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LANDWIRTSCHAFT/007: Bodenerosion bedroht die Welternährung, doch Alternativen sind möglich (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 162 - Juni/Juli 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Boden unter Druck
Die Bodenerosion bedroht die Welternährung, doch Alternativen sind möglich

Von Peter Clausing


Auch wenn, trotz über einer Milliarde hungernder Menschen, derzeit genügend Nahrung für die gesamte Weltbevölkerung produziert wird, zeichnet sich für die kommenden Jahrzehnte eine erhebliche Diskrepanz ab. Bis 2025 wird sich die globale landwirtschaftliche Nutzfläche im Vergleich zu 1990 um geschätzte 82 Millionen Hektar und damit um zehn Prozent vergrößern. Dieser Erweiterung steht jedoch ein erwarteter Bevölkerungszuwachs von 60 Prozent in dem gleichen 35-Jahres-Zeitraum gegenüber. Zudem geht der Gewinn an landwirtschaftlicher Nutzfläche häufig mit der Zerstörung von Wäldern einher. Parallel dazu spielt sich eine stille Katastrophe sozusagen direkt unter unseren Füßen ab: Schätzungen zufolge sind weltweit 25 Prozent des Bodens von Degradation (Verschlechterung, Funktionsverlust) betroffen. (1)

Trotz der ernüchternden Statistik ist Weltuntergangsstimmung fehl am Platz. In seinem jüngsten Bericht an die UN-Vollversammlung schreibt der Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, dass die Kleinbauern im Süden, also dort, wo chronischer Hunger am häufigsten ist, innerhalb von zehn Jahren ihre Nahrungsmittelproduktion verdoppeln könnten, und zwar auf umweltverträgliche Weise. (2) Dazu wäre ein entsprechender politischer Wille vonnöten. Das würde auch Maßnahmen zur Bodenverbesserung einschließen, deren Dringlichkeit nicht genug betont werden kann.


Weltagrarbericht zeigt Ursachen

Erosion, Bodenverdichtung, Verlust an organischer Substanz, Kontamination, Versalzung und Erdrutsche - die Bodendegradation hat in den letzten 100 Jahren deutlich zugenommen, mit entsprechenden Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktivität. Den Löwenanteil am degradationsbedingten Flächenverlust hat die Erosion, das ergab ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WGBU), eines Beratungsgremiums der Bundesregierung. Wasser und Wind tragen weltweit jährlich 75 Milliarden Tonnen Boden ab. Mehr als 16 Millionen Quadratkilometer Fläche sind degradiert, davon sind 85 Prozent von Erosion betroffen.

Das Phänomen der Erosion gab es schon, bevor Menschen auf der Erde existierten. Vor Jahrtausenden boten die durch Wasser abgetragenen und an anderer Stelle wieder angeschwemmten fruchtbaren Erdmengen die Voraussetzung für die Entstehung von Zivilisationen - erinnert sei an das Nildelta und die Flussläufe von Euphrat und Tigris. Das Problem ist also nicht die Erosion an sich, sondern das Tempo, mit der sie heute vonstattengeht. Wenn einer jährlichen Bodenbildungsrate von einer Tonne pro Hektar eine Erosionsrate von über fünf Tonnen pro Hektar im Jahr gegenübersteht, wie es zum Beispiel in Teilen von Südspanien, Südfrankreich, Italien und Griechenland der Fall ist, dann ergeben sich daraus mittelfristig Probleme für die Produktivität. Wenn jedoch die Erosionsraten durchschnittlich 30 bis 40 Tonnen pro Hektar und Jahr betragen, was in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas dem Durchschnitt entspricht, dann ist die Situation dramatisch.

Daten über den Schweregrad der Degradation sind im globalen Maßstab nicht sonderlich präzise. So verwundert es nicht, dass unter den Experten zwar Einigkeit herrscht, dass die Schädigung der Böden ernste Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktivität hat. Unterschiedliche Ansichten gibt es jedoch darüber, wie schnell das gehen wird und welches Ausmaß zu erwarten ist. Auch in dem 2009 veröffentlichten Weltagrarbericht wird beklagt, dass aufgrund fehlender Daten die Schätzungen über Auswirkungen der Bodendegradation auf die Produktivität stark divergieren. Eindeutig äußern sich die Verfasser dieses Berichts dagegen zu anderen interessanten Details. Dazu zählt die Feststellung, dass die bisherige Bodenzerstörung zu einem Viertel durch die landwirtschaftliche Produktion selbst verursacht wurde. Umgekehrt hat die Überweidung, die andere Autoren oft als eine Hauptursache für Bodenzerstörung ansehen, offenbar einen deutlich geringeren Einfluss. Der Effekt der Überweidung ist häufig sekundärer Natur: Die Ausdehnung des Ackerbaus auf Böden mit schlechter Qualität führt dazu, dass Hirten, die dort ursprünglich eine nachhaltige Weidewirtschaft betrieben, auf noch schlechteres Land verdrängt werden. wo ihre Herden dann allerdings über kurz oder lang den Boden zerstören. Zur dieser Verdrängung kommt es unter anderem durch den Anbau bestimmter Energiepflanzen zur Gewinnung von Agrotreibstoffen.


