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ENERGIE/1482: Unfaire Tricks der Stromkonzerne zur Behinderung von Rekommunalisierungen (Solarzeitalter)


Solarzeitalter 2/2013
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien

Nicht ganz sauber, aber mit allen Wassern gewaschen: Die unfairen Tricks der Stromkonzerne zur Behinderung von Rekommunalisierungen

von Kurt Berlo und Oliver Wagner



Das Thema Rekommunalisierung ist auf der kommunalpolitischen Agenda schon seit mehreren Jahren sehr hoch angesiedelt. Vor allem die Energieversorgung bzw. die Gründung von Stadtwerken oder Netzübernahmen stehen im Fokus der kommunalen Entscheidungsträger (Difu-Berichte 3/2011). Dabei findet die Diskussion nicht nur in den bundesweit für Aufmerksamkeit sorgenden Metropolen Berlin, Hamburg und Stuttgart statt. Auch in vielen anderen Städten und Gemeinden zeigt sich bundesweit ein enormes Interesse daran, der öffentlichen Leistungserbringung im Sinne einer sozialen, vorausschauenden und umweltfreundlichen Daseinsvorsorge wieder mehr Geltung zu verschaffen. Dies zeigt sich vor allem im Bereich der Stromversorgung, wo engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie kommunalpolitische Akteure verschiedener Parteien entschlossen sind, die bisherige Vormacht der Altkonzessionäre durch einen kommunal organisierten Betrieb zu beenden. Begünstigt wird dies dadurch, dass in zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden die Konzessionsverträge für Strom und Gas auslaufen. Das eröffnet den Kommunen ein wichtiges Zeitfenster der Möglichkeiten, die Konzession für den Netzbetrieb neu zu vergeben und damit auch die Netze zu rekommunalisieren. Doch der Wettbewerb um die örtlichen Verteilnetze ist unfair ausgestaltet und durch behinderndes Verhalten der großen Stromkonzerne (bzw. ihrer regionalen Tochterunternehmen) gekennzeichnet. Typisch ist hier, dass die Altkonzessionäre einen überhöhten Netzpreis fordern, die netzrelevanten Daten nicht oder zu spät herausgeben, nach Auslaufen des Konzessionsvertrages die Weiterzahlung der Konzessionsabgaben einstellen oder die Netzübertragung auf den Neukonzessionär verweigern. Regelungslücken im Energierecht und diskriminierende Auslegungsgrundsätze geltender Gesetze bilden hierbei einen für die Kommunen ungünstigen Ordnungsrahmen und haben einen asymmetrischen Wettbewerb um örtliche Verteilnetze geschaffen, der von den Stromkonzernen systematisch genutzt wird, um örtliche Stromnetzübernahmen zu verhindern. Hinzu kommt, dass Stromkonzerne geltende Bestimmungen des Energie- und Kartellrechtes umgehen und versuchen, durch missbräuchliches Verhalten ihren Besitzstand als Netzbetreiber zu bewahren. Je nach Lage der Dinge können Altkonzessionäre ihr Verhandlungs-Repertoire sogar noch erweitern. Anreize (wie z.B. großzügige Sponsoringaktivitäten) oder Sanktionen (wie etwa die Drohung mit Arbeitsplatzverlusten) werden jeweils angepasst an die örtlichen Gegebenheiten eingesetzt, um die Konzessionsverhandlungen zu beeinflussen. All diese Praktiken verfolgen nur ein Ziel: Sie sollen auf der Verteilnetzebene eine strukturkonservierende Wirkung entfalten. Eine jetzt vorgelegte Kurzstudie des Wuppertal Instituts zeigt in einer Fülle von Beispielen die Vielfalt praktizierter Behinderungsstrategien, welche die Stromkonzerne beim Wettbewerb um örtliche Stromnetze anwenden.

Warum ist eine Rekommunalisierung sinnvoll?

