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ATOM/1272: Verlängerte Zwischenlagerung wärmeentwickelnder Abfälle (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 738-739 / 31. Jahrgang, 5. Oktober 2017 - ISSN 0931-4288

Atommüll Verlängerte Zwischenlagerung wärmeentwickelnder Abfälle
- ein wissenschaftlich orientierter Beitrag zur Positionsbestimmung der Umweltbewegung

von Dr. Rainer Moormann


Zusammenfassung

Seit einigen Jahren besteht Konsens dahingehend, dass die Zwischenlagerung wärmeentwickelnder Abfälle (also vorwiegend abgebrannte Brennelemente) in Deutschland verlängert werden muss, weil ein Endlager nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen wird. Diese Verlängerung bringt Probleme, weil die zur Lagerung erforderlichen Nachweise nur für den ursprünglich vorgesehen Zwischenlagerzeitraum von maximal 40 Jahren geführt wurden. In dieser Arbeit wird aus wissenschaftlicher Sicht diskutiert, welche Forderungen die Umweltbewegung aus sicherheitstechnischem Blickwinkel an eine verlängerte Zwischenlagerung stellen sollte. Es wird aufgezeigt, dass Forderungen nach Heissen Zellen an allen Zwischenlagerstandorten wenig zielführend sind, unter anderem weil die in Teilen der Umweltbewegung verbreitete Meinung, eine nukleare Explosion in Castoren sei aufgrund von Alterungseffekten während der Zwischenlagerung möglich, kaum haltbar ist. Das Sicherheitsrisiko der Zwischenlagerung liegt nämlich weniger in anlageninternen Störfällen, sondern ganz überwiegend in Einwirkungen von außen (EVA) / Störmaßnahmen und sonstigen Einwirkungen Dritter (SEWD), zum Beispiel (gezieltem) Flugzeugabsturz. Das hat seine Ursache darin, dass das radioaktive Inventar eines Zwischenlagers zwar - auch im Vergleich mit laufenden AKW - hoch ist, dass aber die treibenden Kräfte für eine Mobilisierung signifikanter Anteile des Inventars bei anlageninternen Störfällen im Zwischenlager nicht gegeben sind, wohl aber bei SEWD/EVA.

Daher sollte die Umweltbewegung schwerpunktmäßig Entwicklungsarbeiten für Zwischenlagerkonzepte mit erhöhtem SEWD/EVA-Schutz fordern, damit diese Optionen nicht schon wegen fehlender technischer Reife ausgeschlossen werden müssen: Da einerseits kaum diesbezügliche Arbeiten laufen, andererseits das Zeitfenster bis zur Entscheidung über eine zukünftige Zwischenlagerung mit maximal circa 10 Jahren recht eingeschränkt ist, sind entsprechende Forderungen von hoher Dringlichkeit. Dringlich sind auch Forderungen nach durchgreifenden Verbesserungen des SEWD-Schutzes bei Castortransporten. Unabhängig von Sicherheitserwägungen sind Forderungen nach detaillierter Untersuchung repräsentativer Castoren nach 25 bis 30 Jahren Lagerzeit in vorhandenen Heißen Zellen sinnvoll, da die erforderlichen Nachweise für eine verlängerte Zwischenlagerung anders kaum überzeugend zu erbringen sind. Wegen der hohen Kosten werden solche Untersuchungen wohl unterbleiben, wenn sie nicht explizit eingefordert werden. Darüber hinaus ist eine Klärung des Inventars von circa 60 der 152 in Jülich gelagerten AVR-Castoren durch Untersuchungen in Heißen Zellen angezeigt, da es bezüglich deren Inventare inakzeptable Unsicherheiten gibt. Eine Ausweitung des für die Umweltbewegung arbeitenden Expertenkreises ist anzuraten.

Hintergrund

Wärmeentwickelnde Abfälle werden in Deutschland in gusseisernen Castorbehältern mit Doppeldeckeldichtung zwischengelagert, die sich in Trockenlagergebäuden befinden. Das Nasslager Obrigheim wird derzeit aufgelöst. Zwischenlagerung ist notwendig, um den Zeitraum bis zur Aufnahmebereitschaft eines Endlagers zu überbrücken; außerdem sinkt die Wärmeentwicklung während der Zwischenlagerung auf Werte, die für ein Endlager akzeptabel sind. Die Zwischenlager sind für eine Lagerzeit von 40 Jahren (Jülich: 20 Jahre) genehmigt.

In Deutschland müssen insgesamt etwa 1.900 Castorbehälter zwischengelagert werden [10]. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick zu diesen Castoren.


Tabelle 1: Anzahl der zwischenzulagernden Castoren


Zum Verständnis der trotz eines Anteils (2002) von weniger als 0,2 Prozent an der deutschen Atomstromerzeugung großen Zahl von Hochtemperaturreaktor(HTR)-Castoren ist anzumerken, dass die HTR-Castoren deutlich kleiner sind als Leichtwasserreaktor (LWR)-Castoren, und dass bei Kugelhaufenreaktoren der gesamte Graphitmoderator mit entsorgt werden muss, was zu einem etwa 40-fach größeren Atommüllvolumen verglichen mit LWR führt und die Entsorgung enorm verteuert.

Aktuell werden die in Tabelle 2 beschriebenen Grundtypen von Zwischenlagern betrieben.


