Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


KLIMA/441: Pakistan - Klimabedingte Fluten vertreiben Bauern aus nördlichen Bergtälern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. November 2015

Pakistan: Klimabedingte Fluten vertreiben Bauern aus nördlichen Bergtälern

von Saleem Shaikh and Sughra Tunio


Bild: © Saleem Shaikh/IPS

Ishaq Khan verlor bei der Flut 2010 in einer einzigen Nacht Haus und Felder
Bild: © Saleem Shaikh/IPS

GHIZER, PAKISTAN (IPS) - Ishaq Khan beginnt zu zittern, wenn er von der verheerenden Sturzflut im Jahr 2010 spricht. Seine Mais- und Kartoffelfelder versanken damals im Schlamm. Mehr als ein Dutzend Obstbäume, die er 45 Jahre vorher gepflanzt hatte, wurden einfach weggespült. Der 68-jährige Bauer aus dem Damaas-Tal im nordpakistanischen Distrikt Ghizer konnte zwar sein Haus innerhalb eines Jahres aus Erde und Holz wiederaufbauen. Um seine Anbauflächen vom Schlamm zu befreien, fehlt ihm jedoch das Geld.

"Es war nach Mitternacht am 6. August 2010, als vom dichtbewölkten Himmel stundenlang starker Regen fiel. Währenddessen rauschten Wassermassen so schnell einen Berg hinunter, dass wir auf eine Anhöhe fliehen mussten, um unser Leben zu retten", berichtet der Vater von sechs Kindern. "Ich bohrte mir die Fingernägel in meine Kopfhaut und weinte hilflos, während die Sturzflut mein Zuhause zerstörte."

Noch heute kommen Khan die Tränen, wenn er daran zurückdenkt, dass die Überschwemmungen innerhalb einer Stunde einen Sachschaden von umgerechnet mehr als 14.000 US-Dollar anrichteten. "Inzwischen lebe ich nur noch von meinen Ziegen und Schafen. Land besitze ich nicht mehr. Trotzdem hoffe ich, dass ich eines Tages genug Geld haben werde, um mein Feld wiederzugewinnen und wieder Anbau zu betreiben." Früher erntete der Bauer jedes Jahr 800 Kilo Mandeln sowie 2.000 Kilo Walnüsse und Trauben, die er auf einem Markt in Gahkuch im Bezirk Ghizer verkaufte.


Drei Überschwemmungen in nur neun Jahren

In den Jahren 2006, 2010 und 2015 ist das Gebiet überflutet worden. In den vergangenen 200 Jahren hatte es dagegen keinerlei Überschwemmungen im Damaas-Tal gegeben. "Deshalb kam die Flut für uns überraschend", sagt Musa Khan von der Pakistanischen Wetterbehörde.

Der Wiederaufbau verläuft langsam. Der ehemalige Soldat Muhammad Saleem weist darauf hin, dass die 25 Familien, die 2010 durch die Wassermassen aus ihren Häusern vertrieben wurden, noch immer in Zelten leben und oft nicht genug zu essen haben. Die Landwirtschaft ist zum Erliegen gekommen, da die Farmen unter Schlammschichten liegen.

Wie Khan haben auch die anderen Bauern nicht genug Geld, um ihre Felder wieder bestellen zu können. Diejenigen, die es sich leisten konnten, sind in die Städte Gilgit, Chilas, Mansehra und Islamabad gezogen, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. "Wo sollen wir Armen schon hingehen ohne Geld?" fragt Saleem. "Wir haben keine andere Wahl, als unter kläglichen Bedingungen in Zelten zu leben, häufig ohne ausreichendes Essen und Trinkwasser."

Masoom Shah wohnt in dem malerischen Dorf Darkut, etwa 160 Kilometer entfernt von Gilgit, der Hauptstadt der Region Gilgit-Baltistan. "Ich hatte meine eigene Holzschnitzerei in Darkut, mit sieben Angestellten. Nachdem ich 2010 alles verloren habe, muss ich nun selbst in einer Fabrik arbeiten." Shah entstand in einer Nacht ein Sachschaden von 21.000 Dollar.

Mehr als hundert Familien seien nach dem Verlust ihres Besitzes in die Städte Ghakuch und Gilgit gezogen, sagte Babar Khan, der als Experte für Katastrophenhilfe für die Umweltorganisation WWF Pakistan arbeitet. In den vergangenen Jahren sei die durch den Klimawandel verursachte Abwanderung vom Land in die Städte ein ernsthaftes Problem in Gilgit-Baltistan geworden.


Tausende Gletscher schmelzen ab

In der Region befinden sich mehr als 4.000 Gletscher. Wie Khan berichtet, kommt es in den Sommermonaten zunehmend zu Sturzfluten, da die steigenden Temperaturen die Gletscherschmelze beschleunigen. Bislang gibt es noch keine Statistiken über die Abwanderung der Bewohner von Berggemeinden durch klimabedingte Naturkatastrophen wie Sturzfluten, Erdrutsche oder Lawinen. "Das Fehlen dieser Daten ist ein wesentliches Hindernis, das den Umgang mit der Migration in der Region erschwert. Das Problem nimmt mit jedem Tag zu, weil die durch Niederschläge verursachten Katastrophen immer häufiger und intensiver werden", erklärt Shahzad Shigri, Direktor der Umweltbehörde von Gilgit-Baltistan.

Während die Temperaturen in den von schneebedeckten Bergen umgebenen Tälern allmählich weiter ansteigen, sind die Wettermuster immer schwieriger vorherzusagen, wie Ghulam Rasul, wissenschaftlicher Leiter der Pakistanischen Behörde für Meteorologie (PMD), hervorhebt. "Daher nimmt die Gletscherschmelze selbst in den Wintermonaten zu. In vielen Tälern, wie Damaas, Darkut und Yasin im Ghizer-Distrikt regnet es mittlerweile in den Monaten, in denen es früher schneite."

Iftikhar Ahmed, Vorsitzender des Pakistanischen Rats für Agrarforschung in Islamabad, befürchtet, dass sich die Lebensbedingungen der Bauern in abgelegenen Bergtälern durch häufigere Überschwemmungen und Wolkenbrüche weiter verschlechtern werden. Dadurch verschärfe sich auch die Nahrungsunsicherheit. Als eine mögliche Lösung für das Problem schlug Ahmed eine Diversifizierung der agrarbasierten Wirtschaft vor, durch die sich die Bauern den neuen klimatischen Bedingungen anpassen können.

Im September startete der Internationale Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) ein ehrgeiziges Agrarentwicklungsprogramm im Umfang von 120 Millionen Dollar, um den Bauern in den Bergtälern im Norden Pakistans neue Einkommensquellen zu erschließen. Mindestens 100.000 Familien in der Region Gilgit-Baltistan, wo mehr als 90 Prozent der Menschen von klimaanfälliger Landwirtschaft leben, könnten davon profitieren.

IFAD ist bereit, 67 Millionen Dollar zur Finanzierung der Initiative zur Wirtschaftstransformation bereitzustellen. Laut Entwicklungsminister Ahsan Iqbal wird die Regierung rund 23,6 Millionen Dollar beitragen und die Durchführung des Programms koordinieren. (Ende/IPS/ck/11.11.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/11/frequent-floods-intensify-migration-food-security-in-pakistans-mountainous-north/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. November 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang