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ATOM/1031: Sicherheit zu fordern hilft nicht (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 646-647 / 2013 / 27. Jahrgang, 5. Dezember 2013

Sicherheit zu fordern hilft nicht
Über den Umgang mit dem Atommüll, damals bis heute.

von Thomas Dersee



Rückblick

Uranbergbau in Sachsen und Thüringen

Atommüll wird in Deutschland bereits seit mehreren Jahrhunderten erzeugt. Seit dem Mittelalter wurde als Reststoff des frühen Silberbergbaus im Erzgebirge "Pechblende" an die Erdoberfläche gebracht. 1789 erkannte der Chemiker Martin Klaproth es als eigenständiges Mineral und isolierte daraus das von ihm Uran genannte Oxyd. Von 1947 bis 1990 wurden in Sachsen und Thüringen von der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut 231.000 Tonnen Uranerz gefördert. Das ist der viertgrößte Uranerzbergbau der Welt nach der Sowjetunion (366.000 Tonnen), den USA (334.000 Tonnen) und Kanada (240.000 Tonnen).

Die Folge: Es gibt in Sachsen und Thüringen heute praktisch kein natürliches Gebirge mehr. Wir haben es mit einer Kunstlandschaft aus Abraumhalden und oberflächennahen Endlagern zu tun. Sie enthalten zwar keine künstlichen Radionuklide, wie sie in Atomkraftwerken und von Atombomben erzeugt werden, jedoch die gesamte Kette der Radionuklide aus der Uranzerfallsreihe, speziell das bei der Aufbereitung des Uranerzes nicht abgetrennte Thorium-230 und Radium-226 und seine Zerfallsprodukte, dabei das Radongas und seine Zerfallsprodukte mit dem in Geheimdienstkreisen neuerdings zu Mordzwecken verwendeten Polonium. Diese Rückstände nehmen nur mit der Halbwertzeit des Thorium-230 von rund 75.400 Jahren ab. Radioaktive Haldenmaterialien wurden auch als Baumaterial verwendet. [1,2,3]

Darüber regt sich heute in Sachsen und Thüringen kaum jemand bis niemand auf. Denn die Leute dort waren bislang nichts anderes gewohnt und jetzt heiße es ja, es wird saniert, begründen das die Bewohner. Lediglich die Bundestagsfraktion Die Linke sah sich neuerdings zu einer Kleinen Anfrage an die neue Bundesregierung veranlaßt. Die Abgeordneten wollen wissen, in welchen Halden und Absetzbecken der sieben Sanierungsstandorte in Sachsen und Thüringen seit 1990 zusätzlich radioaktive Stoffe und kontaminierte Rückstände eingelagert wurden und ob die eingelagerten radioaktiven Stoffe wieder zurückgeholt und in ein "Bundesendlager" gebracht werden sollen. [4]

Freigabe von Atommüll

Mit der Neufassung der Strahlenschutzverordnung im Jahr 2001 setzte die damalige rotgrüne Bundesregierung erstmals Regeln zur Freigabe von Atommüll zum Recycling, zum Verbrennen und zur Lagerung auf normalen Hausmülldeponien in Kraft. Atommüll wird demnach aus der atomrechtlichen Überwachung entlassen, "wenn für Einzelpersonen der Bevölkerung nur eine effektive Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert im Kalenderjahr auftreten kann." [5]

Davon wird der Verordnung zufolge ausgegangen, wenn für die einzelnen Radionuklide bestimmte Aktivitätskonzentrationen nicht überschritten werden. Für die uneingeschränkte Freigabe zur beliebigen Wiederverwertung und Verteilung in der Umwelt sind das zum Beispiel für Tritium (H-3) 1 Million Becquerel pro Kilogramm bzw. dem entsprechend pro Liter Wasser. Diese Stoffe werden dann formal nicht mehr als radioaktiv bezeichnet. Zur Beseitigung bzw. Ablagerung auf Deponien dürfen es sogar bis zu 60 Millionen Becquerel Tritium pro Kilogramm bzw. Liter sein und zur Verbrennung in Müllverbrennungsanlagen auch 1 Milliarde Becquerel Tritium pro Kilogramm. Normal wären weniger als 2 bis 3 Becquerel pro Liter Wasser, was der Nachweisgrenze entspricht.

