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ENERGIE/1481: Interview - "Eine wirtschaftliche Entscheidung" (.ausgestrahlt)


.ausgestrahlt / gemeinsam gegen atomenergie - Rundbrief 22 / Herbst 2013

"Eine wirtschaftliche Entscheidung"

Interview mit Dr. Felix Matthes, Energiewirtschaftsexperte, über ungewünschte und sinnvolle Kraftwerksstilllegungen und Möglichkeiten, die Abschaltreihenfolge zu beeinflussen



Herr Matthes, die Energiekonzerne fordern die Abschaffung der Brennelementesteuer: Ihre AKW würden unwirtschaftlich. Wie groß ist die Chance, dass sie die Reaktoren bald abschalten?

FELIX MATTHES: Das ist eine Drohkulisse. Trotz Brennelementesteuer verdienen die AKW immer noch Geld, wenn auch nicht mehr sehr viel. In wirtschaftlicher Schwierigkeit sind dagegen Erdgaskraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung und ältere Steinkohlekraftwerke. Deren fixe Betriebs-, Personal- und Reparaturkosten werden nicht mehr gedeckt.

Gaskraftwerke legen die Betreiber bereits reihenweise still. Ist das nicht absurd, aus Energiewendesicht?

Was heißt absurd? Das hat eine klare ökonomische Rationalität! Die derzeitige Situation ist gekennzeichnet durch vergleichsweise niedrige Stromnachfrage, hohe Erdgaspreise, niedrige Steinkohlepreise und einen zusammengebrochenen EU-Emissionshandel. In dieser Kombination sind Gaskraftwerke unattraktiv.

Welche Rolle spielt der Preis für CO2-Verschmutzungsrechte?

Wenn der so hoch wäre, wie die Europäische Kommission es einst erwartet hatte, also etwa bei 30 Euro, stünde die Erdgasverstromung viel, viel besser da. Aber da der CO2-Vorteil von Gaskraftwerken momentan nicht zu ökonomischen Vorteilen führt, fliegen sie raus aus dem System.

Die "Drohkulisse" bauen die Betreiber ja bei allen konventionellen Kraftwerken auf. Wenn sich so viele Anlagen nicht rechnen - gibt es schlicht zu viele?

Wir haben im Moment Überkapazitäten, das ist völlig unbestritten. Eine ganze Reihe von Kraftwerken sind schon zur Stilllegung angemeldet, allerdings nicht Atom- oder Braunkohle-, sondern Gas- und Steinkohlekraftwerke. Bei denen ist es eine Mischung aus einem realen ökonomischen Problem und einem Teil Drohkulisse.

Wie groß sind die Überkapazitäten?

Das hängt von vielen Rahmenbedingungen ab. Momentan sind es aber deutschlandweit mindestens 5.000 Megawatt. Die eigentliche Herausforderung besteht in der regionalen Ungleichverteilung.

Und worin besteht dann die Drohung, wenn Kraftwerksbetreiber die Stilllegung einiger Anlagen in den Raum stellen?

Die Überkapazitäten, die wir heute haben, werden ja nicht unendlich anhalten. Denn wir haben ja auch noch neun Atomkraftwerke, die stillgelegt werden müssen. Und im Ausland werden Kraftwerke in einer ähnlichen Größenordnung vom Netz gehen - überwiegend, weil sie die Luftreinhaltestandards nicht einhalten können. Die Überkapazitäten, die wir heute haben, werden also im Verlauf der nächsten Dekade verschwinden. Wir werden dann in eine Situation kommen, wo man Kraftwerke, die heute stillgelegt werden, möglicherweise wieder braucht, oder neue Kraftwerke bauen, die im heutigen Marktdesign gleich gar nicht wirtschaftlich sind. Das ist das Spannungsfeld, in dem die Energiepolitik heute steht.

Wenn wir die Gaskraftwerke, die heute von Stilllegung bedroht sind, in einigen Jahren wieder brauchen, die AKW dagegen, die heute noch laufen, laut Gesetz spätestens Ende 2022 abgeschaltet werden müssen: Wäre es dann nicht viel sinnvoller, heute gleich die Anlagen stillzulegen, die man sowieso loshaben will: also die AKW?

Ja - aber das Problem ist: Diese Stilllegungsentscheidung wäre zumindest im Moment keine politische, sondern eine wirtschaftliche der Betreiber. Und noch verdienen AKW ja halbwegs Geld. Das heißt, man müsste die Betreiber zwingen, die Anlagen stillzulegen, ...

Oder sie eben noch etwas unwirtschaftlicher machen.

­... und auf der anderen Seite müsste man einen Mechanismus schaffen, mit dem man heute unwirtschaftliche Anlagen, etwa Gaskraftwerke, im System halten kann.

Die ökonomischen Rahmenbedingungen bestimmt die Politik. An welchen Schrauben könnte sie drehen?

Man muss zwischen kurzfristig und langfristig wirksamen Maßnahmen unterscheiden. Den EU-Emissionshandel etwa werden wir in jedem Fall reparieren müssen. Aber da ist so viel schief gelaufen, dass das fast eine Dekade brauchen wird.

Was ist mit der Brennelementesteuer?

Die Großhandelspreise für Strom liegen immer noch bei 30-40 Euro die Megawattstunde, die Betriebskosten der AKW bei 10-15 Euro. Selbst mit Brennelementesteuer sind die immer noch wirtschaftlich - wenn auch in geringerem Maße.

Die Steuer verteuert die Megawattstunde aktuell um 15 Euro, damit läge Atomstrom bei 25 bis 30 Euro. Und die SPD hat im Wahlkampf bereits versprochen, den Steuersatz noch anzuheben. Setzt sie sich damit durch, würde das die Abschaltreihenfolge der Kraftwerkstypen doch konkret beeinflussen, oder?

