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KLIMA/558: Klimafolgen in UN-Pakten für Migration und Flüchtlinge verankert - KlimaKompakt 94 (GW)


KLIMAKOMPAKT - Nr. 94, März 2020
Der Klima-Newsletter von Germanwatch
Hinsehen. Analysieren. Einmischen.


Inhalt:

  • Klimawandel potenzieller Grund für Flucht und Vertreibung: UN-Menschenrechtsentscheidung bringt Hoffnung in Asyldebatte
  • Pionierarbeit zur Unterstützung Betroffener - internationale Partner gefordert: Fidschis Fonds für klimabedingte Umsiedlung und Vertreibung
  • Durchbruch in der internationalen Migrationspolitik: Erstmals Klimafolgen in UN-Pakten für Migration und Flüchtlinge verankert



Editorial

Mehr Schutz für Menschen die klimabedingt migrieren müssen?

Die wachsende Klimakrise wird weltweit sichtbar, alle Länder und Regionen sind betroffen. Dennoch sind es die besonders verletzlichen Menschen in den am stärksten betroffenen Ländern, die am meisten unter den Klimaveränderungen leiden. Der steigende Meeresspiegel und die daraus resultierende Versalzung von Frischwasser und landwirtschaftlichen Böden zählen zu den diversen Klimafolgen, die ursprüngliche Lebensräume für Menschen unbewohnbar machen. Hinzu kommen die sehr eingeschränkten Kapazitäten vieler armer Länder, sich an diese Folgen anzupassen und - wo nötig - mit entstandenen Schäden und Verlusten umzugehen. Viele Menschen stellt das vor existenzielle Herausforderungen: Durch Klimafolgen, Grenzen der Anpassung und fehlende Kapazitäten (und Unterstützung) werden sie aus ihrer Lebensumgebung vertrieben und zur Migration gezwungen. Ihre Situation ist von Region zu Region unterschiedlich. Bezüglich ihres Status, ihrer Rechte und ihrer Unterstützung gab es aber seit 2018 wichtige Entwicklungen.

Vera Künzel
Referentin für Anpassung an den Klimawandel und Menschenrechte


Der UN-Menschenrechtsausschuss überwacht, ob die Vertragsstaaten den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte angemessen umsetzen und einhalten. Ist dies nicht der Fall, kann er den Staaten Verbesserungsempfehlungen vorlegen. Ioane Teitiota hatte sich an den Ausschuss gewandt, da er in der Abschiebung nach Kiribati sein Recht auf Leben (Art. 6) gefährdet sah.

Klimawandel potenzieller Grund für Flucht und Vertreibung
UN-Menschenrechtsentscheidung bringt Hoffnung in Asyldebatte

Ein Bürger des Inselstaats Kiribati hat sein 2015 von der Regierung Neuseelands abgelehntes Asylersuchen, nach Ausschöpfen aller neuseeländischen Berufungsebenen, vor den UN-Menschenrechtsausschuss gebracht. Ioane Teitiota hatte seiner bevorstehenden Abschiebung entgegengestellt, dass auf seiner Heimatinsel durch Klimafolgen grundlegende Voraussetzungen eines sicheren Lebens nicht mehr gewährleistet seien. Auch wenn der Ausschuss die Entscheidung der neuseeländischen Regierung zur Abschiebung nicht rechtswidrig einschätzt, erkannte er grundsätzlich an, dass Klimafolgen zu Vertreibung führen können. Die Entscheidung kann daher die Debatte zum Umgang mit Asylersuchen voranbringen, denen Klimafolgen zugrunde liegen.

Germanwatch übersetzt hier Passagen der Entscheidung, die generell anerkennen, dass Klimafolgen zu Vertreibung führen können:

[...] 9.11: Der Ausschuss ist der Ansicht, dass die Auswirkungen des Klimawandels in den Aufnahmestaaten* ohne robuste nationale und internationaleBemühungen die Menschen einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 6 [Anm. Recht auf Leben] oder 7 [Anm. Schutz vor Folter und unmenschlicher Behandlung] des Paktes aussetzen können und dadurch die Nicht-Zurückweisungsverpflichtungen der Entsendestaaten* auslösen können. Da zudem die Gefahr, dass ein ganzes Land überschwemmt wird, ein so extremes Risiko darstellt, können die Lebensbedingungen in einem solchen Land mit dem Recht auf ein Leben in Würde bereits unvereinbar werden, bevor das Risiko real wird [Anm.: also bereits vor der Überschwemmung].

