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ATOM/864: Tricksereien - Von Restlaufzeiten, Strommengen & maroden Atommeilern (ROBIN WOOD-Magazin)


ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie

energie


Sieben auf einen Streich?

Von Restlaufzeiten, Strommengen und maroden Atommeilern

Von Dirk Seifert


Es steht Spitz auf Knopf für die Atomwirtschaft. Mit dem Atomkonsens wurde für jeden Atommeiler eine so genannte Reststrommenge vereinbart. Ist diese Restmenge vom jeweiligen AKW produziert, erfolgt automatisch die endgültige Stilllegung. Wäre alles mit rechten Dingen zugegangen, dann wären die Uralt-Reaktoren Biblis A, Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 wegen der geringen Reststrommengen noch vor der Bundestagswahl im September abgeschaltet worden. Mit zahlreichen Tricks haben die Stromkonzerne das verhindert. Der Druck für die Stromkonzerne ist hoch, denn mit Philippsburg 1, Biblis B, Isar 1 und Unterweser stehen in der kommenden Legislaturperiode vier weitere Reaktoren bis 2012 zur Abschaltung an. Von derzeit 17 Atomkraftwerken wären dann nur noch zehn am Netz. Klar, dass die Bundestagswahl im September für die Stromkonzerne von enormer Bedeutung ist.

Als gäbe es die Unterschriften der Atomkonzerne unter der Atomkonsens-Vereinbarung aus dem Jahr 2002 nicht, tricksen die Betreiber schon seit längerer Zeit, um die Restlaufzeiten in die Länge zu ziehen: In Brunsbüttel lässt Vattenfall nun in völlig untypischer Weise endlos lange reparieren. Zwar sind dort nach den Störfällen im Sommer 2007 wieder einmal gravierende Mängel entdeckt worden. Doch während der Atomkonzern sonst nicht müde wird, mit allem Nachdruck so schnell wie möglich die Anlagen nach einem Störfall wieder ans Netz zu bringen, gibt er sich jetzt völlig entspannt. Denn wenn es gelingt, die politischen Mehrheiten in diesem Land umzudrehen und nach der Bundestagwahl im September eine atomfreundliche Regierung zu installieren, könnte Brunsbüttel mit längeren Laufzeiten vielleicht noch für viele Jahre die Taschen der Aktionäre füllen.

Während Vattenfall jeden Zusammenhang der langen Reparaturen mit der Bundestagswahl bestreitet, hat der Vorstandsvorsitzende von RWE, Jürgen Großmann, in einem Spiegel-Interview im Dezember 2007 das gan ze auf den Punkt gebracht. Mit Blick auf Biblis sagte er: "Wir können den Reaktor in Biblis so fahren, dass wir mit Restlaufzeiten über die nächste Bundestagswahl kommen. Und dann gibt es vielleicht ein anderes Denken in Bevölkerung und Regierung." RWE redet nicht nur, sondern handelt auch: Seit dem Frühjahr sind beiden Blöcke des AKW Biblis für länger andauernde Reparaturarbeiten abgeschaltet. So wird die endgültige Abschaltung des Block A verhindert! Die Betreiber von Neckarwestheim, die EnBW, sind in der Sprache weniger deutlich, aber faktisch verfahren sie nicht anders. Seit Juni 2007 wird der Block 1 nicht mehr wie bei Grundlastkraftwerken üblich in Volllast betrieben. Stattdessen wird der Reaktor immer wieder mit deutlich geringerer Leistung betrieben. Dadurch ist die erzeugte Strommenge kleiner und die Lebensdauer der Anlage wird künstlich verlängert.

Das Verhalten der Atom-Unternehmen ist in vielerlei Hinsicht skandalös: Während sie in der Öffentlichkeit nicht müde werden, den Atomstrom als besonders preiswert darzustellen, lassen sie in der Praxis ihre vermeintlich billigen Atomkraftwerke aus politischen Gründen entweder komplett vom Netz oder reduzieren die Stromerzeugung in den AKW. Ein Umstand, der die Redlichkeit und Glaubwürdigkeit der AKW-Betreiber schwer in Zweifel zieht.

Ein ebenso taktisches Verhältnis zur Wahrheit haben die Betreiber in Sachen Sicherheit der Atommeiler: Angeblich stünde die Sicherheit im Vordergrund. Wie wenig es den Betreibern aber tatsächlich um die Sicherheit geht, zeigt sich in den Verfahren zur so genannten Strommengenübertragung. Mithilfe dieser Anträge versuchen die Konzerne für ihre alten Reaktoren, deren Reststrommengen abzulaufen drohen, eine Lebensverlängerung zu bekommen. Entsprechende Anträge haben die Betreiber für die Übertragung vom neueren Kraftwerk Krümmel auf das ältere Brunsbüttel (Vattenfall), vom neueren AKW Emsland auf das ältere Biblis A (RWE) und vom neueren Block 2 des AKW Neckarwestheim auf den älteren Block 1 (EnBW) gestellt.

