instinkt unbefriedigt. Die Sau wird in einer extrem eingeengten Position gehalten, bis ihre Ferkel schon nach ca. 3-4 Wochen von ihr getrennt werden. Dann wird sie wieder befruchtet und der Elendszyklus beginnt von neuem. Kastenstände werden erst ab 2013 in der EU verboten. Doch selbst dann dürfen sie immer noch in den ersten 4 Wochen der Trächtigkeit von Sauen eingesetzt werden - ungeachtet der Tatsache, dass auch dies der Gesundheit und dem Wohlergehen der Muttertiere massiv schadet. Ginge es nach PROVIEH, würden Schweinehalter in Deutschland schon heute auf Kastenstände verzichten, wie bereits im Ökolandbau üblich.

Die CIWF-Studie zeigt es erneut: in der Intensivtierhaltung von Schweinen in Deutschland herrscht offensichtlich ein permanenter Ausnahmezustand. PROVIEH fordert Bundesministerin Aigner dringend auf, für eine bessere Einhaltung der EU-Richtlinien zu sorgen - im Interesse des Tierschutzes, der Verbraucher und aller Schweinezüchter, die auf eine artgemäße Haltung ihrer Tiere achten.


INFOBOX

Compassion in World Farming (CIWF), PROVIEH - VgtM e.V. und 23 weitere Tierschutzorganisationen haben sich in der "Europäischen Koalition für Nutztiere" (ECFA) zusammengeschlossen. PROVIEHs Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen koordiniert Fachreferentin Sabine Ohm im Europabüro in Brüssel. Für die aktuelle Studie von CIWF zur Schweinehaltung hat PROVIEH die Verbreitung in Deutschland übernommen. Eine deutsche Übersetzung ist im Internet erhältlich(*) oder kann zum Selbstkostenpreis in der Bundesgeschäftsstelle angefordert werden.

(*) http://www.provieh.de/downloads/ciwf_zustandsbericht_schweinehaltung_eu.pdf


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 18-20
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
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Internet: www.provieh.de

PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2009