9.12 Im vorliegenden Fall akzeptiert der Ausschuss die Behauptung des Verfassers [Ioane Teitiota], dass der Anstieg des Meeresspiegels die Republik Kiribati wahrscheinlich unbewohnbar machen wird. Er stellt jedoch fest, dass der vom Verfasser [Ioane Teitiota] angegebene Zeitrahmen von 10 bis 15 Jahren ein Eingreifen der Republik Kiribati mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ermöglichen könnte, um positive Maßnahmen zum Schutz und gegebenenfalls zur Umsiedlung ihrer Bevölkerung zu ergreifen. Der Ausschuss stellt fest, dass die Behörden des Vertragsstaates [Anm. Neuseeland] diese Frage gründlich geprüft und festgestellt haben, dass die Republik Kiribati Anpassungsmaßnahmen trifft, um die bestehende Verwundbarkeit zu verringern und die Widerstandsfähigkeit gegen Schäden durch den Klimawandel zu erhöhen. [...]

9.14 Ohne Beeinträchtigung der anhaltenden Verantwortung des Vertragsstaates [Neuseeland], in künftigen Abschiebungsfällen die damalige Situation in der Republik Kiribati und neue und aktualisierte Daten über die Auswirkungen des Klimawandels und den darauffolgenden Anstieg des Meeresspiegels zu berücksichtigen, ist der Ausschuss nicht in der Lage festzustellen, dass die Rechte des Verfassers [Ioane Teitiota]gemäß Art. 6 des Paktes bei seiner Abschiebung in die Republik Kiribati im Jahre 2015 verletzt wurden. [...]

Diese Passage benennt die Begründung Neuseelands:
[...] Die einheimischen Behörden [Anm. in Neuseeland] betonten, dass ihre Schlussfolgerungen nicht ausschließen, dass die Umweltzerstörung infolge des Klimawandels zukünftig einen Weg in die Gerichtsbarkeit für geschützte Personen schaffen könnte. Die Behörden waren jedoch der Ansicht, dass der Betroffene und seine Familie [Anm. mit ihrer vorgelegten Begründung] keinen solchen Pfad geschaffen hätten.

* "Aufnahmestaaten" sind hier die Heimatländer der Menschen, in die sie aus den "Entsendestaaten", in die sie migriert sind, zurückgeschickt werden.

Zum Originaltext (auf Englisch): https://bit.ly/33uTx6B


Pionierarbeit zur Unterstützung Betroffener - internationale Partner gefordert

Fidschis Fonds für klimabedingte Umsiedlung und Vertreibung

Um mit den Folgen des Klimawandels, wie den sich verschlechternden Lebensgrundlagen, umgehen zu können, fehlt es an Ressourcen. Auf internationaler Ebene fehlt es sowohl an Klimafinanzierung als auch an humanitären Mitteln, um betroffene Menschen und Länder zu unterstützen. Als besonders gefährdeter (Insel-)Staat hat Fidschi im September 2019 einen eigenen Treuhandfonds aufgesetzt, der Menschen und Gemeinden finanziell bei der Umsiedlung unterstützen soll. Der Fonds ist sowohl Beispiel für präventives Krisenmanagement als auch für bilaterale Solidarität: Die neuseeländische Regierung hat im Februar 2020 Unterstützung in Höhe von 2 Millionen Dollar zugesagt.

Germanwatch übersetzt hier Auszüge der auf Englisch vorliegenden Rede von Fidschis Premierminister Bainimarama zur offiziellen Einrichtung des Fonds:

[...] Ich freue mich und bin stolz, Sie alle willkommen zu heißen bei der Lancierung des weltweit ersten Umsiedlungsfonds für Menschen, die durch den Klimawandel vertrieben wurden. Und zur Finanzierung der Umsiedlung und des Wiederaufbaus unserer nationalen Infrastruktur, die zunehmend von Stürmen und steigenden Meeren bedroht ist. Wie diejenigen aus Fidschi wissen, sind wir bereits dabei, ganze Gemeinden vor dem ansteigenden Meer in Sicherheit zu bringen, das ihre Häuser überschwemmt, ihr Ackerland versalzt, ihre angestammten Grabstätten überflutet und sie durch Erdrutsche gefährdet. Vor fünf Jahren wurde das Dorf Vunidogoloa in Vanua Levu als erste Gemeinde umgesiedelt - sie zog zwei Kilometer ins Landesinnere, um dem steigenden Wasser zu entgehen. Seitdem wurden zwei weitere Gemeinden umgesiedelt, eine Reihe weiterer - mindestens 45 in naher Zukunft - müssen folgen.

