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ENERGIE/1505: Stromnetze in Zeiten der Energiewende (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
10. Jahrgang · Ausgabe 2 · November 2014

Stromnetze in Zeiten der Energiewende
Neue Herausforderungen bei der Energieübertragung über grosse Entfernungen

Von Mark-M. Bakran und Gerhard Fischerauer



Seit einigen Jahren bewegt kaum ein anderes Thema die Öffentlichkeit so stark wie die Zukunft der elektrischen Energieversorgung. Das Gebiet war früher von fachlichen Aspekten geprägt, wenn man einmal von den freilich harten Auseinandersetzungen um die Kernkraft absieht. Neuerdings aber ist die Diskussion ideologisch aufgeladen. Der Strom aus der Steckdose soll wie bisher unterbrechungsfrei verfügbar sein, darf aber nur noch aus "guten", weil regenerativen Quellen stammen. Diese verlieren ihrerseits allerdings schnell an Akzeptanz, wenn sie mit Einrichtungen vor der eigenen Haustür verbunden sind (Windkraftanlagen, Übertragungsleitungen) oder landwirtschaftliche Flächen verbrauchen (Biogas) oder den Strom verteuern (Photovoltaik).

Das Zentrum für Energietechnik (ZET) der Universität Bayreuth richtet seinen Blick auf die technischen Fragen, die Energieerzeuger und -verteiler heute in Deutschland lösen müssen, um eine konsensfähige Energieversorgung sicherzustellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Steigerung der Leistungsfähigkeit auch eine demokratisierende Wirkung hat, wie schon der folgende Vergleich zeigt: Im Jahr 1900 musste ein Arbeiter das Doppelte eines Stundenlohns für eine Kilowattstunde elektrischer Energie aufbringen; diese kostet heute rund 0,30 Euro und damit nur 3,5 Prozent des soeben eingeführten gesetzlichen Mindeststundenlohnes von 8,50 Euro.


Stromnetze früher und heute

Bis vor kurzem basierte das Stromnetz auf der Philosophie, dass einige wenige Kraftwerke Strom erzeugen und dieser zu vielen kleinen Verbrauchern hin geführt wird. Die Organisation des Energieflusses weg von den Kraftwerken und hin zu den Verbrauchern war insofern übersichtlich, als man direkt an den Generatoren im Kraftwerk merkte, wenn der Stromverbrauch ab- oder zunahm. Mehr Last für die Generatoren bedeutete etwa, dass deren Rotoren anfingen, sich langsamer zu drehen. Das damit einhergehende Absinken der Netzfrequenz gegenüber dem Nominalwert von 50 Hz war das Signal dafür, die Generatoren stärker anzutreiben. Hinzu kam noch der Vorteil der Massenträgheit: Die rotierenden Massen in den Generatoren änderten ihre Drehzahl nur langsam und wirkten damit frequenzstabilisierend im Stromnetz.

"Im Jahr 1900 musste ein Arbeiter das Doppelte eines Stundenlohns für eine Kilowattstunde elektrischer Energie aufbringen; diese kostet heute nur 3,5 Prozent des gesetzlichen Mindeststundenlohnes."

Nach der neuen Konzeption der Energieerzeugung fallen Kraftwerke und damit rotierende Massen weg. Stattdessen wird Energie an vielen Punkten aus untergeordneten Spannungsebenen eingespeist. Wenn das Energienetz auf diese Weise dezentralisiert wird, greifen die etablierten Methoden zur Stabilisierung des Netzes und der Netzqualität nicht mehr. Was passiert, wenn viele dezentrale und voneinander unabhängige Beteiligte handeln, lässt sich unschwer am Verkehrswesen ablesen. Es kommt zu Überlastungen der Infrastruktur, Stockungen, Engpässen, Staus. Um ähnliche Unzulänglichkeiten bei der Stromversorgung zu vermeiden, bedarf es erheblicher konzertierter Anstrengungen in Forschung und Entwicklung.

