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FORSCHUNG/289: Nanomaterialien - REACH wird das zentrale rechtliche Instrument sein (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Juni 2009

Nanomaterialien - REACH wird das zentrale rechtliche Instrument sein

Interview mit Prof. Dr. Klaus Günter Steinhäuser, Umweltbundesamt (UBA)


UFZ: Die EU hat eine Kennzeichnungspflicht für Kosmetika beschlossen, die die Kennzeichnung von Nanopartikeln in Kosmetika vorsieht. Sind Nanoprodukte also jetzt im Alltag der Verbraucher angekommen?

KGS: Zum Teil ist es noch Zukunftsmusik, weil die Nanotechnologie eine stark wachsende Technologie ist, die immer neue Anwendungsbereiche erschließt. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von technologischen Anwendungen, die bereits jetzt alltägliche Realität ist. Das ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Egal, ob Energietechnik, ob Lacke und Beschichtungen oder Kosmetika, Sonnencreme und Katalysatoren - überall kommt Nanotechnologie zunehmend vor. Manchmal wissen wir genauer davon, insbesondere wenn mit Nanotechnologie geworben wird. Oft tappen wir allerdings im Dunkeln, weil kein Hersteller angeben muss, dass er Nanotechnologie eingesetzt hat.

UFZ: Wäre also eine Kennzeichnungspflicht sinnvoll?

KGS: Teils teils. Ich denke, das wäre aus unserer Sicht in jedem Fall dort sinnvoll, wo Nanopartikel und -materialien in unmittelbaren Kontakt mit Verbrauchern treten und auch im Laufe der Anwendung freigesetzt werden können, wie z. B. bei Sonnencreme. Auf der anderen Seite macht es aber wenig Sinn, beispielsweise ein Windrad, in dessen Flügeln Kohlenstoff-Nanotubes verwendet werden, zu kennzeichnen. Die Nanotechnologie hat zwar potenzielle Risiken, aber sie ist keine Risikotechnologie. In der Regel sind damit keine Gefahren verbunden. Deshalb sollten wir mit einer Kennzeichnung nicht automatisch Gefahr suggerieren. Noch ist die Rezeption von Nanotechnologien in der Bevölkerung mehrheitlich positiv, und das soll aus unserer Sicht auch so bleiben. Die potenziellen Risiken werden wir dabei im Auge behalten.

UFZ: Kritische Stimmen warnen davor, dass es der Nanotechnologie so ergehen könnte wie der grünen Gentechnik: Es wird befürchtet, dass die Bevölkerung Ängste entwickeln könnte, weil sie das Gefühl hat, nicht ausreichend informiert zu sein. Sehen Sie eine solche Gefahr?

KGS: Ich glaube, im Bereich Nanotechnik hat man aus dem Kommunikationsdesaster der grünen Gentechnik einiges gelernt. Deshalb wurde der Nanodialog begonnen. Ausschließen würde ich es dennoch nicht komplett. Eine gewisse Gefahr besteht sicherlich, dass Risiken auftauchen, die man vorher nicht erwartet hat, dass die Kommunikation im Vorfeld unzureichend war oder ein Hersteller meint, um eine korrekte Information herumzukommen. Dann könnte ein ähnliches Kommunikationsproblem entstehen. Aber der Wille, einen gesellschaftlichen Diskurs zu führen und vergleichsweise frühzeitig zu überlegen, wie man den Umgang mit Nanoprodukten in Zukunft sicher gestalten kann, ist vorhanden - bei der Politik, bei der Industrie und auch bei den Umweltverbänden.

UFZ: Wie weit ist man im Bereich Risikoforschung?

KGS: Der Forschungsbedarf ist noch sehr groß. Dieser drückt sich zum Beispiel im Bericht der Nanokommission aus, die mehrere Seiten mit Forschungsthemen genannt hat. Wir wissen noch viel zu wenig, dürfen aber auch nicht so tun, als stünden wir vor einer Blackbox. Die Forschungsvorhaben des BMBF und such der Europäischen Gemeinschaft haben wesentlich dazu beigetragen, erste Vorstellungen zu bekommen, welche Risiken zu beachten sind und wo Lücken - also Forschungsbedarf - in erheblichem Maße bestehen.

