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TIERHALTUNG/517: Der Zins als Mittel der Ausbeutung (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Der Zins als Mittel der Ausbeutung

Wie die industrielle Landwirtschaft unsere Lebensgrundlage zerstört

Von Sievert Lorenzen


Massentierhaltung sei kein Problem, sondern eine Exportchance, so die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Astrid Grotelüschen (CDU) am 27. Juni 2010 im Weserkurier. Deshalb sei es richtig, in Niedersachsen viele neue Mastanstalten zu bauen und so den Auftrag zu erfüllen, den sie von Christian Wulff erhalten habe, ihrem damaligen Ministerpräsidenten. Brandgefährlich ist dieser Auftrag, er kommt einem Attentat auf die Lebensgrundlage unserer Zukunft gleich. Warum?

Es gibt ein Bündel von Antworten, die alle eine gemeinsame Wurzel haben: den Zins. Wer Schulden hat, muss Zinsen zahlen. Das gehört zum Wesen des Kapitalismus. Wer Schulden zur Überbrückung eines zeitlich begrenzten Engpasses aufnimmt, wird am Zins nicht leiden. Wer aus der Schuldenfalle nicht mehr herauskommt, wird am Zins chronisch leiden. Das tun mittlerweile die allermeisten Länder dieser Erde, auch Deutschland, seine Länder und Kommunen. Fast täglich erfahren wir von den vielen Spielarten dieses Leidens. Wer lange genug in der Schuldenfalle sitzt, kann schließlich ein Mehrfaches des Schuldenbergs an Zinsen bezahlt haben, ohne ihn losgeworden zu sein. Die Schuldenberge sind weltweit mittlerweile gigantisch hoch. Gigantisch hoch sind deswegen auch die jährlich anfallenden Zinsen. Sie lassen sich fast nur noch durch Ausbeutung von Mensch und Natur erwirtschaften.

Und wer bekommt die Zinsen? Die Gläubiger natürlich. Dafür sorgt die Finanzindustrie, die das kapitalistische Regelwerk perfekt beherrscht und die Politik auf nationaler und globaler Ebene geschickt zu beherrschen weiß. Schulden machen erpressbar. So hat die Finanzindustrie schon Hunderte von Milliardären und Hundertmillionen von Hungernden produziert und streicht einen Teil der Zinsen selber ein. Doch die Superreichen haben ein Problem: Wo gibt es noch Renditemöglichkeiten? Welche Subventionstöpfe sind noch mit Milliarden gefüllt? Welche Konkurrenten lassen sich noch verdrängen? Welche Lohnkosten lassen sich noch drücken? Und die Hungernden? Wer zu Billigstlöhnen arbeitet, verhungert doch nicht, wo ist das Problem?

Die Superreichen beherrschen auch die Landwirtschaft. Sie sorgen für Massentierhaltung und massenhaften Anbau von cash crops wie Soja, Zuckerrohr, Mais, Weizen und Baumwolle. Dafür vertreiben sie die Kleinbauern von deren Ländereien. Sie lassen riesige Urwälder zerstören für den Anbau von noch mehr cash crops. Sie fördern die Entwicklung und Verbreitung von gentechnisch veränderten cash crops, mit denen immer weniger, dafür immer riesigere Saatgutkonzernen satte Gewinne einfahren, denn im Preis des Saatguts sind hohe Patengebühren für dessen gentechnische Veränderung enthalten. Passend zum Saatgut werden dann noch die hauseigenen Pestizide verkauft.

Doch gegen dieses Treiben wächst der Widerstand, PROVIEH mischt mit. Wie das Treiben bei näherem Hinsehen aussieht und wie der Widerstandsdruck erhöht werden kann, wird in verschiedenen Büchern dargestellt, von denen hier zwei vorgestellt seien.