Diese Anstrengungen sind auch aus einem weiteren Grund geboten. Bisher waren die Kraftwerke relativ gleichmäßig über das Land verteilt. Dies gilt jedoch nicht mehr für regenerative Stromerzeuger, wie beispielsweise Windkraftanlagen: Der Wind weht im Norden Deutschlands stärker als im Süden. Infolge der ungleichmäßigen Stromerzeugung müssen viel größere Mengen an Energie als früher übertragen werden.


Energieübertragung mit hohen Spannungen

Ein Grundprinzip bei der Energieübertragung lautet: Spannung, Spannung, Spannung. Je höher die Spannung, umso weniger Strom fließt durch die Überlandleitung, und umso geringer sind die Verluste durch Aufheizen dieser Leitung. Da Gleichspannungen nie verschwinden, während Wechselspannungen sinusförmig sind und daher in regelmäßigen Abständen zu Null werden, sind Gleichspannungssysteme die sachlich bessere Lösung. In der Tat zieht man ausschließlich Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) in Betracht, wenn große Mengen elektrischer Energie über weite Strecken übertragen werden sollen - beispielsweise aus der Sahara nach Europa oder auch von Nord- nach Süddeutschland.

Das ZET befasst sich in diesem Zusammenhang unter anderem mit der Frage: Wie wirkt es sich auf die Stabilität des vermaschten - also aus verschiedenen Netzknoten bestehenden - Übertragungsnetzes aus, wenn eine HGÜ-Strecke in ein bestehendes Höchstspannungsnetz integriert wird? Aus regelungstechnischer Sicht besteht die Aufgabe darin, die Netzstabilität auch bei Störungen sicherzustellen und die verfügbaren Leitungskapazitäten jeweils bestmöglich zu nutzen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei rechnergestützte Simulationen. Denn wie sich ein Fehlerzustand im laufenden Netz auswirkt, kann verständlicherweise nicht im Experiment untersucht werden. Die Software- und Hardware-Ausstattung des ZET macht es möglich, auch sehr komplexe Energiesysteme und andere Systeme zu simulieren. Auf dieser Basis wird aktuell untersucht, wie sich das Betriebsverhalten eines künftigen Energieübertragungsnetzes verbessern lassen könnte.


Ein zukünftiges Gleichspannungsnetz für Europa

Weil die Übertragung von elektrischer Energie mit Gleichstrom sowohl effizienter als auch besser steuerbar ist, gilt ein zukünftiges Gleichstromnetz über Europa als ideales Mittel für eine Verteilung der erzeugten elektrischen Energie. Denn die energetisch und ökonomisch sinnvollste Verwendung der Energie besteht grundsätzlich darin, sie genau den Verbrauchern zur Verfügung zu stellen, die gerade Bedarf haben. Daraus ergibt sich die Vision eines europäischen Gleichspannungs-Supergrids. Über Europa gespannt, ermöglicht ein solches Supergrid, dass jeweils die am effektivsten erzeugte Energie ihren Weg zu den Verbrauchern findet.

Abb. 1: Übertragung von Offshore-Windenergie über verschiedene Gleichspannungsebenen

Abb. 1: Übertragung von Offshore-Windenergie über verschiedene Gleichspannungsebenen


Eine Vorstufe zum Supergrid ist die in Abb. 1 gezeigte Energieübertragung über verschiedene Gleichspannungsebenen. So wird aktuell als Spannungsebene im Offshore-Bereich typischerweise eine Spannung von 320 kV (Kilovolt) verwendet. Für die höheren Leistungen über Land wird hingegen die Ebene von 500 kV (jeweils Gleichspannung) angestrebt.