10 Mikrosievert zulässige effektive Dosis pro Jahr (µSv/a) bedeutet jährlich für 5,5 bis 55 Menschen den Krebstod in einer Bevölkerung von 10 Millionen (den Annahmen der Internationalen Strahlenschutzkommission ICRP von 2007 zufolge bzw. nach unabhängigen Auswertungen der Daten von Hiroshima und Nagasaki). Hinzu kommen nicht tödliche Krebserkrankungen in ähnlicher Größenordnung und ein Mehrfaches an Nicht-Krebserkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen. [6-14]

Die Dosis [in Sievert] aus dem Einatmen der Radionuklide und ihrer Aufnahme mit der Nahrung errechnet sich aus einem Dosiskoeffizienten [in Sievert pro Becquerel, für die es telefonbuchdicke Listen gibt] und der Aktivität [in Becquerel]. Weil jedoch nur die Einhaltung von Aktivitätskonzentrationen [in Becquerel pro Gramm bzw. Kilogramm] vorgeschrieben ist und auch kein Register über die freigegebenen Mengen verlangt wird, läßt sich die Dosis daraus nicht errechnet. Deshalb kann die Einhaltung des Grenzwertes von 10 Mikrosievert pro Jahr gar nicht kontrolliert werden.

Beispiel: Das AKW Greifswald

Die Menge der Abrissmaterialien aus dem Atomkraftwerk Greifswald beträgt dem Eigentümer Energiewerke Nord zufolge 1,8 Millionen Tonnen. Davon sind 1,2 Millionen Tonnen "restriktionsfreie" Materialien, die nicht der Überwachung nach dem Atomgesetz bzw. der Strahlenschutzverordnung unterliegen, weil sie bestimmte Freigrenzen der Aktivität bzw. Aktivitätskonzentration nicht überschreiten. 500.000 Tonnen sind "freizumessende" Materialien und 100.000 Tonnen sind für die Lagerung in Zwischen- oder Endlagern bestimmt. Die Lagermenge beträgt also lediglich rund 5 Prozent, während 95 Prozent der Abrissmaterialien in die Umwelt freigesetzt bzw. zum Recycling freigegeben werden.

Entsorgungskonzepte

"Ins Meer schütten und unendlich verdünnen" war einst das Motto, bevor sich die Einsicht durchsetzte, daß die Weltmeere und ihre Aufnahmekapazität alles andere als unendlich groß sind. "In den Weltraum und zur Sonne schießen" - "unendlich weit weg" war ein Wunschtraum, bis man einsah, daß nicht jeder Raketenstart schadlos gelingen würde. Die Haltung "Aus den Augen, aus dem Sinn" und "Augen zu und durch" findet sich auch noch in dem heute propagierten Konzept der "Endlagerung in tiefen geologischen Schichten". Angeblich sollen sich unsere Nachfahren nach derart erfolgter Einlagerung um nichts mehr kümmern müssen.

Zum Beispiel: Der Atlantik

In der Antwort der Bundesregierung vom 27. August 2012 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heißt es immer noch, der Einfluß von freigesetzter Radioaktivität aus auf dem Meeresgrund versenkten Abfallbehältern auf die Nahrungskette sei gering. Das habe jedenfalls eine wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahre 2003 ergeben. Die Gesamt-Plutonium-Aktivität in dem Gebiet, in dem radioaktive Abfallfässer bis 1982 versenkt wurden, unterscheide sich "[nicht] signifikant von der des Vergleichsgebietes oder des übrigen Atlantiks". Und: "Der Einfluss der aus den Fässern freigesetzten Aktivität auf die Nahrungskette in Sediment-Nähe ist im Vergleich zu der vom globalen Kernwaffen-Fallout in dieser Tiefe angekommenen Aktivität als gering einzustufen".

Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass die insgesamt 480 Fässer, die von Deutschland im Atlantik versenkt wurden, "zumindest teilweise nicht mehr intakt sind und Radionuklide freigesetzt wurden". Denn die Fässer "waren nicht konzipiert, um einen dauerhaften Einschluss der Radionuklide am Meeresboden zu gewährleisten".

Zum Beispiel: Asse

1967 hatte die Bundesrepublik Deutschland das alte Salzbergwerk bei Wolfenbüttel erworben. Seitdem wurde es von staatlichen Einrichtungen betrieben: vom Helmholtz-Zentrum München, das sich früher GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit GmbH und davor Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung mbH (GSF) nannte. Die Schachtanlage Asse wurde als "Versuchsendlager" deklariert und als illegale Deponie betrieben. Und zwar ohne atomrechtliches Genehmigungsverfahren, weil sie nie den Anforderungen an ein Endlager genügte. Und auch ohne die Absicht, den eingelagerten Atommüll wieder zurückzuholen.

