Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ABFALL

ATOM/1081: Die real existierende Atommüll-Kommission (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 123/4.2014

Die real existierende Atommüll-Kommission

Von Tobias Darge



Zoff in der Anti-Atom-Szene. Im April hat der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) beschlossen, an der vom Bundestag eingesetzten "Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" teilzunehmen - entgegen dem Votum fast aller Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände, darunter auch ROBIN WOOD.

Die Anti-Atom-Bewegung befürchtet, dass der Konflikt um die Castor-Transporte ins Wendland und die Suche nach einer dauerhaften Lösung für den Umgang mit dem Atommüll durch die Einbindung der Umweltverbände ähnlich entschärft werden soll, wie der Konflikt um den Bau des Bahnhofs "Stuttgart 21" durch die Schlichtung mit Heiner Geißler. Außerdem laufen weiter neun Atomkraftwerke in Deutschland, die letzten zwei bis 2022, und produzieren Atommüll. Unter diesen Voraussetzungen lehnen die Anti-Atom-Gruppen eine Beteiligung ab.

Organisationen wie Greenpeace und .ausgestrahlt halten hingegen ein politisches Verfahren zur Lösung des Konflikts theoretisch für denkbar, aber nur unter anderen Bedingungen: Sie bemängeln zum einen, dass Gorleben im Topf bleibt, obwohl der Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestages nachgewiesen hat, dass dieser Standort geologisch ungeeignet und politisch verbrannt ist. Zum anderen kritisieren sie, dass die Bevölkerung nicht von Anfang an das Verfahren wählen und inhaltlich mitbestimmen konnte. Stattdessen haben PolitikerInnen das Endlagersuchgesetz ausgekungelt und beschlossen. Und nun soll nachträglich eine Kommission mit gesellschaftlichen Gruppen noch einmal darüber gucken.

Seit dem 22. Mai hat die Kommission viermal getagt. Von den ersten Sitzungen gibt es allerdings, trotz versprochener größtmöglicher Transparenz, keine Protokolle. Daher hat .ausgestrahlt mit Hilfe von 50 Freiwilligen von den ersten beiden Sitzungen aus dem Live-Stream ein Protokoll erstellt. Die .ausgestrahlt-Protokolle haben die Kommission so sehr unter Druck gesetzt, dass sie nun doch selbst Protokolle schreibt und veröffentlicht. Ansonsten hat sich die Kommission zunächst einmal mit ihrem Selbstverständnis und der Geschäftsordnung befasst. Inhaltlich geht es kaum voran. Dabei wachsen der Politik die Atommüll-Probleme über den Kopf. Für die 26 noch ausstehenden Castoren mit hoch radioaktivem Atommüll aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich und Großbritannien gibt es nach wie vor keine Zielbahnhöfe. Gorleben wurde im Suchgesetz ausgeschlossen, die Bundesländer weigern sich Alternativen zu benennen. Dabei wollte Bundesumweltministerin Hendricks bis spätestens Ostern 2014 eine Lösung präsentiert haben. In den Kavernen des AKW Brunsbüttel und vermutlich auch Krümmel rosten Atommüllfässer vor sich hin. In Brunsbüttel hat man festgestellt, dass radioaktiver Cäsium-Brei ausgelaufen ist. Auch im AKW Stade leckt radioaktives Wasser aus dem Primärkreislauf und hat den Boden kontaminiert. So wird sich der Rückbau des im Jahr 2003 abgeschalteten AKWs um drei bis vier Jahre auf insgesamt 15 bis 16 Jahre also bis 2018/19 verzögern.

Die Atomkonzerne bereiten derweil Schadensersatzklagen in zweistelliger Milliardenhöhe vor, wollen die Rückstellungen für AKW-Rückbau und Endlagerung in eine "Bad Bank" auslagern und haben jetzt auch noch Widerspruch gegen ihre Kostenbeteiligung an den Endlager-Projekten Gorleben und Schacht Konrad eingelegt. Das ist grotesk, weil die AKW-Betreiber gleichzeitig auf eine rasche Inbetriebnahme des für schwach- und mittel-radioaktive Abfälle vorgesehenen Endlagers Konrad drängen, das 2022 in Betrieb gehen soll.

