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ATOM/1278: Atomare Dauerlager - die neue Gefahr (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 742-743 / 31. Jahrgang, 7. Dezember 2017 - ISSN 0931-4288

Atommüll
Atomare Dauerlager - die neue Gefahr

Von Wolfgang Ehmke, Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg(1)


Viele Experten halten den Zeitplan für die Suche nach einem Endlager - Benennung eines Standorts bis 2031, Inbetriebnahme 2050 - für zu optimistisch. Die Frage wird demnach immer drängender: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, dass mit einer Endlagerung von insbesondere hochradioaktiven Abfällen nicht wirklich ab dem Jahr 2050 zu rechnen ist? Wenn rund 1.900 Castorbehälter bis zu hundert Jahre zwischengelagert werden müssen, wenn also aus der Zwischenlagerung eine Dauerlagerung wird?

Zunächst erwarten wir von staatlicher Seite, dass sie diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zieht und umgehend eine kritische Bestandsaufnahme und einen abgestuften Maßnahmenplan für eine langfristige Zwischenlagerung erarbeitet.

Denn bislang kommen kritische Betrachtungen der Probleme, die sich aus einer Dauerzwischenlagerung ergeben, nicht von staatlicher Seite, sondern von einer Umweltorganisation, hier dem BUND,(2) und dem Strahlentelex, der einen Beitrag von Dr. Rainer Moormann veröffentlichte.(3)

Zuständig für die Atommüll-Zwischenlagerung ist seit 1. August nicht mehr die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS), sondern der Bund. Dazu wurde eigens die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) gegründet. Doch von dort kommen nur bekannte Töne, denn die Belegschaft der GNS wurde zu 100 Prozent übernommen. Zwar ist mit dem Ex-Staatssekretär im Bundesumweltministerium Jochen Flasbarth ein ehemaliger Umweltschützer zum Chef der BGZ ernannt worden. Flasbarth war zwischen 1994 und 2003 Präsident des Naturschutzbundes NABU, bevor er in das Bundesumweltministerium wechselte. Aber mit der neuen Aufsicht in Gorleben werde sich praktisch kaum etwas ändern, sagte Charl Liebich, Sprecher der BGZ, gegenüber dem NDR. Der Atommüll müsse weiter überwacht und gesichert werden.

Umso wichtiger ist es, dass wir auf flagrante Sicherheitsmängel hinweisen. Dazu hat der BUND, wie erwähnt, eine ausführliche Stellungnahme vorgelegt. Die BI Umweltschutz kann der Autorin des BUND-Gutachtens, Oda Becker, jedoch nicht in allen Punkten folgen. Richtig ist, dass sich aus einer Lagerung hochradioaktiver Abfälle über die bisher angenommenen 40 Jahre hinaus in allen Zwischenlagern - den kraftwerksfernen wie denen in Ahaus, Gorleben und Greifswald/Lubmin, wie auch den kraftwerksnahen - zwei Aspekte bedeutsam sind: die Alterung und ein Schutz gegen Einwirkung Dritter (gemeint sind zivile Unfälle wie ein Flugzeugabsturz und gezielte Terrorangriffe). Das sieht auch Moormann so.

Oda Becker betrachtet ausführlich den Forschungs- und Nachrüstungsbedarf. Und sie fordert vordringlich für Reparaturen "heiße Zellen" am jeweiligen Dauerlagerstandort. Das greift unseres Erachtens zu kurz.

Zu unterscheiden wäre aus unserer Sicht viel schärfer zwischen "Zwischenlagerung" (short term) und Dauerlagerung (long term). Angesichts der noch nicht gelösten Probleme bei der Endlagerung und des nicht absehbaren Termins für deren Beginn müssen wir davon ausgehen, dass eine Dauerlagerung (long term) des Atommülls notwendig ist. Die bisherigen Lagerstätten sind für eine so lange Zeitdauer aber nicht ausgelegt. Die entscheidende Frage ist, ob es möglich ist, sie entsprechend nachzurüsten - oder ob letztendlich neue Zwischenlager gebaut werden müssen.