Inzwischen besteht jedoch die akute Gefahr des Einsturzes und der unkontrollierten radioaktiven Freisetzungen aus dem Salzbergwerk. Seit dem 1. Januar 2009 wird es nun vom Bundesamt für Strahlenschutz betrieben und am 28. Februar 2013 beschloß der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Beschleunigung der Rückholung von 126.000 Fässern mit radioaktiven Abfällen und zur Stillegung der Schachtanlage Asse II.

Zum Beispiel: Gorleben

Sigmar Gabriel (SPD) erklärte am 6. November 2007 zur Eröffnung einer "International Conference on Radioactive Waste Disposal in Geological Formations" in Braunschweig: "Das von mir im Herbst 2006 vorgelegte und in der Bundesregierung zur Diskussion gestellte Konzept basiert auf den 2002 entwickelten Vorschlägen des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd). Im Unterschied zu dem vom AkEnd vorgeschlagenen Auswahlverfahren, welches von einer weißen Landkarte ausgeht, berücksichtigt das Verfahren den Standort Gorleben in besonderem Maße, da dort bereits umfangreiche Erkundungen durchgeführt und 1,4 Milliarden Euro in das Projekt investiert wurden. Das Konzept sieht eine Prüfung dahingehend vor, ob sich Standortalternativen zu Gorleben aufdrängen, die ein höheres Sicherheitsniveau erwarten lassen bzw. aufweisen. Demnach sollte ein anderer Standort nur dann ausgewählt und erkundet werden, wenn er deutliche Sicherheitsvorteile gegenüber Gorleben verspricht."

Die Anforderungen an ein Endlager wurden zudem den Gegebenheiten in Gorleben angepaßt. Bereits 1983, nach Abschluß des Tiefbohrprogramms zur Erkundung des Salzstocks Gorleben war der damals federführenden Behörde, dem Physikalisch-Technischen Bundesamt (PTB) klar, daß über dem Salzstock keine durchgehende, Wasser abschirmende Tonschicht liegt. Mit dem Eintreten von Schadstoffen in den untersten Grundwasserleiter rechnete die PTB deshalb bereits nach 600 bzw. 1170 Jahren.

Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung hochaktiven Atommülls

Am 15. Juli 2009 veröffentlichte das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit neue "Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle" und löste damit Anforderungen aus dem Jahr 1983 ab. Für 1 Million Jahre sei nun zu zeigen, heißt es darin, daß "allenfalls geringe, definierte Schadstoffmengen aus dem Endlager freigesetzt werden können". Zumindest bis zum Verschluß müsse auch eine Fehlerkorrektur und die Bergung von atomaren Abfällen aus dem Endlager möglich sein. 500 Jahre lang sollen die Abfallgebinde der Korrosion standhalten.

Auf eine zweite geologische Barriere (Deckgebirge) über dem Endlagermedium wird nun verzichtet. Statt dessen wurde festgelegt, daß "für wahrscheinliche Entwicklungen das vom Endlager ausgehende zusätzliche Risiko eines Menschen kleiner als 10-4 ist, im Laufe seines Lebens einen schwerwiegenden Gesundheitsschaden (...) zu erleiden". Das heißt, 1 von 10.000 soll an Krebs sterben dürfen.

Für "weniger wahrscheinliche Entwicklungen" soll zudem ein Risiko bis 10-3 zulässig sein. Das bedeutet, auch bereits 1 von 1000 soll an Krebs sterben dürfen, wobei "das gleichzeitige Auftreten mehrerer unabhängiger Fehler nicht zu unterstellen" sei.

Diese Kriterien sollen als erfüllt gelten, wenn "aus den am Rande des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs freigesetzte radioaktive Stoffmengen für Einzelpersonen der Bevölkerung keine effektive Dosis größer als 0,1 mSv [0,1 Millisievert] im Kalenderjahr resultieren kann".

Tödliche Krebserkrankungen in Höhe von jährlich 1 von 181.800 (gemäß ICRP 2007) oder eher 1 von 43.000 bis 1 von 26.000 werden damit von den Beamten und Politikern im Bundesumweltminsterium als akzeptabel angesehen. Es unterließ zudem Aussagen zur möglichen Größe des Gesamtkollektivs.

