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FISCHEREI/106: Freiwillige Leitlinie der FAO zum Schutz der Kleinfischerei (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Freiwillige Leitlinien der FAO zum Schutz der Kleinfischerei
Ein langer Weg zur internationalen Anerkennung des handwerklichen Fischereisektors

Von Francisco Mari



Das 31. Gipfeltreffen der Fischereiminister aus 180 Mitgliedsstaaten der Welternährungsorganisation (FAO) beschloss am 9. Juni 2014 in Rom einstimmig die "Freiwilligen Richtlinien zur Sicherung von Kleinfischerei im Kontext von Ernährungssicherung und Armutsreduzierung". Ein langer Prozess zur Anerkennung der Rolle der handwerklichen Fischerei um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Meeresressourcen ist erfolgreich zu Ende gegangen. Auch wenn viele Staaten eigene Kommentare und kleinere Einwände zu Protokoll gaben, sind die Richtlinien nun wichtige Empfehlungen an die Weltgemeinschaft.


Den Weg dafür ebnete die FAO-Konferenz zur Kleinfischerei von 2008, die nach vielen Jahren des Einsatzes um Anerkennung für die Staatengemeinschaft den Weg frei gab, darüber zu verhandeln, welche Rolle die Kleinfischerei in den Fischereiaktivitäten der Länder spielen soll.

Zu Beginn gab es viel Unsicherheit und Verwirrung über die Definition der Kleinfischerei. So gelten in Europa die Küstenkutter in der Nordsee wie auch jene im Mittelmeer, die Stellnetzfischerei an der Ostsee oder die kleinen Boote für den Muschel- und Tintenfischfang als Kleinfischer. Doch auch in den Ländern des Südens gibt es verschiedene Arten und Größen, die alle als Kleinfischerei verstanden werden können: Einbäume in den Flüssen, kleine Katamarane im Pazifik, aber auch große Pirogen im Senegal, mit Motor und über 24m Länge und 15 Mann Besatzung, die mehr Fisch anlanden können als europäische Küstenboote. Ebenfalls existieren große Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung der Beschäftigung in der Kleinfischerei. Während es in Europa Genossenschaften mit mehreren Booten und in Afrika die städtischen Investoren, denen mehrere Pirogen gehören, gibt, schnappt die Frau auch in Papua-Neuguinea mal eben ihren hölzernen Katamaran und ihr Kind, um ein paar Fische für die Mittagsmahlzeit in der Lagune zu fischen.

Um wen soll es eigentlich gehen?

Außerdem musste auch die Frage geklärt werden, wen die Richtlinien adressieren sollen. Nur diejenigen, die wirklich im Meer, Seen oder Flüssen der Tätigkeit des Fischens nachgehen oder auch diejenigen, die erst den Fisch zu einem wertvollen Nahrungsmittel verarbeiten, sei es für den eigenen Bedarf, die Märkte im Dorf, in der Stadt oder im Hinterland? Tätigkeiten, denen vor allem Frauen nachgehen und diese daher auch im Kleinfischereisektor das Geld in den Händen haben. Außerdem leben FischerInnen nicht auf dem Wasser. Landfragen an den Küsten über ihre Häuser und Gärten, aber auch Ufer als Anlegestellen oder zur Verarbeitung des Fischs an den Stränden spielen ebenso eine Rolle, wie das Recht der Fischerfamilien auf Bildung, Gesundheit und andere soziale Rechte.

Für einige Staaten in der FAO war es schwierig die Subsistenz- und die informelle Fischerei anzuerkennen. In ihren Augen seien das SchwarzarbeiterInnen, die den Staat um Steuereinnahmen brächten. Andere sahen keinen Unterschied innerhalb des Gewerbes von Fischern. Die Gesetze müssten für alle gelten, egal ob groß oder klein, informell oder industriell.

Der Zugang zu den Fischgründen

Ganz heikel wurde es, als diskutiert wurde, wie es um den Zugang zu Meeresressourcen stehe und inwiefern der Kleinfischerei Rechte zuzugestehen seien, die viele Küstengemeinschaften schon seit Jahrhunderten hätten. Viele Staaten wehrten sich den Küstengemeinschaften besondere Zugangsrechte in bestimmten Zonen zu garantieren und indigene Fischereigemeinschaften überhaupt als solche anzuerkennen. Das galt bis zum Schluss auch für Industrieländer, wie Kanada. Ein Grund dafür ist, dass das Eingestehen der Rechte der lokalen Bevölkerung auf das Fischen in den Küstenzonen für Regierungen bedeutet, dass sie bei der Erschließung und Industrialisierung der Meeresküsten für extraktive Offshore-Energie oder für den Tourismus in Zukunft Rücksicht auf diese traditionellen Rechte nehmen müssen. Um die Befürchtungen und den Widerstand einzelner Staaten überwinden zu können, mussten die VertreterInnen der großen internationalen Kleinfischerverbände und beratende NGOs, wie Brot für die Welt, sehr viel aufwenden und sich in Geduld üben. Unterstützt wurden sie dabei von FAO-MitarbeiterInnen, WisenschaftlerInnen und auch ExpertInnen aus "gutwilligen Staaten".

