Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

FORSCHUNG/131: "Jahr des Gorillas" (5) Ein Gorilla zum Frühstück (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 72-Bd. 24 [1] - Sommer 2009

Ein Gorilla zum Frühstück

Von Dr. Iris Weiche, Tübingen*)


Wir alle essen Menschenaffen. Sie runzeln die Stirn, Sie sind vielleicht sogar Vegetarier? Trotzdem behaupte ich, dass Sie vermutlich mehrfach indirekt Menschenaffenfleisch auf Ihrem Teller hatten.

Die Gefährdung der Menschenaffen beruht einerseits auf dem Verlust ihres Lebensraumes durch Holzeinschlag, Rohstoffausbeute, Anbau- und Siedlungsflächen, andererseits auf der kommerziellen Jagd (Bushmeat hunting), die durch die Öffnung der Wälder, durch Zufahrten zu Einschlags- oder Ausbeutungsgebieten in den letzten 20 Jahren in großem Stile möglich wurde. Für die Afrikanischen Menschenaffen, die Gorillas, Schimpansen und Bonobos, ist das Ebola-Virus eine weitere große Gefahr. Nicht zuletzt sind politische Unruhen auch für die ohnehin gefährdeten Menschenaffen eine Bedrohung, wie seit vielen Jahren im Osten der Demokratischen Republik Kongo, häufig direkt (Abschuss der Gorillas durch Soldaten) und indirekt (Flüchtlinge in den Wäldern: Holzeinschlag, Jagd, Krankheitsübertragung, Stress).

Die Vernichtung der tropischen Regenwälder geht in rasantem Tempo vonstatten, mehr als 10% aller Ausfuhrwaren aus den meisten westafrikanischen Ländern werden durch Holzprodukte bestritten, die die Konsumgier der Industrienationen bedienen. Die meisten Holzeinschlagskonzessionen im Kongobecken sind (teils über Mittelsfirmen) an europäische Firmen vergeben, der Rest an asiatische. Mehr als die Hälfte der gabunesischen Wälder war bis 2000 in Konzessionen vergeben, laut IUCN wurden dort 2005 mehr als 4,5 Millionen kg Holz pro Jahr eingeschlagen, eine Verdreifachung in nur 20 Jahren (Minnemeyer et al. 2002). In Kamerun waren bis zu diesem Zeitpunkt mehr als 76% der Wälder vernichtet oder standen unter Konzession (FERRISS 2005). Selbst für einen selektiven Einschlag (1-3 Bäume pro ha) werden Schneisen zur Abfuhr benötigt.

Viele andere begehrte Erze und Mineralien sind den Lebensräumen der Gorillas zur finden, die Blutdiamanten haben schon einen Kinofilm geprägt, Gold wird oft mit giftigem Quecksilber aus den Flüssen der Gorillawälder gewaschen. Und ein weiterer seltener Rohstoff wird in großem Stil im weltweit ertragreichsten Vorkommen im Ostkongo abgebaut (20% der Weltvorräte; MÜLLENMEISTER 2007), damit Sie und ich auch wirklich zu jeder Sekunde erreichbar sind: Coltan (Columbit = Niob und Tantalit). Das darin enthaltene Tantal ist Bestandteil von Mikroprozessoren, wie sie in unseren Computern und Handys unverzichtbar sind.