Betrachtet man zum Beispiel den Landkreis Lüchow-Dannenberg (für Gorleben) mit heute circa 50.000 Einwohnern, bedeutet das den vorzeitigen Krebstod von jährlich 1 bis 2 Personen.

Für Wolfenbüttel (für Asse) mit heute circa 125.000 Einwohnern bedeutet das den vorzeitigen Krebstod von jährlich 3 bis 5 Personen.

Und über 1 Million Jahre summiert sich das zum zusätzlichen Krebstod von 1,2 bis 4,8 Millionen Menschen, die für die Endlagerung hochaktiver Atomabfälle akzeptiert werden sollen. [15]

Der AkEnd

Zur Erinnerung: Bereits im Oktober 2002 hatte der von der damaligen Bundesregierung eingesetzte Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) nach zweijährigen Beratungen ein 5 Verfahrensschritte umfassendes Konzept zur Standortsuche mit Beteiligung der Bürgerschaft vorgelegt und empfohlen, "vor der Suche nach einem Endlager einen gesellschaftlichen Diskurs durchzuführen, in dem die relevanten Interessengruppierungen und die allgemeine Öffentlichkeit einen Konsens über den Weg zur Auswahl eines Endlagerstandortes erarbeiten." Das Ergebnis dieses Diskurses sollte dem AkEnd zufolge dann politisch und rechtlich festgelegt werden, um so dem Verfahren ein Höchstmaß an Legitimität zu geben. Seit inzwischen 11 Jahren wurden jedoch seine Empfehlungen ignoriert und keinerlei entsprechende Schritte in Richtung eines gesellschaftlichen Diskurses unternommen. Und zwar weder von einer Bundes- oder Landesregierung noch von einer Partei, Kirche oder Gewerkschaft und auch von keiner Umwelt- oder sonstigen Nichtregierungs-Organisation.


Das neue Standortauswahlgesetz (StandAG)

Das am 27. Juli 2013 in Kraft getretene neue Standortauswahlgesetz [20] (siehe Kasten) spricht zunächst von einer Evaluierungsphase mit einer "Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe", die bis Ende 2015 Bundestag und Bundesrat Kriterien für die Endlagersuche empfehlen soll. Die Empfehlungen sind für den Gesetzgeber nicht bindend. Im Jahr 2014 soll zudem ein neues Bundesamtes für kerntechnische Entsorgung mit 245 Beamten neben dem Bundesamt für Strahlenschutz errichtet werden. Der Abschluß des Auswahlverfahrens ist bis zum Jahr 2031 vorgesehen und die Kostenschätzung dafür beläuft sich auf 2 Milliarden Euro.


Die Standortsuche soll dem Gesetz zufolge nach einem Prinzip der "weißen Landkarte" in dem Sinne erfolgen, daß kein Standort - auch nicht Gorleben - im Vorfeld ausgeschlossen wird. Eine Bürgerbeteiligung ist nicht vorgesehen. Das Gesetz sieht lediglich Informationsrechte, jedoch keine Mitentscheidungsrechte vor. Die Entscheidungen werden per Gesetz durch Bundestag und Bundesrat gefällt. Die juristischen Einspruchsmöglichkeiten der Bürger werden damit minimiert, indem behördliche Entscheidungen durch Parlamentsbeschlüsse ersetzt werden. Nur einmal wird nach der unterirdischen Erkundung die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Die bisher für die Genehmigungen zuständigen Bundesländer haben jetzt nur noch begrenzte Zuständigkeiten in der Erkundungsphase. Das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgung ist allein für Planfeststellung und Genehmigung zuständig - mit konzentrierter Entscheidungsmacht über Umweltverträglichkeit, Wasserrecht und Bergrecht.

Das Standortauswahlverfahren bezieht sich nur auf die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven, wärmeentwickelnden Müll. Mitverabschiedet wurde jedoch die Verlagerung der Zuständigkeiten für die Endlagerung aller Arten von Atommüll, also auch für schwach- und mittelradioaktiven Müll, auf den Bund und sein neues Bundesamt, wofür es dann allerdings keine parlamentarische Kontrolle wie beim hochaktiven Müll gibt.