Nicht unerheblichen Einfluss auf manche Staaten hatte dabei auch die Fischereiindustrie. Insbesondere in der Frage, ob die Kleinfischerei Anspruch auf besondere Fangzonen habe oder grundsätzlich einen privilegierten Zugang zu den Fischressourcen erhalten solle, berührte natürlich auch die Entscheidung wo, wie lange und was den einheimischen oder ausländischen Industriefangschiffen an Fanggründen gewährt wird.

Der Menschenrechtsansatz in den Leitlinien Kleinfischerei

Große Schwierigkeiten bereitet vielen Ländern der menschenrechtliche Grundansatz der Leitlinien der Kleinfischerei. Staaten zu empfehlen, dass sie bei politischen Entscheidungen auf die Wahrung der Menschenrechte achten, mindert so manche lukrative Einnahmen. So müsste zum Beispiel beim Verkauf von Fanglizenzen beachtet werden, dass das Menschenrecht auf Nahrung nicht verletzt wird, indem wichtige Fanggründe veräußert werden. Es ist überflüssig zu betonen, dass sich unter den 180 FAO-Mitgliedern nicht nur entwickelte Demokratien befinden. Wer das Fangquotengeschacher in der EU kennt, weiß auch, dass selbst Demokratie und Rechtsstaatlichkeit marine Desaster nicht verhindern.

Zu guter Letzt mussten alle Länder einsehen, dass es ein Vorteil für die nachhaltige Entwicklung ihrer Küstenzonen ist, der lokalen Bevölkerung den Lebensunterhalt im Fischereisektor zu sichern sowie ihre Bevölkerung mit in Fischereiprodukten enthaltenen wichtigen Proteinen zu versorgen.

Mitbestimmung und Transparenz sind unabdingbar

Schlussendlich musste nur noch eine Hürde genommen werden, ohne die viele Vorgaben wirkungslos bleiben würden, selbst wenn Staaten sie in nationales Recht umsetzten würden. Für die Verbände der Kleinfischerei war es unverzichtbar, dass die Leitlinien auch präzise Formulierungen zu ihrer zukünftigen Beteiligung bei allen Entscheidungen von Regierungen, die ihre Lebensweise und ihren Lebensraum betreffen, enthalten. Voraussetzung dafür ist eine vollständige Transparenz über Pläne, Prozesse und Entscheidungen. Nur so können Beteiligungsrechte, welche die Leitlinien vorschreiben, überhaupt wahrgenommen werden.

Das war für viele Regierungen die schwerste Pille, die sie schlucken mussten. Viele Länder empfanden es als einen direkten Angriff auf ihre Entscheidungshoheit. Nicht nur Mitentscheiden, sondern auch zivilgesellschaftliche Kontrolle über ihr Handeln sowie die Fessel der Beachtung aller menschenrechtlichen Verpflichtungen, die man einmal unterschrieben hat, lassen nicht viel Spielraum, um mit Investoren und Industrie die gewohnten Pakete an gegenseitiger Gefälligkeit zu schnüren. Am Ende mussten viele Delegierte, die zu Hause sicher nicht zu den größten VerfechterInnen partizipatorischer und transparenter Mitbestimmung gehören, einem hohen Grad an verbindlichen Formulierung in den Leitlinien für den Einbezug des handwerklichen Fischereisektors zustimmen, wollten sie nicht vor der Weltgemeinschaft für ihre Menschenrechtsverletzungen demaskiert werden.

Der Weg zu den Leitlinien war für die Staaten ein Lernprozess, dass niemand ihnen ihre souveränen Entscheidungsbefugnisse nehmen würde, wenn sie auf die Erfahrungen und Forderungen der Zivilgesellschaft hören. Im Gegenteil, viele Missverständnisse und Fehlinterpretationen konnten durch den Einfluss der jeweiligen Akteure der Zivilgesellschaft entschärft werden. Nun sind also die Leitlinien da. Doch die Zivilgesellschaft konnte auf einem Treffen kurz danach in Rom nur gedämpft jubeln, da ihre Hauptunterhändlerin Chandrika Sharma im Flug MH-370 saß, dessen Schicksal bis heute unbekannt ist. Auch die Staatengemeinschaft gedachte ihrer. Die Guidelines werden für viele immer mit ihrem Namen verbunden bleiben.

Ziel erreicht und was kommt nun?

Diese Leitlinien heißen "freiwillige", weil sie kein völkerrechtliches Staatenabkommen sind. Sie werden daher nicht in den Parlamenten der Mitgliedsländer ratifiziert und damit bindendes Recht werden. Sie sind eine Empfehlung an sich selbst. Alle haben zwar zugestimmt, jedoch vielleicht auch mit dem Hintergedanken, das ist gut für die anderen, das brauchen wir nicht. Dennoch werden sich nun weltweit die Fischer und Frauen in diesem Sektor auf diese Leitlinien, die ihre Situation sehr stärken, berufen können, weil ihre Regierungen ihnen zugestimmt haben. Das reicht aber noch nicht. Besser wäre es, wenn alle Mitgliedsländer sich nun ihre bestehenden Fischereigesetze anschauen würden und die Empfehlungen für ihre Bedürfnisse in Dialogen mit ihrem Kleinfischereisektor integrieren und neu beschließen würden. Diese Prozesse - vor allem in den Ländern des Südens - zu unterstützen, fordern auch deutsche NGOs, wie Brot für die Welt, von der Bundesregierung.


Autor Francisco Mari ist Referent für Agrarhandel und Fischerei bei Brot für die Welt.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2014