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LANDWIRTSCHAFT/035: Regionale Bauernmärkte und Selbstversorger in Rumänien (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 173 - April/Mai 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Ökologisch aus Tradition
Regionale Bauernmärkte und Selbstversorger in Rumänien

von Volker Voss



Fünf Minuten Fußweg sind es vom Bahnhof der Kleinstadt Azuga, Landkreis Prahova, zu dem großen, terrassenförmig angelegten Grundstück der Familie Stoicescu. So wie viele Nachbarn sind auch die Stoicescus Selbstversorger. Bereits von weitem fällt einem das bunte Blumenmeer im oberen Teil ihres Gartens auf. Außerdem wachsen in der Gartenanlage Paprika, Tomaten, Zwiebeln, Bohnen und Gurken. Es gibt mehrere Apfelbäume und einen Pflaumenbaum. Der gesamte Anbau erfolgt nach traditionellen, ökologischen Kriterien, also umweltschonend, mit Verzicht auf chemische Dünger sowie ausreichendem Platzangebot für Tiere. "Alle, die hier ein eigenes Grundstück haben, machen es so, dabei wird jeder Quadratmeter bearbeitet", erzählt Cleo Stoicescu. Die Hühner haben freien Auslauf, also Freilufthaltung auf traditionelle Art. Durch ein kleines Türchen gehen sie tagsüber von den Gärten aus dem Umkreis auf die Wiese, ernähren sich dort und kommen abends zurück. Es wird keine Mühe gescheut, um dem hohen Anspruch auf saubere Lebensmittel und gesunder Ernährung gerecht zu werden. Selbst die Erde in der Gartenanlage wird jedes Jahr erneuert, wobei das Ungeziefer rausgebrannt und anschließend der Boden frisch mit Gülle versehen wird. Die alten ländlichen Anbautraditionen können durchaus den strengen Regeln des ökologischen Anbaus im Westen standhalten.

"Im Herbst wird geerntet", so Cleo Stoicescu, "das reicht für den ganzen Winter, was noch fehlt, wird hinzugekauft, beispielsweise Kohl." Der Hinzukauf erfolgt auf den kleinen Märkten, auf denen die regionalen Bauern, die nach den gleichen Kriterien anbauen, Obst und Gemüse anbieten. "Die dort angebotenen Obst- und Gemüsesorten haben diesen typischen Naturgeschmack, wie du ihn so nicht im Supermarkt findest, wo alles gleich aussieht - und sind völlig naturbelassen", preist Cleo Stoicescu die regionalen Produkte. In Azuga selbst gibt es noch keinen Supermarkt. Früher kultivierten die Einwohner auch Mais, hatten Kühe und Schweine. Es gab beispielsweise Käse von den Kühen. Laut der strengen EU-Regeln darf dieser traditionell erzeugte Käse nicht mehr hergestellt werden. Zudem dürfen die Kühe nicht mehr frei rumlaufen. Schließlich kommen Verwandte aus dem 35 Kilometer entfernten Brasov (Kronstadt), um sich mit naturbelassenem Obst, Gemüse und Eiern einzudecken. In seinem Buch Kommunikationsmarkt Rumänien beschreibt Autor Marius Antonius Braneti, dass "die Bevölkerung auf dem Land in erster Linie Selbstversorger ist und selten ins Restaurant essen geht."

Ausländische Aussteiger

Rumänien ist ein wahres Naturparadies mit endlosen Bergketten, Tälern, Wiesen, reißenden Flüssen, Bächen und Seen, dem westlichen Konsumtouristen weitgehend unbekannt. Doch haben in den letzten Jahren ganz andere "Touristen" das Land entdeckt. Westliche Aussteiger suchen, oft per Zeitungsannonce oder über Immobilienmakler, eine Zukunft als Selbstversorger in dem mitteleuropäischen Land und übersehen wohl völlig, dass die Einheimischen einen oft harten Überlebenskampf führen und nicht unbedingt auf ausländische "Alternativ-Utopisten" warten.

Andererseits haben sich bereits ausländische Bauern in Rumänien niedergelassen, betreiben biologischen Landbau, verkaufen ihre Ernte an westeuropäische Bio-Abnehmer, aber Land und Gut haben sie zu einem Preis weit unter dem im Westen üblichen Marktwert gekauft. Daran ist ein heftiger Streit zwischen Regierung und Landwirten ausgebrochen. Der rumänische Bauernverband Liga Asociatiilor Producatorilor Agricoli din Romania ist strikt gegen die Vergabe von Grund und Boden an Ausländer, wie sie im EU-Vertrag ab diesem Jahr möglich ist. Agrarland sei das wichtigste Produktionsmittel und ein nationales Gut, das nicht entfremdet werden dürfe, sagte der Vorsitzende des Bauernverbandes, Laurentiu Baciu. Grund und Boden müssten auch weiterhin "alleiniges Eigentum der Rumänen" bleiben. Wenn während der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union Fehler gemacht worden seien, müssten diese unmittelbar korrigiert werden.