Nur 8% relativ ungestörter Wälder in Zentralafrika befinden sich in Schutzgebieten (Minnemeyer et al. 2002). Die restlichen Wälder werden weltweit durch die Straßen der ausbeutenden Konzerne zugänglich, es kommen neue Siedler, die Menschen jagen, schaffen neue Anbauflächen, die Fahrzeuge der Konzerne bieten Gelegenheit, erjagtes Fleisch auf entfernteren Märkten zu verkaufen und so die frühere Subsistenzjagd zu kommerzialisieren (NASI 2008). 60% der Jagd im Kongobecken ist nicht nachhaltig (FA et al. 2002). Die Nachfrage in den Städten ist enorm, dort ist auch die Kaufkraft höher. Wildfleisch wird dem Haustierfleisch vorgezogen und bei einigen Arten als Statussymbol oder medizinisch-mystisch wirksam betrachtet (PETERSEN & AMMANN 2003). Eine Nachhaltigkeit bei der Wildtierausbeute ist längst nicht mehr gewährleistet, viele Tiere kommen in diesen Wäldern nur in geringer Populationsdichte vor, andere haben eine lange Generationsdauer und Reproduktionsrate wie Gorillas (max. 3%) und sind sozial, werden deshalb oft als Gruppe getötet. Große Arten wie sie werden direkt getötet oder geraten in Fallen, die für andere Tiere ausgelegt werden, verlieren dadurch häufig Extremitäten und sterben an der Wundinfektion. In Kamerun wurden so in den letzten 50 Jahren lokal einige große Spezies ausgerottet (MAISELS et al. 2001).

Dabei sind gerade sie für den Waldbestand als Samenverbreiter und Freihalter von Unterwuchs und Wegen wesentlich, ihr Verlust verändert die Umwelt rapide. Große Arten benötigen auch entsprechend große Streifgebiete in ungestörtem Wald. Es gibt vieles, was noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, so werden häufig besonders imposante Tiere geschossen, deren gute Genausstattung dann verloren geht. Zurück bleiben häufig Bushmeat-Waisen, traumatisierte Menschenaffenkinder, die die wenigen Waisenstationen überfüllen): Ihre Versorgung ist teuer, bei einer Lebenserwartung von 40 bis 50 Jahren und einer ungewissen Zukunft, die Auswilderung ist schwierig und häufig nicht möglich (Whittier 2006), und wird von westlichen Organisationen finanziert - der einheimischen Bevölkerung ist dies nicht transportierbar.

Die einzelnen Jäger versuchen nur, ihre Familien zu ernähren. Doch auch Traditionen müssen durch die Änderung der gesamten Umstände in der heutigen Zeit überdacht werden (Wäre es ethisch vertretbar, wenn Kopfjäger ihre Traditionen beibehalten hätten?). Es sind komplizierte soziale und (welt-)wirtschaftliche Netzwerke zur Lösung dieses Problems zu beachten, die Verantwortung der Industrienationen muss klarer zu Entscheidungen führen. Schutz darf nicht nur auf Papier vorhanden sein. Obwohl die Problematik seit den 80er Jahren vor allem durch Fotos von Karl Ammann einer breiten westlichen Öffentlichkeit bekannt wurde (ROSE et al. 2004), und in den letzten 10 Jahren viele Initiativen (EAZA EU-Petition siehe www.bushmeat-kampagne.de und GRASP: Great Ape Survival Plan/UNEP) gebildet und viele Meetings stattgefunden haben, ist leider die Aktualität dieses Themas trotz vieler Absichtserklärungen der Regierungen (AFLEG 2003) noch größer geworden, deutliche Besserungen sind nicht ersichtlich.