In Zeiten der Energiewende liegen die Vorteile einer Rekommunalisierung - wenn sie gründlich geplant und vorbereitet wird - auf der Hand. Denn das Ziel einer klimafreundlichen und sicheren Energieversorgung kann nur erreicht werden, wenn die örtlichen Potenziale für erneuerbare Energien, Steigerung der Endenergieeffizienz und Kraft-Wärme-Kopplung konsequent erschlossen werden. Mit eigenen Stadtwerken und dem Besitz der Stromnetze wollen viele Kommunalpolitiker dem Primat der Politik in der Energie- und Ressourcenfrage wieder mehr Geltung verschaffen. Vielerorts wird vor diesem Hintergrund schon von einer "Renaissance des Staats" gesprochen, weil die vormals erhofften Segnungen einer Privatisierung ausblieben oder der bisherige Grundversorger zu wenig für den lokalen Klimaschutz getan hat. Vor allem in Regionen mit einer ohnehin schwachen Wirtschaftsstruktur werden öffentliche Unternehmen wieder vermehrt als eine Möglichkeit angesehen, den regionalen Arbeitsmarkt und die lokale Wirtschaft zu stärken (Difu-Berichte 3/2011).

Die folgende Abbildung zeigt, mit welchen Strategieoptionen sich Stadtwerke als Energiewende-Akteure der Zukunft positionieren können.

Energiewirtschaftliche Strategieoptionen für Stadtwerke - Energiewende auf örtlicher Ebene gestalten - Grafik: Berlo/Wagner, Wuppertal-Institut

Grafik: Berlo/Wagner, Wuppertal-Institut

Die etwa 60 Neugründungen von Stadtwerken und über 180 Netzübernahmen von 2007 bis 2012 dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in vielen Fällen zu einem Scheitern kommunaler Netzübernahmen kam. Denn insgesamt machen die genannten Übernahmefälle nur einen sehr geringen Anteil der über 3.000 in den letzten Jahren ausgelaufenen Stromkonzessionsverträge aus.

Strategien überregionaler Stromkonzerne zur Besitzstandswahrung auf der Verteilnetzebene - Grafik: Berlo/Wagner, Wuppertal-Institut

Grafik: Berlo/Wagner, Wuppertal-Institut

Von den in der Abbildung genannten Strategien überregionaler Stromkonzerne zur Besitzstandswahrung auf der Verteilnetzebene werden im Folgenden einige beschrieben:

Zu hoher Netzpreis: Ein deutlich zu hoher Netzpreis ist trotz der bisherigen Novellierungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) immer noch das gängigste Argument der Altkonzessionäre, drohende Rekommunalisierungen zu verhindern. Denn in § 46 EnWG ist bislang nicht klar geregelt, zu welchem Preis ein Netz verkauft werden soll. Die Rechtsprechung (z.B. im Fall Kaufering, BGH-Urteil von 1999) sowie die Empfehlungen von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur in ihrem gemeinsamen Leitfaden von 2010 sind inzwischen eindeutig: Es gilt nicht der Sachzeitwert, sondern der oft weitaus niedrigere Ertragswert. Dass bei einem Netzverkauf der Verkaufspreis nicht höher liegen darf als der Ertragswert wurde auch kürzlich vom Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe in einem Verfahren zum Gasnetzes im baden-württembergischen Heddesheim bestätigt.

Drohung mit Arbeitsplatzverlusten: Kommunen, die Filialen, Schaltzentralen, Werkstätten oder ähnliche Niederlassungen des Altkonzessionärs in der Kommune beherbergen, wird gedroht, dass bei einer durchgeführten Rekommunalisierung oder Vergabe des Konzessionsvertrags an einen anderen Netzbetreiber diese Betriebsstellen geschlossen werden.

Landschaftspflege: Hierunter fallen Strategien aus dem Bereich des Sponsorings (beispielsweise für Sportvereine) sowie die Einbindung wichtiger kommunaler Mandatsträger in Beiräten. Beim Sponsoring wird die Unterstützung häufig an einen Fortbestand der Konzession gebunden. Lukrative Vergütungen weniger Beiratssitzungen führen zu Abhängigkeiten oder zumindest Verpflichtungsgefühlen.

Verweigerung der Datenherausgabe: Will eine Kommune (oder ein Wettbewerber) ein Netz kaufen, braucht sie ausreichende und verlässliche Daten zum Mengengerüst. Denn nur dann kann sie abschätzen und erfahren, in welchem Zustand sich das Netz befindet und wie die sog. Erlösobergrenze definiert ist. Die Konzerne geben diese netzrelevanten Daten oft nicht, nur teilweise oder sehr spät heraus. Die Gemeinden haben seit der Neuregelung des § 46 EnWG im Jahr 2011 einen Anspruch auf rechtzeitige Herausgabe der Daten. Leider wurde im Gesetz keine Aussage darüber getroffen, welche netzrelevanten Informationen der Altkonzessionär zur Verfügung stellen muss. Das Bundeskartellamt, der Deutsche Städtetag, der Verband kommunaler Unternehmen und die Bundesnetzagentur sowie in Gerichtsverfahren involvierte Fachanwälte beklagen schon lange diese Rechtsunsicherheit. Der Verzögerungstaktik ist damit weiterhin Tür und Tor geöffnet. Hier könnten allerdings die Landeskartellbehörden einschreiten und die Altkonzessionäre zur Herausgabe der Daten verpflichten. Deren Zuständigkeit betrifft insbesondere die diskriminierungsfreie und wettbewerbliche Vergabe der Konzession. Auch die Bundesnetzagentur bzw. die Regulierungsbehörden der Länder könnten eingeschaltet werden.