Damit verfolgen die Betreiber das Ziel, die Restlaufzeiten der älteren Anlagen zu verlängern. Laut Atomgesetz bedarf es für eine Strommengenübertragung von neuen auf alte Anlagen grundsätzlich der Zustimmung des Bundesumweltministeriums (BMU). Das BMU verlangt einen sicherheitstechnischen Vergleich der jeweiligen AKW. Eine Strommengenübertragung von neuen auf alte AKW wäre aus Sicht des BMU nur dann zulässig, wenn das Sicherheitsniveau mindestens auf dem gleichen Niveau bliebe.

Während die Atomkonzerne in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, allein die Sicherheit läge ihnen am Herzen, leisten sie heftigen Widerstand gegen dieses Vorgehen des BMU. So haben sich RWE und EnBW schlicht geweigert, dem BMU die für einen solchen Sicherheitsvergleich relevante Unterlagen zu übergeben. Das BMU hat die Anträge inzwischen abgelehnt, die Konzerne haben Klage vor Gericht erhoben. Eine Entscheidung des BMU in Sachen Brunsbüttel und Vattenfall steht noch aus.


Alte Reaktoren - besonders unsicher!

Noch sind 17 Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb. Diese AKW unterscheiden sich in ihrem technischen Grundprinzipien nach Siedewasser- und Druckwasserreaktoren. Zu den Siedewasserreaktoren (SWR) gehören sechs Atomkraftwerke: Brunsbüttel, Isar 1, Philippsburg 1, Krümmel, KRB-B und - C. Druckwasserreaktoren sind elf AKW: Biblis A und B, Unterweser, Neckarwestheim 1 und 2, KKG, KWG, Philippsburg2, Brokdorf, Isar 2 und Emsland.

Wichtig ist auch, dass die Reaktoren zu unterschiedlichen Entwicklungsgenerationen gehören. Die ersten Reaktoren, die in Deutschland gebaut wurden, stammen entwicklungstechnisch aus den frühen 60er Jahren. Sie sind somit eine Art Prototypen. Die später in Bau gegangenen AKW sind in der Folge bereits Weiterentwicklungen, in die viele der Betriebserfahrungen aus den früheren Anlagen eingeflossen sind und die insofern sicherheitstechnische Verbesserungen enthalten.

Zu den Anlagen der ersten Generation gehören die Siedewasserreaktoren der sogenannten Baulinie 69: Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Isar 1 (und das erst später ans Netz gegangene AKW Krümmel). Bei den Druckwasserreaktoren sind die AKW Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Unterweser die ältesten, deren Sicherheitskonzepte heute als komplett veraltet angesehen werden müssen. Alle diese Anlagen sind entweder gar nicht oder nur sehr mangelhaft gegen Flugzeugabstürze ausgelegt. Ein Aspekt, der spätestens nach den Ereignissen vom 11. September eine sofortige Stilllegung dieser AKW notwendig gemacht hätte!

Auch in der Praxis treten über die Betriebsjahre dieser ältesten Reaktoren sicherheitstechnische Mängel auf, die sich z.B. in den meldepflichtigen Ereignissen bzw. besser ausgedrückt, in der Zahl der Störfälle zeigen. In einem von der Frankfurter Rundschau veröffentlichten "NonPaper", das dem Bundesumweltministerium zugeschrieben werden muss, heißt es: "Eine allgemein höhere Anfälligkeit der älteren Anlagen zeigt sich auch in der Zahl der meldepflichtigen Ereignisse. So liegt sie bei fast allen älteren Anlagen nicht nur insgesamt, sondern auch in den letzten Jahren deutlich über denen der jüngeren Anlagen."

Das hat reale Gründe: Z.B. sind die eingesetzten Werkstoffe (Rohrleitungen etc.) in den älteren Anlagen unter schlechteren Bedingungen hergestellt. Die Anzahl von Schweißnähten ist in diesen Anlagen deutlich höher, die Schweißnähte sind auf einem schlechteren Stand von Wissenschaft und Technik. All das erhöht die Stör- und Fehleranfälligkeit des Systems aus Rohrleitungen und Armaturen.