Tabelle 2: Grundtypen von Zwischenlagern


Es ist offensichtlich, dass die Genehmigungen nicht bis zur Betriebsbereitschaft eines Endlagers (geplant frühestens 2051, realistisch Jahrzehnte später) reichen. Eine Phase der verlängerten Zwischenlagerung ist daher zwingend. Von einer Zwischenlagerungsdauer von insgesamt bis zu 100 Jahren ist auszugehen.

Aktuell besitzen zwei der betriebenen Lager keine Genehmigung - Brunsbüttel und Jülich. Dabei gibt es jedoch erhebliche Unterschiede: Jülich, zweifellos das unsicherste deutsche Zwischenlager, bestand als einziges Lager den Stresstest 2013 nicht (schwere Mängel beim Schutz gegen Terrorismus und Erdbeben); es konnte formal nicht mehr geduldet werden, da es aus Sicherheitsgründen keine realistischen Aussichten auf eine auch nur auf 3 Jahre befristete Verlängerung der Lagergenehmigung gibt. Diese Genehmigung ist zwar seit Jahren beantragt, aber es gibt laut Genehmigungsbehörde wegen des unzureichenden Charakters und wegen qualitativer Mängel der Genehmigungsunterlagen keine Fortschritte. Es gibt Anzeichen, dass von Jülicher Seite sowohl die Verlängerung des aktuellen Lagers als auch der Neubau eines Lagers hintertrieben wurden. So äußerte der Aufsichtsratsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich (FZJ), es sei notwendig, den Forschungsstandort Jülich "kernbrennstofffrei" zu machen und damit von imageschädigenden Altlasten zu befreien. Die formale Räumungsanordung von 2014 entspricht faktisch einer weiteren Duldung, da die unsichere Lagerung in Jülich als alternativlos gilt. Aktuell ist geplant, die 152 Jülicher Castoren nach Ahaus (Einlagerungsgenehmigung wurde erteilt, Transportgenehmigung fehlt), und wegen der enormen Entsorgungsprobleme von Kugelbrennelementen zusammen mit den 303 Kugelcastoren des Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktors (THTR) Hamm von dort später zur Wiederaufarbeitung in eine militärische Anlage in den USA zu bringen.

Brunsbüttel gehört demgegenüber zum aktuell vergleichsweise sichersten STEAG-Lagertyp. Aufgrund eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Schleswig wurde die Genehmigung 2013 aufgehoben. Die Aufsichtsbehörde duldet das Lager weiterhin formal (aktuell bis 2018), da sie gute Aussichten für eine Neugenehmigung sieht. Dieser Neugenehmigungsprozess ist weit fortgeschritten, der Erörterungstermin der Öffentlichkeitsbeteiligung fand im Juni 2017 statt. Zum OVG-Urteil ist anzumerken, dass es aufgrund von Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten gefällt wurde, nicht (im Unterschied zur Situation in Jülich) aufgrund von konkreten Sicherheitsdefiziten [11], die andererseits aber nicht ausgeschlossen werden können. Eine Übertragung des Urteils auf andere Lager, bei denen diese Defizite sogar verstärkt auftreten und schwere Sicherheitsdefizite wahrscheinlicher sind, scheint wegen des Bestandsschutzes der Genehmigungen und der im Vergleich zu AKW geringeren Auswirkungen wenig aussichtsreich [11]. Im Einzelnen bemängelte das OVG, dass:

  • Kriterien zur Umsiedlung bei der Sicherheitsermittlung unberücksichtigt blieben,
  • die angenommene Branddauer beim Flugzeugabsturz nur 80 Prozent der Fälle abdeckt (statt wie allgemein üblich 95 Prozent),
  • der Flugzeugtyp A380 nicht berücksichtigt wurde,
  • die Wirkung panzerbrechende Waffen des neuesten Typs nicht transparent untersucht wurde.

Es ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den meisten strittigen Punkten der Argumentation von Betreibern und des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) folgte, zum Beispiel bedauerlicherweise beim so sensiblen Aspekt eines flachen Anflugwinkels eines Flugzeugs.

Berücksichtigt man noch die Reserven bei der Dosisermittlung und bei Gegenmaßnahmen (Mauer), halte ich es insgesamt für wenig wahrscheinlich, dass eine Neugenehmigung aus sicherheitstechnischen Gründen versagt werden kann und wird - was ich rein aus Sicherheitssicht aber für durchaus problematisch halte. Eine neuerliche gerichtliche Aufhebung einer Genehmigung in Brunsbüttel würde zudem faktisch das gesamte Zwischenlagerungskonzept in Deutschland ad absurdum führen, da es den sicherheitstechnisch besten Lagertyp betrifft. Für ein Urteil mit so weitreichenden Konsequenzen reichen meiner Meinung nach die vom OVG akzeptierten Defizite, soweit sie im neuerlichen Genehmigungsantrag nicht ausreichend beseitigt sein sollten, bei realistischem Blick auf den Rechtsalltag kaum aus.

Sollte es andererseits zu einer bestandskräftigen Neugenehmigung in Brunsbüttel kommen, könnte sich das OVG-Urteil von 2013 sogar als Pyrrhussieg für die Umweltbewegung erweisen, da eine Neugenehmigung dem STEAG-Lagertyp automatisch den zum Genehmigungszeitpunkt gültigen Stand von Wissenschaft und Technik bescheinigen würde, was die Weiternutzung aller Lager dieses Typs in der Phase einer verlängerten Zwischenlagerung wesentlich erleichtern würde.