Die Forderung der BUND-Stellungnahme, an den bestehenden Lagern "heiße Zellen" für die Reparatur defekter Behälter einzurichten, ist deshalb auf den ersten Blick naheliegend. Rainer Moormann hält sie dagegen nicht für notwendig: Die Deckelsysteme und Dichtungen ließen sich auch im Reparaturbereich eines Lagers reparieren, solange nicht unterstellt wird, dass beide Deckeldichtungen zeitgleich versagen (s. Strahlentelex 10/2017, Beitrag von Dr. Rainer Moormann).(3)

Wir wollen die Gefahr, dass Castorbehälter im normalen Zwischenlager-Betrieb in eine kritische Situation geraten könnten, nicht herunterspielen. Aber unserer Meinung nach ist sie im Vergleich zu der Frage, ob die bisherigen Zwischenlagerhallen Bestand haben oder nicht, als nachrangig zu betrachten. Denn die Sicherheitsfrage stellt sich sofort und ganz dringend, wenn in den Fokus die "Einwirkungen von außen" wie ein Flugzeugabsturz oder kriegerische sowie terroristische Attacken gerückt werden. Dazu muss man wissen, dass es trotz aller Versuche der kritischen Öffentlichkeit bisher nicht möglich war, eine Flugverbotszone für Zwischenlager durchzusetzen.

Vorrangig ist also die Frage, welches Zwischenlager-Konzept gegen Einwirkungen von außen die größtmögliche Sicherheit bietet. In den USA sollen Atommüll-Behälter zum Schutz gegen Terrorangriffe nicht mehr oberirdisch gelagert werden. Der Forschungsverbund Entria, eingerichtet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, befasste sich auch mit diesen Modellen, vor allem mit dem niederländischen Konzept, das weitgehend "ausgereift" ist. Die Entria-Arbeitsgruppe aus Braunschweig hat das niederländische Modell unter die Lupe genommen.(4) Diese im Vergleich zur deutschen Zwischenlagerung deutlich unterschiedlichen Sicherheits-Konzepte betrachtet die BUND-Stellungnahme unserer Meinung nach nicht ausreichend.

Bezüglich der Einwirkung Dritter verweist die Autorin Oda Becker selbst auf das Brunsbüttel-Urteil und differenziert zwischen den Lagern in Nord- und Süddeutschland, die in der Tat große Unterschiede aufweisen: Während die Standort-Zwischenlager in Norddeutschland nach dem so genannten STEAG-Konzept errichtet wurden, ähnelt das Transportbehälterlager (TBL-)Gorleben den Anlagen, die im süddeutschen Raum nach dem sogenannten WTI-Konzept gebaut wurden. Das STEAG-Konzept verfügt über die massivere Bauweise mit Wandstärken von circa 1,20 Meter sowie einer Dachdecke mit einer Stärke von circa 1,30 Meter.

Wie sieht es in Ahaus und Gorleben aus? Die Wärmeabfuhr aus der Lagerhalle erfolgt ohne jede Filterung mittels Belüftungsöffnungen im unteren Teil der Wände und Entlüftungsöffnungen im Dachbereich. Die Außenwände sind 50 Zentimeter dick und verjüngen sich konisch auf 20 Zentimeter. Die Hallendecken in Ahaus und Gorleben sind nach unseren Informationen sogar nur 20 Zentimeter dick! In der ESK-Stellungnahme "Stresstest" war übrigens angegeben, dass bei einer längeren Überschreitung der Schneelast Risse an den Dachbindern entstehen können, die zu Rost führen können.(5)

Deshalb heißt das TBL-Gorleben im Volksmund schlicht "Kartoffelscheune". In unseren Augen ist es zweifelhaft, dass ein solcher Schlichtbau bautechnisch - etwa mit der geplanten zweiten Wand - so weit aufgerüstet werden kann, dass er die Castoren gegen Flugzeugabstürze oder Terrorangriffe schützt. Wir halten es für unumgänglich, dieses Lager außer Betrieb zu nehmen.

In Gorleben gibt es mit der Pilot-Konditionierungsanlage (PKA) sogar die geforderte "heiße Zelle". Die Expertise des BUND stellt nicht klar, dass diese PKA kein Modell für die geforderte heiße Zelle ist. Diese PKA ist völlig veraltet - leider verliert Oda Becker kein Wort darüber. Zu dieser Frage hat ihr Kollege Wolfgang Neumann eine umfassende Expertise verfasst. Die PKA ist nur auf dem Papier ein "Referenz"-Modell: Sie entspricht nicht dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik. Dies gilt in Bezug auf die elektronischen Systeme und die Pufferlagerkapazitäten. In Bezug auf Störfälle gilt dies auch für einige Sicherheitsnachweise (Erdbeben, langanhaltender Stromausfall, anlageninterner Brand, Absturz eines schnell fliegenden Militärflugzeugs). Außerdem ist die Anlage nicht gegen den Absturz eines Großraumflugzeugs oder gegen Terrorschläge ausgelegt.

