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GLOBAL/099: Das Recht auf Entwicklung innerhalb planetarischer Grenzen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013 Ziele(n) für nachhaltige Entwicklung - Wer hat noch Pfeile im Köcher?

Das Recht auf Entwicklung innerhalb planetarischer Grenzen?
Ein universelles Zielsystem muss nicht zwangsläufig zu Zielkonflikten führen

von Merle Bilinski



Das von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eingesetzte Sustainable Development Solutions Network hat in seinem jüngst vorgelegten Berichtsentwurf vorgeschlagen, das Recht auf Entwicklung innerhalb planetarischer Grenzen als eines von zehn Zielen in den Katalog globaler Nachhaltigkeitsziele für die Zeit nach dem Jahr 2015 aufzunehmen. Sollte sich dieser Vorschlag innerhalb der Diskussionen um globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele durchsetzen, wäre dies ein Quantensprung im Vergleich zu den 2001 verabschiedeten Millenniumsentwicklungszielen (Millennium Development Goals - MDG), die sowohl rechtsbasierte Entwicklungsansätze als auch Umwelt- und Klimafragen weitgehend ausgeklammert haben.


Doch was bedeutet diese Zielsetzung tatsächlich? Wie kann ein neues Zielsystem sowohl dem Recht der Menschen auf eine positive wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Entwicklung als auch den ökologischen Grenzen unseres Planeten gerecht werden?


Neue globale Rahmenbedingungen
Die Entwicklungsparadigmen der vergangenen Jahrzehnte, darunter auch die MDG, richteten sich nahezu ausschließlich an arme Länder des Globalen Südens, während die Verantwortung der Industrieländer unkonkret blieb und ihren Beitrag zum Klimawandel gar nicht in den Blick nahm. Dieser Ansatz spiegelte seit jeher ein verkürztes Entwicklungsverständnis wider, entspricht inzwischen aber weniger denn je den aktuellen globalen Herausforderungen: Die globalen Kräfteverhältnisse haben sich verschoben, viele Schwellenländer verfügen inzwischen über ein höheres Bruttoinlandsprodukt als manche Industrieländer und haben einen entsprechend hohen ökologischen Fußabdruck. Der Klimawandel, aber auch die Wirtschafts-, Finanz-, Energie- und Nahrungsmittelkrisen haben zudem die Abhängigkeiten zwischen dem Norden und dem Süden deutlicher hervortreten lassen und bedrohen zunehmend die Lebenssituation von Millionen von Menschen, insbesondere unter den verletzlichsten Gruppen im Globalen Süden. Will ein neues globales Zielsystem nachhaltig zu Armutsbekämpfung und Entwicklung beitragen, muss es daher diese veränderten Rahmenbedingungen in den Blick nehmen und entsprechende Lösungen für globale Probleme entwickeln.

Dies bedeutet zunächst einmal, dass es ein universelles Zielsystem sein muss, das sowohl für den Norden als auch für den Süden gilt und auch Schwellenländer in die Verantwortung nimmt. Nur so kann die umfassende sozial-ökologische Transformation erreicht werden, die angesichts der gegenwärtigen globalen Rahmenbedingungen erforderlich ist. Dieser Perspektivwechsel muss begleitet werden von einem erweiterten Blickwinkel, der Entwicklungs-, Umwelt- und Menschenrechtsaspekte zusammenführt.


Zielkonflikte von Umwelt- und Entwicklungsperspektiven?
Ein globales Entwicklungsparadigma, das nicht nur die Auswirkungen von Armut, sondern auch ihre Ursachen bekämpfen will, muss von den Menschenrechten ausgehen und sowohl Ungleichheitsstrukturen als auch strukturelle Diskriminierung bekämpfen. Nachhaltige Entwicklung bedeutet, dass alle Menschen Zugang zu den Ressourcen haben, die sie für die Verwirklichung ihrer Menschenrechte benötigen. Dieser Anspruch muss nicht notwendigerweise zu Zielkonflikten mit umweltpolitischen Ansprüchen führen: Inwiefern beispielsweise das Ziel, Ernährungssicherheit für alle zu erreichen, zur Ausbeutung von Ressourcen führt, hängt maßgeblich vom eingeschlagenen Entwicklungspfad ab. Wird ein solches Ziel bereits bei seiner Formulierung verbunden mit Zielsetzungen zur Effizienzsteigerung bei der Nutzung von Land und Wasser sowie zur Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen, können Umwelt- und Entwicklungsaspekte zusammengeführt werden. Gleiches gilt für den Zugang zu Energie. Die »Sustainable Energy for All«-Initiative des UN-Generalsekretärs sieht beispielsweise vor, bis 2030 universellen Zugang zu moderner Energie für alle Menschen zu erreichen und verbindet dieses Ziel mit dem Anspruch, im gleichen Zeitraum die Energieeffizienz sowie den Anteil erneuerbarer Energien zu verdoppeln.

