Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

ARTENRAUB/042: Wale unter Beschuss - Das Ringen in der Internationalen Walfangkommission (ForschungsReport)


ForschungsReport 2/2011
Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz

Wale unter Beschuss
Das Ringen in der Internationalen Walfangkommission

von Karl-Hermann Kock (Hamburg)


Die Nutzung und den Schutz von Großwalen (Bartenwale, Pottwal, Schwertwal und Entenwale) reguliert weltweit die Internationale Walfangkommission (IWC), die 1948 ihre Arbeit aufnahm. Ihr Wirken konnte den Niedergang der Wale, insbesondere im Südpolarmeer, dem wichtigsten Walfanggebiet des 20. Jahrhunderts, zwar verlangsamen, aber nicht aufhalten. Nach wie vor machen einige Länder Jagd auf die Großsäuger der Meere.

War die IWC bis Mitte der 1970er Jahre fast ausschließlich ein 'Club von Walfängern', so strebten seitdem immer mehr Länder, die sich primär dem Walschutz verpflichtet fühlten, in die Kommission. Auch Deutschland wurde 1982 Mitglied. Die wissenschaftliche Betreuung der IWC obliegt dem Institut für Seefischerei des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (vTI) in Hamburg. Es nimmt diese Aufgabe in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für terrestrische und aquatische Wildtierforschung (ITAL) in Büsum und dem Meeresmuseum Stralsund wahr.

Anfang der 80er Jahre waren die Wale im Südpolarmeer bereits so dezimiert, dass nur noch der Fang von Zwergwalen erlaubt war. 1982 beschloss die IWC deshalb auf ihrer 34. Sitzung mit der Stimme Deutschlands, den kommerziellen Walfang mit dem Ende des Jahres 1986 (bzw. der 1986/87 Fangsaison im Südpolarmeer) auf unbestimmte Zeit auszusetzen und ein Moratorium des kommerziellen Walfangs in Kraft zu setzen.

Nur zwei von sieben Nationen, die ursprünglich gegen das Moratorium gestimmt hatten - Norwegen und Russland - hielten ihren Einspruch aufrecht und sind nicht an den Moratoriumsbeschluss gebunden. Sie können kommerziellen Walfang betreiben, was Norwegen ja auch tut.


Moratorium soll die Wende bringen

Das Moratorium sollte alle zehn Jahre einer Revision unterzogen werden. Um es aufzuheben wären zwei Voraussetzungen zu erfüllen: zunächst die Entwicklung eines sicheren Managementverfahrens für den Fang von Großwalen, ohne deren Bestände zu gefährden.

Zum anderen der Abschluss der 1990 begonnenen 'Umfassenden Bestandseinschätzung' (Comprehensive Assessment) aller ehemals genutzten Walbestände durch den Wissenschaftsausschuss.

Die Maßgabe, den Walfang auszusetzen, war längst überfällig. Der Walfang im Südpolarmeer - als letztem Gebiet, in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts Wale noch in großer Zahl vorkamen - hatte von 1904 bis zum Ende der 1960er Jahre fast zwei Millionen Wale das Leben gekostet. Die Ökonomie Norwegens war bis zum Beginn der 60er Jahre entscheidend vom Wohl und Wehe des antarktischen Walfangs abhängig. Zu Beginn der 60er Jahre setzte das große Sterben der Walfangflotten in den Ländern ein, die wie Norwegen und Großbritannien über viele Jahrzehnte tonangebend im Walfang gewesen waren. Ende der 60er Jahre war die Zahl der Länder, die noch Hochseewalfang betrieben, auf Japan und die Sowjetunion gesunken. Dazu kamen noch eine Reihe von Ländern wie Brasilien, Chile, Korea, Spanien und Portugal, die Küstenwalfang im begrenzten Umfange betrieben.

Wurden vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem Buckel-(Megaptera novaeangliae) und Blauwale (B. musculus intermedia) bejagt, folgten in den 50er und 60er Jahren Finnwale (Balaenoptera physalus) und Seiwale (B. borealis). Anfang der 70er Jahre waren nur noch Zwergwale (B. bonaerensis) als letzte Bastion des kommerziellen Walfangs übrig geblieben. Zwergwale waren gerade noch halb so groß wie Finn- und Seiwale.

Eigentlich hätte damit Ruhe an der Walfront einkehren können, die seit dem Beginn der 70er Jahre immer mehr in den Blickpunkt von Öffentlichkeit und Umweltgruppen gerückt war. Doch Japan, das sich im Gegensatz zu den westlichen Ländern traditionell in erster Linie aus dem Meer ernährte, war unzufrieden mit dem Moratorium. Japan hatte einem Fangstopp nur unter dem Druck der USA zugestimmt, die ihnen sonst die Nutzung der Fisch- und Schalentierbestände in der US-amerikanischen 200-Seemeilen-Wirtschaftszone untersagt hätten. Die Fronten in der IWC begannen sich zu verhärten. Japan scharte die Walfangbefürworter um sich. Deutschland bildete mit vielen Walfang ablehnenden Ländern die Gruppe der "like-minded countries".