Erstaunliche Erfolge bei der Wiederherstellung

Die Verfasser des Weltagrarberichts sprechen sich nachdrücklich dafür aus, degradierte Agrarflächen zu renaturieren, statt unter Vernichtung von Wäldern neue Agrarflächen hinzuzugewinnen. Methoden zur Renaturierung - Anreicherung des Bodens mit organischer Masse, eventuell verbunden mit einer zurückhaltenden Anwendung anorganischer Dünger - stehen zur Verfügung, finden aber zu wenig politische Unterstützung. Vielfach können solche Maßnahmen den Prozess der Bodendegradation rückgängig machen. Weitere vom Weltagrarbericht empfohlene Mittel sind eine Diversifizierung der Fruchtfolge und eine als "Agroforstwirtschaft" bezeichnete Strategie, der besonders in Afrika gute Chancen eingeräumt werden, um mit einfachen Mitteln Prozesse der Umweltzerstörung umzukehren. Letztlich geht das Thema Bodendegradation vollständig in der Diskussion auf, welchem landwirtschaftlichen Modell die Zukunft gehört - einem nachhaltigen kleinbäuerlich-biologischen Anbau oder einer industriemäßigen Großflächenwirtschaft mit massivem Stoff- und Energieeinsatz auf der Basis von Erdöl.

Mit agroökologischen Methoden sind Böden schon erfolgreich renaturiert worden - verbunden mit beeindruckenden Ertragssteigerungen. Erstaunliche Beispiele enthält unter anderem ein Bericht des Agrarexperten Uwe Hoering. (3) Selbst Extremfälle von Erosion konnten rückgängig gemacht werden: Gullys - metertiefe Erosionsrinnen - entstehen, wenn oberflächlich abfließendes Wasser die Erde mitreißt. Hoering berichtet, wie tansanische Kleinbäuerinnen innerhalb von zehn Jahren einen drei Meter tiefen Gully wieder füllten, indem sie oben, wo der Gully noch schmal war, Gräben zogen und Barrieren aus Stöcken und Elefantengras anlegten, um die Erde zurückzuhalten, während das Wasser weiter fließen konnte. Mit der Zeit war die Menge zurückgehaltener Erde groß genug, um sie zu bepflanzen, unter anderem mit Bananenstauden, die als zusätzliche, früchtetragende Barrieren dienten. "Heute wächst dort, wo früher nur unfruchtbarer Kies war, eine dichte Mischvegetation aus Bananen, einheimischen Bäumen, Orangen und Zitronen sowie Papayas, Mais, Hirse, Süßkartoffeln, Maniok und Erbsen. In einem Teich tummeln sich Fische, die im Dorf verkauft werden", berichtet Hoering. Eine Verfünffachung der Erträge, zum Beispiel bei Hirse, wurde zudem durch einen lokal entwickelten organischen Dünger ermöglicht.

Bodenerosion in Tansania (landwirtschaftliche Fläche, bewachsen, mit steilem Hang, von dem Erde abgerutscht ist) - Foto: © Uwe Hoering

Bodenerosion in Tansania
Foto: © Uwe Hoering

Allerdings werden solche Methoden bisher nur sporadisch angewendet, sodass die Ergebnisse etwa auf Satellitenbildern gar nicht sichtbar sind. Nachhaltige Erfolge sind nur von der vervielfachten Anwendung solcher zukunftsweisender, lokal verwurzelter Strategien zu erwarten.

Der Autor ist Experte für internationale Agrarpolitik. Er schreibt unter anderem auf www.agrardebatte.de


(1) Global Assessment of land degradation and improvement - GLADA Report 5, Wageningen 2008
www.kurzlink.de/glada

(2) www.klimaretter.info/politik/nachricht/8135

(3) Uwe Hoering: Wer ernährt die Welt? Bäuerliche Landwirtschaft hat Zukunft. Bonn 2008
www.kurzlink.de/hoering


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 162 - Juni/Juli 2011, S. 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011