UFZ: Wo sehen Sie den größten Forschungsbedarf?

KGS: Vielleicht drei willkürlich ausgewählte Felder: Wir wissen extrem wenig über das Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt. Das hängt damit zusammen, dass wir Nanopartikel nicht vernünftig messen können, wenn sie in die Umwelt geraten sind. Und wir wissen auch wenig darüber, ob sie sich reversibel oder nicht reversibel zusammenballen, an Bodenpartikel anlagern, ob sie über Umweltmedien transportiert werden, wie sie sich letztlich verteilen, ob sie abgebaut werden können. Beim Umweltverhalten ist die entscheidende Frage: Was bewirkt die Nanoeigenschaft? Wir wissen, wie sich Zinkoxid in groben Partikeln verhält. Aber wir wissen nicht, wie die Nanoeigenschaft von nanopartikulärem Zinkoxid in der Umwelt erhalten bleibt oder wieder entstehen könnte.

Ein zweites Beispiel ist das Messen der Exposition, insbesondere in der Umwelt. Wir können inzwischen Wirkungen erfassen. Aber über das Erfassen und Mindern von Umweltexpositionen wissen wir momentan weniger als auf der Wirkungsseite.

Ein dritter Bereich ist die Beurteilung über den Lebensweg. Wir haben wenige Möglichkeiten, Nutzen und Risiken von Nanoanwendungen wirklich über den ganzen Lebensweg zu beurteilen, also ein Lifecycle-Assessment durchzuführen, das über die Gebrauchsphase hinausgeht, also auch Umweltbelastungen in der Produktionsphase und Entsorgung berücksichtigt.

UFZ: Was passiert dazu auf OECD-Ebene?

KGS: Die OECD hat ein Gremium zur Nanosicherheit geschaffen, damit eine Koordination in Bezug auf Politik, Öffentlichkeitsinformation und Forschung im internationalen Rahmen der Industriestaaten stattfindet. Dieses existiert seit drei Jahren und koordiniert die Aktivitäten der Mitgliedstaaten. Industrie und Umweltverbände sind als Beobachter dabei. Das Ziel ist, Risikoforschung, regulatorische Maßnahmen, Informationsaustausch und gemeinsames Handeln abzustimmen, auch mit dem Hintergedanken, Nanosafety frühzeitig in die Politik einfließen zu lassen.

UFZ: Wäre die EU-Chemikalienverordnung (kurz REACH) ein gutes Mittel, um im Nanobereich Regularien zu schaffen?

KGS: Ja, unbedingt. Ich denke, REACH wird das zentrale rechtliche Instrument sein, um Nanomaterialien gesetzlichen Anforderungen zu unterziehen. Dazu gibt es bereits eine ganze Reihe von Initiativen. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat Ende März eine neue Entschließung herausgegeben. Auch dort ist REACH als zentrales Instrument benannt. Nun gilt zunächst einmal: Nanomaterialien sind Stoffe wie andere auch und werden als solche von REACH erfasst. Das ist also kein unregulierter Bereich. Allerdings taucht kein einziges Mal das Wort "Nano" in REACH auf, und es gibt keine speziellen Regelungen und Anwendungsbestimmungen zu Nanomaterialien in REACH. Diese sind aber in einigen Bereichen notwendig. REACH-Arbeitsgruppen arbeiten daran, diese Defizite aufzuholen und die bisherigen Regularien zu ergänzen, um spezielle Risiken von Nanomaterialien wirklich zu erfassen. Das reicht von einer Definition von Nanomaterialien, die auch rechtlichen Bestand hat, über spezielle Prüfanforderungen bis hin zu besonderen Bewertungsfragen.

UFZ: Brauchen wir ein Nanogesetz?

KGS: Nein - zumindest noch nicht. Im Moment stehen stoffliche Aspekte und stoffliche Risiken von Nanomaterialien im Vordergrund. Und man kann schon jetzt Nanomaterialien in allgemeinen Stoffgesetzen, insbesondere REACH, oder in speziellen Stoffgesetzen, wie beispielsweise dem Pflanzenschutzgesetz, angemessen regulieren. Dazu brauchen wir kein Nanotechnologiegesetz. Da bestünde eher die Gefahr, dass es dann Sonderregularien gibt, die im Widerspruch zu den üblichen stoffgesetzlichen Regularien stehen könnten.

