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KLIMA/378: UN-Verhandlungen in Genf - Gute Atmosphäre und weiterhin offene Fragen (DGVN)


DGVN Webseite - Den Klimawandel bekämpfen

Vereinte Nationen & int. Organisationen - 17.02.2015

UN-Klimaverhandlungen in Genf: Gute Atmosphäre und weiterhin offene Fragen

von Frank Kürschner-Pelkmann [1]


"Ich bin sehr ermutigt von dem konstruktiven Geist und dem Tempo der Verhandlungen in der zurückliegenden Woche." Diese Bilanz zog Christiana Figueres, die Exekutivsekretärin des UN-Klimasekretariats [2], am Ende der UN-Klimaverhandlungen vom 8.-13. Februar in Genf.

Regierungsdelegationen aus mehr als 190 Ländern bemühten sich auf der Grundlage des UN-Rahmenabkommens über Klimaänderungen UNFCCC [3] um die Vorbereitung eines neuen internationalen Klimaabkommens.

Christiana Figueres stellte die Fortschritte auf dem Weg zu einem solchen Abkommen heraus, das im Dezember 2015 in Paris verabschiedet werden soll: "Wir haben jetzt einen formalen Verhandlungstext, der die Positionen und Anliegen aller Länder enthält."

Ein langer Text mit vielen Klammern

Statt wie vorgesehen den bei der letzten UN-Klimakonferenz im Dezember 2014 in Lima/Peru verabschiedeten vorläufigen Entwurf für ein neues Klimaabkommen zu komprimieren, wurde der Text in Genf von 38 auf 86 Seiten erweitert. Jede Delegation hatte die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Wünsche zu formulieren und in den Text einfügen zu lassen. Das trug zur positiven Stimmung in Genf bei, denn bei der UN-Klimakonferenz in Lima hatten manche Länder den Eindruck gewonnen, ihre Vorschläge würden nicht ausreichend beachtet. Claudia Salerno, die Leiterin der Delegation Venezuelas, äußerte allerdings während des Verhandlungsprozesses: "Jeder ist beflügelt, und es werden Tonnen über Tonnen von Paragrafen in den Text eingefügt, aber der wird nun immer weniger handhabbar."

Eckige Klammern im Text bringen zum Ausdruck, dass noch kein Einvernehmen in einem Verhandlungspunkt erzielt worden ist, und es gibt sehr viele dieser eckigen Klammern in dem Dokument. Außerdem sind zahlreiche Wiederholungen der gleichen Inhalte nicht zu übersehen, die von verschiedenen Ländern in den Text eingebracht wurden.

Zum Teil sind die Formulierungen praktisch identisch. Trotzdem wurde kein Einvernehmen in Genf erzielt, wenigstens diese Doppelungen aus dem Text zu streichen. Zu groß waren die Befürchtungen verschiedener Delegationen, bei dieser Gelegenheit könnten auch inhaltliche Punkte getilgt werden, die ihnen wichtig sind.

Positiv ist festzustellen, dass die finanzielle Unterstützung nach klimabedingten Katastrophen ("loss and damage") und eine stärkere Berücksichtigung der Auswirkungen von Klimakatastrophen und Klimapolitik auf Frauen ebenso im Text enthalten sind wie ein schrittweiser Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung. Entsprechende Ergänzungen des Textes lösten auch bei Umwelt- und Klimaschutzorganisationen positive Reaktionen aus. Nur steht all dies bisher in eckigen Klammern und ist damit lediglich vorläufig Teil des Verhandlungstextes.

Bemerkenswert ist, dass der Menschenrechtsansatz im Umgang mit den Folgen des Klimawandels nun deutlich im Text zum Ausdruck kommt. Verschiedene Regierungen, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen hoffen darauf, dass dies auch am Ende des Redaktionsprozesses der Fall sein wird.

