Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → ARTENSCHUTZ

VÖGEL/518: Steppenkiebitz und Weißstorch - Erfolge beim Artenschutz (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 72 Ausgabe 24 [1] - Sommer 2009

um Welt-Nachrichten

Steppenkiebitz und Weißstorch
Erfolge beim Artenschutz Dank internationaler Kooperation


Nach wie vor wird der Steppenkiebitz (Vanellus gregarius) in der höchsten Gefährdungsstufe als "stark gefährdet (critically endangered)" auf der Roten Liste geführt (IUCN 2008).(1) Der dramatische Rückgang des von Schnabel- bis Schwanzspitze 27-30 cm messenden Watvogels hat BIRDLIFE INTERNATIONAL auf den Plan gerufen. Ein Grund für diesen Rückgang könnte darin liegen, dass der Steppenkiebitz ökologisch eng an die Saiga (Saiga tartarica) gebunden sein könnte: Saiga und Steppenkiebitz werden mittlerweile beide in der höchsten Gefährdungsstufe der Roten Liste geführt. So benötigen die Vögel zur Brut große Areale mit möglichst niedriger Vegetation wie sie Saigas in ihren Winterquartieren schaffen. Heute ist auffällig, dass die Vögel vor allem auf Flächen mit extensiver Viehhaltung und in der Nähe menschlicher Siedlungen brüten (s. Abb. 1). Dies ist nicht völlig ungefährlich: Zwar sind Gelegeverluste durch Tritt von Rindern und Pferden nahezu ausgeschlossen, aber schnell getriebene Schafherden können solche Verluste verursachen. Nachtaktive Predatoren wie Füchse und Igel stellen ebenso wie Rabenvögel, die als Kulturfolger mit den Menschen siedeln, eine Gefahr für die Eier und die Jungvögel dar. Dennoch scheinen die vom Vieh kurz gehaltenen Flächen der letzte Strohhalm zu sein, an den sich die Kiebitze z.Z. klammern.

Erfreulicherweise erbrachte die Besenderung von drei kräftigen Altvögeln ermunternde Ergebnisse. Dank Telemetrie konnte die Zugroute vom nordkasachischen Brutgebiet ins sudanesische Überwinterungsgebiet verfolgt werden. Als ein Vogel sich für längere. Zeit in der Ost-Türkei aufhielt, erklärten sich Mitarbeiter des türkischen BIRDLIFE INTERNATIONÄL-Partners DOGA DENERGI bereit, nach dem Vogel zu suchen:

Am 12. Oktober 2007 war die Suche erfolgreich. Der besenderte Vogel befand sich in einer Gruppe von etwa 1.800 Artgenossen, die sich in der Nähe der anatolischen Stadt Ceylanpunar aufhielten. In den nächsten Tagen trafen hier immer mehr Vögel ein - schließlich konnten die türkischen Ornithologen etwa 3.200 rastende Steppenkiebitze beobachten. Eine so große Ansammlung hatte man seit 1898 nicht mehr gesehen.

Diese Zahlen übersteigen bei weitem alle Erwartungen, wurde der Gesamtbestand 2004 doch nur noch auf 200 bis 600 Brutpaare geschätzt. Dennoch ist die Ausrottung des Steppenkiebitz längst nicht abgewendet: In den letzten 50 Jahren wurde das Brutareal - vor allem im europäischen Teil - um die Hälfte verkleinert. Der letzte Brutnachweis aus der Ukraine stammt aus dem Jahr 1905. Dort, wo der Vogel noch brütet, ist er auf die extensive Weidewirtschaft angewiesen. Dieser letzte Strohhalm könnte aber auch noch abbrechen, wenn - im Zuge einer Modernisierung der landwirtschaftlichen Produktion Kasachstans - die extensiven Verfahren durch intensive, industrielle ersetzt werden würden. Und ob es gelingt, die Bestände der Saiga wie vor 80 Jahren in der ehemaligen Sowjetunion wieder aufzubauen und damit wohl auch dem Kiebitz das Überleben zu sichern, bleibt abzuwarten.

Während Steppenkiebitze auf Grund ihres fernen Brutvorkommens und ihrer Seltenheit hier bei uns kaum jemand zu Gesicht bekommt, gehört der Weißstorch (Ciconia ciconia) mittlerweile wieder zum vertrauten Bild - zumindest in norddeutschen - Dörfern. Alle zehn Jahre wird eine internationale Bestandsaufnahme durchgeführt. Die Datenerhebung ist standardisiert, sodass Daten z.B. aus Marokko mit solchen aus der Russischen Förderung vergleichbar sind. Seit der V. Erfassung 1994/95 ist der NABU, der den beliebten Großvogel in seinem Logo führt, für den Zensus verantwortlich. Koordiniert wird die Zählung vom Michael Otto Institut im NABU (http://bergenhusen.nabu.de).

