Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


KATASTROPHEN/118: Folgen von Fukushima - Heraufsetzung von Grenzwerten in Japan (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 684-685 / 29. Jahrgang, 2. Juli 2015 - ISSN 0931-4288

Folgen von Fukushima

Heraufsetzung von Grenzwerten in Japan


Die japanische Atomregulierungsbehörde NRA gab am 21. Mai 2015 bekannt, sie werde die für beruflich Strahlenexponierte zulässige Dosis in Notfallsituationen von zur Zeit 100 Millisievert pro Jahr auf 250 Millisievert pro Jahr anheben. Die neue Regelung werde von April 2016 an gelten. Das berichtete der Informationsdienst World Nuclear News (wnn).[1]

Die Dosis für beruflich Strahlenexponierte in der Medizin und in kerntechnischen Anlagen im Normalbetrieb liegt bei 20 Millisievert pro Jahr sowohl in Japan als auch in Deutschland.

Unmittelbar nach der Katastrophe im AKW Fukushima Dai'ichi wurde der Notfall-Grenzwert bereits einmal auf 250 Millisievert angehoben, im Dezember 2011 jedoch für den größten Teil der Arbeiter wieder herabgesetzt.

Ist die höchstzulässige Dosis erreicht, darf der Arbeiter für den Rest des Jahres nicht mehr eingesetzt werden.

'wnn' zufolge hat die japanische NRA die Erfahrungen aus Fukushima Dai'ichi, aber auch internationale Standards und wissenschaftliche Studien berücksichtigt und ist zu dem Schluß gekommen, eine dauerhafte Festsetzung des Dosisgrenzwertes auf 250 Millisievert pro Jahr sei angemessen.

Nach offiziellen Zahlen wurden bisher sechs Arbeiter im havarierten Kraftwerk Fukushima Dai'ichi mit über 250 Millisievert und einhundertsiebzig mit über 100 Millisievert verstrahlt. Die IAEA hält je nach Dringlichkeit der zu erledigenden Arbeit bei nuklearen Notfällen zwischen 100 und 500 Millisievert als "kurzfristige" Dosis für zulässig. Die ICRP empfiehlt einen Referenzbereich zwischen 500 und 1000 Millisievert für den Einsatz von Menschen, "um ernste deterministische Schäden zu vermeiden", wie es in dem Bericht von 'wnn' weiter heißt.

Dem Bericht ist weder zu entnehmen, welche wissenschaftlichen Studien die Entscheidung der NRA untermauern, noch was die konkreten Gründe für die Heraufsetzung waren.

Am selben Tag stellte eine Gruppe aus der Regierungspartei LDP ein neues Konzept zur Rückkehr der aus Strahlenschutzgründen Evakuierten in ihre Heimatregionen vor. Das berichtet die Japan Times in ihrer Internetausgabe vom 22. Mai 2015.[2] Die Gruppe um den früheren Staatssekretär im Umweltministerium INOUE Shinji fordert die Aufhebung der Evakuierungsanordnung für alle Gebiete mit einer Ortsdosis von bis zu 50 Millisievert pro Jahr. Inoue repräsentiert das "Hauptquartier zur Beschleunigung des Wiederaufbaus nach dem Großen Ostjapanischen Erdbeben" innerhalb der Regierungspartei.

Die bisherigen Planungen zur Rückkehr der Evakuierten legen eine Belastung von bis zu 20 Millisievert/Jahr zugrunde. Mit der auf 50 Millisievert pro Jahr heraufgesetzten Grenzbelastung müßten etwa 55.000 Menschen bis zum März 2017 in ihre verstrahlten Heimatgemeinden zurückgekehrt sein. Die Regierung solle, so der Vorstoß aus der LDP, die Dekontaminationsarbeiten und den Wiederaufbau der Infrastruktur dort beschleunigen. Außerdem sollten die Jahre 2015 und 2016 eine "Zeit intensiver Hilfsmaßnahmen werden, damit die [evakuierten] Bewohner in ihren Heimatgemeinden eine unabhängige Existenz aufbauen können". Die Regierung sollte Tepco auch anweisen, Entschädigungen für weit mehr wirtschaftliche Verluste zu zahlen als bisher.