Das Internetportal agrarheute.com vermeldet eine kräftige Steigerung der Bio-Produktion in Rumänien. "Der Anbau von Biopflanzen ist 2011 um 40.000 Hektar auf rund 300.000 ausgeweitet worden, bei einer landesweiten Agrarfläche von insgesamt etwa 8,8 Millionen Hektar. Die Zahl der landwirtschaftlichen Ökobetriebe belief sich zuletzt auf 4.500, wobei die meisten Höfe aber klein sind und nur wenige Tiere besitzen. Der größte Teil wird nämlich ins europäische Ausland, vorzugsweise in die westlichen Industriestaaten, exportiert, weil es in Rumänien wenig Kunden gibt." Das Internetportal Rumänien Reiseziele ergänzt: "Ein Grund hierfür mag in der allgemeinen, historisch gewachsenen wirtschaftlichen Struktur des Landes liegen. Viele Klein- und Kleinstbauern agieren auch heute noch als Selbstversorger und verkaufen ihre überschüssigen Waren auf lokalen Wochenmärkten." Die Nachfrage nach biologischen Produkten in Westeuropa ist enorm: Laut einer Studie der Organisation Euromonitor vergrößerte sich der europäische Markt für abgepackte Bio-Produkte allein 2009 um knapp 20 Prozent.

Judit Miklos, Umweltaktivistin aus Brasov, berichtet, dass die heimische Artenvielfalt bei Gemüse, dort wo nichtökologisch angebaut wird, alarmierend schwindet. Unter Kostendruck und der Aussicht auf größere Ernteerträge werden verstärkt Samen aus Holland eingesetzt, was zu einem merklichen Rückgang der Vielfalt führte. "Mein Vater stammt aus einem Dorf, das mal berühmt war für gute Kartoffelsorten", sagt sie. Heute werden in dem Ort nur noch Pflanzensamen aus holländischen Katalogen eingekauft. "Ich war erschrocken, wie normal das heute ist." Andererseits gibt es nun auch in Bukarest und Brasov die ersten Bauernmärkte, auf denen naturbelassene regionale Produkte angeboten werden.

Das Wasser in der Region Prahova ist so naturbelassen, dass es die Menschen so, wie es vom Bach aus den Bergen herunterkommt, bedenkenlos trinken können. Deshalb haben Einwohner am Bach eine Vorrichtung angebracht, die dazu dient, das saubere Bergquellwasser direkt in die mitgebrachten Flaschen abzufüllen.

Schwierige wirtschaftliche Lage

Die politische Wende von 1989/90 ist an der Region nicht spurlos vorübergegangen. Ein Großteil der regionalen Industrie verschwand, im wahrsten Sinne des Wortes, vom Erdboden. Georgeta Stoicescu arbeitete früher in der örtlichen Stofffabrik, von der heute nur noch die Grundmauern geblieben sind. Genauso verschwanden die ehemalige Glasfabrik, der Baumaterialhersteller und die zwei Brauereien, die die Region mit traditionell gebrautem Bier versorgten. Die Einwohner mussten sich umorientieren und sich neue Einkommensquellen schaffen. Familie Stoicescu ist heute beispielsweise Großlieferant von Blumen für die Grünanlagen der Stadtverwaltung. Außerdem beliefern sie die Sekt- und Weinkellerei Halewood. Das 1892 gegründete Unternehmen Halewood produziert noch traditionell mit Flaschengärung und beliefert auch Kunden im Ausland.

Heute ist Azuga, 135 Kilometer von der Hauptstadt Bukarest entfernt, am Fuße des Baiului Gebirges, ein Wintersportzentrum. Viele Einwohner bieten Unterkünfte oder haben kleine Geschäfte. Die Einwohnerzahl sank von 6.500 im Jahr 1992 auf heute knapp 5.000. Denn wie auch in anderen Regionen wird es immer schwieriger, eine Arbeit zu finden. Viele gehen sogar ins Ausland.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Das terrassenförmig angelegte Grundstück der Familie Stoicescu
- Frisch gezapftes Bergquellwasser

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 173 - April/Mai 2013, S. 19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2013