Wenn Gorleben für den hochaktiven Müll ausfällt, kann sich das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung demnach praktisch im Alleingang Gorleben zum Beispiel für den aus der Asse hochgeholten Müll genehmigen.

Ein ehrlicher Neustart bei der Endlagersuche beträfe 13 Bundesländer, recherchierte Greenpeace anhand bisher bekannter geologischer Untersuchungen und veröffentlichte im Juni 2013 eine Karte, die aufzeigt, daß rund 80 Prozent aller möglichen Endlagerstandorte in Niedersachsen liegen. [16]

Die "Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe" nach dem StandAG

Die Kommission besteht aus 33 Mitgliedern, die von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Eine Vorsitzende bzw. ein Vorsitzender ohne Stimmrecht soll sie leiten. 8 Mitglieder aus allen Fraktionen des Deutschen Bundestages sowie 8 weitere Politiker als Vertreter der Landesregierungen besitzen dem Gesetz zufolge alle kein Stimmrecht in der Kommission, haben aber Stellvertreter. Dagegen sind 8 Wissenschaftler und 8 Vertreter der Zivilgesellschaft und zwar jeweils 2 aus Umweltverbänden, Religionsgemeinschaften, Wirtschaft und Gewerkschaften zwar mit Stimmrecht ausgestattet, haben aber keine Stellvertreter. Wie die Wahlvorschläge für die Kommissionsmitglieder zustande kommen, ist im Gesetz nicht geregelt. [21]

Die großen Umweltverbände BUND, Greenpeace, Robin Wood, die Atommüll-Konferenz am 31. August 2013 in Kassel und die Herbstkonferenz vom 18.-20. Oktober 2013 in Hamburg der Anti-Atom-Initiativen haben beschlossen, die beiden Sitze nicht zu besetzen. Sie protestieren damit gegen das Gesetz und kritisieren unter anderem, daß keine ernsthafte Absicht zur Einbindung der Öffentlichkeit in den Findungs- und Entscheidungsprozeß für die Handhabung des Atommülls und seine Lagerung zu erkennen ist. Im Gegenteil.

Die Arbeit der Kommission, wie sie jetzt im Endlagersuchgesetz definiert wurde, wird keine ausreichenden Möglichkeiten bieten, den geforderten breiten gesellschaftlichen Dialog über die Kriterien und die Vorgehensweise zur Standortsuche durchzuführen, stellte der Bundesvorstand des BUND für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. fest. Obwohl es zahlreiche fachliche und politische Gründe gebe den Standort Gorleben von vornherein aus der weiteren Endlagersuche auszuschließen, sei dieser Standort bewußt und gezielt in das weitere Verfahren aufgenommen worden, wird kritisiert. Alle Rufe danach, daß Bürger transparent und aktiv bei solch umweltrelevanten Vorhaben beteiligt und gegebenenfalls bei Entscheidungen über Volksentscheide einbezogen werden sollten, verhallten. Im Gegenteil straffe das Gesetz die Entscheidungswege. Es ermögliche Enteignungen und minimiere die juristische Einspruchsmöglichkeit der Bürger, indem behördliche Entscheidungen durch Parlamentsbeschlüsse ersetzt werden. Nur einmal werde nach der unterirdischen Erkundung die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Ansonsten bleibe nur der aufwendige Weg nach Karlsruhe. [17]

Der BUND will vielmehr nun unabhängig von der Arbeit der Kommission die gegenwärtige Diskussion auf breiter Basis fortsetzen und als ersten Schritt in einem öffentlichen Kongreß einen fachlichen Austausch über den Erkenntnisstand und die offenen Fragen zur Lagerung des hoch- und mittelaktiven Atommülls und auch der bedenklichen Freigaberegelungen führen, wie er in einem Beschluß der Delegiertenversammlung formulierte. [18]

Thesen

Sicherheit zu fordern hilft nicht. - Die Sicherheitshypothese hat sich nicht nur mit den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima als falsch erwiesen, sondern auch mit den Umgehensweisen bei den Atommülllagern Morsleben, Asse und Gorleben.

