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TIERHALTUNG/708: Das "Kastenstand-Urteil" - Armutszeugnis für Tierschutz in der Landwirtschaft (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Das "Kastenstand-Urteil": Armutszeugnis für Tierschutz in der Landwirtschaft

von Angela Dinter


Im November 2016 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das zuvor vom Oberverwaltungsgericht Magdeburg getroffene Urteil zur unzureichenden Größe von Kastenständen bei der Haltung von Sauen.


Kastenstände zur "Ferkelproduktion"

Kastenstände werden in der industrialisierten Sauenhaltung eingesetzt. Es gibt zwei Arten von Fixiervorrichtungen: zum einen den Kastenstand, zum anderen den sogenannten "Ferkelschutzkorb". Beide Vorrichtungen bewirken, dass Sauen sich nicht ungehindert bewegen können. Stehen und mit ausgestreckten Beinen hinlegen sind die einzigen Bewegungen, die ihnen während der Hälfte ihres kurzen Lebens zugesprochen werden. Doch selbst diese minimalen Bewegungen sind durch den Einsatz von Kastenständen nicht immer möglich, da die Kastenstände zu klein für die Tiere sind.

Die Kastenstände, um die es im Magdeburger Urteil geht, werden im Deckbereich eingesetzt. Zur Besamung und anschließenden Ruhigstellung dürfen Sauen laut Tierschutz-Haltungsverordnung bis zu vier Wochen nach dem Decken im Kastenstand fixiert werden. Die Tiere sollen nach dem Besamen nicht gleich in Gruppen zusammen mit anderen Sauen gehalten werden, da dies möglicherweise negative Einflüsse auf die Fruchtbarkeit der Tiere hat. Durch die vorherige Isolation und die anschließende Zusammenkunft mit anderen Sauen kommt es zu Unruhe und Rangkämpfen innerhalb der Gruppe.

Nachdem die Sauen erfolgreich besamt und nachweislich tragend sind, verlassen sie die Kastenstände und werden in Gruppen gehalten. Eine Woche vor der Geburt wechseln sie von der Gruppenhaltung in den "Ferkelschutzkorb", einen Eisenkäfig, der verhindern soll, dass die Sauen ihre Ferkel beim Hinlegen erdrücken. Dort verbleiben die hochtragenden Sauen weitere drei Wochen bis zum Absetzen der Saugferkel. Sind die Ferkel von den Muttersauen getrennt, geht es zurück ins Deckzentrum. Dort werden sie erneut besamt und verbleiben bis zur Feststellung der Trächtigkeit im Kastenstand. Bei einigen Sauen kommt es vor, dass sie nach der ersten Besamung nicht trächtig sind. Sie werden nach drei beziehungsweise sechs Wochen erneut besamt. So kann sich die Zeit im Kastenstand bis auf zehn Wochen ausdehnen. Rechnen wir die Zeit im "Ferkelschutzkorb" mit, kann es vorkommen, dass manche Sauen fast 14 Wochen fixiert sind.


Wozu Kastenstand und "Ferkelschutzkorb"?

Beide Einrichtungen dienen laut Landwirten und Agrarverbänden der Arbeitssicherheit und einem besseren Management. Besonders der "Ferkelschutzkorb" soll Landwirte vor aggressiven Tieren schützen und verhindern, dass Sauen ihre neugeborenen Ferkel "totliegen".

Durch den Fokus auf Hochfruchtbarkeit, Fleischqualität und Schnellwüchsigkeit wurde die Genetik der Schweine stark verändert. Hierbei gingen viele wichtige Eigenschaften verloren, zum Beispiel Stressresistenz, Ruhe und vor allem die Mütterlichkeit der Sauen. Das stellt konventionelle schweinehaltende Betriebe vor unlösbare Probleme. Denn bevor sie ihr Haltungssystem nachhaltig verbessern können, brauchen sie Tiere, die diese Eigenschaften mitbringen.


Das Urteil

Im Magdeburger Urteil wurde festgestellt, dass Kastenstände im Deckbereich zu klein sind. Die bisherigen sechzig Zentimeter reichen nicht aus, um den Sauen eine Liegeposition mit ausgestreckten Beinen in beide Richtungen zu ermöglichen. Auch eine Kastenstandbreite von siebzig Zentimetern ist für heutige Sauen zu wenig, sie müssen an die tatsächliche Größe der Tiere angepasst werden. Diese richterliche Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht in letzter Instanz bestätigt und begründet seine Entscheidung mit einer Stellungnahme, die einem Armuts-Zeugnis für Gesetzgebung, Politik und Landwirtschaft gleich kommt. Zwischen den stets sachlichen Zeilen steht die klare Aufforderung nach korrekter Umsetzung eines Gesetzes, das seit dreißig Jahren besteht.