Insgesamt scheint mir, dass die Bedeutung des OVG-Urteils in der Umweltbewegung aktuell eher überschätzt wird. Als zentrale Aspekte sehe ich an, dass das Gericht verdeutlicht hat, dass offensichtliche Genehmigungsfehler nicht akzeptiert werden und dass SEWD eine zentrale Bedeutung zukommt. Letzteres darf als Hinweis gewertet werden, dass die weniger als das STEAG-Konzept gegen SEWD geschützten anderen Lagertypen kaum Aussichten auf eine Verlängerung haben - es sei denn, die Genehmigungsanforderungen werden gesetzlich aufgeweicht.

Wichtig erscheint mir, aus dem ausgeprägten Negativbeispiel Jülich die richtigen Schlüsse zu ziehen: Ein unstrittig unsicheres Zwischenlager wird über Jahre faktisch nicht nur weiter geduldet, sondern es wird von der Aufsichtsbehörde auch kein ausreichender Druck auf die Betreiber ausgeübt, hier für Abhilfe (Neubau in Jülich) zu sorgen. Der unsichere Zustand des Lagers und die Unmöglichkeit einer Genehmigungsverlängerung sind seit mindestens 2006 bekannt. Formal ist allerdings schon die fahrlässige ungenehmigte Aufbewahrung von Kernbrennstoff mit Freiheitsentzug strafbewehrt. Die Staatsanwaltschaft Aachen hat dennoch Ermittlungen wegen der fahrlässigen Herbeiführung einer ungenehmigten Aufbewahrung von Kernbrennstoff abgelehnt. Gestützt wurde das auf ein Gutachten der Aufsichtsbehörde, gemäß dem die Aufbewahrung zwar ungenehmigt und nicht geduldet sei, aber alternativlos und damit nicht rechtswidrig sei. Dieses Vorgehen dürfte als Freibrief für einen lässigen Umgang mit Genehmigungsverlängerungen auch bei anderen Zwischenlagern verstanden werden. Es wird eine wichtige Aufgabe der Umweltbewegung sein, solchen Entwicklungen entgegenzusteuern.

Sicherheitsaspekte von Zwischenlagern

Um Anforderungen an eine verlängerte Zwischenlagerung belastbar begründen zu können, ist zuerst ein Überblick zu deren Sicherheit erforderlich. Dabei sind zwei Gesichtspunkte von Interesse: zum einen das radiotoxische Inventar und zum anderen die Mechanismen, die zu seiner Freisetzung in die Umgebung führen können.

Hinsichtlich des Inventars ist die Antwort einfach: Von den in AKW-Störfällen risikodominierenden Nukliden Jod-131, Cäsium-137 und Strontium-90 sind die beiden Letzteren wegen ihrer relativ langen Halbwertszeit von rund 30 Jahren noch in erheblichen Mengen im Zwischenlager vorhanden. Das Inventar an diesen Nukliden in einem Castor mit Leichtwasserreaktor (LWR)-Brennelementen liegt abhängig von Beladung und Abklingzeit bei rund 109 Gigabecquerel (GBq). Für die meisten Zwischenlager gilt damit sogar, dass sie deutlich mehr an diesen beiden Nukliden enthalten als der Kern eines in Betrieb befindlichen großen Leichtwasserreaktors.

Aus dem Blickwinkel der Radiotoxizität erfordern Zwischenlager daher höchste Aufmerksamkeit. Neben diesen Nukliden enthalten Castoren noch hohe Aktivitäten einiger leicht flüchtiger Nuklide wie Krypton-85 und Tritium, die aber weit weniger radiotoxisch sind. Zur quantitativen Einordnung der Radiotoxizität bietet das deutsche Strahlenschutzrecht zwei Grenz- bzw. Richtwerte an: Zum einen die Störfallplanungswerte, welche für Auslegungsstörfälle in Nuklearanlagen nicht überschritten werden dürfen (hinreichende Schadensvorsorge), da Auslegungsstörfälle nur bei deren Unterschreitung als beherrscht gelten, sowie die Eingreifrichtwerte für Notfallschutzmassnahmen im auslegungsüberschreitenden Bereich. Die zugehörenden Dosiswerte sind zwar von ähnlicher Größe, werden aber sehr unterschiedlich berechnet und sind daher nicht vergleichbar. Tabelle 3 enthält die maximal zulässigen Emissionen, damit die vorgenannten Grenz- und Richtwerte bei einem Aufpunkt von 100 Metern vom Emissionspunkt nicht überschritten werden und zwar für Emissionshöhen von 20 und 50 Metern [7]. Sie gelten für die kritische Bevölkerungsgruppe für die Emission jeweils eines Nuklides. Bei mehreren Nukliden sind die Emissionen entsprechend verringert. Während die Emissionswerte für die Störfallplanungswerte als scharfe Grenzwerte zu verstehen sind, sind die Eingreifrichtwerte so zu verstehen, dass die Notfallschutzmaßnahmen ausgeschlossen werden können, wenn die entsprechenden Emissionen nicht überschritten werden. Die real zulässigen Emissionen liegen in der Regel höher, da sie von der Besiedlung und der aktuellen Wetterlage abhängen.