Für ein Land wie unseres mit begrenzten Mitteln und einer jungen Bevölkerung, ist die Bewältigung dieser Herausforderung - die wir nicht verursacht haben - eine wachsende Belastung. Und sie wird sich mit Sicherheit noch verschlimmern, da die Auswirkungen des Klimawandels immer stärker werden. Nicht nur die steigenden Meeresspiegel und die Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft, auch die Extremwetterereignisse, die eine wachsende Gefahr für unsere Bevölkerung und unsere Infrastruktur darstellen. Natürlich sind es nicht nur die monetären Kosten der Umsiedlung, die Länder wie Fidschi belasten. Noch unkalkulierbarer ist das Trauma: Wenn man umzieht, wenn man die Grabstätten seiner Vorfahren hinter sich lässt oder sieht, dass das Land, das man seit Generationen bewirtschaftet hat, einen selbst und die eigene Familie nicht mehr ernähren kann. Der Umzug einer Gemeinde ist also mehr als nur der Umzug einer Gruppe von Häusern. Es geht um den Wiederaufbau einer Gemeinschaft und des Gemeinschaftsgefühls. Es geht darum, den Zugang zu Arbeitsplätzen, Schulen, medizinischen Diensten und einem nachhaltigen Leben zu gewährleisten - all das erfordert eine detaillierte und koordinierte Planung zwischen einer Vielzahl von Regierungsbehörden und anderen Organisationen. Und der Prozess muss bei den Mitgliedern der Gemeinde ein Gefühl der Eigenverantwortung wecken, indem er ihnen durch die Umsiedlung ein Gefühl der Sinnhaftigkeit und ein Gefühl des Stolzes vermittelt, sobald sie ihre neue Heimat für sich beanspruchen.

Wir haben diese Faktoren bereits in einer anderen Weltneuheit angesprochen: Den Richtlinien für geplante Umsiedlungen in Fidschi, die wir auf der COP24 vorgestellt haben. Diese Richtlinien geben uns einen Plan an die Hand, wie wir unsere Gemeinden in den Umsiedlungsprozess einbinden können, wie wir eine angemessene Koordination zwischen verschiedenen Behörden gewährleisten, wie wir den Prozess gendersensibel gestalten und marginalisierte Gruppen wie Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen berücksichtigen können. Die Verlagerung der Infrastruktur wird eine weitere bedeutende Herausforderung sein, da die Auswirkungen des Klimawandels beginnen sich zu materialisieren. Jeder, der die fidschianische Insel Ovalau - Standort der ersten Hauptstadt Fidschis, Levuka - besucht hat, weiß, dass die Straße, die die Insel umrundet und direkt am Ufer verläuft, überflutet und weggespült wird. Und es gibt weitere öffentliche Infrastruktur in Fidschi, wie Schulen, medizinische Zentren und Versorgungseinrichtungen, die aus der Gefahrenzone gebracht werden müssen. Wir müssen uns jetzt mit Handlungsfähigkeit wappnen. Wir können nicht darauf warten, dass die Gemeinden von den herannahenden Fluten überschwemmt werden. Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz, wir brauchen angemessene Ressourcen, und zwar sofort.

Unser neuer Treuhandfonds ist unbestreitbar eine der wirksamsten Möglichkeiten, unseren Gemeinden bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Und er ist auch unbestreitbar eine der wirksamsten Möglichkeiten, wie unsere internationalen Partner unsere Anpassungsbemühungen unterstützen können. Wir finanzieren den Treuhandfonds von nun an regelmäßig durch einen Prozentsatz der Einnahmen aus unserer Umwelt- und Klimaanpassungsabgabe. Nach derzeitigen Prognosen wird die jährliche Zuweisung hieraus etwa fünf Millionen Dollar betragen. Aber das reicht nicht aus. Wir freuen uns auf zusätzliche Unterstützung, um diese enorme Aufgabe zu bewältigen. [...]