Wie kann das sein?

Dass das Tierschutzgesetz und die Haltungsverordnungen für "Nutz"tiere viele Ausnahmen, dehnbare Begriffe und Auslegungen beinhalten, ist kein Geheimnis. Wenn auf dieser Grundlage Stallbaugenehmigungen erteilt und bundesweit gültige Handbücher und Handlungsanweisungen erstellt werden, dann sind die Folgen fatal. Jedenfalls für die Tiere.


Kastenstand ade?

Diese Frage bleibt vorerst offen. Manche Bundesländer setzten bereits Maßnahmen zur Vergrößerung von Kastenständen um, andere haben Erlasse zur Umsetzung festgesetzt. Manche Bundesländer warten erst mal ab.

Bei der Agrarministerkonferenz im April 2017 wurde nun über einen Ausstieg aus dem Kastenstand diskutiert. Als Vorbild für die umfangreich und intensiv diskutierten Alternativen dienten die in Dänemark, den Niederlanden und Österreich gesetzlich verankerten Modelle. Die Gruppierung der Sauen muss dort je nach Variante direkt nach dem Absetzen oder nach dem Ende der Rausche (die Tage, in denen ein Schwein trächtig werden kann) erfolgen.

Konsequent wäre, eine generelle Abschaffung der Kastenstände, sowohl im Deckbereich als auch im Abferkelbereich, gesetzlich zu verankern, statt über ein paar Zentimeter mehr Platz oder eine Verkürzung der Zeit im Kastenstand zu beraten. Doch selbst wenn sich die Verantwortlichen zu einem derart großen Schritt entschließen könnten, wäre bei der Umsetzung mit Übergangsfristen zwischen zehn und zwanzig Jahren zu rechnen. Egal welches Ergebnis hier erzielt wird, es ist aus Tierschutzsicht deprimierend.


Sauenhalter sind überrascht

Für viele Sauenhalter kommt dieses Urteil völlig überraschend und sie brauchen Übergangsfristen und finanzielle Mittel zur gesetzeskonformen Anpassung ihrer Ställe. Vom "Sterben" der Ferkelerzeugerbetriebe in Deutschland und der Abwanderung der Sauenhaltung in das benachbarte Ausland ist die Rede. Daher wird unsere Bundesregierung einlenken und Übergangsfristen schaffen, wo eigentlich keine möglich sind. Bei derart "alten" Gesetzen darf es eigentlich keine Übergangsfristen geben, lediglich die Pflicht sie einzuhalten.


Änderung der Haltungsverordnung für Schweine

Die Agrarminister der Länder haben nun stolz verkündet, dass sie "die Sau rauslassen" wollen. Hierfür wird nun die gesetzliche HaItungsverordnung für Schweine überarbeitet und geändert werden. Ein genialer Schachzug, denn nun ist das Problem der fehlenden Übergangsfristen gelöst. Zunächst wird es viele Monate dauern, bis ein Gesetzesentwurf vorliegt, über den im Bundestag beschlossen wird. Danach wird die neue Haltungsverordnung für Schweine in Kraft gesetzt. Mit der Änderung dieser Verordnung darf erst einmal alles beim Alten bleiben, denn nun können sogar jahrzehntelange Umsetzungszeiten definiert werden.


Die Sau rauslassen geht anders

Längst gibt es alternative Haltungsformen für Sauen, bei denen ganz auf Kastenstand und Ferkelschutzkorb verzichtet werden kann. Diese erfordern jedoch eine Umstrukturierung in fast allen Bereichen der Sauenhaltung. Hier spielen die Genetik der Muttertiere, ihr Verhalten und ihre Fruchtbarkeit eine große Rolle. Die Anzahl der Ferkel und die Dauer der Säugezeit sind ebenfalls Kriterien, die unbedingt beachtet werden müssen. Genauso wichtig sind ein optimales Stallsystem und ein umfangreiches und versiertes Management.

Doch entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung ist die Einstellung der Landwirte. Ein Schweinezüchter, der bereits seit Jahren ohne Kastenstände und Ferkelschutzkorb auskommt hat mir gesagt: "Man muss es auch wollen".

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2017, Seite 28-30
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2017

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