Den gegenwärtigen Verhandlungstext finden Sie auf Englisch auf der UNFCCC-Website als pdf-Datei. [4]

Der Redaktionsprozess steht noch bevor

Der vorhersehbar mühsame Redaktionsprozess am Verhandlungstext sollte eigentlich im zweiten Teil der Genfer Verhandlungsrunde beginnen. An den letzten drei Verhandlungstagen wäre dafür auch Zeit gewesen. Aber eine Reihe von Delegationen konnte durchsetzen, diesen Prozess auf die Klimaverhandlungen im Juni zu verschieben. Dann wird es neben der Tilgung von Doppelungen auch darum gehen, in all den Fragen, in denen bisher einander widersprechende Positionen im Text zu finden sind, zu gemeinsamen Formulierungen zu gelangen.

Hinter divergierenden Formulierungen im Text stehen weiterhin sehr unterschiedliche Auffassungen in zentralen Fragen der internationalen Klimapolitik. So wird weiter kontrovers debattiert, ob und in welchem Umfang neben den Industrieländern auch die Schwellen- und Entwicklungsländer verbindliche Verpflichtungen zur Reduzierung klimaschädlicher Emissionen eingehen können, sollen oder müssen.

Jedes Land kann mitteilen, was es für den Klimaschutz tun will

In den nächsten Monaten sollen die Regierungen möglichst vieler Länder dem UN-Klimasekretariat ihre Klimaziele mitteilen. Die vereinbarten "Intended Nationally Determined Contributions" (INDC, beabsichtigte national festgelegte Beiträge) stellen eine Abkehr von gemeinsam ausgehandelten und in einem Klimavertrag festgelegten Klimaschutzverpflichtungen dar, wie sie im 1997 verabschiedeten Kyoto-Protokoll [5] enthalten waren. Nun kann jeder Staat mitteilen, was er von sich aus zu tun gedenkt.

Aber was geschieht, wenn die Addition der INDCs nicht ausreicht, um die globale Erwärmung wie beabsichtigt auf 2 Grad Celsius zu begrenzen? Diese Situation ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, denn die bereits vorliegenden Ankündigungen von USA, China und EU bleiben weit hinter dem zurück, was zur Erreichung des Ziels erforderlich wäre. Dieses Problem wollen Länder mit geringen Klimaschutzambitionen unbedingt vertagen. Durch eine geschickte Wahl der Berechnungsmethoden und Formulierungen für die eigenen Zusagen wird verschleiert, wie gering die Ambitionen etwa der USA tatsächlich sind. Verschiedene Regierungen wollen nun verhindern, dass die Zusagen der einzelnen Länder auf wissenschaftlicher Basis vergleichbar berechnet und dann mit den für das 2-Grad-Ziel erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen in Beziehung gesetzt werden.

Auch bei der Finanzierung von Anpassungsprogrammen an den Klimawandel und Maßnahmen zur Reduzierung klimaschädlicher Emissionen in Entwicklungsländern gibt es noch viele offene Fragen. Sollen sich auch reiche Länder wie die Golfstaaten an der Finanzierung beteiligen? Hinter dieser und weiteren Einzelfragen steht die 100-Milliarden-Dollar-Frage: Wird es gelingen, die Finanzierung von Klimaprogrammen in Entwicklungsländern bis 2020 schrittweise so zu erhöhen, dass danach jedes Jahr 100 Milliarden Dollar bereitstehen?

Wie völkerrechtlich verbindlich soll das Abkommen sein?

Als weitere gravierende Schwierigkeit erweist sich, wurde in Genf überdeutlich, dass ein gemeinsames Verständnis davon fehlt, was am Ende des Verhandlungsprozesses stehen soll. Die EU und viele Entwicklungsländer gehen weiterhin davon aus, dass ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag abgeschlossen und anschließend von allen195 UNFCCC-Unterzeichnerstaaten ratifiziert wird. Davon rücken aber immer mehr Regierungen ab. US-Präsident Obama sperrt sich gegen jede Form eines Abkommens, das vom Kongress ratifiziert werden müsste, wohl wissend, dass dort wahrscheinlich keine Mehrheit zustande käme. Die saudiarabische Delegation äußerte in Genf die Auffassung, der rechtliche Status der Vereinbarungen könnte erst festgelegt werden, wenn alle Inhalte feststehen würden. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass ein solches Vorgehen zum Abschluss eines Klimavertrages in Paris führen könnte.

