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KLIMA/350: Ein Klimaabkommen, 195 Autoren - 'Horrendes Arbeitspensum' für COP20-Unterhändler in Lima (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2014

Klima: Ein Klimaabkommen, 195 Autoren - 'Horrendes Arbeitspensum' für COP20-Unterhändler in Lima

von Stephen Leahy


Bild: © COP20 Peru

Eine noch unfertige Ausstellungshalle. In Lima laufen die Vorbereitungsarbeiten für die COP20-Konferenz auf Hochtouren
Bild: © COP20 Peru

Uxbridge, Kanada, 18. November (IPS) - Im Vorfeld der Konferenz der 195 Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (COP20) im nächsten Monat in Lima sind die Erwartungen an die Unterhändler hoch, den ersten Entwurf eines neuen Klimaabkommens zustande zu bringen. Doch ähnelt das Vorhaben einem Buchprojekt, an dem 195 Autoren mitwirken. Ein weiteres Problem ist, dass die Verhandlungen der letzten fünf Jahre wenig ergiebig waren und außer einer Gliederung und einiger grob skizzierter 'Kapitel' nichts vorhanden ist.

Die Zeit drängt. So soll im Dezember 2015 auf der COP21 in Paris das neue Vertragswerk angenommen werden, durch das die globale Erderwärmung unter zwei Grad Celsius gehalten werden soll. "In Lima muss ein horrendes Arbeitspensum gestemmt werden", versichert Erika Rosenthal von der Umweltrechtsorganisation 'Earthjustice', die die Allianz der kleinen Inselstaaten (AOSIS) berät. "Paris ist der wichtigste politische Augenblick, der der Welt dazu verhelfen kann, von einer sauberen und kohlenstoffarmen Wirtschaft zu profitieren."

Der Erfolg in Lima wird zum Teil von dem peruanischen Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal abhängen. Als offizieller COP20-Präsident liegt es nach Ansicht vieler Beobachter in seiner Macht, die Gespräche maßgeblich zu beeinflussen. In Peru ist der Klimawandel ein wichtiges Thema, da viele Städte des südamerikanischen Landes einschließlich Lima von dem Frischwasser abhängen, das die Andengletscher des Landes bereitstellen. Doch Untersuchungen zeigen, dass die Gletscher in den letzten 30 Jahren bis zu 50 Prozent ihres Volumens verloren haben und viele in Kürze völlig verschwunden sein werden.


Vollständiger Entwurf bis kommenden Mai

Von der Lima-Konferenz erwartet sich Pulgar-Vidal den eigenen Angaben zufolge den Vertragsentwurf, wobei er einige Lücken in den Kapiteln für akzeptabel hält. Der vollständige Entwurf mit allen Kapiteln soll bis spätestens Mai 2015 vorliegen, um den Vertragsstaaten genügend Zeit zu lassen, an dem finalen Text bis zur Annahme im Dezember in Paris zu feilen.

Bild: © COP20 Peru

Der peruanische Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal auf einer von vielen Werbeveranstaltungen für die COP20 in Lima
Bild: © COP20 Peru

Die Eckpfeiler des künftigen Klimaabkommens, das durchaus die Ausmaße eines Buches erreichen kann, sind Abmilderung, Anpassung und Verluste/Schäden. In den Bereich der Abmilderung oder Emissionsverringerung fallen Bemühungen, bei denen zwischen denen vor und denen nach 2020 unterschieden wird. Unklar ist bisher, wie hoch die CO2-Emissionsreduzierung ausfallen und bis wann sie erreicht sein soll.

Die Klimaforschung lässt keinen Zweifel daran, dass die internationale Gemeinschaft noch vor 2020 damit beginnen muss, ihre Treibhausgasemissionen zu drosseln. Gelingt es nicht, einen Temperaturanstieg von über zwei Grad Celsius zu verhindern, könnten die zu erwarteten Klimaschäden und -katastrophen ungeheure Kosten nach sich ziehen.

Dennoch haben die Emissionen im laufenden Jahr mit 40 Milliarden Tonnen CO2 ihren bisherigen Höchststand erreicht. 2010 waren es 32 Milliarden gewesen. Auch geht man davon aus, dass 2014 das bisher wärmste Jahr ist.

Auf der COP15 in Dänemark hatten sich die Industriestaaten im Rahmen ihres Abkommens von Kopenhagen auf die Reduzierung ihrer CO2-Emissionen vor 2020 festgelegt. Doch fallen die Zusagen weit hinter den Erfordernissen zurück. Nicht nur, dass es an ehrgeizigen Zielsetzungen fehlt. Staaten wie Australien, Japan und Kanada haben sich sogar von ihren Zusagen entfernt.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte am 24. September einen Sondergipfel einberufen, um die Länder zu ehrgeizigeren CO2-Reduktionszusagen zu ermutigen. Stattdessen gaben Industriestaaten wie die USA allgemeine Versprechen ab, während in vielen Teilen der Welt hunderttausende Menschen auf die Straße gingen, um ihre Regierungen zum Handeln zu bewegen.

