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KATASTROPHEN/105: Sicherheit in Industrieanlagen 30 Jahre nach Bhopal verbesserungswürdig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. Januar 2015

Indien:
Sicherheit in Industrieanlagen 30 Jahre nach Bhopal verbesserungswürdig

Von Neeta Lal


Bild: Mit freundlicher Genehmigung von 'Chingari Trust'

Mahnwache indischer Kinder, die mit Missbildungen geboren wurden. Ihre Eltern waren dem Giftgas in Bhopal ausgesetzt
Bild: Mit freundlicher Genehmigung von 'Chingari Trust'

Neu-Delhi, 13. Januar (IPS) - Mehr als 30 Jahre nach der Giftgaskatastrophe im zentralindischen Bhopal, bei der am 3. Dezember 1984 aus einer Produktionsanlage von 'Union Carbide India Limited' Unmengen an tödlichem Methylisocyanat (MIC) und andere toxische Gase entwichen, muss die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens bei den Sicherheitsstandards in ihren Industrieanlagen weiterhin kräftig nachbessern.

Bei dem bisher weltweit schlimmsten Chemieunglück wurden schätzungsweise 4.000 Menschen auf der Stelle getötet. Hunderttausende wurden verstümmelt und/oder erblindeten. Und noch immer kommen in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh und den angrenzenden Gebieten Kinder mit körperlichen Missbildungen und geistigen Behinderungen auf die Welt. Die toxischen Dämpfe haben Böden und Grundwasser für Jahrzehnte verseucht. Opfer sind die Armen, die es sich nicht leisten können, die Region zu verlassen.

Zur Zahl der Menschen, die weiterhin unter den Folgen der Katastrophe leiden, gibt es laut einem im Dezember veröffentlichten Buch des in Neu-Delhi ansässigen Zentrums für Wissenschaft und Umwelt (CSE) bislang keine umfassenden Untersuchungen. "Nachdem die Regierung bereits - wenn auch geringe - Entschädigungszahlungen an mehr als eine halbe Million Opfer geleistet hat, kommen immer neue Forderungen", heißt es in der Publikation.


350.000 Tonnen toxische Abfälle auf Fabrikgelände

Nach Erkenntnissen von 'Amnesty International' befinden sich auf dem Grundstück der Fabrik in Bhopal derzeit noch etwa 350 Tonnen Giftmüll. 25 Jahre nach dem Unglück hatte CSE 2009 eine unabhängige Überprüfung durchführen lassen, bei der hohe Belastungen in Böden und Grundwasser im Umkreis der Produktionsanlage festgestellt wurden.

2013 arbeitete das Zentrum mit Experten aus ganz Indien zusammen, um einen auf fünf Jahre angelegten Aktionsplan auszuarbeiten, der auf eine Sanierung des Erdreichs, die Beseitigung des Giftmülls und die Dekontaminierung des Grundwassers in der Nachbarschaft abzielt.

Obwohl die Katastrophe von Bhopal weiterhin Bücher, Filme und Debatten über Firmenhaftung und ungenügende Sicherheitsbestimmungen in Indien hervorbringt, erscheint es immer noch als fraglich, ob das Land gegen ein ähnliches Fiasko gewappnet wäre.

"Nach Bhopal wurden die Gesetze in Bezug auf Chemieunglücke und Betriebssicherheit verschärft. Noch sind wir damit aber nicht am Ende angelangt", sagt die CSE-Generaldirektorin Sunita Narain bei der Vorstellung des Buches. "Auch wenn es keine weiteren menschlichen Tragödien dieses Ausmaßes gegeben hat, erlebt das Land noch immer viele Mini-Bhopals - Industrieunglücke, die Menschenleben fordern und Kontaminationen durch Giftmüll hervorrufen."


Pannen weiterhin an der Tagesordnung

Experten zufolge hat die Regierung zwar eifrig Komitees gegründet, die die Schäden einschätzen und Schutzmaßnahmen empfehlen. Doch nach wie vor ereignen sich in Fabriken und Bergwerken schwerwiegende Pannen. Die Probleme werden durch ein laxes Regulierungsumfeld und tief verwurzelte Korruption verschärft. Ökonomen sagen daher voraus, dass das exponentielle Wirtschaftswachstum in dem Land mit mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern erheblich zu Lasten von Mensch und Umwelt gehen wird.