Unterschiedliche Kulturen

Für viele Japaner war es schwer zu verstehen, aus welchem Grund es seit Beginn der 1970er Jahre in den westlichen Ländern verwerflich sein sollte, Wale zu töten, um sie zu essen, wo sie es bis in die 60er Jahre getan hatten, ohne es moralisch zu hinterfragen. Schließlich akzeptierte man in der westlichen Welt doch auch das Töten von Rindern, Schweinen und Schafen zum Zwecke der Ernährung. Viele Japaner gingen in ihren Ansichten noch einen Schritt weiter: Sie fanden es verwerflicher, ein Nutztier zu töten als ein Wildtier. Es ist klar, dass dieser fundamental unterschiedliche Denkansatz kaum Kompromisse zulässt. Um die Debatte um das 'Für und Wider' des Walfanges zu verstehen, ist es wichtig, sich das immer wieder vor Auge zu halten.

Da Walzählungen unter der Ägide der IWC das Vorkommen einer großen Anzahl Zwergwale im Südpolarmeer dokumentiert hatten, war es für die Japaner eine logische Konsequenz, diese Wale weiter zu bejagen. Fraglich war nur das "Wie".

1987 nutzte Japan ein in der 'Internationalen Walfangkonvention' festgelegtes (legales) Schlupfloch: Ein Artikel dieser Konvention überlässt es jedem Land, national Fangquoten für den wissenschaftlichen Walfang festzulegen. Vorschläge eines Mitgliedslandes, eine bestimmte Menge Wale zu wissenschaftlichen Zwecken zu töten, müssen der IWC so rechtzeitig mitgeteilt werden, dass sie vom Wissenschaftsausschuss geprüft werden können. Das Mitgliedsland ist gut beraten, seine Vorschläge anhand der Kommentare des Wissenschaftsausschusses zu modifzieren, muss es aber nicht.


Ein Schlupfloch mit großer Maschenweite

Wissenschaftlicher Walfang war bis zum Moratorium 1986 kein Problem, da nur wenige Wale pro Jahr für die Wissenschaft ihr Leben ließen. Das änderte sich 1987, als die japanische Regierung erklärte, nun 300 (± 10%) Zwergwale pro Jahr zu wissenschaftlichen Zwecken im Südpolarmeer erbeuten zu wollen. Damit nicht genug, erhöhte Japan seinen wissenschaftlichen Walfang Mitte der 90er Jahre auf 400 (± 10%) Wale in einem Gebiet, das gerade als Walschutzgebiet ausgerufen worden war. Zehn Jahre später steigerte es den wissenschaftlichen Fang auf 850 Zwergwale (± 10%).

Es gelang den Japanern aber nicht in jedem Jahr, die anvisierte Menge von 850 Zwergwalen zu schießen. Neben den Zwergwalen sollten von 2005/06 an jährlich bis zu 50 Buckel- und 50 Finnwale geschossen werden dürfen. Der Abschuss von 50 Finnwalen, für die eine Umfassende Bestandseinschätzung im Südpolarmeer noch nicht einmal begonnen hatte, wurde besonders kritisch gesehen. Während Japan den Fang von Buckelwalen aufgrund der breiten Proteste aussetzte, wurden bisher zehn Finnwale über den Zeitraum von sechs Jahren geschossen.

Das Land verschärfte seine Gangart weiter und beteiligte sich nicht an Arbeitsgruppen des Wissenschaftsausschusses, wie den 'small cetaceans' und 'wale watching', die ihrer Meinung nach in der IWC nichts zu suchen hatten. Japan und andere Walfangbefürworter boykottieren auch Arbeitsgruppen der Kommission, wie das 'Conservation Committee', das unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands 2003 auf der Jahrestagung in Berlin gegründet worden war. Dies heizte die Polarisierung von Walfanggegnern und Walfangbefürwortern nur noch weiter an.


Info:

Mit der Sonderausstellung "Wunderbare Wale" entführt das Naturhistorische Museum in Braunschweig die Besucherinnen und Besucher in die geheimnisvolle Wasserwelt dieser Meeressäuger. Die Ausstellung widmet sich drei großen Hauptthemen: der Evolution der Wale, den Anpassungen an ihren Lebensraum und der Jagd und Bedrohung. Die ursprünglich in Paris konzipierte Ausstellung ist in Braunschweig bis zum 10. Februar 2011 auf dem Gelände des Rebenparks gegenüber des Museums zu sehen (www.wunderbarewale.de).


Wissenschaftler entwickeln Managementpläne

Die Wissenschaft konnte sich aus den Rankünen der Kommission weitgehend heraushalten.