Tab.3: Grenz-/Richtwerte bei Störfällen. Werte in Gigabecquerel (= 1 Mrd. Bq)


Für Krypton-85 liegen die zum Erreichen der Störfallplanungswerte erforderlichen Emissionen um mehr als 5 Größenordnungen höher.

Hingewiesen sei auf den niedrigen Eingreifrichtwert für die Umsiedlung im Vergleich zur Evakuierung für Cäsium (Cs). Dass die Umsiedlung bei den SEWD-Untersuchungen für Zwischenlager unberücksichtigt blieb, und dass die Genehmigungsbehörde BfS das mitgetragen hat, erscheint mir wenig vertrauenerweckend in Hinblick auf ein am Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung orientiertes Genehmigungsverfahren. Der sehr niedrige Eingreifrichtwert/Evakuierung von Strontium (Sr) kommt wegen der guten Strontium-Rückhaltung bei Temperaturerhöhung (siehe unten) wohl nur bei Hohlladungsbeschuss mit Brennstoffpulverisierung zum Tragen. Sollte Strontium dabei allerdings unberücksichtigt geblieben sein, wäre das ein weiterer Grund, am sicherheitsorientierten Ablauf von Genehmigungen zu zweifeln. Die beiden genannten niedrigen Eingreifrichtwerte müssten nämlich jedem Experten für Dosisermittlung bekannt sein.

Weniger klar ist die Lage bei den Freisetzungsmöglichkeiten. Die Inventare liegen überwiegend eingeschlossen in das Kristallgitter der Urandioxidmatrix vor. Anteile von jeweils weniger als 1 Prozent (Cs, Sr) befinden sich im Zwischenraum von Pellets und Hüllrohren beziehungsweise auf Korngrenzen der Pellets und sind daher leichter mobilisierbar. Hohe Freisetzungen aus der Urandioxidmatrix erfordern Temperaturen über 1750°C oder mechanische Zerstörung und Pulverisierung der Brennstoffpellets. Das radiologisch besonders bedenkliche Sr-90 wird bei Temperaturen unter 1400°C auch aus den leichter mobilisierbaren Zuständen kaum verflüchtigt. Das gilt allerdings nur eingeschränkt für einige Jülicher Castoren, da störfallbedingt im Reaktorbetrieb des Versuchsreaktors Jülich (AVR) bereits in großem Umfang hoch mit Strontium beladener Feinststaub entstanden ist. Außerdem enthalten etwa 80 Prozent der Jülicher Brennelemente keine oxidische, sondern eine carbidische Uranmatrix, aus der die Strontiumfreisetzung bei deutlich niedrigeren Temperaturen einsetzen könnte. Ähnliches gilt für metallische Forschungsreaktorbrennelemente. Beim Cäsium liegen die zur merklichen Verflüchtigung erforderlichen Temperaturen aus den leichter mobilisierbaren Anteilen mit über 800°C deutlich niedriger. Der Siedepunkt der anzunehmenden stabilsten Cs-Verbindung CsOH liegt nämlich bei circa 1250°C. Schon bei langandauernden Bränden könnte es also zu einer teilweisen Verflüchtigung von Cäsium kommen. Auch Kr-85 mit seinem Siedepunkt von -152°C bleibt im Normalbetrieb eines Zwischenlagers großenteils in der Uranoxidmatrix eingeschlossen, wie die Nachuntersuchung eines Castorbehälters in den USA zeigte. Allerdings könnten bereits mechanische Effekte die leichter mobilisierbaren Korngrenzenanteile im Prozentbereich mobilisieren.

Bezüglich der Freisetzung in die Umgebung ist zu berücksichtigen, dass neben der Uranoxidmatrix noch die Brennstabhüllen und das Doppeldeckeldichtungssystem des Castors als Barrieren vorhanden sind. Während nach gegenwärtigem Stand der Kenntnis ein Versagen von Brennstabhüllen im ungestörten Zwischenlagerbetrieb nicht auszuschließen ist, gibt es keine Anhaltspunkte für ein systematisches Versagen des Doppeldeckeldichtungssystems oder für ein Versagen beider Deckel aus gemeinsamer Ursache. Denkbar wäre Letzteres nur, wenn es durch Alterungseffekte oder Ähnliches zur Rekritikalität im Castor mit Leistungsexkursionen kommen könnte. Das wird von Teilen der Umweltbewegung zwar neuerdings unterstellt [3,4], hält aber, wie separat gezeigt wird, einer kritischen Überprüfung kaum stand. Bei einem unterstellten Versagen beider Deckeldichtungen wäre zwar auch ohne Temperaturerhöhung eine größere Kr-85 Emission anzunehmen, diese würde aber nicht zur Überschreitung des Störfallplanungswerts/Eingreifrichtwerts für die Evakuierung führen.