Grundsätzlich ist die Dauerlagerung von Atommüll nicht abgetrennt von einer angeblich neuen Endlagersuche zu betrachten. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass das nationale Entsorgungsprogramm ein Eingangslager für die Castorbehälter am mutmaßlichen Endlagerstandort favorisiert. Diese Ambiguität haben wir im Blick, denn der kann aus geologischer und politischer Sicht nicht Gorleben sein. Allen Versuchen, den Salzstock Gorleben weiter im Spiel zu belassen und die Such- und Sicherheitskriterien "wissenschaftlich" so abzufassen, dass der Standort "geht", werden wir weiter entschieden entgegentreten.

Aus unserer Sicht ergibt sich ein abgestufter Handlungsbedarf: Ahaus und Gorleben und die WTI-Lager taugen schon jetzt nicht mehr als sichere Zwischenlager (short term) - als Dauerlager (long term) taugen sie keinesfalls. Sogenannte "Härtungen", wie es so schön heißt, also Nachbesserungen o.ä. (dazu gehört auch die ausufernde Debatte um "heiße Zellen"), lenken von dieser zentralen Forderung ab. Käme es tatsächlich nur zu flüchtigen Nachrüstungen an Anlagen, die in Wirklichkeit heute nicht mehr so gebaut würden: Ein Widerruf der Betriebsgenehmigungen wäre die richtige Antwort!

Worauf müssen wir achten? Wir müssen eine Debatte um die Sicherheit der Lagerstätten führen und dabei Grundsätze und Forderungen formulieren. Die Dauerlager müssen folgende Kriterien erfüllen:

1. Der sicherheitstechnische Zustand der Behälter darf sich für einen Zeitraum über 100 Jahre nicht verändern.

2. Sie müssen ein Mehrbarrierensystem gegen mechanische und thermische Einwirkungen besitzen, Redundanz und Robustheit müssen gegeben sein.

3. Die Behälter müssen wirksam vor allen denkbaren Umwelteinflüssen (Erdbeben, Überflutung, Feuer, Sturm, Starkregen etc.) geschützt werden.

4. Sie müssen einen wirksamen Schutz vor terroristischen und kriegerischen Aktivitäten, digitalen Daten-Angriffen (z.B. "Cyberwar"), bieten.

5. Sie müssen gegen "innere Bedrohungen", z.B. den Zusammenbruch von Versorgungsleitungen und gegen Sabotage geschützt sein.

Und natürlich müssen wir darauf achten, dass die Öffentlichkeit nicht übergangen wird, zum Beispiel durch den Verweis auf einen bestehenden Rechtsschutz der Anlagen.

Neben der Informationspflicht der Betreiber tragen Debatten, Einspruchsrechte von Betroffenen, Klagerechte u.a. dazu bei, eine größtmögliche Sicherheit dieser Atomanlagen zu erreichen. Denn wegzaubern lässt sich der Atommüll nicht. Die Menge lässt sich jedoch begrenzen durch einen sofortigen Atomausstieg, der auch die Brennelementefabrik in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau einschließt. Dort fällt ohne zeitliche Begrenzung Atommüll an, denn diese Anlagen sind sogar vom Atomausstieg bis 2020 ausgenommen.

Ein Weiterso aber, wie es von Seiten des nun staatlichen Betreibers offensichtlich angestrebt wird, kann und darf es nicht geben.


Anmerkungen

(1) www.bi-luechow-dannenberg.de/?page_id=9318

(2) BUND-Eckpunkte Zwischenlagerung hoch radioaktiver Atommüll: Atommüll-Zwischenlager-Konzept jetzt überprüfen, Berlin, 14.06.2017,
www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/atomkraft/zwischenlagerung_atommuell_eckpunkte.pdf
Oda Becker: Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioaktive Abfälle, Studie im Auftrag des BUND, Berlin, Okt. 2017, www.bund.net/zwischenlagerstudie

(3) Rainer Moormann: Verlängerte Zwischenlagerung wärementwickelnder Abfälle, Strahlentelex 738-739 v. 5.10.2017, S. 1-7,
www.strahlentelex.de/Stx_17_738-739_S01-07.pdf

(4) Detlef Appel, Jürgen Kreusch, Wolfgang Neumann: ENTRIA-Arbeitsbericht-01, "Darstellung von Entsorgungsoptionen" (s. ab S.69)
https://www.entria.de/fileadmin/entria/Dokumente/Arbeitsberichte/ENTRIA- Arbeitsbericht-01_Appel_Entsorgungsoptionen.pdf

(5) Stellungnahme der Entsorgungskommission (ESK) vom 14.03.2013, ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland; zu Schneelast, Korrosion Dachbinder, S. 141
http://www.entsorgungskommission.de/sites/default/files/downloads/snstresstestteil114032013.pdf

Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_17_742-743_S03-04.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Dezember 2017, Seite 3 - 4
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2018

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