Statt dessen ist mit der Hypothese zu denken, daß das Mögliche und Denkbare immer geschieht und auch das Unerwartete und Ungeahnte geschehen kann. Nur wann es geschieht ist unklar. Unter der Voraussetzung und Annahme, daß Havarien geschehen, ist abzuwägen, ob wir - man selbst und die Bevölkerung - mit den Folgen auch ungeahnter Ereignisse noch weiter existieren und leben und die Art der neuen Existenz verantworten können. Inhaltsleeres und lediglich formales Handeln führte maßgeblich auch zu der Katastrophe von Fukushima. Zu diesen Einsichten gelangte zuletzt auch die Untersuchungs- und Gutachterkommission der japanischen Regierung zur Havarie im AKW Fukushima Daiichi [19]. Das gilt jedoch nicht nur für Katastrophen wie Kernschmelzen in Atomkraftwerken, sondern auch für den Umgang mit dem Atommüll.

Das "Standortsuchgesetz" lenkt die Aufmerksamkeit jetzt überwiegend auf ein "Endlager", wobei in der Öffentlichkeit bislang der Eindruck erzeugt wurde, das sei eine Lagerstätte für alle Ewigkeit, um die man sich nach der Einlagerung des Atommülls nicht mehr zu kümmern brauche und die einen absolut dichten und sicheren Einschluß gewährleiste. Diese Vorstellung ist falsch.

Erst wenn kein weiterer Atommüll mehr erzeugt wird, ist eine realistische und von Nebeninteressen befreite Sicht auf die Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu seiner Handhabung möglich. Das Gesetz ist einerseits eine Art Ermächtigungsgesetz, schafft andererseits zum heutigen Zeitpunkt aber nur eine leere Hülse. Es besteht lediglich ein Konsens der politischen Parteien, während der Konsens mit der Zivilgesellschaft nicht gesucht wurde.

Wir haben es jedoch mit einer Jahrtausendaufgabe zu tun und dafür ist mehr notwendig, als ein formales Regelwerk. Diese Aufgabe muß inhaltlich von den Menschen getragen werden und zwar über Generationen, alle Unwägbarkeiten und Nichtwissen hinweg. Was anstelle des Gesetzes zunächst notwendig ist, ist eine öffentliche und offene Erörterung des gesamten Problemkreises, weil vorher niemand verbindlich sagen kann, was nötig ist und was man an Folgen gesundheitlicher Art bis zur Änderung von Lebensweisen zu ertragen und auf nachfolgende Generationen zu übertragen bereit ist.



Anmerkungen

1. Kirchlicher Umweltkreis Ronneburg (Hrsg.): Geheime Verschluss-Sache Wismut, Der Ostthüringer Uranbergbau und seine Folgen für Mensch und Umwelt im Spiegelbild des Ministeriums für Staatssicherheit, Ronneburg 2012. Bezug: Frank Lange, Haus Nr. 8, 07554 Korbußen/Thüringen.

2. Frank Lange: Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen - Die Sanierung der Wismut-Altlasten in Thüringen,
www.strahlentelex.de/Stx_11_594_S07-14.pdf

3. Frank Lange: Die Verwendung radioaktiver Halden als Baumaterial, www.strahlentelex.de/Stx_13_642-643_S03-09.pdf

4. Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke: Dauerhafte Lagerung radioaktiver Abfälle in den Halden und Absetzbecken der Wismut GmbH, Bundestagsdrucksache 18/58 vom 08.11.2013

5. Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) vom 20. Juli 2001 (BGBl. I 2001, Nr. 38, S. 1714, BGBl. I 2002, Nr. 27, S. 1459), zuletzt geändert am 4. Oktober 2011 (BGBl. I 2011, Nr. 51, S. 2000)

6. Pflugbeil, Sebastian, Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.: "Bremer Erklärung" des Kongresses "Strahlenschutz nach der Jahrtausendwende" 9./10. Juni 2000, http://www.gfstrahlenschutz.de/bremen.htm

7. Pflugbeil, Sebastian: "Freigrenzen und Freigaben - der gefährlichste Punkt in der Novellierung der Strahlenschutzverordnung, http://www.gfstrahlenschutz.de/docs/freig.pdf

8. Pflugbeil. Sebastian: Brunnenvergifter sind am Werk - Die Freigrenzen- und Freigaberegelung für Strahlenmüll ist einer der gefährlichsten Punkte der neuen Strahlenschutzverordnung, Strahlentelex 348-349/2001 v. 5.7. 2001,
www.strahlentelex.de/Stx_01_34 8_S06-07.pdf

9. Dersee, Thomas / Messerschmidt, Heinrich: Für die unbeaufsichtigte Freisetzung von Strahlenmüll sind zig-tausendfach höhere Aktivitätskonzentrationen zulässig als für kontrollierte Ableitungen aus Strahlenschutzbereichen, Strahlentelex 352-353/2001 v. 6.9.2001,
www.strahlentelex.de/Stx_01_352_S01-03.pdf