Wenngleich die Integration von Umwelt- und Entwicklungsanliegen also nicht als Rechtfertigung für nachlassende Bemühungen bei der Armutsbekämpfung führen darf, stellt sich diese Frage für Industrie- und Schwellenländer in anderer Form. Die weltweite Armut hat ihre strukturellen Ursachen in einem Weltwirtschaftssystem, in dem systematisch die negativen Auswirkungen von Wirtschafts-, Handel- und Investitionspolitik auf die Menschenrechte im Globalen Süden und die Grenzen unseres Planeten ignoriert werden. Nachhaltiges Wirtschaften, der Schutz der Ökosysteme und ihrer natürlichen Ressourcen sowie die Schaffung nachhaltiger Produktions- und Konsummuster müssen daher insbesondere auch als Ziele für Industrie- und Schwellenländer in einer neuen globalen Agenda verankert werden. Unser heutiges auf ökonomisches Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftsmodell hat sich dabei als nicht tragfähig erwiesen. Die Beibehaltung beziehungsweise Ausweitung derzeitiger Konsummuster im Globalen Norden wird innerhalb weniger Jahre das globale Ökosystem zusammenbrechen lassen und die Menschheit ihrer Existenzgrundlage berauben. Im Sinne der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung sind alle Länder in der Pflicht, zukunftsfähige Entwicklungspfade einzuschlagen und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen wirksam zu kontrollieren.


Konsequenzen für die Post-2015-Agenda
Das Ziel, das Recht auf Entwicklung innerhalb der planetarischen Grenzen zu verwirklichen setzt also voraus, ein Wirtschaftssystem aufzubauen, das die Entwicklungsbedürfnisse der Länder des Südens anerkennt, gleichzeitig aber den übermäßigen Ressourcenverbrauch der Länder des Nordens begrenzt. Die Sustainable Development Goals sind in der Form, in der sie auf der Rio+20-Konferenz beschlossen wurden universell angelegt und haben daher das Potential, Entwicklung als globalen Prozess zu interpretieren und nicht auf die Probleme von Entwicklungsländern zu verengen. Entscheidend ist es nun, die Ziele so auszuformulieren, dass Wirtschaftswachstum darin nicht als Ziel an sich betrachtet wird, sondern als Mittel, um gesellschaftliche Ziele, wie soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Wohlstand und Teilhabe zu erreichen. Der soeben veröffentlichte Bericht des High Level Panels des UN-Generalsekretärs zur Post-2015-Entwicklungsagenda geht diesen Schritt leider nicht: Weder stellt das Panel in seinen Empfehlungen an Ban Ki-moon das vorherrschende globale Wachstumsparadigma in Frage, noch leistet es den Perspektivwechsel von einer Entwicklungsagenda hin zu einer Transformationsagenda, da der Großteil des Veränderungsbedarfs weiterhin in erster Linie bei den Ländern des Südens verortet wird.

In der verbleibenden Zeit bis zum Jahr 2015 gilt es also weiterhin Druck auszuüben für eine tatsächlich universell gültige Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda, die den globalen Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird und sowohl zur Verwirklichung des Rechts auf Entwicklung als auch zur Beachtung der planetarischen Grenzen beiträgt. Dies erfordert auch für zivilgesellschaftliche Organisationen den Blick über den eigenen Tellerrand und eine stärkere netzwerkübergreifende Kooperation. In der Zusammenarbeit zwischen dem Verband Entwicklungspolitik, dem Forum Menschenrechte und dem Forum Umwelt und Entwicklung zur Post-2015-Agenda ist dieser Schritt bereits ebenso angelegt, wie in der gemeinsamen Forderung, Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenden für die Zeit nach 2015 in einem Zielsystem zu integrieren. Zu hoffen bleibt, dass sich auch die staatliche Seite daran ein Vorbild nimmt und zu einer stärkeren ressortübergreifenden Zusammenarbeit im Sinne globaler nachhaltiger Entwicklung findet, als dies in der Vergangenheit der Fall war.


Autorin Merle Bilinski ist politische Referentin im Projekt »Deine Stimme gegen Armut - Entwicklung braucht Beteiligung« beim Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO).


Das VENRO-Positionspapier zur Post-2015-Agenda finden Sie ab Mitte Juni 2013 unter www.venro.org. Dort findet sich auch die Stellungnahme »Anforderungen an eine zukunftsfähige Welt«, in der VENRO gemeinsam mit dem Forum Umwelt und Entwicklung und dem Forum Menschenrechte zentrale Anliegen an eine zukünftige Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda formuliert.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2013, S. 4-5
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2013