Der Mangel an ehrgeizigen Zusagen zeigte sich zuletzt auf der Klimakonferenz im Oktober in Bonn. Dort riefen die Entwicklungsländer die reichen Staaten zu größeren CO2-Einsparungszielen auf. Der Länderblock der AOSIS hat sogar mit einem zusätzlichen Vorschlag zur Verringerung der Klimagase aufgewartet. So sollen die reichen Staaten ihr Knowhow und ihre Technologie mit den armen Nationen teilen. Rosenthal von Earthjustice hofft, dass diese "sinnvolle und notwendige Forderung" in ein neues Abkommen aufgenommen wird.


Neue Zusagen von reichen Ländern

"In Bonn gab es durchaus einige gute Diskussionsbeiträge zum Thema erneuerbare Energien zur Verringerung des CO2-Ausstoßes", räumt auch Enrique Maurtua Konstantinidis von CAN-Lateinamerika, einem Netzwerk nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) ein. Seiner Meinung nach müssen die Industriestaaten in Lima neue Reduktionszusagen machen: sowohl für die Zeit vor als auch für die nach 2020.

Das europäische Ziel, bis 2030 mindestens 40 Prozent seiner Klimagase einzusparen, geht dem Experten nicht weit genug. Auch Schwellenländer wie China, Brasilien und Indien müssten im Rahmen einer globalen Abkehr von fossilen Brennstoffen bis 2050 die Temperaturen unterhalb der 1,5-Grad-Celsius-Grenze halten, meint er. Dieses Ziel halten halten viele afrikanische und kleine Inselstaaten für notwendig, um überleben zu können.

In der Frage der Abmilderung fehlt es an einer Einigung in der Frage, wie sich die Emissionseinsparungen messen und verifizieren lassen. Ebenso sei ein Mechanismus vonnöten, der verhindere, dass Länder ihre Ziele verfehlten, erläutert Konstantinidis.

Ironischerweise bezieht sich das bisher am weitesten gediehene Kapitel auf den REDD-Prozess, der jedoch außerhalb der COP-Gespräche zu den umstrittensten Themen zählt. REDD sieht Kompensationszahlungen für Länder vor, die ihre Wälder schützen. Sie sollen von Unternehmen und Ländern kommen, denen es nicht gelingt, ihre Emissionen zu verringern.

Die peruanische Regierung will dieses Kapitel auf der COP20 zum Abschluss bringen. Doch viele zivilgesellschaftliche und indigene Gruppen sind dagegen. Konstantinidis geht davon aus, dass es in Lima zu großen Protestmärschen gegen REDD und die Idee kommen wird, der Natur einen finanziellen Wert beizumessen.


Mit REDD aus der Reduktionsverpflichtung

"Politiker neigen dazu, sich von wirklichen Lösungen im Kampf gegen den Klimawandel zu entfernen", meint dazu Nnimmo Bassey von der Umweltallianz 'No Redd in Africa' und ehemaliger Vorsitzender von 'Friends of the Earth International'. "REDD ist eine von reichen Staaten und Unternehmen angezettelte Verschwörung". Für diese sei die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung, ihre CO2-Emissionen zu verringern, freikaufen zu können, Anlass zu Freude. Die einzige Möglichkeit, diese "falsche Lösung" zu verhindern, sei das Zustandekommen einer breiten Allianz sozialer Bewegungen, die in Lima protestierten.

Unter den Punkt Klimaanpassung fallen in erster Linie Fragen des Finanzmittel- und Technologietransfers in arme Länder, um diesen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Ein Grüner Klimafonds wurde in diesem Jahr aufgelegt. Bis spätestens 2020 soll er von den Industriestaaten mit jährlich 100 Milliarden Dollar bestückt werden. Doch 2013 beliefen sich die Beiträge auf gerade einmal 110 Millionen Dollar. Deutschland und Schweden haben inzwischen fast zwei Milliarden Dollar für den Fonds zugesagt, doch werden die Beträge über mehrere Jahre hinweg ausgezahlt. Außerdem ist unklar, in wieweit es sich dabei um frische Gelder handeln wird. "In Lima müssen die Länder neue Finanzzusagen machen. Das gilt auch für Schwellenländer wie China und Brasilien", betont Konstantinidis.

Verluste/Schäden, der dritte und bisher unterentwickeltste Punkt, der erst gegen Ende der COP19 in Polen Gestalt annahm, soll dazu dienen, armen Ländern zu helfen, mit derzeitigen und künftigen nicht-wirtschaftlichen Verlusten im Zuge des Klimawandels zurechtzukommen. Experten gehen davon aus, dass dieser Punkt erst nach der COP21 ausgearbeitet wird. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/11/will-new-climate-treaty-be-a-thriller-or-shaggy-dog-story/

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IPS-Tagesdienst vom 18. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2014