Doch als kleinen Beitrag können wir als Konsumenten darauf achten, welche Produkte wir kaufen und ein Bewusstsein für unsere Beteiligung an der Ausrottung der Menschenaffen entwickeln. Leider wird dies erschwert durch eine Ettikentensammlung auf den Produkten, die Bio, Öko, Nachhaltigkeit und ähnliches verspricht. Dass dies leider nicht immer der Wahrheit entspricht, wurde schon häufiger aufgedeckt, unter anderem gab es auch Fälle, in denen das FSC-Siegel für Hölzer ohne genügende Nachprüfung vor Ort ausgestellt wurde. Nicht nur bei Möbeln und Baumaterial sollten wir auf Tropenholz verzichten und unsere Regierungen auf effektive Einfuhrkontrollen oder -verbote drängen, auch im Kleinen ist Achtsamkeit angebracht: Woher stammt der Grundstoff meiner Margarine? Ist Biosprit sinnvoll - auch hinsichtlich der Ökobilanz - wenn dafür tropische Wälder und mit ihnen die letzten Zufluchtsorte stark bedrohte Tierarten vernichtet werden? Ist mein Bleistift, mein Pinselstiel, mein Besenstiel aus nachhaltiger Holzwirtschaft? Erst kürzlich wurde bekannt, dass Pinselstifte von Pelikan aus dem geschützten Tropenholz Ramin gefertigt waren - das Unternehmen gibt dies zu und verspricht Besserung (17.06.2009). Wurden die Sojabohnen für mein vegetarisches Steak auf abgeholzten Tropenböden angepflanzt? Brauche ich wirklich ein neues Handy, wo kann ich mein altes recyclen? Durch unser Konsumverhalten, unsere Nachfrage, unseren kritischen Blick auf ökonomisch-politische Gegebenheiten kann jeder ein kleines bisschen die Weichen stellen für die Zukunft unserer nächsten Verwandten.


Literatur:

AFLEG (African Forest law enforcement and governance): Ministerial declaration. Yaounde, 16. Oktober 2003.
Fa JE et al. (2002): Bushmeat exploitation in tropical forests: an intercontinental comparison. Conservation Biology, 16 (1): 232-7.
Ferriss S. (2005): Western gorilla. In: Caldecott J & Miles L (eds.): World Atlas of Great apes and their conservation. Berkeley: Univ. California Press. S. 104-27.
GRASP: www.unep.org/grasp/
Petersen D & Ammann K. (2003): Eating apes. Berkeley: Univ. California Press.
www.bushmeat-kampagne.de
Nasi R et al. (2008): Conservation and use of wildlife-based resources: the bushmeat crisis. Montreal: CBD and CIFOR.
Maisels F et al. (2001): The extirpation of large mammals and implications for montane forest conservation: the case of the Kilum- Ijim forest, North-west Province, Cameroon. Oryx 35: 322-31.
Minnemeyer S et al. (2002) An analysis of access to Central Africa's rainforests. World Resources Institute.
Müllenmeister H-J (2007): Schlüsselmetalle für Jahrzehnte. Rohstoff- Spiegel 12: 12-3.
Rose AL et al. (2004): Consuming nature. Palos Verdes: Altisima Press. (zu beziehen über: www.regenwald.org)
Whittier C. (2006): Application of the RSG guidelines in the case of confiscated mountain gorillas, Virunga Massif: Rwanda, Uganda & DRC. Re-introduction News 25: 40-1.


*) Unsere Autorin ist wissenschaftiche Mitarbeiterin der Abtlg. für Physiolog. Ökologie der Tiere der Universität Tübingen. Sie promovierte über "Social Relationships in Captive Gorilla Females".


Anmerkung der SB-Redaktion:
die weiteren Beiträge zum Thema aus Kritische Ökologie siehe
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Artenschutz →
FORSCHUNG/127: "Jahr des Gorillas" (1) Gorillas - Unmittelbar vor der Ausrottung... (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo127.html
FORSCHUNG/128: "Jahr des Gorillas" (2) Gorillas in Zoos (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo128.html
FORSCHUNG/129: "Jahr des Gorillas" (3) Ebola - Tod für Affen und Menschen (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo129.html
FORSCHUNG/130: "Jahr des Gorillas" (4) Gorillatourismus (KRITISCHE Ökologie)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/artensch/uarfo130.html


*


Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 72-Bd. 24 [1] - Sommer 2009
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Zeitschrift
Redaktionsanschrift:
Malteserstraße 99k, 12249 Berlin
Telefon: 030/76 70 34 98, Fax: 030/76 70 34 99
E-Mail: redaktion@kritische-oekologie.de
Internet: www.ifak-goettingen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009