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AKTION/024: Da geht noch was - Der Atomausstieg kommt 2011 (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 107/4.2010
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie
Da geht noch was
Der Atomausstieg kommt 2011

Von Dirk Seifert


Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in jedem Fall eines geschafft: Die AntiAtom-Bewegung ist lebendig und aktiv, wie seit den frühen 80er Jahren nicht mehr. Und offenkundig ist auch: AntiAtom ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die andere Seite: Laufzeitenverlängerung von real mehr als 14 Jahren für die "neueren" AKWs, noch mehr Atomstrom also, der die Netze für die Erneuerbaren Energien verstopfen wird, das ist die zentrale Botschaft einer Bundesregierung, die sich zum Büttel von vier Atomkonzernen macht und gegen eine gesellschaftliche Mehrheit antritt.

Im November 2008, beim vorletzten Castortransport ins Wendland demonstrierten rund 15.000 Menschen in Gorleben. Kurz zuvor hatten CDU und FDP angekündigt, dass sie sich für eine Verlängerung von Laufzeiten für die Atomkraftwerke einsetzen würden, sollten sie bei der Bundestagswahl im September 2009 die Regierung stellen. Diese Drohung sorgte für Widerstand. Wenige Tage vor dieser Bundestagswahl demonstrierten bereits 50.000 Menschen in Berlin. Nach der Regierungs übernahme zeigte sich jedoch, dass die CDU/FDP große Probleme hatte, die Reihen geschlossen auf Atomkurs zu bringen. Denn inzwischen verdienten viele der CDU/FDP nahestehenden Menschen mit den Erneuerbaren Energien richtiges Geld und befürchteten zu Recht, dass noch mehr Atomstrom den Ausbau der Erneuerbaren mindestens bremsen würde. Stadtwerke sahen ihre Investitionen bedroht, zahlreiche Gutachten zeigten auf, dass es eine Brückentechnologie Atom nicht bräuchte, weil das Wachstum der Erneuerbaren Energien größer als erwartet ausfiel. Für den Klimaschutz und die Energiewende, für mehr Wettbewerb im Markt und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zeigte sich die Atomenergie selbst für Teile einer eher konservativen Bevölkerung mehr als Blockade.

Hatten einige erwartet, dass der AntiAtom-Widerstand nach der Regierungsübernahme von Schwarz-gelb stagnieren würde oder gar angesichts des ernüchternden Wahlergebnisses wieder zusammenbrechen könnte, trat das genaue Gegenteil ein. Schon die Koalitionsverhandlungen in Berlin wurden mit vielen Aktionen durch die Anti-Atom-Initiativen begleitet. Und überall regte sich empörter Widerstand.

Als im April 2010 zum Tschernobyl-Jahrestag rund 150.000 Menschen demonstrierten, davon allein 120.000 bei der Aktions- und Menschenkette zwischen den Skandalreaktoren Krümmel und Brunsbüttel, war klar, dass es zu einer gesellschaftlich scharfen Auseinandersetzung über die Energiepolitik und den Atomkurs von Schwarz-Gelb kommen würde. In den Medien, den Bundes- und Landtagen und auch in den örtlichen Parteistrukturen und Gemeinden wurde heftig über die Atompolitik gestritten. Überall im Land organisierten sich Menschen, kam es zu Aktionen, Internet-Protesten, Flashmobs. Was viele kaum für möglich gehalten hatten: Schon im September - nur fünf Monate nach der Menschenkette - demonstrierten in Berlin erneut über 100.000 Menschen. Damit nicht genug: In Salzgitter zwischen der ASSE und dem Schacht Konrad ging die IG Metall mit mehr als 6.000 KollegInnen aus den dortigen Stahl- und Autobetrieben während der Arbeitszeit gegen Sozialabbau, Atommüll und Atomenergie auf die Straße. Einige Tage später in Stuttgart (mal nicht zu S21) forderten 7.000 Menschen den Ausstieg und in München am 9. Oktober bildeten über 50.000 Menschen eine Menschenkette. Überall in der Republik machen also Menschen gegen Merkel und Co. mobil und fordern massiver denn je den Atomausstieg!


Der Widerstand geht weiter

Ende Oktober hat der Bundestag über die Änderung des Atomgesetzes entschieden und nicht nur die Laufzeitverlängerung abgesegnet, sondern z.B. auch noch die Klagerechte für BürgerInnen verschlechtert. Nach dem Willen der Bundesregierung soll das neue Atomgesetz zum 1.1.2011 in Kraft treten und ohne Beteiligung des Bundesrats Gesetzeskraft erlangen. Mehrere Landesregierungen, drei Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke im Bund, aber auch Greenpeace haben Verfassungsklagen und Eilverfahren angekündigt, um dieses Vorgehen der Bundesregierung zu stoppen.