Aus dieser Charakterisierung der Freisetzungsmöglichkeiten lässt sich ableiten, dass katastrophale Freisetzungen im Zwischenlager nur durch Einwirkungen von außen (EVA) anzunehmen sind, da die für AKW typischen anlageninternen Freisetzungsmechanismen wie Kernschmelze aufgrund der Nachzerfallswärme, Kritikalitätsstörfälle oder Corebrände nicht existieren. Für anlageninterne Ereignisse sind Voraussetzungen für hohe Freisetzungen wie hohe Temperaturen (fehlende Brandlasten) oder schwerste mechanische Beschädigungen einschließlich der Dichtungen, nicht erkennbar. Brände des Graphits der Jülicher/Ahauser Kugelcastoren würden Temperaturen über 550°C und offene Castoren erfordern, was ohne EVA kaum zu erwarten ist. Flugzeugabsturz mit Kerosinbrand kann demgegenüber die Rückhaltebarrieren eines Zwischenlagers durch mechanische und thermische Einwirkungen erheblich beeinträchtigen, vor allem, wenn man Szenarien betrachtet, die über diejenigen hinausgehen, welche im vorgenannten OVG-Urteil maßgeblich waren. Von den deutschen Zwischenlagern brechen nur die STEAG-Lager beim flachen Aufprall eines Großflugzeugs nicht zusammen; allerdings durchschlagen auch hier die harten Flugzeugteile die Decke und führen zu mechanischen Castorbeschädigungen sowie Kerosineintritt und -brand. Ähnlich Problematisches gilt etwa für einen Beschuss mit Hohlladungsgeschossen, welche unstrittig einen Teil des radioaktiven Inventars zerstäuben könnten. Es versteht sich wohl von selbst, dass eine SEWD-Attacke beim Castortransport noch erheblich leichter auszuführen ist als in einem Zwischenlager.

Für die Umweltbewegung bedeutet das, dass Forderungen nach einer sicheren Zwischenlagerung sich vornehmlich am EVA/SEWD-Schutz zu orientieren haben und weniger an anlageninternen Ereignissen (Alterung etc.) des Zwischenlagers.

Exkurs: Sind nukleare Explosionen im Zwischenlager anzunehmen?

Während im AKW eine kritische/überkritische Anordnung zum Betrieb unvermeidlich ist, ist eine Nähe zu kritischen Zuständen im Zwischenlager aus Sicherheitsgründen prinzipiell unerwünscht. Um 2000 wurden diverse Untersuchungen zur Kritikalitätssicherheit in Zwischenlagern durchgeführt [13], mit dem Ergebnis, dass bei Beachtung bestimmter Regeln und Gegenmaßnahmen eine Rekritikalität im Zwischenlager de facto auszuschließen ist. Das gilt allerdings nicht für Endlager, und auf diesem Gebiet wird weiter intensiv gearbeitet [6]. Generell ist festzustellen, dass

  • die Neigung zu Kritikalität bis etwa 100 Jahre nach Brennelemententnahme aus dem Reaktor deutlich abnimmt, um dann langsam (bis etwa 20.000 Jahre) wieder anzusteigen [6]. Für Zwischenlagerung ist das günstig.
  • aus den Castorinventaren mit Brennelement-Zielabbrand sich im Zwischenlager keine kritische Anordnung erzielen lässt; gleiches gilt für Castoren mit Kokillen aus der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA; Borosilikatglas).
  • das Inventar unverbrauchter Brennelemente demgegenüber überkritisch werden kann, wenn es kompaktiert wird, das heißt wenn die Pellets sich außerhalb der Hüllrohre ansammeln können. Um Rekritikalität auszuschließen, darf pro Castor nur eine begrenzte Menge an unverbrauchtem Brennstoff vorhanden sein.
  • verbrauchte Brennelemente viel stärker geschädigt sind und daher leichter brechen (was zur Pelletakkumulation führen kann) als die aus Kritikalitätssicht problematischeren unverbrauchten Brennelemente.
  • der Nachweis der Kritikalitätssicherheit (Neutronenmultiplikationsfaktor kleiner 0.95) im deutschen Genehmigungsverfahren auch für Störfälle (einschließlich Flugzeugabsturz mit Castoren, bei denen alle Hüllrohre gebrochen sind), zu führen ist.

Es gibt keine belastbaren Hinweise, dass es ein Rekritikalitätsproblem bei der trockenen Zwischenlagerung geben könnte. Würde ein solches Problem existieren, zum Beispiel wie in [3,4] als Folge von Alterung unterstellt, müsste das gegenwärtige Zwischenlagerkonzept aufgegeben beziehungsweise um mindestens eine zusätzliche Barriere erweitert werden, um katastrophale Freisetzungen zu vermeiden. Rekritikalität könnte nämlich alle aktuell vorhandenen Freisetzungsbarrieren außer Kraft setzen.

Behauptungen aus der Umweltbewegung zur möglichen Rekritikalität im Zwischenlager [3,4], wie sie auch bei der Ausarbeitung des BUND-Eckpunktepapiers zur verlängerten Zwischenlagerung [2] auftauchten, sollten daher sorgfältig belegt oder zurückgenommen werden. Andernfalls entstünde der Eindruck von Panikmache, eventuell um bestimmte Vorstellungen durchzusetzen.

Unabhängig davon ist es sinnvoll, Einsicht in alle Nachweise zur Kritikalitätssicherheit in deutschen Zwischenlagern zu verlangen.