Abb. 2: Effiziente Umformung von Energie zwischen Gleichspannungsebenen mit Hilfe einer an der Uni Bayreuth entwickelten Schaltungstopologie

Abb. 2: Effiziente Umformung von Energie zwischen Gleichspannungsebenen mit Hilfe einer an der Universität Bayreuth neu entwickelten Schaltungstopologie


Daher benötigt das Übertragungsnetz der Zukunft neue Komponenten, die imstande sind, die Leistung zwischen verschiedenen Gleichspannungsebenen zu wandeln. Forschungsarbeiten am ZET richten sich daher auf eine spezielle Leistungselektronik, welche diese Umformung leisten kann. Die in Abbildung 2 dargestellte Schaltung ist in der Lage, die Leistung zwischen zwei Gleichspannungsnetzen und einem Wechselspannungsnetz auszutauschen - und zwar mit einer Effizienz, die doppelt so hoch ist wie der gegenwärtige Stand der Technik.


Elektrischer Leistungsfluss braucht Steuerbarkeit

Die starken regionalen Verschiebungen in der Energieerzeugung haben dazu geführt, dass neue Leistungsflüsse im heutigen Netz entstehen. Ein plakatives Beispiel ist die Überlastung des polnischen Netzes. Denn wenn im Norden Deutschlands Windenergie eingespeist wird, führt der daraus resultierende Leistungsfluss nach Süden eben auch über Polen. Auch hier bietet die Forschung neue technische Lösungen, welche derzeit am ZET untersucht werden.

Abb. 3: Steuerung des Leistungsflusses in einem künftigen vermaschten Gleichspannungsnetz

Abb. 3: Steuerung des Leistungsflusses in einem künftigen vermaschten Gleichspannungsnetz


Mit Hilfe spezieller Schaltungen, wie schematisch in Abbildung 3 dargestellt, kann der Leistungsfluss nach Wunsch eingestellt werden. Es ist dann immer für eine optimale Nutzung der Leitungskapazitäten gesorgt. Auch hierfür werden neue Technologien benötigt, die beste Effizienz mit hoher Verfügbarkeit und maximaler Kontrolle kombinieren.


Leistungselektronik als Grundbaustein der modernen Energieübertragung

Damit ist deutlich geworden: Die Übertragung mit Gleichstrom sowie die Steuerbarkeit sind Schlüsselthemen der zukünftigen Energieverteilung. Die dazu benötigten Stellglieder verwenden Leistungshalbleiter, welche Spannungen von bis zu 6.500 Volt bei Strömen bis zu 1.000 Ampere aushalten müssen. Dazu ist es erforderlich, hohe Spannungen auf wenigen Mikrometern Länge zu sperren und gleichzeitig hohe Ströme über wenige Quadratmillimeter Querschnitt zu führen. Diese Halbleiter werden in besonderen Schaltungen und bei herausfordernden Umgebungsbedingungen - wie zum Beispiel bei hohen Temperaturen - eingesetzt. Ziel ist es hier, durch besonders schnelle Schaltvorgänge die Effizienz zu maximieren. Das ZET ist an dieser technischen Entwicklung aktiv mitbeteiligt, denn hier wird die optimale Leistungsausnutzung von Halbleitern und die Optimierung der Einsatzbedingungen untersucht. Ein speziell entwickelter Teststand (Abb. 4) erlaubt dabei die künstliche Erzeugung der entsprechenden thermischen und elektrischen Belastungen für die Halbleiter.


Autoren

Prof. Dr.-Ing. Gerhard Fischerauer ist Inhaber des Lehrstuhls für Mess- und Regeltechnik an der Universität Bayreuth.

Prof. Dr.-Ing. Mark-M. Bakran ist Inhaber des Lehrstuhls für Mechatronik an der Universität Bayreuth.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 30:
Tonnenmast für zwei Drehspannungssysteme. Die Isolatoren (links im Bild) haben die Aufgabe, die Hochspannung vom geerdeten Mast zu isolieren.

Abb4 S. 33:
Steuerstand eines Testgerätes für Hochleistungshalbleiter am Zentrum für Energietechnik (ZET).


Sie finden das Magazin als PDF-Datei mit Abbildungen unter:
http://www.uni-bayreuth.de/presse/spektrum/spektrum-pdf/ausgabe_02_14.pdf

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Quelle:
spektrum - Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 2, November 2014, S. 30 - 33
Herausgeber: Universität Bayreuth
Stabsstelle Presse, Marketing und Kommunikation
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Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2015


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