Vor der 4. Sitzung der Atommüll-Kommission am 22. September 2014 hagelte es Kritik: Umweltverbände legten in Rechtsgutachten dar, dass der geplante Export von 152 Castoren von Jülich in die USA illegal sei. .ausgestrahlt drapierte vor dem Bundestag eine Wand aus Postkarten gegen den Export. Jörg Sommer, Vorsitzender der Umweltstiftung und Mitglied der Kommission, sieht durch diesen "eindeutigen Rechtsbruch" deren Arbeit gefährdet: "Wir brauchen nicht über den Umgang mit dem Atommüll in Deutschland zu reden, wenn er gleichzeitig illegal ins Ausland verschoben wird." Bundesforschungsministerin Wanka verteidigte in der Kommission nicht nur den Atommüll-Export, sondern auch die Fusionsforschung.

Es wurde eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung des Endlager-Such-Gesetzes gebildet, die vom Vertreter des BUND, Klaus Brunsmeier, und dem Gorleben-Hardliner und ehemaligen Ministerialdirektor im Bundesumweltministerium, Hubert Steinkemper, geleitet wird.

Ab November will die Atommüllkommission beginnen, über das Gesetz zu reden. Der BUND muss bald Erfolge vorweisen, denn vom 21. bis zum 23.11.2014 findet in Berlin die jährliche Delegierten-Versammlung statt, das oberste Beschluss-Gremium: Die letzte Delegierten-Konferenz hatte Ende 2013 beschlossen, nicht an der Atommüll-Kommission teilzunehmen.

Noch Anfang 2014 gab es keinen Umweltverband, der die beiden Plätze in der Kommission einnehmen wollte. Während .ausgestrahlt den BUND und die Umweltstiftung dazu aufruft, die Kommission wieder zu verlassen, argumentiert Martin Donat als Vorsitzender der BI-Lüchow-Dannenberg: "Das Problem ist nicht die Kommission, sondern das Endlager-Suchgesetz, in dem viele Punkte stehen, die befürchten lassen, dass es wieder auf Gorleben als Standort für ein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll hinauslaufen soll. Und wenn die Politik uns sagt, dass die Kommission die einzige Möglichkeit ist, das Gesetz zu ändern, dann sollte man diese nutzen", argumentiert Donat weiter. Der Greenpeace-Berater Reinhard Überhorst, der von 1979 bis 1980 als SPD-Bundestagsabgeordneter die erste energiepolitische Enquete-Kommission geleitet hat, vergleicht die Atommüll-Kommission mit der DDR und fragt: "Sollen wir die anerkennen?" Derweil plädiert die BI Lüchow-Dannenberg für einen "Wandel durch Annäherung" und würde erscheinen, wenn die Kommission zu einer Anhörung einladen würde.

Die ROBIN-WOOD Fachgruppe Energie hat das Thema am 28. September in Göttingen diskutiert und war der Meinung, dass es die Aufgabe von ROBIN WOOD ist, die Arbeit der Kommission kritisch zu begleiten, aber sie nicht durch zu viel Aufmerksamkeit aufzuwerten. Stattdessen sollte auf die Atommüll-Probleme an über 100 Orten in Deutschland hingewiesen werden: Während in Berlin geredet wird, laufen im Land neun AKWs und die Atomtransporte gehen weiter.


Tobias Darge, Energiereferent von ROBIN WOOD, hat vorher bei .ausgestrahlt gearbeitet


Die 33 Mitglieder zählende Atommüll-Kommission besteht aus VertreterInnen der Wissenschaft und gesellschaftlicher Gruppen sowie Mitgliedern von Landesregierungen und des Deutschen Bundestages. Den Vorsitz teilen sich Ursula Heinen-Esser (CDU) und Michael Müller (SPD).


Lesen Sie dazu auch im ROBIN WOOD Blog: www.robinwood.de/wordpress/blog/energie/2014/09/waehrend-die- atommuellkommission-tagt-wird-in-hamburg-wieder-uran-umgeschlagen

*

Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 123/4.2014, Seite 32 - 33
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
Verlag: ROBIN WOOD-Magazin
Langemarckstr. 210, 28199 Bremen
Tel.: 0421/59 828-90, Fax: 0421/59 828-72
E-Mail: magazin@robinwood.de
 
Magazin zu beziehen über:
Robin Wood e.V. Bremen, Geschäftsstelle
Postfach 10 21 22, 28021 Bremen
Tel.: 0421/59 828-8, Fax: 0421/59 828-72
E-Mail: info@robinwood.de
Internet: www.robinwood.de
 
Erscheinungsweise: vierteljährlich
Jahresabonnement: 12,- Euro inkl. Versand
Der Bezug des ROBIN WOOD-Magazins
ist im Mitgliedsbeitrag enthalten


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2014