"Noch nicht" habe ich gesagt, weil die Nanotechnologie fortschreitet und erkennbar ist, dass es eine Reihe von wissenschaftlichen Entwicklungen gibt, bei denen weniger der stoffliche Aspekt im Vordergrund stehen wird, sondern neue Funktionalitäten von Nanoverbindungen. Wenn dann in Verbindung mit Bio- oder Informationstechnologie neue Felder erschlossen werden, die eventuell einer entsprechenden Regulation bedürfen, kann es durchaus möglich und sinnvoll sein, ein Nanotechnologiegesetz zu schaffen. Aber das ist wirklich Zukunftsmusik.

UFZ: Welche Wünsche hätten Sie an die Industrie?

KGS: Die Nanokommission hat fünf Prinzipien des sicheren, verantwortlichen Umgangs mit Nanotechnik geschaffen, die richtig beschreiben, wie die weitere industrielle Entwicklung mit Nanomaterialien aussehen soll. Wichtig wäre jetzt, diese sehr allgemeinen Prinzipien für bestimmte Branchen zu konkretisieren. Es sollte spezifisch festgelegt werden, wie beispielsweise in der Textil-, der Lebensmittel- oder der Lackindustrie verantwortungsbewusst und sicher mit Nanomaterialien umzugehen ist und welche Informationen an die Kunden weitergegeben werden sollten. Aus meiner Sicht müsste die Industrie stärker daran arbeiten, aus allgemeinen Prinzipien konkretes Handeln zu machen. Denn das wird auch durch Gesetze nicht gelöst werden können.

UFZ: Was werden die nächsten Monate in Sachen Nano bringen?

KGS: Für uns steht ganz klar im Moment die OECD-Tätigkeit im Vordergrund. Ein Testprogramm soll über 14 prominente Nanomaterialien abgesicherte Daten über mögliche Gefahren liefern. Das ist ein Prozess, der in der ersten Phase bis 2010 abgeschlossen sein wird und hoffentlich in einem geschlossenen Bild zusammenfasst, was bisher als teilweise widersprüchliche Einzelaussagen kursiert. Auf regulatorischem Gebiet wird es in Deutschland wichtig, sich eine Art "Meldeverordnung" zu überlegen. Das ist aber angesichts der vielfältigen Anwendungsfelder nicht trivial. Freiwillige Meldesysteme wie in Großbritannien waren bisher ein Flop. Da kam praktisch nichts. Ein erster sinnvoller Schritt wäre eine Übersicht für besonders wichtige Anwendungen. Und nicht zu vergessen, der Dialog muss weitergehen. Die Nanokommission hat Ende vergangenen Jahres einen Abschlussbericht vorgelegt. Sie hat aber das Mandat, mit etwas veränderter Schwerpunktsetzung, Arbeitsweise und Zusammensetzung bis Ende 2010 weiterzuarbeiten.

Til Arnhold


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NANODIALOG

In den Dialog über Chancen und Risiken von Nanomaterialien sind Vertreter aus Wissenschaft, Fachbehörden des Bundes, Wirtschaft und aus Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden einbezogen. Die Ergebnisse sollen eine Grundlage für die Information der Öffentlichkeit bieten und bei Bedarf Handlungsempfehlungen an die Behörden ermöglichen. Die Nanokommission hat Ende 2008 in Berlin ihre zentralen Ergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt und eigene Empfehlungen für den verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Technologie gemacht. Die Kommission wurde vor zwei Jahren als dialogorientiertes Gremium für die Bundesregierung vom Bundesumweltministerium berufen. Das Gremium stand in Kontakt mit anderen nationalen und internationalen Aktivitäten.

www.bundesumweltministerium.de/gesundheit_und_umwelt/nanotechnologie/nanodialog/doc/39886.php


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Quelle:
UFZ-Newsletter Juni 2009
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2009