Zum Originaltext der Rede (auf Englisch):
https://bit.ly/3daYPbS



Durchbruch in der internationalen Migrationspolitik

Erstmals Klimafolgen in UN-Pakten für Migration und Flüchtlinge verankert

Nach zwei Jahren Konsultationen und Verhandlungen konnten 2018 mit den UN-Pakten für sichere, geordnete und reguläre Migration und für Flüchtlinge zwei wichtige Übereinkommen geschlossen werden, die die menschliche Mobilität über Staatsgrenzen hinweg in den Fokus nehmen. Damit ist ein herausragender Durchbruch gelungen. Denn der Migrationspakt geht explizit auf die Bedeutung von Klimafolgen ein - erstmals konnte ein Klimazusammenhang in der Migrationspolitik verankert werden.

Germanwatch übersetzt Teile eines Interviews mit Prof. Walter Kälin, internationaler Völkerrechtler und Gesandter des Vorsitzenden der Plattform on Disaster Displacement, in dem er darüber spricht, welche Bedeutung der Globale Pakt für Migration für Menschen hat, die durch Klimafolgen und Extremwetterereignisse vertrieben werden:

[...] Der Pakt enthält 23 Ziele und begleitende Verpflichtungen zur Erreichung dieser Ziele. Die meisten von ihnen, einschließlich der Verpflichtung, das Verbot der Rückführung von Migranten in Situationen irreparablen Schadens (Ziel 21) zu respektieren, sind in der einen oder anderen Weise für katastrophenvertriebene Personen relevant, sobald sie die Grenzen überschreiten und somit zu Migranten werden. Allerdings, und das ist die aufregende Nachricht, spricht der Pakt auch explizit und ausführlich über katastrophenvertriebene Menschen. Das Ziel 2 zur Bekämpfung der Treiber von Migration enthält eine Unterrubrik, die sich speziell mit Katastrophen, Klimawandel und Umweltzerstörung befasst. Gefordert werden Maßnahmen zur "Entwicklung von Anpassungs- und Resilienzstrategien" für Katastrophen und negative Auswirkungen des Klimawandels, die auch Migration berücksichtigen; zur "Integration von Erwägungen zu Vertreibung in die Strategien zur Katastrophenvorsorge"; um die Verwundbarkeit von Menschen anzugehen, die von Katastrophen betroffen sind, und zur Bereitstellung der erforderlichen humanitären Hilfe; und zur "Entwicklung kohärenter Ansätze", um die Herausforderungen von Migration und Vertreibung zu bewältigen. Ziel 5 zur Verbesserung der Verfügbarkeit und Flexibilität von Wegen für die reguläre Migration ist für diejenigen, die über die Grenzen hinweg vertrieben werden, von großer Bedeutung. Es fordert die Staaten auf, Praktiken wie humanitäre Visa oder befristete Arbeitserlaubnisse für Personen zu entwickeln und zu nutzen, die durch plötzlich eintretende Katastrophen vertrieben wurden sowie geplante Umsiedlungen oder Visa-Optionen für diejenigen, die aufgrund langsam einsetzender Ereignisse die Grenzen überschreiten. Zusammen umreißen diese Bestimmungen eine Vision dessen, was getan werden muss und bilden eine Grundlage für konkrete Maßnahmen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene. [...]

Zum vollständigen Interview (auf Englisch):
https://bit.ly/2UnGgZl


Wichtige Entwicklungen auf internationaler politischer Ebene zur Regelung grenzüberschreitender klimabedingter Migration und Vertreibung:
  • 2010:Erwähnung des Zusammenhangs im Rahmen von UNFCCC im Cancun Adaptation Framework
  • 2012: Gründung der Nansen Initiative (erster zwischenstaatlicher Prozess zu klimabedingter Migration und Vertreibung)
  • 2015: Veröffentlichung der Nansen Agenda (aus Konsultationen der Nansen Agenda hervorgehende Empfehlungen)
  • 2016: Gründung der Plattform on Disaster Displacement (Nachfolge-Prozess der Nansen Initiative zur Umsetzung der Nansen Agenda)
  • 2016: Einrichtung Task Force on Displacement (TFD) im Rahmen von UN-FCCC
  • 2018: Vorstellung der Empfehlungen der TFD 2018: Verabschiedung der Globalen Pakte für Migration und Flüchtlinge
  • 2019: Beginn der 2. Arbeitsphase der TFD

*

Quelle:
KlimaKompakt, März 2020
Der Klima-Newsletter von Germanwatch
Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus, Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel.: 0228/60492-0, Fax: 0228/60492-19
E-Mail: info@germanwatch.org
Internet: www.germanwatch.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2020

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