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KATASTROPHEN/114: Nepal - Verzweifelter Kampf um Rückkehr zur Normalität (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Mai 2015

Nepal: Verzweifelter Kampf um Rückkehr zur Normalität

von Naresh Newar


Bild: © Naresh Newar/IPS

Bei Rita Rai und den anderen Dorfbewohnern von Mahadevsthan im Bezirk Kavre 100 Kilometer südlich von Katmandu sind noch keine Hilfslieferungen angekommen
Bild: © Naresh Newar/IPS

KAVRE DISTRICT, NEPAL (IPS) - Knapp zwei Wochen nach dem verheerenden Erdbeben der Stärke 7,8 auf der Richterskala und den sich anschließenden Nachbeben in Nepal versuchen die betroffenen Familien langsam zur Normalität zurückzufinden.

Das Ausmaß der Tragödie verhindert jedoch eine zügige Versorgung der mittel- und obdachlosen Familien mit Hilfsgütern. Angesichts des nahenden Monsunregens - schon jetzt werden einige Teile des südasiatischen Landes von schweren Niederschlägen heimgesucht - wird es nach Ansicht von Experten höchste Zeit, dass die Lieferungen ihre Ziele erreichen.

Bis zum 3. Mai hatte die Naturkatastrophe 7.250 Menschen in 30 Bezirken das Leben gekostet. Die Hälfte der Opfer entfällt auf die Hauptstadt Katmandu und den Nachbarbezirk Sindupalchok, wie das Nepalesische Komitee vom Roten Kreuz, die größte lokale Nichtregierungsorganisation, bekannt gab. Weitere 14.122 Menschen wurden verletzt, über eine Million Familien in 35 Bezirken vertrieben und mehr als 297.000 Wohneinheiten komplett zerstört.

Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der von der Krise betroffenen Menschen auf knapp acht Millionen. Das entspricht etwa einem Viertel der 27 Millionen Nepalesen. 2,5 Millionen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Das Welternährungsprogramm (WFP) hat in einem Dringlichkeitsappell 116,5 Millionen US-Dollar für die Versorgung der 1,4 Millionen bedürftigsten Personen in den nächsten drei Monaten eingefordert.

Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO erwartet derweil Einbußen bei der nepalesischen Weizenernte. Sie geht davon aus, dass sich die für 2015 prognostizierten 1,8 Millionen Tonnen aufgrund der zerstörten Felder und Bewässerungssysteme nicht erzielen lassen.

Das Weltkinderhilfswerk UNICEF gab am 5. Mai bekannt, die ersten 80 Tonnen humanitärer Hilfe in die Krisengebete ausgeflogen zu haben. Wie einer UNICEF-Mitteilung zu entnehmen ist, wurde eine Transportmaschine mit Gütern wie Gesundheits- und Sanitärartikeln, Desinfektionsmitteln und Plastikplanen eingesetzt.


"Wir müssen tapfer sein"

"Das Weinen und Wehklagen hat aufgehört. Wir müssen tapfer sein und nach vorne blicken", meint die 13-jährige Sunita Tamang, die ihren Arm um ihre beste Freundin, die zwölfjährige Manju Tamang, geschlungen hat. Beide Mädchen stammen aus Ghumarchowk, einem Dorf im Gemeindebezirk Shankarpur 80 Kilometer vom Zentrum von Katmandu entfernt. Ihre Familien haben alles verloren: ihr Heim, ihr Vieh und ihre Nahrungsmittelvorräte. Auch die Schule, die die beiden Freundinnen besucht hatten ist zerstört.

Das Dorf ist nur über einen dreistündigen Fußmarsch steil bergan zu erreichen. Die meisten der 500 Häuser sind nicht mehr sicher genug, um darin zu leben. Deshalb sehen sich viele Menschen gezwungen, die Nächte unter Zeltplanen oder dünnen Plastikfolien auf ihren Feldern zuzubringen. Doch machen ihnen heftige Regenschauer zu schaffen, die die Felder in einen Morast verwandeln.

Die Nepalesische Nationale Gesellschaft für Erdbebentechnologie (NSET), die bis 2020 alle Dörfer gegen Erdbeben absichern will, hat landesweit damit begonnen, die Mitarbeiter der Bürgerämter und die Bevölkerung auf die bebenbedingten Herausforderungen vorzubereiten. Nach Angaben des NSET-Pressesprechers ist seine Organisation dabei, das Ausmaß der Schäden zu evaluieren und die erforderlichen Grundversorgungsleistungen mit den staatlichen Behörden und den Gesundheitsstellen abzusprechen - was sich angesichts der horrenden Schäden als Tropfen auf dem heißen Stein erweist.


Bild: © Naresh Newar/IPS

Ein vom Erdbeben besonders getroffenes Dorf im Bezirk Kavre
Bild: © Naresh Newar/IPS

Die Familien in den betroffenen Gebieten erhalten sporadisch Hilfe von lokalen nepalesischen Ingenieuren, die den Menschen bei der Abschätzung der Häuserschäden helfen. "Sie tun das umsonst. Ich bin ihnen so dankbar", meint Shankar Biswakarma aus Katmandu im Gespräch mit IPS.

Die Zahl der Menschen in Tundikhel, dem größten Auffanglager der Erdbebenflüchtlinge in Katmandu, ist in den letzten Tagen um die Hälfte zurückgegangen. "Die verbliebenen Familien sind mehrheitlich Leute von außerhalb, die hier keine Familien und Freunde haben, die ihnen helfen könnten", erzählt Manisha Lama, Mutter zweier Kinder.

Die 25-Jährige stammt aus Deupur, einem Dorf in Kavre 100 Kilometer südlich der Hauptstadt. Kavre gehört zu den Bezirken, in denen nach Angaben des NRCS das Beben besonders schlimm gewütet und 30.000 Häuser zerstört hat. "Die Versorgung der hier lebenden Familien stellt uns vor eine Herkulesaufgabe", berichtet der NRCS-Pressechef Dibya Paudel.


Plünderungen

Wie er weiter erläutert, nimmt der Frust der Menschen über das Schneckentempo, mit dem die Hilfslieferungen bei ihnen ankommen, zu. Die Regierung und die zuständigen Behörden werden von Anfragen regelrecht überschwemmt und stehen somit unter einem enorm hohen Druck, auf die besonderen humanitären Bedürfnisse von Millionen Betroffenen zu reagieren.

Bis zum 2. Mai hatte die internationale Gemeinschaft insgesamt 68 Millionen Dollar an Hilfe zugesagt. Das ist gerade einmal ein Sechstel der erforderlichen 415 Millionen Dollar, so die von dem UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) vorgenommenen Schätzungen.

Was die Sache noch schlimmer macht: Hilfsorganisationen berichten von Plünderungen der Hilfsgüter durch verzweifelte Familien. "Wir warten auf Hilfe, doch habe ich gehört, dass die Regierung und die Hilfsorganisationen wegbleiben, weil sie von Plünderungen gehört haben", meint Sachen Lama aus Bajrayogini, einer zehn Kilometer von Katmandu entfernten Ortschaft.

Er und andere haben die Dorfbevölkerung aufgefordert, sich in Geduld zu üben und die Helfer ihre Arbeit tun zu lassen, damit die Verteilung der Hilfsgüter nicht ins Stocken gerät. "Vor zwei Tagen ist es zu Plünderungen gekommen", kritisiert er. "Das hat dazu geführt, dass bei uns nichts ankam." (Ende/IPS/kb/07.05.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/05/families-in-quake-hit-nepal-desperate-to-get-on-with-their-lives/

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IPS-Tagesdienst vom 7. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2015

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