Die eingebauten Sicherheitsreserven - z.B. der Kühlsysteme - sind in den alten Anlagen zum Teil deutlich geringer als in den neueren. So sind viele Sicherheitssysteme nicht ausreichend räumlich getrennt, wie bei den neueren Anlagen. Im Brandfall können dann erforderliche Sicherheitssysteme viel leichter gleichzeitig ausfallen. Außerdem führen die zahlreichen und erheblichen Nachrüstmaßnahmen, die über die Jahre in diesen alten Anlagen durchgeführt werden mussten, zu einer erhöhten Komplexität der Anlagen und dadurch auch zu einer verstärkten Fehleranfälligkeit.

Vor allem bei den Reaktoren der Baulinie 69 ist das Verhalten der Anlagen bei Störfällen deutlich ungünstiger. Diese von der inzwischen Pleite gegangenen Firma AEG entwickelten Anlagen zeichnen sich durch einen überaus kleinen Sicherheitsbehälter aus. Nach einem Kühlmittelverluststörfall steigt der Druck schneller an und muss dann über komplexe aktive Sicherheitstechniken kontrolliert werden. Kommt es hier zu einem Versagen, kann der Sicherheitsbehälter in sehr kurzer Zeit bersten. Durch die kleinräumige und enge Bauweise der SWR Baulinie 69 ist die Anzahl der erforderlichen Schweißnähte in den Rohrleitungen überdurchschnittlich hoch. Noch in der Bauphase wurden z.T. erhebliche Nachbesserungen im Werkstoffbereich durchgeführt, ohne aber grundsätzliche Schwachstellen beseitigen zu können. Diese Baulinie war derart problematisch, dass AEG sie schließlich einstellte. Der ehemals in Philippburg geplante Block 2, der wie der Block 1 ein SWR der Baulinie 69 sein sollte, wurde sogar noch in der Bauphase storniert. Die Störanfälligkeit dieser Reaktorlinie lässt sich an Brunsbüttel und auch an dem später in Betrieb gegangenen AKW Krümmel ablesen. Zusammen mit Druckwasser-Alt-AKW Biblis A und B zeichnen sich die SWR-Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel durch eine überaus hohe Störanfälligkeit aus. Immer wieder mussten die Reaktoren wegen gravierender Störfälle und Materialfehler für mehr als ein Jahr abgeschaltet und repariert werden. Brunsbüttel war fast 50 Prozent seiner Betriebsdauer nicht am Netz sondern wegen Reparaturen abgeschaltet.

Das AKW Krümmel ist in gewisser Weise ein Sonderfall. Grundsätzlich hat es die gleichen Defizite, wie die Reaktoren der Baulinie 69. Allerdings ist der Reaktor erst viel später ans Netz gegangen, so dass einige der schlimmsten Mängel noch während der Bauphase nachgebessert werden konnten. Dennoch: Auch die Störanfälligkeit von Krümmel macht klar, dass dieser Reaktor ein besonderes Sicherheitsrisiko darstellt.

Von derartigen Sicherheitsrisiken aber wollen die Betreiber nichts wissen. Unbelehrbar wollen sie auch diese besonders riskanten Atommeiler noch für viele Jahre in Betrieb halten. Auch wenn jeder Atomreaktor zu jeder Zeit zur atomaren Katastrophe führen kann und dieses Risiko daher sofort abgeschaltet gehört: Die erheblichen Mängel, die sich in der Störanfälligkeit der alten Anlagen zeigen, müssten selbst bei den Atomkonzernen zur Erkenntnis führen, diese Anlagen endlich vom Netz zu nehmen!

Dirk Seifert, Energiereferat ROBIN WOOD, energie@robinwood.de
Tel.: 040/380892-21


Kein Klima mit Atom

Brauchen wir die Atomenergie für den Klimaschutz? NEIN! Denn die Risiken dieser Technologie sind nicht zu beherrschen und für den Klimaschutz ist Atomenergie schlicht überflüssig! Die Wachstumsraten der erneuerbaren Energien sind schon heute so groß, dass sie die Atomenergie in den nächsten Jahren mehr als nur ersetzen werden. Die Verlängerung der Laufzeiten der AKW würde sogar dazu führen, dass sich der weitere Ausbau der Erneuerbaren verzögert, weil das Stromangebot viel zu hoch wäre und nicht in alternative Energien investiert würde. Lesen sie mehr in der Broschüre: "Atomenergie dient nicht dem Klimaschutz." Infos und download unter www.robinwood.de/energie.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Biblis
Neckarwestheim
Philippsburg
Isar I + II
Unterweser
(Fotos: argus/Raupach)


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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 101/2.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2009