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KATASTROPHEN/022: Bangladesch - "Dieser Ort ist die Hölle!", Flut und Dürre vertreiben Menschen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. November 2011

Bangladesch: "Dieser Ort ist die Hölle!" - Flut und Dürre vertreiben Menschen

von Naimul Haq

Frauen in Bangladesch berichten über Folgen des Klimawandels - Bild: © Naimul Haq/IPS

Frauen in Bangladesch berichten über Folgen des Klimawandels
Bild: © Naimul Haq/IPS

Noakhali, Bangladesch, 15. November (IPS) - In dem Dorf Char Nongolia im Südosten von Bangladesch sind die Folgen des Klimawandels deutlich spürbar. Die rund 40.000 Einwohner sind häufigen Wirbelstürmen, Flutwellen, unberechenbaren Regenfällen und längeren Dürren ausgesetzt. Auf Hilfe warten sie bisher vergebens.

In dem Deltagebiet, in das mehrere große Flüsse münden, ist das Trinkwasser knapp geworden. Es gibt kein Land, auf dem Getreide angebaut werden könnte. Außerdem fehlen Krankenhäuser, Straßen und Arbeitsplätze. Die Behörden geben den Menschen keine Sicherheiten. Und der natürliche Schutz, den einst Wälder boten, existiert seit langem nicht mehr.

"Wir haben gar nichts mehr. Selbst unser letztes Stück Land ist durch Erosion verloren gegangen", klagte die 72-jährige Salma Khatun, die an einer Klimaanhörung für Frauen teilnahm. Sie schildert, wie die kontinuierliche Verödung der Böden ihre Familie ins Unglück trieb.

"Vor etwa neun Jahren sind wir von der nahen Insel Hatiya hierhin gezogen", berichtete Arzu Begum. "Unser angestammtes Land war weggespült worden. Seit wir in Char Nongolia sind, hat uns dieselbe Katastrophe fünf Mal getroffen."


Nutztiere in den Fluten umgekommen

Die 35-Jährige, ihr Ehemann Anwar Hossain und die weitere Verwandtschaft haben auf diese Weise ihr ganzes Hab und Gut verloren. Die Familie lebt inzwischen in einer instabilen Bambushütte am Flussufer.

Ähnlich erging es der 24jährigen Khadiza Akhtar, die mit ihrem Mann vor fünf Jahren in den Ort kam. "Früher verkauften wir Milch und kamen damit ganz gut über die Runden. Wir hatten drei Milchkühe und etwa 40 Enten. Alle Tiere verschwanden, als unser Dorf überschwemmt wurde."

Der Mann der 27-jährigen Rumani Akhtar verdiente noch vor 15 Jahren umgerechnet bis zu 392 US-Dollar pro Saison, indem er auf gepachtetem Land Reis für den Verkauf anbaute. Die Landwirtschaft hat der Bauer inzwischen aber wegen des steigenden Salzgehaltes der Böden aufgeben müssen. "Wir leben nur noch von der Hand in den Mund", sagte Akhtar auf einer Anhörung der lokalen Hilfsorganisation 'Noakhali Rural Development Society' und des 'People's Forum' zu den Millenniumsentwicklungszielen.

Rechtsanwälte aus der Stadt Noakhali hörten sich die Berichte der durch die Klimakrise Geschädigten geduldig an. Die Frauen hoffen, dass sie sich Gehör beim Weltklimagipfel verschaffen können, der am 28. November im südafrikanischen Durban beginnt.

"Niemand kommt, um sich über unsere Notlage zu informieren", beschwerte sich Shumi Akhtar. "Dieser Ort ist die Hölle."

Früher war Char Nongolia von dichten Wäldern umgeben. Mittlerweile jedoch ist die Region zu Ödland verkommen. Im Umkreis des Dorfes sieht man Inseln aus Schlamm. Obwohl Flussbetten und -ufer als fruchtbar gelten, kann hier kaum noch jemand etwas anbauen.

Mit Zyklonen, Fluten und Dürren müssen die Bewohner des Südostens von Bangladesch zwar bereits seit Jahrhunderten zurechtkommen. Infolge des Klimawandels haben die extremen Wetterphänomene jedoch an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Die Anpassungsfähigkeit der Menschen stößt damit an Grenzen. "Früher haben wir niemals extreme Kälte oder Hitze erlebt", erinnert sich die 74-jährige Nurul Islam.


Kein Fisch mehr in ausgedörrten Flussbetten

Die Flussniederungen sind weitgehend ausgetrocknet, die einst reichlich vorhandenen Süßwasserfische verschwunden. "In jeder Saison verkauften wir einst tonnenweise Fisch. Inzwischen sind die Fangmengen aber drastisch gesunken", erzählt der 68-jährige Syed Abdullah, der mittlerweile zur See fährt.

Die meisten Männer sind auf der Suche nach Jobs in die Hafenstadt Chittagong gezogen. Ihre Frauen müssen während ihrer Abwesenheit für sich selbst sorgen. In der Umgebung von Char Nongolia sind selbst Mikrokreditorganisationen nicht zu finden.

Dem Distriktkommissar Sirajul Islam zufolge müssen bald Lebensmittelkarten an die Armen in Char Nongolia ausgegeben werden. Der Beamte kündigte zudem Wiederaufforstungsmaßnahmen an. Doch Beobachter fürchten, dass die Menschen auch weiterhin im Stich gelassen werden und die Versprechen über reine Lippenbekenntnisse nicht hinausgehen.


Behörden lösen Versprechen nicht ein

Angesichts der kritischen Situation vor Ort sah sich Hasan Mahmud, Staatssekretär im Umweltministerium, unlängst auf einem Treffen zu der Aussage genötigt, dass die Bodenerosion zur Vertreibung von bis zu 30 Millionen Menschen führen könnte.

Den Prognosen des Weltklimarats (IPCC) zufolge könnten bis spätestens 2050 etwa 17 Prozent der Landesfläche Bangladeschs im Meerwasser versinken. Hundert Millionen Menschen wären in einem solchen Fall gezwungen, die Küstengebiete zu verlassen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2011