Alterungsmanagement und Forderungen nach Heissen Zellen

Die aktuelle Zwischenlagerung ist nur bis zu einer Dauer von 40 Jahren genehmigt und eine ausreichende Basis für eine verlängerte Genehmigung ist noch zu erarbeiten. Eine Übersicht zu den offenen Fragen hat die ESK bereits 2015 vorgelegt. [1] Diese noch fehlenden Nachweise betreffen auch und vor allem Alterungsvorgänge an Castoren und Brennelementen. Allerdings sind bisher keine offenen Punkte bekannt, welche von hoher Sicherheitsrelevanz wären. Das heißt, das oben skizzierte Bild von der untergeordneten sicherheitstechnischen Bedeutung anlageninterner Ereignisse in Frage stellen. Ein Castorbehälter wurde nach 15 Jahren Lagerung in den USA geöffnet und detailliert untersucht [8]; die Ergebnisse zeigten keine gravierenden Abweichungen von den Erwartungen und in einigen Punkten, zum Beispiel Edelgasfreisetzung aus den Pellets, sogar ein günstigeres Verhalten. Allerdings ist bisher nicht gesichert auszuschließen, dass Alpha-swelling von hochabgebrannten Brennstoffpellets bei verlängerter Zwischenlagerung zum Bruch von einzelnen Hüllrohren führen kann. Ähnliches gilt für Umorientierungsvorgänge von Zirkonhydrid in den Hüllrohren. Würde dieses auftreten, würde das zwar eine spätere Umladung der Brennelemente in Endlagerbehälter erheblich erschweren, aber keine unmittelbaren Störfälle zur Folge haben. Letzteres liegt vor allem daran, dass es keinerlei Hinweise dafür gibt, dass das Doppeldeckelsystem der Castoren aufgrund anlageninterner Vorgänge zusätzlich vollständig versagen würde. Das Versagen einer einzelnen Dichtung ist demgegenüber zu unterstellen, aber das Reparaturkonzept erlaubt den Austausch eines defekten Sekundärdeckels ohne Heisse Zelle. (Eine Heisse Zelle ist ein Bereich mit starker Strahlenabschirmung, kontrollierter Abgasführung sowie von außen bedienbaren Manipulatoren.) Eine Reparatur am Primärdichtsystem erfordert demgegenüber eine Heisse Zelle, und damit in vielen Fällen Transporte. Alternativ kann ohne Heisse Zelle ein Zusatzdeckel aufgeschweißt werden. Vor dem Hintergrund der sehr geringen Wahrscheinlichkeit eines Doppeldeckelversagens aufgrund von Alterung und den im Vergleich etwa zu SEWD geringen akuten sicherheitstechnischen Folgen dieses Ereignisses erscheint das Reparaturkonzept akzeptabel.

Vor dem Hintergrund, dass eine aktuell unzureichende Vorbereitung auf die Endlagerung einer Verschiebung von Lasten auf spätere Generationen gleichkäme, darf das Alterungsmanagement der Umweltbewegung allerdings nicht völlig gleichgültig sein, auch wenn drängende Sicherheitsfragen nicht tangiert sind. Daher erscheint es angemessen, wenn die Umweltbewegung die Öffnung und Nachuntersuchung einzelner repräsentativer Castoren nach 25 bis 30 Jahren Lagerung in vorhandenen Heissen Zellen verlangt. Wegen der hohen Kosten ist das bisher nicht geplant. Ohne solche Untersuchungen dürften die erforderlichen Nachweise für die verlängerte Zwischenlagerung kaum gesichert zu führen sein.

Eine Kernforderung aus der Umweltbewegung besteht aktuell darin, alle deutschen Zwischenlager mit Reparatur- und Inspektionsmöglichkeiten, also Heissen Zellen, nachzurüsten [2]. Diese Forderung wäre sicher berechtigt, wenn die in diesem Zusammenhang in der Umweltbewegung diskutierte Rekritikalität (siehe oben) als Störfall anzunehmen wäre. Solange dafür aber keine Belege existieren, erscheint diese Forderung überzogen und mindestens verfrüht: Es ist dabei zu berücksichtigen, dass Heisse Zellen harte Nuklearanlagen mit nicht vernachlässigbaren Umweltauswirkungen sind, deren Entsorgung (wenn in Betrieb gewesen) erheblichen zusätzlichen Atommüllanfall zur Folge hat. Der Betrieb von Heissen Zellen erfordert zudem eine hochqualifizierte Mannschaft von Operateuren. Die sicherheitstechnischen Vorteile von Heissen Zellen bleiben demgegenüber, wie zu Anfang dieses Kapitels ausgeführt, begrenzt. Auf die risikobestimmenden SEWD-Ereignisse haben Heisse Zellen keinen Einfluss, abgesehen davon, dass eventuelle einzelne (besonders SEWD-gefährdete) Transporte in externe Heisse Zellen unterbleiben können.

Wolfgang Neumann begründet seine Forderung nach Heissen Zellen (5.2 in [9]) damit, dass eine Vielzahl von chemischen Reaktionen aufgrund von Verunreinigungen, Strahlung und erhöhten Temperaturen im Castor möglich sind, die zu sicherheitsrelevanten Korrosionsprozessen führen könnten, im schlimmsten Fall bis zur Rekritikalität [4]. Es ist dabei zu bedenken, dass in der Zwischenlagerphase die korrosionsfördernden Bedingungen ungleich viel schwächer ausgeprägt sind als während des AKW-Betriebs, was auch durch die vergleichsweise lange Lagerphase nicht kompensiert wird. Diese Einschätzung wird durch die vorher erwähnte US-Castor-Nachuntersuchung gestützt. Nach Diskussion besteht Konsens mit Wolfgang Neumann zur Sicherheitsrelevanz dahingehend, dass Alterung allein nicht zu Freisetzungen führen wird, welche Notfallschutzmassnahmen erfordern. Neumann verweist aber darauf, dass eine Schutzpflicht auch gegen niedrigere Freisetzungen besteht und Heisse Zellen daher erforderlich sind. Bezüglich der Relevanz solcher eventueller Freisetzungen besteht weiter Dissens.