Politik des Hungers

So bezeichnet Walden Bello die knallharte neoliberale Finanz- und Wirtschaftspolitik, die von zwei Sonderorganisationen der Vereinten Nationen global gefördert wurde: von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie wollten Gutes für die weniger entwickelten Ländern tun, stürzten sie damit aber in die Katastrophe. Das zeigt Bello an den Beispielen Mexiko, Philippinen und afrikanischer Länder. Das Muster war immer gleich: Am Anfang stand eine erdrückende Staatsverschuldung. Also bekamen die Länder Kredite unter der strengen Auflage, ihre Landwirtschaft mit Unterstützung der jeweiligen Machteliten radikal auf Profit umzustellen und z.B. massenhaft cash crops für den Export anzubauen, um den Schuldendienst bedienen zu können. "Strukturanpassung" heißt diese Veränderung der Agrarwirtschaft. Sie führt dazu, dass sich die Bevölkerung dann nicht mehr ausreichend mit Nahrungsmitteln aus der Region versorgen kann. Also erhielten die Länder als zweite Auflage, Einfuhrzölle auf importierte Nahrungsmittel zu senken oder zu streichen, damit diese für die Bevölkerung erschwinglich werden. Das sei im globalisierten Wirtschaftssystem normal.

Doch woher stammen die "billigen" Nahrungsmittel? Aus den USA und der EU, aus Hochlohnländern also. Wie ist das möglich? Mit hohen Subventionen werden erst Überschüsse produziert, und mit weiteren Subventionen werden diese spottbillig in den ärmsten Ländern verramscht. So können dort eingefrorene Hühnerteile aus der EU und Weizen aus den USA billiger als heimische Erzeugnisse angeboten werden. Das trieb die Bauern der armen Länder scharenweise in den Ruin (siehe hierzu auch Ausgabe 2/2010 dieses Magazins). Das schaffte wohl Platz für den Anbau von noch mehr cash crops, versperrte aber den Ausweg aus der Schuldenfalle. Die armen Länder hingen endgültig am Tropf der reichen Länder und wurden fast beliebig ausbeutbar. Zu spät erkannten die Weltbank und der IWF, welche Katastrophe sie mit ihrer "Hilfe" angerichtet hatten.

Hart ins Gericht geht Bello auch mit dem Anbau von cash crops für die Erzeugung von Agrotreibstoffen. Den Begriff "Biotreibstoffe" lehnt Bello ab, weil sie nicht "Bio" im Sinne von gut sind. Sie lösen das Klimaproblem nicht, sondern verschärfen es, denn erstens ist der Energiegewinn mehr als mager, und zweitens werden Urwälder noch rabiater vernichtet. Das stört die Agrarindustriellen nicht, schließlich ist der Subventionsgewinn sehr hoch. Er reicht sogar für Titanen der Globalisierung, z.B. für die Milliardäre George Soros (Hedge Fonds Guru), Bill Gates (Microsoft) und Vinod Khosla (Google), die massiv in die Herstellung von Agrotreibstoffen investiert haben. Doch in Wahrheit haben sie in eine Spekulationsblase investiert, die nach Kürzung von Subventionen nur platzen kann.

Doch Bello malt nicht nur die düstere Wirklichkeit. Im letzten Kapitel singt er ein Hohelied auf die mutigen Menschen, die sich dem Widerstand gegen die rabiaten Methoden der Ausbeuter verschrieben haben. Der koreanische Bauer Lee Kyung Hae wurde von seinem Hof vertrieben, kämpfte mit Macht gegen die Welthandelsorganisation (WTO) und opferte in diesem Kampf sein Leben als "Ausdruck leidenschaftlicher Hingabe ans Volk, Ausdruck reinster Liebe". Andere Bauern gründeten den internationalen Bauernverband La Via Campesina ("Der Bäuerliche Weg") und Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra (MST, "Bewegung Landloser Arbeiter"). Diese Organisationen kämpfen innovativ auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene und haben sich zu einer "globalisierten Sozialbewegung" entwickelt, denn sie wissen: Nur die bäuerliche Landwirtschaft kann unsere Zukunft sichern.