Dabei betonen Experten für Unternehmensrecht, dass Indien über eines der umfassendsten Gesetze zur Industriesicherheit verfügt. Sicherheitsüberprüfungen sind demnach in allen Fabriken obligatorisch, die über eine bestimmte Grenze hinaus gefährliche Chemikalien lagern. Das Gesetz schreibt Vor-Ort-Kontrollen in Fabriken mit gefährlichen Verfahren vor. Zum Schutz von Arbeitern und Anwohnern wurden Notfallpläne erarbeitet.

1996 erlassene Richtlinien im Umgang mit Chemieunfällen sehen bessere Sicherheitsstandards vor, wie der Risikomanagement-Berater B. Kartjikeyan erklärt. Demnach soll in jeder Firma ein Spitzenmanager benannt werden, der im Unglücksfall die volle Verantwortung trägt.

"Das wichtigste Gesetz, das nach dem Bhopal-Unglück eingeführt wurde, war jedoch der 'Environment Protection Act' von 1986. Er erteilt der Zentralregierung die Befugnis, Industriebetriebe, die gegen die Spielregeln verstoßen, schließen zu lassen oder zu regulieren", erklärt die Rechtsanwältin Gita Sareen aus Mumbai. "Das Rahmengesetz implementiert auch das Mandat der Weltumweltkonferenz, die Umwelt des Menschen zu verbessern und Gefahren für alles Leben zu vermeiden."


Vorschriften werden nicht eingehalten

Die Kluft zwischen Versprechen und Realität ist jedoch groß. Die Gesundheitsfürsorge reicht in den meisten Fabriken nicht aus und Zuwiderhandlungen werden selten geahndet. Laut CSE-Untersuchungen kamen 2011 landesweit mehr als 1.000 Menschen in Fabriken ums Leben. Tausende wurden verletzt.

Auch die Verseuchung von Böden und Gewässern ist ein zunehmendes Problem. 2010 hatte das indische Umweltministerium zehn toxische Stellen benannt, an denen Tausende Tonnen gefährlicher Abfälle lagern.

"Das Schlimme ist, dass trotz der ganzen Aufregung der Giftmüll auf dem Fabrikgelände von Union Carbide immer noch nicht beseitigt worden ist. Verschiedene Parteien streiten darüber, wie die Reinigung durchgeführt und der Müll entsorgt werden sollte und wer dafür bezahlen müsste", sagt der stellvertretende CSE-Direktor Chandra Bhushan.

Im formellen Sektor hat das Sicherheitsbewusstsein zugenommen, und Regeln werden inzwischen besser eingehalten, da große Unternehmen um ihr Image besorgt sind. Im informellen Sektor läuft dagegen in dieser Hinsicht noch vieles schief. So kommt es in Fabriken, die Feuerwerkskörper herstellen, zu Bränden, und bei der Säureproduktion häufen sich die Unfälle, wie Bhushan kritisiert. Dies zeige, dass es in diesem Bereich eine bessere Überwachung geben müsse. "Die Crux liegt darin, dass Sicherheit anders als im Westen in Indien noch nicht Teil der Landeskultur ist."

Shashank Shekhar, Geologieprofessor an der Universität von Neu-Delhi, weist darauf hin, dass Abwässer aus Industriebetrieben die schwerwiegendste Einzelursache für Wasserverschmutzung und Erkrankungen von Millionen Menschen in Indien sind. In einer Studie, an der er als Ko-Autor beteiligt war, erklärt Shekhar, dass das Grundwasser im ganzen Land mit krebserregendem Blei und Kadmium verseucht ist. Auch andere gefährliche Stoffe wie Arsen, Nitrat, Mangan und Eisen wurden darin nachgewiesen. "In Wasser gelöste Schwermetalle sind bereits in geringen Mengen für Menschen hochgiftig und können irreparable Schäden hervorrufen", erklärt er. "Dennoch wird das Problem nicht angegangen." (Ende/IPS/ck/2015)


Link:
http://www.ipsnews.net/2015/01/bhopal-cloud-hovers-over-industrial-safety-in-india/

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IPS-Tagesdienst vom 13. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2015


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