Zahlreiche Rechtsgutachter, darunter auch Experten, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums gearbeitet haben, hatten schon zuvor massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Bundesregierung angemeldet. Darunter z.B. auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Demnach müssen die Bundesländer schon deshalb beteiligt werden, weil sie die Verwaltungszuständigkeit im Rahmen des Atomgesetzes haben und für die Überwachung und Genehmigung zuständig sind. Darüber hinaus aber sind die Bundesländer auch in Fragen der Haftung bei einem Atomunfall und bei der staatlichen Pflicht zur Entsorgung und kontrollierten Lagerung von Atommüll berührt. Bundespräsident Wulff ist vor diesem Hintergrund aufgefordert worden, das Gesetz nicht zu unterschreiben und damit das Inkrafttreten zu verhindern. Kommt es zu einer Beteiligung des Bundesrats, in dem die CDU/FDP keine Mehrheit mehr hat, dann dürfte es zumindest für einige Atomreaktoren und deren Betreiber, die sich jetzt obenauf fühlen, einen tiefen Sturz geben.


Der Widerstand geht noch weiter

Klar ist, dass die derzeitige Mobilisierungskraft der Anti-Atom-Bewegung in den nächsten Wochen und Monaten der Bundesregierung noch einige Probleme bereiten wird und dass noch lange nicht das letzte Wort über den Atomausstieg gesprochen ist! Mindestens ein Fokus wird auch (!) auf den Landtagswahlen in Baden-Württemberg liegen. Einerseits natürlich wegen Stuttgart 21, andererseits aber auch, weil EnBW mit dem Block Neckarwestheim 1 nach dem alten Atomgesetz kurz vor der Abschaltung steht - und nach dem schwarz-gelben Atomgesetz für weitere acht Jahre Strommengen erhalten soll.

Die Landesregierung unter Mappus dürfte nach derzeitigem Stand kaum Chancen haben, diese Landtagswahlen zu gewinnen. Das würde nun nicht direkt etwas an der bundesgesetzlichen Atomrechts-Lage ändern. Aber von der Bedeutung her dürfte Baden-Württemberg für die CDU in etwa vergleichbar mit NRW für die SPD sein. Scheitert die CDU in Baden-Württemberg, dann hat die Bundesregierung nicht nur im Bundesrat noch erheblich größere Probleme. Der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel würde steigen und die ohnehin schon vorhandenen politischen Kontroversen in der CDU dürften dann erheblich zunehmen.


Der Widerstand geht noch mehr weiter

Doch nicht nur im Süden wird sich der Konflikt mit Blick auf die Wahlen und Neckarwestheim zuspitzen. Im Norden bastelt der schwedische Klimakiller- und Atomkonzern seit nunmehr über drei Jahren an den Pannenreaktoren Brunsbüttel und Krümmel herum. Im Sommer 2007 wurden diese nach Störfällen abgeschaltet und in der Folge weitere gravierende Sicherheitsmängel entdeckt worden. Selbst die mit der CDU regierende FDP in Schleswig-Holstein fordert bis heute, diese beiden Reaktoren endgültig stillzulegen und die Reststrommengen auf das AKW Brokdorf zu übertragen.

Vattenfall hat nun erklärt, das AKW Krümmel Anfang 2011 wieder ans Netz bringen zu wollen, im Mai 2011 soll dann das AKW Brunsbüttel folgen.

Doch so ganz einfach dürfte das nicht werden. Denn mit Isar 1 in Bayern sind Krümmel und Brunsbüttel so genannte Siedewasserreaktoren (SWR) der Baulinie 69 (das Design stammt von 1969!). Diese sehr spezielle Reaktorlinie war der damalige Versuch der AEG, eine besonders kompakte Bauweise zu entwickeln, um Kosten zu sparen. Auf besonders engem Raum sind extrem viele Rohrleitungen, Kabel, Maschinen, Pumpen und der Reaktor untergebracht. Weil diese Teile so kompakt eingebaut sind, gelten die SWR als nicht eben wartungsfreundlich. Gegenüber den Druckwasserreaktoren (DWR) haben die Rohrleitungen erheblich mehr Schweißnähte. In Belastungssituationen sind die Umgebungszonen von Schweißnähten immer eine Schwachstelle. Erst vor wenigen Wochen haben österreichische Wissenschaftler alarmierende Konstruktions- und Sicherheitsmängel der SWR Baulinie 69 erneut aufgezeigt und angeprangert.

Dass nun Vattenfall ausgerechnet auch diese Reaktorlinie, die sich durch besonders viele Störfälle und durch immer wieder längere Stillstände wegen Sicherheitsmängeln auszeichnet, wieder ans Netz bringen will, ist mindestens für die Norddeutschen eine Provokation. Nicht umsonst hatte die Aktions- und Menschenkette im April die beiden Schrottreaktoren Krümmel und Brunsbüttel "an die Kette" legen wollen.

Und im April 2011 jährt sich die Atomkatastrophe von Tschernobyl zum 25. Mal. Für Merkel und Atomwirtschaft ist noch längst nichts in trockenen Tüchern. Da wird noch einiges passieren, in den nächsten Wochen und Monaten!

Dirk Seifert www.robinwood.de/energie


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Im Herbst 2010 gingen die Menschen in Berlin, Salzgitter, Stuttgart, München und vielen anderen Städten für den Ausstieg aus der Atomkraft auf die Straße


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 107/4.2010, S. 30-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010