Die Ernährungsdiktatur

In die gleiche Kerbe wie Walden Bello haut auch die Querdenkerin Tanja Busse. Auch sie klagt eine industrielle Agrarwirtschaft an, die ganz auf Export eingestellt ist und Hunger in der Welt produziert. Anschaulich lädt sie zum "globalen Mittagstisch" ein, an dessen einem Ende zwei Milliarden Übergewichtige sitzen und am anderen Ende eine Milliarde Hungernde. Genug Essen ist für alle da, aber die Hungernden müssen auf ihren Anteil zugunsten der Satten und Übersatten verzichten. Das gehe eindeutig aus dem Weltagrarbericht hervor, den die Weltbank in Auftrag gegeben habe und der 2008 erschien. Das war unserer Bundesregierung gar nicht recht, denn sie weigert sich noch immer, den Bericht zu unterzeichnen. Doch wehe den Satten: "Das agrarindustrielle System steht vor dem Zusammenbruch, weil es seine eigenen Grundlagen zerstört: Die Böden verlieren ihre Fruchtbarkeit, die Pestizide ihre Wirksamkeit." Und nicht zu vergessen: Die gesamte Mast von Geflügel und Schweinen hängt am Tropf ausländischer Sojaproduktion. Bleibt Soja plötzlich aus, werden wir ein Massensterben von Masttieren erleben. Die industrielle Landwirtschaft ist alles andere als eine Kreislaufwirtschaft.

Es geht Busse also um weit mehr als nur um den roten Glibber, den die Firma Campina irreführend mit dem Begriff "Rote Grütze" anbietet, oder um "Smacks" der Firma Kellogg's, die zu über 40 % aus Zucker und Glukose bestehen. Es geht ihr um Irreführung der Bevölkerung und um das verhängnisvolle Treiben von Machtkartellen, die uns mit billigen Angeboten locken, sich so ihrer Konkurrenz entledigen und dann die Preise diktieren. Sie erzwingen die Erzeugung von billiger Massenware und überlassen uns nur noch "die Freiheit zum Immergleichen". Durch hohe Energiedichte und geschmackliche Verstärker verzögert der Verzehr billiger Nahrungsmittel das Sättigungsgefühl und macht viele Menschen der Industriestaaten dick, fett und krank. Dafür haften nicht die Konzerne, dafür haften wir, die Gesellschaft. Busse kritisiert unsere Agrarministerin Ilse Aigner, weil sie auf der Grünen Woche im Januar 2009 die Rekordausfuhren der deutschen Landwirtschaft gelobt hätte. Sie hätte wissen müssen, dass "politisch subventionierte Überschussverramschung" gemeint war. Andernfalls hätte sie zwei Tage später nicht zusammen mit 25 anderen Ministern unterschreiben können: "Alle Formen handelsverzerrender Exportfördermaßnahmen müssen abgeschafft werden."

Mit Liebe wendet sich Busse den Kritikern des industriellen Agrarsystems zu. Der Schweizer Jean Ziegler bezeichnet den Hunger in der Welt als Folge unserer Weltordnung, in der die Industrieländer einen "wirtschaftlichen Weltkrieg" gegen den Rest der Welt führen. Franz-Theo Gottwald von der Humboldt-Universität in Berlin bezeichnet die Intensivmast als ein faschistoides System, weil sie das Leid der Tiere einkalkuliere. Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft sagt: "Die gesamte Geflügelproduktion ist den Bauern im Laufe der letzten Jahrzehnte von der Industrie geraubt worden, und genau dieser Prozess zeichnet sich jetzt in der Schweinemast ab." Christian Schüler von der Universität Kassel kann nur mit Mühe an Wintererbsen forschen, weil die USA im Blair-House-Abkommen 1992 die EU verpflichtet haben, den Anbau von eiweißhaltigen Futtermitteln am besten überhaupt nicht zu fördern. Dabei wären Ackerbohnen, Erbsen und Lupinen hervorragende Alternativen zu Soja. Und Imker Michael Grolm kämpft gegen Genmais. Monsanto hatte ihm zwar mit 250.000 Euro Strafe gedroht, falls er einem Genmaisfeld zu nahe komme, dennoch nahm er an der Zerstörung eines solchen Feldes teil und wurde dafür zu 1.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Doch lieber ging er ins Gefängnis - im Triumphzug durch die Reihen seiner Anhänger. Es gibt also Helden des Widerstandes.


Fazit

Der Widerstand gegen die Ausweitung der industriellen Massentierhaltung wurde durch rücksichtslose Investoren geradezu provoziert. Doch der Widerstandskampf braucht Motivation. Die hier vorgestellten Bücher bieten sie an und geben uns Argumente an die Hand, die hammerhart und nicht widerlegbar sind. Wir alle müssen gegen den Bau weiterer Mastställe und für mehr Nutztierschutz kämpfen. Das sind wir nicht nur der gequälten Kreatur schuldig, sondern auch unserer Zukunft.


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 18-21
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010