Auf der anderen Seite sollten nach dem Vorschlag der LDP-Gruppe die Entschädigungsleistungen, die der AKW-Betreiber Tepco an die Evakuierten zahlen muß, auf jeden Fall im März 2018 auslaufen, unabhängig davon, wann die Evakuierungsanordnungen tatsächlich aufgehoben werden. Dabei handelt es sich um 100.000 Yen (ca. 720 Euro) pro Person und Monat, auf die die Geschädigten nach geltender Regelung noch ein Jahr über die Aufhebung der Evakuierungsanordnung für ihre Heimatgemeinde hinaus Anspruch haben.

Die Heimatgemeinden selbst sollen nach dem Vorschlag einen Teil der Kosten für bestimmte Rekonstruktionsprojekte übernehmen. Bisher übernimmt die japanische Regierung solche Kosten in voller Höhe.

Wie der Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Patrick Welter aus Tokyo berichtete, hat die japanische Regierung am 12. Juni 2015 beschlossen, die Evakuierungsanordnungen bis März 2017 aufzuheben.[3] Ausgenommen seien "Gebiete mit hoher Strahlung".

Wie weiter mitgeteilt wird, plant die Regierung zugleich, die Entschädigungszahlungen Tepcos für Unternehmen im März 2017 und für Flüchtlinge im März 2018 enden zu lassen. Die bisherigen Entschädigungszahlungen sollen sich auf insgesamt fast 5 Billionen Yen (rund 37 Milliarden Euro) belaufen haben.

Ferner beschloß die Regierung Welter zufolge am 12. Juni 2015, die radioaktiven Brennstäbe in den drei am schwersten beschädigten Reaktorblöcken erst von 2017 an zu entfernen. Das ist drei Jahre später als geplant. Das geschmolzene Brennmaterial soll noch später entfernt werden. Tepco kämpfe derzeit vor allem mit verseuchtem Wasser, das zur Kühlung benötigt wird und das auf dem Gelände zwischengelagert wird. Die zu lagernde Menge erhöhe sich täglich um 300 Tonnen. Die Aufsichtsbehörde habe zuletzt nach einem Leck kritisiert, daß das Unternehmen keine Strategie im Umgang mit dem belasteten Wasser habe. Insgesamt sollen die havarierten Anlagen in 30 bis 40 Jahren zurückgebaut sein, so die Vorstellungen der Planer.


Fußnoten

[1] wnn, 21 May 2015: 'Japan to raise worker emergency radiation exposure limits',
http://www.world-nuclear-news.org/RS-Japan-to-raise-worker-emergency-radiation-exposure-limits-2101154.html

[2] The Japan Times, 22 May 2015: 'LDP wants to let evacuees move back to areas tainted with 50 millisieverts or less by March 2017,
http://www.japantimes.co.jp/news/2015/05/22/national/ldp-team-calls-lifting-evacuation-orders-less-radiation-polluted-areas-march-2017/
vgl. auch: Annette Hack: "Wir werden unser Leben damit verbringen, unser eigenes Grab zu schaufeln" [*]. Strahlentelex 634-635, 6.6.2013, S. 9-10,
www.strahlentelex.de/Stx_13_634-635_S09-10.pdf

[3] Patrick Welter: Japan will Fukushima freigeben, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.06.2015

[*] Anmerkung der SB-Redaktion:
im Schattenblick zu finden unter www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Internationales
KATASTROPHEN/065: Wir werden unser Leben damit verbringen, unser eigenes Grab zu schaufeln (Strahlentelex)


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_15_684-685_S10.pdf

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juli 2015, Seite 10
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang