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TIERHALTUNG/577: Was braucht die Sau? (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 04 / 2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Was braucht die Sau?
Interview mit Schweineexperte Rudolf Wiedmann

Von Sabine Ohm



Auf einer Informationsreise durch die Schweiz erkundete PROVIEH an der Seite des ausgewiesenen Schweineexperten Rudolf Wiedmann die dortige Sauenhaltung. Autor und Berater Wiedmann war bis zu seiner Pensionierung im August 2012 Mitarbeiter der Landesanstalt für Schweinezucht am Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg in Baden-Württemberg, wo er vorbildliche Haltungsverfahren für Zucht- und Mastschweine entwickelte und testete. Sein jüngstes praxisorientiertes Fachbuch über die Gruppenhaltung tragender Sauen stellten wir im PROVIEH-Magazin 3/2012 vor.


PROVIEH: Welche Fortschritte bringen die neuen EU-Regelungen für die Sauen?

Wiedmann: Die neuen EU-Regelungen sind ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, den Sauen eine Haltungsumwelt bereitzustellen, die sie ein Stück näher an ihr angeborenes und erworbenes Verhaltensrepertoir bringt.


PROVIEH: Welche Vor- und Nachteile sehen Sie in der Gruppenhaltung trächtiger Sauen?

Wiedmann: Nachteilig ist diese Haltungsform nur für Tierhalter, die die Ansprüche der Sauen beim Stallbau und Management nicht genügend berücksichtigt haben. In solchen Betrieben gibt es zum Beispiel hohe Sauenabgangsraten (frühzeitige Schlachtung oder Tod). Ein hoher Anteil an gruppenuntauglichen Sauen und ein entsprechend höherer Arbeits- und Medikamentenaufwand für Tierbehandlungen sind nötig. Wird dagegen das Tierverhalten von vornherein beim Bau und Management des Betriebs angemessen berücksichtigt, dann ist die Gruppenhaltung nicht nur für die Tiere, sondern auch für den Tierhalter positiv: Rasche Geburten, fi tte Sauen, weniger lange Klauen sind nur einige der vielen möglichen Vorteile.


PROVIEH: Welche Defizite sehen Sie noch im aktuellen Gesetzestext?

Wiedmann: Schweinehalter neigen zu der Annahme, dass haltungstechnische Mängel bei Beachtung der Mindestanforderungen nur sehr selten zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Sauen führen. Doch das stimmt nicht in jedem Fall. Dass gesetzliche Mindestanforderungen geringer als das Optimum sind, ist nachvollziehbar. Unvertretbar sind aber Haltungsvorgaben, die mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Sauen führen. In diesem Sinne sind im Gesetzestext die folgenden Vorgaben zu kritisieren:

Sauen haben wie Menschen eine Hauttemperatur um 28 Grad Celsius. Für entspanntes Liegen in Seitenlage müssen die Liegeflächen diese Temperatur halten können. Das geht nur mit planbefestigten, gedämmten Liegeflächen, nicht aber auf den erlaubten Spaltenböden. Auf ihnen können sie bei uns in den Breitengraden nur an warmen Sommertagen, also an rund 50 Tagen im Jahr, ihre optimale Hauttemperatur halten. Die ganze übrige Zeit des Jahres müssen sie auf zu kalten Flächen liegen, meist in Bauchlage, und erleiden dadurch gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Harnblasenentzündungen, Klauen- und Beinverletzungen.

Im Liegebereich tragender Sauen darf die Bodenfläche einen Perforationsgrad, durch Löcher oder Spalten, von bis zu 15 Prozent haben. Diese Vorgabe führt bei vielen Sauen zu Abschürfungen ihres Klauenwandhornes. Sauen mit defektem Tragrand ihrer Klauen sind in der Gruppenhaltung aber benachteiligt und werden meist nach wenigen Würfen geschlachtet.

Was den Mindestplatzbedarf anbelangt, ist die Vorgabe von 2,25 Quadratmeter je Sau und 2,05 Quadratmeter bei Gruppen über 40 Tiere, viel zu knapp. Erforderlich sind mindestens 3,0 bis 3,5 Quadratmeter je Tier.


PROVIEH: Und was brauchen Schweine sonst noch, um sich entsprechend ihrer Instinkte und angeborenen Verhaltensweisen so richtig "sauwohl" zu fühlen?

Wiedmann: Als ursprüngliche Bewohner des Waldes fühlen sich unsere Hausschweine besonders in Umgebungen wohl, in denen sie ihren Wärmehaushalt leicht steuern können. Dafür wbrauchen sie trockene und weiche Ruheplätze bei tiefen Außentemperaturen und Suhlen bei hohen Außentemperaturen. Weiterhin brauchen Schweine ausreichend Beschäftigungsmöglichkeiten mit Materialien, die sie bearbeiten und fressen können. Sauen sollten vor der Abferkelung auf jeden Fall natürliches Nestbaumaterial bekommen. Das verkürzt die Geburtszeit und erhöht die Zahl der lebendgeborenen Ferkel. Auch Scheuermöglichkeiten sollten vorhanden sein.


PROVIEH: Was kann man sich hierzulande aus der Schweiz abschauen?

Wiedmann: Damit die Ringelschwänze lang bleiben können, ohne dass Schwanzbeißen vermehrt auftritt, sucht man in Deutschland immer noch nach dem "optimalen Beschäftigungsobjekt". Diese Anstrengungen werden vergebliche Liebesmüh bleiben. Wichtiger für die Schweine sind geeignete Fütterungseinrichtungen, in denen sie trockenes statt flüssiges Futter bekommen und dann langsam statt schnell fressen. Auch müssen Ruhebereiche, unterschiedliche Klimazonen und ein nicht zu knapper Platz angeboten werden. Wer über unversehrte Schwänze nachdenkt, braucht also praxisorientierte Lösungen, um Grundanforderungen der Tiere zu erfüllen. Erst danach lohnt es sich, über Art und Menge von Beschäftigungsmaterialen nachzudenken. In der Schweiz haben die Tiere zum Beispiel täglich Zugang zu Raufutter wie Heu oder Stroh. Das hat sich sehr bewährt.


PROVIEH: Was würden Sie deutschen Schweinehaltern als wichtigste Tipps für die kommenden Jahre empfehlen?

Wiedmann: Deutsche Schweinehalter sollten sich nicht darauf verlassen, mit Fleischexporten in den fernen Osten eine langfristig lohnende Perspektive zu haben. Die Kosten für Futter, Energie und Tierschutz steigen, und die Zeit für Fleisch- und Wurstwaren als Lockangebote im Lebensmitteleinzelhandel neigt sich dem Ende zu. Künftige Absatzmärkte für Schweinefleisch werden auf relativ solvente Konsumenten angewiesen sein. Von ihnen gibt es in Deutschland viele. Auf sie sollte sich die Wertschöpfungskette schwerpunktmäßig ausrichten. Dieser Markt ist auch für Produkte aus Ställen mit angehobenem Tierschutzniveau aufnahmefähig. Nur mit solchen Produkten lässt sich das angeschlagene Image der deutschen Fleischbranche langfristig verbessern. Das ist keine leichte Aufgabe in einem Markt mit sinkendem Fleischverbrauch.


PROVIEH: Herr Wiedmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 04/2012, Seite 22-24
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2013