Der aktuelle Zensus 2004/05 erbrachte gegenüber dem vorherigen von 1994/95 einen Gesamtbestand von 231.000 Brutpaaren. In nahezu allen Staaten, die über Brutvorkommen verfügen, wurden z.T. deutliche Bestandszunahmen registriert wie z.B. auf der Iberischen Halbinsel um 133% für Portugal und um 100% für Spanien. Größten Zuwachs innerhalb der "nordwestlichen Randpopulation" erlebte Frankreich mit 199% und Schweden mit 164%. Allerdings waren die Ausgangspopulationen hier vergleichsweise klein - Frankreich: 315 Brutpaare 1994/95 - auf 941 2004/05; Schweden von 11 Brutpaare auf 29. Besonders hervorzuheben ist die Brutpaare-Entwicklung innerhalb der maghrebinischen Population für Algerien, wo nämlich auf bereits hohem Niveau von 2.394 Brutpaaren 1994/95 eine Bestandszunahme um 176% auf 6.601 Brutpaare 2004/5 festzustellen war.

Die systematische Bestandserfassung von Weißstörchen geht auf Prof. Ernst Schüz zurück, der 1934 zur ersten internationalen Weißstorcherfassung aufrief. Trotz aggressiven deutschen Faschismus gelang es ihm, immerhin FachkollegInnen aus 13 Ländern bzw. Regionen für ein solches internationales Vorhaben zu gewinnen. Die Zerstörungen des 2. Weltkrieges blieben auch nicht folgenlos für die europäischen Storchenpopulationen. Ein erster, großer internationaler Zensus von 1958 verdeutlichte einen Bestandseinbruch um etwa die Hälfte gegenüber 1934.

Auch in der Nachkriegszeit waren die internationalen Kontakte um den Weißstorch von nicht zu unterschätzender Bedeutung, weil durch sie im politisch geteilten Europa Brücken gebaut werden konnten. Die Tatsache, dass Weißstörche zwischen ihren Brutrevieren im Norden und ihren Winterquartieren im Süden - im subsaharischen Afrika - wandern, führte auch zu Ko-Operationen in den Ländern des Südens. Die Erforschung der Wanderungen "unserer" Störche führte zu Erkenntnissen über deren Gefährdung "bei denen da unten", schließlich aber auch zur Reflexion, dass die Zerstörung ihrer Bruthabitate bei uns etwa durch Trockenlegungen - mindestens ebenso eine Gefahr für das Überleben des bei uns äußerst beliebten Vogels darstellt, wie "das Abschießen bei denen da unten".

Der Storchenzug wird auch telemetrisch erforscht. Von den vier brandenburgisch-anhaltinischen "Funkstörchen" ist leider nur ANNAMARIE aus Wolsier übrig geblieben (s. Abb. 2 und 3). Sie befand sich bei Redaktionsschluss im östlichen Tansania: http ://www.naturdetektive.de/2009/dyn/1278.php. Der Zug der Störchin MAX wird vom Naturhistorisches Museum Fribourg telemetrisch dokumentiert: http://www.fr.ch/mhn/de/ ag


Literatur:
GOLDAU, Axel (2005): Mit der Sowjetunion endete auch die größte Erfolgsgeschichte nachhaltiger Wildtiernutzung auf der Nordhalbkugel; (Kritische Ökologie Nr. 62/63 - Bd. 20[1/2]: 26-33. Berlin / Göttingen
KAMP, Johannes (2008): Forschung an einer weltweit bedrohten Vogelart: Der Steppenkiebitz; Der Falke: 55[4]: 130-135; Wiebelsheim
SCHIELZETH, Holger (2005): Steppenkiebitz - Ein gefährdeter Endemit der eurasischen Steppen; Der Falke: 52[2]: 44-49; Wiebelsheim
THOMMSEN, Kai-Michael (2008): Weltweite Volkszählung beim Weißstorch; Der Falke: 55[12]: 453-459; Wiebelsheim
SCHULZ, Holger (1988): Weißstorchzug - Ökologie, Gefährdung und Schutz des Weißstorchs in Afrika und Nahost; Weikersheim

(1) www.redlist.org


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Die bekannten Vorkommen des Steppenkiebitzes in Kasachstan befinden sich fast ausschließlich in der Nähe von Siedlungen. So hat sich auch dieses Weibchen einen Brutplatz neben bewohnten Häusern gesucht. Foto: H. SCHIELZETH. Kasachstan im Juni 2004

Abb. 2: "Funkstörchin" ANNEMARIE ist gerade wieder auf ihrem Horst im havelländischen Wolsier eingetroffen. Die Sender-Antenne auf ihrem Rücken ist deutlich zu erkennen. Foto: Kritische Ökologie/ag

Abb. 3: Die Rückkehr der "Funkstörchin" ANNEMARIE wird feierlich begangen. Foto: Kritische Ökologie/ag


*


Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 72 Ausgabe 24 [1] Sommer 2009
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
Redaktionsanschrift:
Malteserstraße 99k, 12249 Berlin
Telefon: 030/76 70 34 98, Fax: 030/76 70 34 99
E-Mail: redaktion@kritische-oekologie.de
Internet: www.ifak-goettingen.de

Abo (2 Hefte in Folge): privat ab 10 Euro,
Institutionen ab 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009