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TIERHALTUNG/631: Klingt zu schön, um wahr zu sein - Über die neue Sprache der Agrarindustrie (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Klingt zu schön, um wahr zu sein - Über die neue Sprache der Agrarindustrie

Von Valerie Gerdts



Was stellen Sie sich unter einem "Ferkelschutzkorb" vor? Wer mit Landwirtschaft nicht viel zu tun hat, denkt vielleicht an ein korbförmiges Nest, das Ferkeln eine Rückzugsmöglichkeit bietet - in jedem Fall an etwas Positives.

Die Realität sieht anders aus: Der Ferkelschutzkorb ist ein enger Kastenstand für die Sau. In ihm wird sie in der konventionellen Schweinehaltung für die Zeit von vor dem Abferkeln bis zum Absetzen der Ferkel fixiert. Das sind vier bis fünf Wochen am Stück. Im Kastenstand kann sich die Sau nicht einmal um sich selbst drehen. Nur Hinlegen zum Säugen und Aufstehen, zum Beispiel zum Fressen, sind möglich. Für die Ferkel ist Platz außerhalb des Abferkelkäfigs, so dass sie beim Hinlegen der Sau nicht versehentlich erdrückt werden. Das ist mit Ferkelschutz gemeint.

Wozu aber dient der "Ferkelschutzkorb" in der Praxis? Er spart dem Landwirt Zeit und Geld, denn er kann besonders viele Tiere im Stall halten, ohne Verluste durch das versehentliche Erdrücken von Ferkeln hinnehmen zu müssen. Der Begriff ist also nicht an sich falsch; er hebt das Positive hervor und verschweigt das Negative.

Dieses Beispiel verdeutlicht, welche Macht Sprache auf unsere Vorstellungskraft hat - die Begriffe "Schutz" und "Korb" vermitteln uns etwas Behagliches, Familiäres wie Geborgenheit und wecken Vertrauen. "Ein Landwirt, der seine Schweine im Ferkelschutzkorb unterbringt, dem muss am Wohl seiner Tiere gelegen sein", mag man denken.

Dass solche Begriffe nicht zufällig gewählt werden, zeigt die Jahrzehnte alte Diskussion um Atomkraft, die seit jeher in breiter Öffentlichkeit geführt wird. Hierbei bedienen sich politische Gegenspieler ganz bewusst sprachlicher Feinheiten, um sich voneinander abzugrenzen. Befürworter dieser Form der Stromgewinnung verwenden den Begriff "Kernenergie", während Gegner stets von "Atomkraft" sprechen. "Kern" vermeidet das vorbelastete Wort "Atom" und "Energie" zielt auf den Nutzen der Technologie ab - in "Kraft" hingegen schwingt auch "Zerstörungskraft" mit.

Im Bereich der Tierhaltung lassen sich neben dem Ferkelschutzkorb weitere Begriffe finden, die Positives suggerieren, zum Beispiel "Voliere" und "Legenest" in der Hennenhaltung. Obwohl es sich bei der "Voliere" um einen kleinen Drahtkäfig handelt und beim "Legenest" um eine völlig unzureichende, etwas abgetrennte Stelle im Käfig, denkt der Verbraucher zunächst an etwas Positives.

Seit einiger Zeit ist zu beobachten, wie Vertreter der konventionellen Landwirtschaft versuchen, positiv belegte Begriffe für die eigenen Zwecke umzudeuten. So wird in einem Erklär-Video der Europäischen Kommission "Tierwohl" lediglich als eine Frage von Hygiene und Kontrollen definiert, also von Einhaltung selbstverständlicher Standards.

Auch der Begriff "bäuerlich" ist umkämpft: In der Öffentlichkeitsarbeit des Bauernverbands ist die Wirtschaftsweise eines Hofes dann "bäuerlich", wenn eine "Bauernfamilie" davon lebt - egal ob im Stall 200 oder 2.000 Schweine stehen. Mit Alternativen zur Agrarindustrie, die die "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" vertritt, hat dieses "bäuerlich" nichts zu tun. Bis in den Bereich der Verbrauchertäuschung geht die vieldiskutierte "Weidemilch". Hier wird der Wunsch des Verbrauchers nach Weidegang für Milchkühe im Produktnamen aufgegriffen - obwohl die meisten dieser Kühe nie eine Weide betreten haben.

Es wird also versucht, mit Worten eine Landwirtschaft vorzuspiegeln, wie sie sich die Verbraucher wünschen. Das war nicht immer so. Mit Aufkommen der industriellen Landwirtschaft in Deutschland ließ sich zunächst ein gegenteiliger Trend beobachten: Die Landwirtschaft wollte als Industriezweig ernst genommen werden und versuchte alles abzulegen, was nach "Bauernhof" klang. Aus dieser Zeit stammen Begriffe wie "Ferkelproduktion" anstelle von Ferkelaufzucht oder "Getreideveredelung" als Synonym für Mast. Der Ferkelschutzkorb hieß damals sachlich "Abferkelbox".

Im Angesicht von rückläufigem Fleischkonsum in Europa sieht sich die industrielle Landwirtschaft nun gezwungen, für die Realität in den meisten Ställen freundliche Begriffe zu schaffen, die den Vorstellungen der Verbraucher entgegenkommen und sie zum Kauf führen. Leider führen die freundlichen Begriffe nur selten dazu, dass die Wirtschaftsweise selbst umgestellt wird. Die "Abferkelbox" wird also nicht abgeschafft, sondern in "Ferkelschutzkorb" umbenannt.

Für Tierschützer ist es wichtig, diese Mechanismen des Marketings zu durchschauen und Begriffe, die von der Agrarindustrie vorgegeben werden, kritisch zu hinterfragen. Gleichermaßen ist es nötig, Verbraucher aufzuklären, sobald sie mit beschönigenden Marketingbegriffen konfrontiert werden (Weidemilch). Tierschützer müssen ebenfalls damit rechnen, dass ihre Begrifflichkeiten vereinnahmt werden (bäuerlich, Tierwohl).

Zurück zum Ferkelschutzkorb: Dass es auch anders geht, zeigt der Tierpark Arche Warder. Die Konstruktion in den dortigen Buchten hätte den Namen Ferkelschutzkorb wahrlich verdient, heißt aber Ferkelnest. Hierhin können sich die Ferkel zum Schlafen zurückziehen, und die Sau wird in ihrer Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt. Diese Abferkelbuchten sind auch in der Schweiz üblich. Tiefe Einstreu und angemessenes Platzangebot minimieren die Gefahr, dass Ferkel erdrückt werden.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014, Seite 43-45
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2014