Das hängt von der Höhe des dann beschlossenen Steuersatzes ab. Wenn man da in die Nähe einer sogenannten Erdrosselungssteuer kommt, wird es aber auch rechtlich kompliziert.

Erneuerbare Energien deckten im letzten Jahr schon 23 Prozent des Stromverbrauchs. Welche Rolle spielt ihr weiterer Ausbau?

Schon heute sind wir in der Situation, dass im Prinzip kein konventionelles Kraftwerk mehr rund um die Uhr einfach durchlaufen kann. Steigt der Anteil des regenerativen Stroms auf 30 Prozent, dann werden erstens Sonne und Wind immer wieder auch über längere Zeiträume den kompletten Strombedarf decken - man braucht dann also gar keine konventionellen Kraftwerke mehr; das drückt deren Wirtschaftlichkeit. Zweitens machen die erneuerbaren Energien sich dann zunehmend selber Konkurrenz. Beides führt dazu, dass wir den Rahmen für den Betrieb und die Investition in Kraftwerke - konventionelle wie erneuerbare - neu regeln müssen. Je schneller die Erneuerbaren wachsen, desto größer ist der Druck.

Etwa, den Strommarkt anders zu gestalten?

Genau. Das geht auch kurzfristig. Man könnte etwa anfangen, das Zur-Verfügung-Stellen von Kraftwerkskapazität ökonomisch zu honorieren, ...

... also einen sogenannten Kapazitätsmarkt schaffen.

Die Debatte läuft ja. Darum muss sich die neue Regierung kümmern.

Und die Stromkonzerne reiben sich schon die Hände, weil sie so zusätzliches Geld für ihre Kohle- und Atomkraftwerke bekommen können?

Wir müssen auf jeden Fall von der hypothesenbasierten Politik wegkommen. Sonst können weiter irgendwelche Unternehmen sagen "Es gibt da ein Problem" und auf einmal tauchen die irrsten Lösungsvorschläge auf. Den Pilotfall haben wir ja gerade in Nordrhein-Westfalen: Da will dann auf einmal der Wirtschaftsminister fossile Kraftwerke einfach so aus dem Staatshaushalt subventionieren. So ist dem Lobbyismus Tür und Tor geöffnet.

Kapazitätsmärkte verhindern das?

Die Frage, ob wir genügend Kraftwerkskapazitäten haben, kann man mit ihnen hervorragend objektivieren: Wenn zu viel Kapazität da ist, gibt es kein Geld. Erst wenn sie wirklich knapp wird - und nicht, wenn das einfach jemand behauptet! - stellt sich ein Preis heraus. Drohkulissen nützen dann nichts mehr: Stattdessen konkurrieren dann etwa Kraftwerke auch mit Stromverbrauchern, die ihren Spitzenlastbedarf absenken.

In welcher Größenordnung bewegt sich denn dieses Lastmanagement-Potenzial, nach unten und oben?

Schätzungen zufolge ließe sich die Spitzenlast um bis zu zehn Gigawatt reduzieren. Um Erzeugungsspitzen abzufangen, müsste man die Nachfrage ausweiten - etwa über Speicher, die man füllt. Für beides sind aber Investitionen nötig, die sich refinanzieren müssen.

Greenpeace und BUND lehnen Kapazitätsmärkte explizit ab - zu groß sei die Gefahr, dass sie gerade die Anlagen rentabel halten, die man loswerden will: Atom- und Kohlekraftwerke.

Die Frage aber bleibt: Auf welcher ökonomischen Basis sichern wir ab, dass die erneuerbaren Energien, die immer mehr Strom erzeugen werden, bei Bedarf durch ausreichend konventionelle Kraftwerke und Lastmanagement und längerfristig Speicher ergänzt werden? Die Antwort darauf sind die Kritiker der Kapazitätsmärkte bisher schuldig geblieben.

Sind, was den Strommarkt der Zukunft angeht, Kraftwerkskapazität und Kosten denn das allein Entscheidende?

Nein. Aber man kann ja auch andere Kriterien da reinbringen, Umweltkriterien etwa, Flexibilität. Ich plädiere zum Beispiel dafür, dass zumindest neue Anlagen, die Zahlungen aus dem Kapazitätsmarkt erhalten, auch schnell regelbar sein müssen.

Noch immer gibt es viele Akteure, die die Energiewende am liebsten verzögern oder gegen die Wand fahren würden. Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte?

Dass wir jetzt den Ausbau der erneuerbaren Energien stoppen, wo wir sie gerade und mit hohem Aufwand billig gemacht haben, und stattdessen den konventionellen Kraftwerkspark, der aus sich heraus schon nicht mehr bestandskräftig ist, auf beliebige Weise subventionieren. Das wäre ein perspektivloses Rumreparieren, da hätte niemand was davon. Und die Zukunft schon gar nicht.

Interview: Armin Simon


Dr. Felix Christian Matthes, 51, hat Elektrotechnik studiert und in Politikwissenschaft promoviert. Seit 2009 ist er Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik beim Öko-Institut e.V. in Berlin. 2011 rechnete er in einer Kurzstudie für den WWF vor, dass 14 der damals noch laufenden 17 Reaktoren schon bis 2013 problemlos abgeschaltet werden könnten, der Rest dann bis 2020.

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Quelle:
Rundbrief 22, Herbst 2013, Seite 4 - 5
Herausgeber: .ausgestrahlt
Marienthaler Straße 35, 20535 Hamburg
E-Mail: info@ausgestrahlt.de
Internet: www.ausgestrahlt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2013