Insgesamt wäre die Errichtung von vielen zusätzlichen Heissen Zellen meiner Meinung nach eher kontraproduktiv und der damit verbundene Aufwand könnte an anderer Stelle sicherheitsbezogen viel effizienter eingesetzt werden. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die Entwicklung einer gelegentlich diskutierten mobilen Heissen Zelle oder Ähnliches zu fordern, um Castortransporte zu vermeiden. Sollte die verlängerte Zwischenlagerung auf wenige konsolidierte Zwischenlager hinauslaufen, wäre neu zu diskutieren, da eine geringe Zahl von neuen Heissen Zellen mit einem verbesserten Gesamtkonzept zielführender sein könnte.

Der Umstand, dass die Umweltverbände Greenpeace und vor allem BUND die Frage der Heissen Zellen zu einem Konfliktpunkt mit der Bürgerinitiative Ahaus haben werden lassen [5] und von Ahaus quasi den Verzicht auf den vertraglich geregelten Ausschluss von Heissen Zellen am Standort verlangen, erscheint mir aus sicherheitstechnischer Sicht völlig verfehlt und für das Arbeitsklima innerhalb der Anti-AKW-Bewegung sehr abträglich.

Was die Umweltbewegung zur verlängerten Zwischenlagerung konkret fordern sollte

Neben den bereits skizzierten Forderungen nach Untersuchung repräsentativer Castoren in vorhandenen Heissen Zellen und nach Entwicklungsarbeiten für eine mobile Heisse Zelle erscheinen folgende Forderungen sinnvoll:

• Konzeptentwicklung für Zwischenlager mit deutlich verbessertem SEWD-Schutz. Dieses ist eine Forderung von hoher Dringlichkeit, da Konzeptentscheide für die verlängerte Zwischenlagerung in circa 10 Jahren fallen müssen und solche alternativen Konzepte aktuell noch nicht baureif sind. Es ist aber unstrittig, dass zum Beispiel die oberflächennahe unterirdische Zwischenlagerung einen fast vollständigen Schutz gegen Flugzeugabsturz bieten kann und auch den Schutz gegen Sabotage verbessert. Allerdings ist diese Form der Lagerung, die in Deutschland erstmals schon vor circa 30 Jahren patentiert aber nie intensiv verfolgt wurde, erheblich teurer und könnte wegen ihrer erhöhten Sicherheit dazu verleiten, die Endlagersuche zu vernachlässigen. Auch das Konzept vieler separater halbunterirdischer Bunker lässt einen verbesserten SEWD-Schutz erwarten. Ohne den Druck der Umweltbewegung werden solche Konzeptentwicklungen wohl unterbleiben, die Entsorgungskommission (ESK) setzt jedenfalls bisher allein auf herkömmliche Lagerkonzepte [1].

• Untersuchungen zur Verbesserung des SEWD-Schutzes bei Castortransporten. Während für die eigentliche Zwischenlagerung Angriffe von Saboteuren durch technische Maßnahmen relativ einfach erschwert werden können und werden, erscheint ein Angriff zum Beispiel mit Hohlladungsgeschossen auf Castoren immer noch recht einfach: Herkömmliche (im Darknet angebotene) Geschosse erlauben mit hoher Treffsicherheit bis etwa 400 Meter Entfernung ein Durchschlagen der Castorwände mit eventuell katastrophalen Folgen. Effiziente Gegenmaßnahmen sind daher mit hoher Dringlichkeit zu entwickeln.

• Untersuchungen an Jülicher Kugelcastoren. Für circa 60 der 152 Jülicher Castoren ist der genaue Inhalt nicht bekannt: Bis 1983 konnte man nämlich weder die vielen verschiedenen Brennelementtypen bei der Entnahme unterscheiden, noch den Abbrand halbwegs genau bestimmen. Daher wurde für diese Castoren bezüglich des Inhaltes und des Abbrandes ein Mittelwert über den Zeitraum 1967 bis 1983 angenommen. Hinzu kommen Störfälle im Reaktor 1974 bis 1978, die zu extrem hohen Sr- und Cs-Freisetzungen aus den Brennelementen und zur Bildung von hochradioaktiven Stäuben geführt haben. Über den genauen Verbleib der havarierten Brennelemente in den Castoren ist nichts bekannt. Es ist zu vermuten, dass solche Castoren nicht endlagerfähig sind. Eine Charakterisierung des Inhaltes dieser Castoren wäre in den Jülicher Heissen Zellen noch möglich, aber nicht mehr in Ahaus (wohin sie verbracht werden sollen). Diese Charakterisierung vor jeglichem Transport sollte eingefordert werden.