Der Schweizer Verhandlungsleiter Franz Perrez sagte nach dem Ende der Verhandlungen in einem Interview [6] mit der "Neuen Zürcher Zeitung": "Es gibt eine Gruppe von Entwicklungs- und namentlich Schwellenländern, die schlicht nicht will, dass in Paris ein rechtlich verbindliches Abkommen abgeschlossen wird, welches alle und insbesondere sie in die Pflicht nimmt."

Es ist möglich, dass in Paris eine Kombination eines allgemein gehaltenen völkerrechtlichen Vertrages plus weitere rechtlich weniger verbindliche Vereinbarungen verabschiedet werden. Ein solches "Paris-Paket" könnte aber den Nachteil haben, dass allgemeine Appelle in einen Vertrag aufgenommen und von allen Staaten feierlich und einvernehmlich verabschiedet würden, konkrete Verpflichtungen zum Klimaschutz hingegen in das Belieben der einzelnen Staaten gestellt wären.

Reaktionen von Klimaschützern

Sönke Kreft, Klimaexperte der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch [7] zog eine positive Bilanz der Verhandlungen in Genf: "Nach dem schwierigen Klimagipfel in Lima herrschte in Genf eine konstruktive Arbeitsatmosphäre. Mit der Verabschiedung des Genfer Textes ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg nach Paris geschafft." Er fügte allerdings hinzu: "Die wichtigste Phase beginnt erst jetzt. Aus einem Text mit 86 Seiten und unzähligen Optionen muss ein wirksames Klimaabkommen werden."

Martin Kaiser von Greenpeace [8] kommentierte die Ergebnisse der Genfer Verhandlungen so: "Aus unserer Sicht war Genf nicht mehr als eine vertrauensbildende Maßnahme, und wichtige zu lösende Fragen wurden vertagt."

Jennifer Morgan vom World Resource Institute [9] äußerte: "Die Klimaverhandlungen 2015 haben mit einem vielversprechenden Start begonnen." Sie fügte hinzu: "Es bleibt noch viel zu tun."

Die nächsten UN-Klimaverhandlungen finden in der ersten Junihälfte in Bonn statt. Zwei weitere Verhandlungsrunden sind für den Herbst ebenfalls in Bonn geplant. In diesen Verhandlungen soll alles versucht werden, um bei der UN-Klimakonferenz im Dezember in Paris wie vorgesehen ein neues internationales Klimaabkommen unterzeichnen zu können.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Mehr als 190 Delegationen verhandelten in Genf über ein neues Klimaabkommen. UN Photo/Jean-Marc Ferré
  • Eine entspannte Atmosphäre prägte den offiziellen Sitzungen und zahllose bilaterale Gespräche in Genf. Allerdings wurden viele kontroverse Themen auf die nächsten Verhandlungsrunden vertagt. Foto: IISD/Lea Mead


[1] http://klimawandel-bekaempfen.dgvn.de/leitbild-impressum/
[2] http://unfccc.int/secretariat/items/1629.php
[3] http://klimawandel-bekaempfen.dgvn.de/klimaschutz/unfccc-united-nations-framework-convention-on-climate-change/
[4] http://unfccc.int/files/bodies/awg/application/pdf/negotiating_text_12022015@2200.pdf
[5] http://klimawandel-bekaempfen.dgvn.de/un-klimaschutz/der-kyoto-prozess/
[6] http://www.nzz.ch/schweiz/minimalziel-erreicht-1.18482874
[7] https://germanwatch.org/de/startseite
[8] http://www.greenpeace.de/
[9] http://www.wri.org/

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Quelle:
DGVN Webseite - Den Klimawandel bekämpfen
Vereinte Nationen & int. Organisationen 17.02.2015
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2015

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