Einleitung von Gerichtsverfahren: Oft gründen Kommunen im Vorfeld der eigentlichen Konzessionsvergabe unter Einbindung eines strategischen Partners eigene Stadtwerke oder Netzgesellschaften. Der Altkonzessionär erhebt hier häufig den Vorwurf, dass die Gemeinde mit der vorgenommenen Ausschreibung eine unzulässige Vorfestlegung in Bezug auf die Konzessionsvergabe nach dem EnWG vornehme. Dabei hat erst jüngst das OLG Düsseldorf im Fall der Münsterland Netzgesellschaft am 09.01.2013 entschieden, dass eine solche Vorfestlegung nicht erfolgt sei und hat damit einen Beschluss der Vergabekammer Münster vom 08.06.2012 aufgehoben.

Gerichtliche Klagen gegen Auswahlkriterien der Gemeinden: Kommen Altkonzessionäre bei der Neuvergabe einer Netzkonzession nicht zum Zuge, zweifeln sie häufig die zugrunde gelegten Vergabekriterien an und reklamieren z.B., es sei unzulässigerweise losgelöst von den Vorgaben aus § 1 EnWG die Verbesserung der kommunalen Einnahmesituation geplant. Damit würden die Kommunen rein fiskalische Interessen verfolgen, was gegen die Bestimmungen des EnWG verstoße.[1] Eine für Schleswig-Holstein durch den Verband der Schleswig-Holsteinischen Energie- und Wasserwirtschaft dokumentierte Auswertung kommt zu dem Ergebnis, dass von 275 laufenden Konzessionsvergaben etwa 75 strittig sind, was bei den betroffenen Gemeinden und Stadtwerken bis dato zu Anwalts- und Gerichtskosten in Höhe von 1,25 Mio. EUR geführt hat. Ihnen entgehen im Falle einer nicht umgesetzten oder operativ nicht tätigen Unternehmensgründung zudem die Gewinnabführungen.

Verweigerung der Fortzahlung von Konzessionsabgaben: Aufgrund entstehender Verzögerungen kann häufig bis zum Auslaufen des Konzessionsvertrages der Netzbetrieb nicht an den vorgesehenen neuen Netzbetreiber übergeben werden. In solchen Interimszeiten weigern sich viele Altkonzessionäre, die weiterhin über den Strompreis vereinnahmten Konzessionsabgaben an die Kommune auszuzahlen. Damit setzt man die betroffenen Kommunen finanziell erheblich unter Druck, da die Einnahmen aus Konzessionsabgaben für sie eine wichtige Einnahmequelle darstellen. Im aktuell laufenden Verfahren um das Stromnetz in Stuttgart geht es beispielsweise um jährlich 50 Mio. Euro Konzessionsabgaben, auf die der kommunale Haushalt kaum verzichten kann.

Peter Becker und Wolf Templin, erfahrene Fachanwälte aus Berlin, weisen auf weitere Praktiken hin, die Altkonzessionäre unter Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung dann anwenden, wenn sich die Gemeinde bereits für die Konzessionsvergabe an einen Neukonzessionär entschieden hat. Dabei geht es um
- Verweigerung von Kaufvertragsverhandlungen,
- Verweigerung der Netzübertragung und
- Verweigerung einer zügigen Netzentflechtung.
Ziel dabei ist immer, eine diskriminierungsfreie Konzessionsvergabe zu erschweren.

Vor diesem Hintergrund hat sich in Schleswig-Holstein ein Bündnis mit rund 100 Kommunen gegründet, die sich in den vergangenen Jahren dazu entschlossen hatten, den Netzbetreiber zu wechseln. Denn in all diesen Gemeinden können die neuen Verträge, die überwiegend mit Stadtwerken geschlossen wurden - bis heute nicht in Kraft treten, weil die Schleswig-Holstein Netz AG (vormals E.on Hanse) seit nunmehr teilweise fünf Jahren die Übergabe der Netze hinauszögert.