Wie erwähnt sollte das 1982 beschlossene Walfang-Moratorium so lange gelten, bis es ein sicheres Managementverfahren gibt und eine umfassende Einschätzung der weltweiten Walbestände vorliegt. 1987 begann der Wissenschaftsausschuss der IWC, die Revised Management Procedure (RMP) zu entwickeln als Alternative zu den alten, den Schutz der Wale nur unzureichend gewährleistenden Managementplänen. Die RMP sollte sicherstellen, dass nach Aufheben des Moratoriums Walbestände unter der Jagd mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unter 54% ihrer Ursprungsgröße sinken. Ihr Kernstück ist der 'catch limit algorithm', der aus Bestandsabschätzungen mit Hilfe von Sichtungssurveys und Zeitserien historischer Fänge die Berechnung von Höchstfangmengen ableitet. Die Walfangkommission nahm das neue Managementverfahren 1994 an. Im gleichen Jahr 1994 wies die Walfangkommission gegen die Stimmen Japans, Norwegens und anderer Walfangbefürworter das ganze Südpolarmeer als Walschutzgebiet aus. Da Japan und andere, den Walfang befürwortende Länder gegen das Walschutzgebiet gestimmt hatten, waren sie an den Beschluss der IWC nicht gebunden und konnten weiterhin 'wissenschaftlichen' Walfang betreiben.

1990 begann der Wissenschaftsausschuss mit seinem zweiten großen Vorhaben, der 'Umfassenden Bestandseinschätzung' der Walbestände weltweit. Die Aufgabe, ursprünglich nur auf eine Reihe von Jahren ausgelegt, erwies sich als zu ambitioniert und wesentlich zeitaufwändiger als ursprünglich angenommen. Mehr als 20 Jahre gingen ins Land, bis die Umfassende Bestandseinschätzung wenigstens für die Buckelwale der Südhemisphäre fast zum Abschluss gebracht werden konnte. Für andere Arten, wie den Finn- und Seiwal der Südhemisphäre, war eine Umfassende Bestandseinschätzung noch nicht einmal begonnen worden.

Mit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entwickelte sich eine Zweigleisigkeit in dem, was Wissenschaftsausschuss und Kommission taten. Der Wissenschaftsausschuss beriet weiter die Kommission und nutze die Erfahrungen, die er während der Entwicklung der RMP gesammelt hatte, zur Erarbeitung von Managementverfahren für den Walfang indigener Völker und zur Entwicklung technischer Details und Spezifikationen für die Anwendung der RMP. Die Kommission begann immer weniger auf die Ratschläge des Wissenschaftsausschusses zu hören und entschied immer mehr auf der Grundlage politischer Erwägungen.


Die IWC in der Sackgasse?

Die vordringliche Aufgabe der Kommission, die Entwicklung eines umfassenden Managementsystems (des Revised Management Schemes, RMS, von dem der Wissenschaftsausschuss einen Teil, die Revised Management Procedure, schon entwickelt hatte) voran zu treiben, machte in den 90er Jahren wenig Fortschritte. Stattdessen verlegte man sich darauf, neue Mitglieder der IWC für die eigene Sache zu gewinnen. Umfasste die IWC 1972 noch 15 Mitgliedsländer, waren es 1982, dem Jahr der Mitgliedschaft Deutschlands, schon 39. 2011 waren es 84. Zwei Vorschläge aus den Jahren 1997 und 2004, die Fronten zwischen Walfangbefürwortern und -gegnern aufzubrechen und zu einer Kompromisslösung zu finden, führten nicht zum Erfolg. Die IWC hatte sich in eine Sackgasse manövriert. Ihr Fortbestand stand auf dem Spiel.

Um einen Ausweg zu n und den Fortbestand der IWC zu sichern, wurden zunächst alle Punkte, die einer Einigung im Wege standen, aufgelistet. Auf einer Reihe von Sitzungen, die zwischen den Jahrestagungen 2008 und 2010 stattfanden, suchte man nach Kompromissen. Doch auch wenn eine gewisse Annäherung beider Lager erreicht werden konnte, blieben entscheidende Punkte des Kataloges nach wie vor ungelöst.

2010 war klar, dass man keine Einigung würde erzielen können. Man beschloss, eine Atempause für mehrere Jahre zu machen und dann neu zu verhandeln.


Dr. Karl-Hermann Kock,
Johann Heinrich von Thünen-Institut,
Institut für Seeerei,
Palmaille 9, 22767 Hamburg.
E-Mail: karl-hermann.kock[at]vti.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Pottwal
Abtauchender Pottwal
Springender Buckelwal
Finnwal mit halb erwachsenem Kalb

Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


*


Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2011, Heft 44 - Seite
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Schriftleitung & Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

Der ForschungsReport erscheint zweimal jährlich.

Möchten Sie den ForschungsReport kostenlos abonnieren?
Dann wenden Sie sich einfach an die Redaktion.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Dezember 2011