10. Pflugbeil; Sebastian: "Uneingeschränkte Freigabe" von Atommüll nach der deutschen Strahlenschutzverordnung ist eingeschränkte Sicherheit für die Anwohner - Die deutsche Strahlenschutzverordnung ist sehr viel schlechter als die europäischen Empfehlungen vorgeben, Strahlentelex 392-393/2003 v. 1.5.2003,
www.strahlentelex.de/Stx_03_392_S03-04.pdf

11. Messerschmidt, Heinrich: Die Regelungen zur Freigabe radioaktiver Abfälle können zu schweren Körperschäden und sogar zu Tötungen führen - Schwere Mängel der Strahlenschutzverordnung, Strahlentelex 444-445 v. 7.7.2005,
www.strahlentelex.de/Stx_05_444_S01-03.pdf

12. Dersee, Thomas: Brunnenvergiftung durch Freigabe von Atommüll in die Umwelt - Freigabe von radioaktiven Reststoffen nach dem Konzept der "Kontrollierbaren Dosis". Strahlentelex 564-565/2010 v. 1.7.2010,
www.strahlentelex.de/Stx_10_564_S02-03.pdf

13. Dersee, Thomas: Große Mengen Atommüll vorgeblich "freigemessen" und wie gewöhnlicher Müll auf Deponie abgelagert - Sogenannte Freimessungen von Atommüll sind ein Bluff. Der Eigentümer des Atomkraftwerks Lubmin führt sie selbständig durch. Die tatsächlich in den Abfällen aus dem Abriß des Atommeilers enthaltenen Radionuklide und deren Aktivität werden nicht ermittelt. Strahlentelex 570-571 v. 7.10.2010,
www.strahlentelex.de/Stx_10_570_S09-10.pdf

14. Dersee, Thomas: "Freigemessene" Radionuklide aus dem Rückbau von Atomkraftwerken werden mit Sickerwässern aus Deponien freigesetzt, Strahlentelex 638-639/2013 v. 1.8.2013,
www.strahlentelex.de/Stx_13_638-639_S06-07.pdf

15. Dersee, Thomas: Für die Endlagerung sind bereits Millionen Krebstote kalkuliert. Strahlentelex 542-543/2009 v. 6.8.2009,
www.strahlentelex.de/Stx_09_542_S01-03.pdf

16. Steffens, Beate: Ehrlicher Neustart bei der Endlagersuche beträfe 13 Bundesländer, Greenpeace 20.06.2013,
http://www.greenpeace.de/themen/atomkraft/nachrichten/artikel/ehrlicher_neustart_bei_der_endlagersuche_betraefe_13_bundeslaender- 1/

17. BUND Bundesvorstand, Beschluß vom 9.8.2013

18. BUND Delegiertenversammlung, Beschluß vom 24.11.2013

19. HATAMURA Yôtarô, von Juni 2011 bis September 2012 Leiter der Untersuchungs- und Gutachterkommission der japanischen Regierung zur Havarie im AKW Fukushima Daiichi am 11. März 2013 in der Botschaft Japans in Berlin, Strahlentelex 630631/2013 v. 4.4.2013
www.strahlentelex.de/Stx_13_630-631_S02-03.pdf

20. Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (Standortauswahlgesetz - StandAG) vom 23. Juli 2013, BGBl 2013 I Nr. 41, 26. Juli 2013, S. 2553-2564
http://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Atomenergie/StandAG_BGBL_I__Nr__41_lesefassung.pdf

21. Die Aufforderung vom 15. April 2013, innerhalb von 2 Tagen "eventuelle Anmerkungen" zum Gesetzentwurf abzugeben ("Verbändeanhörung"), erhielten der BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Deutsche Umwelthilfe, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Deutsche Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag (DST), das Deutsche Atomforum (DAtF), Greenpeace, die Hermann von Helmholtz Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF), die Kerntechnische Gesellschaft (KTG), der Naturschutzbund Deutschland (NABU), der Wirtschaftsverband Kernbrennstoff-Kreislauf und Kerntechnik (WKK) und die Deutschland-Zentrale des WWF.


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_13_646-647_S01-06.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Dezember 2013, Seite 1-6
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2014