Fazit

Die in der Kurzstudie dargestellten Praktiken sind nicht auf Einzelfälle beschränkt, sondern stellen ein bundesweites Phänomen dar, wie auch Becker und Templin mit ihren fachanwaltlichen Erfahrungen bestätigen (Becker/Templin 2013, S. 10). So sei die Verweigerung der Fortzahlung von Konzessionsabgaben eine Praxis, die von den Altkonzessionären "systematisch und im großen Stil" betrieben werde. Die Stromkonzerne kennen die "Ausstrahlungswirkung" dieser Praktiken, die im Endeffekt dazu führt, dass eingeschüchterte Kommunen sich aus Furcht vor den Konsequenzen für eine Fortsetzung mit dem Altkonzessionär entscheiden. Selbst potenzielle Wettbewerber scheuen das Risiko, sich mit dem "Platzhirsch" auseinandersetzen zu müssen.

Die dargelegten Praktiken belegen, dass es gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt. Zur jüngsten Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes wäre hierzu die Gelegenheit gewesen. Es gab viele gute Vorschläge, die aber keine Mehrheit fanden. Der Bundesrat forderte beispielsweise, dass länger als ein Jahr nach Beendigung des Konzessionsvertrags, die Konzessionsabgabe weitergezahlt werden soll. Außerdem gab es gemäß den Vorschlägen von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur die Forderung, bei der Netzpreisermittlung den Ertragswert festzulegen.

Eine erfolgreiche Rekommunalisierung bedarf der professionellen Vorbereitung und fachanwaltlicher Beratung. Wer unvorbereitet und idealistisch in ein Rekommunalisierungsverfahren eintritt, kann ansonsten eine böse Überraschung erleben. Denn die fehlenden gesetzlichen Regelungen führen dazu, dass die Kommunen einen langen Atem und bisweilen auch starke Nerven brauchen. Während auf der einen Seite erfahrene Experten agieren, sitzen auf der kommunalen Seite meist ehrenamtliche Kommunalpolitiker, die sich in der Regel nur einmal in ihrem Leben mit dieser so komplexen Fragestellung befassen müssen.

Kurzstudie des Wuppertal Instituts unter:
http://wupperinst.org/info/details/wi/a/s/ad/2158/

Foto: privat Foto: privat

li.: Dr.-Ing. Kurt Berlo, Wuppertal Institut, Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik
Kontakt: kurt.berlo[at]wupperinst.org
re.: Oliver Wagner: Wuppertal Institut, Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik
Kontakt: oliver.wagner[at]wupperinst.org
Foto: privat


Verwendete Literatur:

Becker/Templin 2013: Missbräuchliches Verhalten von Netzbetreibern bei Konzessionierungsverfahren und Netzübernahmen nach §§ 30, 32 EnWG, in: Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2013, Heft 1, S. 10-18.

Johannes Hellermann (Universität Bielefeld): Zulässige Kriterien im Rahmen der gemeindlichen Entscheidung über die Vergabe von Strom- und Gaskonzessionsverträgen; Rechtsgutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU); Januar 2013.

Libbe, Jens: Rekommunalisierung als Trend und Chance für Kommunen? In Difu-Berichte 3/2011, S. 2 f.; Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin, September 2011.

Urteilsbegründung des OLG Düsseldorf zum Urteil vom 09.01.2013. Download unter: http://openjur.de/u/595851.html


[1] Dabei hat das OLG Düsseldorf im Fall Münsterland Netzgesellschaft (ein Vorhaben von acht Kommunen als alternative zu Konzessionsverträgen mit RWE) in seiner Urteilsbegründung vom 09.01.2013 dargelegt, dass die Gemeinden bei der Neuvergabe der Konzession für Strom- und / oder Gasnetze auch fiskalische Interessen berücksichtigen dürfen, wenn dabei ausreichend die Bestimmungen des § 1 EnWG beachtet werden. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein Rechtsgutachten von Johannes Hellermann 2013.

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Quelle:
Solarzeitalter 2/2013, 25. Jahrgang, Seite 6-10
Politik, Kultur und Ökonomie Erneuerbarer Energien
(im Schattenblick veröffentlicht in der Autorenfassung)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2013