Eine abschließende Diskussion innerhalb der Umweltbewegung ist darüber erforderlich, welches Sicherheitsniveau für die verlängerte Zwischenlagerung minimal gegeben sein sollte und ob das zu Schließung/Neubau von Zwischenlagern führen muss. Eine einheitliche Aussage dazu fehlt noch. Greenpeace verlangt zwar bereits den Lagerneubau [12], aber der BUND hat sich noch nicht eindeutig festgelegt. Anhand der bisher geführten Diskussion lässt sich aber erkennen, dass mindestens die Lager unterhalb des STEAG-Niveaus als inakzeptabel gelten, was angesichts des geringen Schutzes gegen Flugzeugabsturz auch plausibel ist. Wenn das Konsens wird, sollten vereinheitlichte Forderungen nach Schließung von Lagern mit unzureichendem Sicherheitslevel und Neubau bald erhoben werden. Das Zeitfenster dazu ist kurz, zumal die Situation in Lubmin schon kurzfristig einen Lagerneubau erzwingen könnte - was das weitere Vorgehen präjudizieren würde.

Schlussbemerkung

Eine Überarbeitung/Aktualisierung des BUND-Eckpunktepapiers zur verlängerten Zwischenlagerung nach einer transparenten Diskussionsphase erscheint mir angezeigt, da die dort gesetzten Schwerpunkte teilweise nicht nachvollziehbar sind: Während die in der Umweltbewegung umstrittene und eher zweitrangige Forderung nach Heissen Zellen konkret benannt wird, bleibt das Papier merkwürdig diffus in Hinblick auf erwartbare Forderungen, wie zum Beispiel die weniger sicheren Zwischenlager zu schließen. Es ist zu hoffen, dass hier nicht sachfremde Einflüsse wirksam waren, etwa Rücksichtnahme auf das starke Engagement des BUND bei der staatlich organisierten Endlagersuche.

Des weiteren sei den Umweltorganisationen geraten, bei so komplexen und weitreichenden Fragestellungen wie hier auch Expertise außerhalb des üblicherweise befragten Kreises einzuholen: Einige Hausexperten der Umweltbewegung scheinen mir nämlich nicht mehr ausreichend offen für eine streng wissenschaftliche (und damit nicht notwendig am aktuellen Nutzen für die Umweltbewegung orientierte) Bewertung von Fachfragen. Es ist zwar bequem und weithin üblich, Gutachter überwiegend danach auszusuchen, ob ein politisch passendes Gutachten zu erwarten ist.

Wenn auch die Umweltbewegung diese nicht nachhaltige Verfahrensweise praktiziert, halte ich das für bedenklich, denn Unterordnung von wissenschaftlichen Fakten unter politische Anforderungen führt langfristig zwangsläufig zu Fehlentwicklungen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung mit Jülicher Kugelhaufenreaktoren, einem allerdings viel drastischeren Fall: Leitende Kugelhaufen-HTR-Befürworter versuchten (häufig erfolgreich) zu erzwingen, dass Wissenschaft in ihrem Sinne zurechtgebogen wurde - und scheiterten dennoch unter immensen Kosten für die Allgemeinheit.


Dr. Rainer Moormann, Aachen
r.moormann[at]gmx.de


Anmerkungen

[1] Diskussionspapier zur verlängerten Zwischenlagerung bestrahlter Brennelemente und sonstiger Wärme entwickelnder radioaktiver Abfälle. Entsorgungskommission (ESK), 29.10.2015

[2] www.bund.net/fileadinm/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/zwischenlagerung_atommuell_eckpunkte.pdf

[3] www.umweltfairaendern.de/2017/08/hochradioaktiver-atommuell-wie-lange-haelt-der-castor-dicht-usa-haben-nachgesehen/

[4] "Der Castor wird 100 werden", ausgestrahlt-Magazin 34 / Herbst 2016
www.ausgestrahlt.de/informieren/atommuell/zwischenlagerung/

[5] www.strahlentelex.de/Stx_17_736-737_S11-12.pdf

[6] www.grs.de/publikation/grs-A-3707 (2013)

[7] Eigene Ergebnisse des Autors, berechnet 1992 und umgerechnet auf heutige Dosisrichtwerte, s. auch Appendix E von FZJ-Bericht Jül-2669 (1992)

[8] R.E. Einziger et al. EXAMINATION OF SPENT PWR FUEL RODS AFTER 15 YEARS IN DRY STORAGE. Proc. 10th International Conference on Nuclear Engineering, Arlington, VA, USA, April 14-18, 2002

[9] Zur Notwendigkeit einer Heißen Zelle an Zwischenlagerstandorten. Greenpeace-Studie, erstellt von Wolfgang Neumann. Mai 2014

[10] U. Schönberger: Atommüll - Eine Bestandsaufnahme für die BRD. August 2013. ISBN 978-300-043228-6

[11] www.atommuellkonferenz.de/wp-content/uploawds/Rechtsfragen_bei_Entsorgung_von_Atomm%C3%Bcll-2015.pdf

[12] Greenpeace: Stellungnahme 18 (16)526-A für den Umweltausschuss des Bundestages zur Sitzung am 08.03.2017

[13] K.R. Elam et al.: Effects of fuel failure on criticality safety and radiation dose for spent fuel casks. NUREG/CR-6835 (2003)


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter:
www.strahlentelex.de/Stx_17_738-739_S01-07.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Oktober 2017, Seite 1 - 7
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2018

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