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LANDWIRTSCHAFT/046: Kamele und Kamelmilch in der zentralen und westlichen Sahara (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 80 Ausgabe 28 [1] - Sommer 2013

Kamele und Kamelmilch in der zentralen und westlichen Sahara

von Wolf-Dieter Seiwert



Abu Huraira berichtet, der Gesandte Gottes habe gesagt: "Welch herrliche Spende ist doch eine Kamelin und ein Schaf, die reichlich Milch geben - am Morgen eine Schale und am Abend eine zweite!"
(Sahih al-Buhari, XXXII:5)

Einleitung

Wenn noch in den 1960er Jahren die Sesshaftmachung der Nomaden in vielen Ländern als wichtiges Entwicklungsziel betrachtet wurde,(1) fand zur gleichen Zeit bereits ein Umdenken statt:(2) Im Mittelpunkt der gegenläufigen Argumentation stand die Tatsache, dass der größte Teil des altweltlichen Trockengürtels nur durch eine mobile Form der Viehhaltung landwirtschaftlich genutzt werden kann. Nicht die Sesshaftmachung der Viehzüchter, sondern eine Modernisierung dieses Sektors wurde als Ziel formuliert.

Besonders der Förderung der Kamelhaltung wurde zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt. Kamele, Schafe und Ziegen sind keine Konkurrenten, da sie unterschiedliche Weidepflanzen bevorzugen. Außerdem ist das Dromedar durch seine Anpassung an die Extrembedingungen der subtropischen Wüsten in der Lage, Futterressourcen zu nutzen, die für andere Haustiere unzugänglich sind. Als Schlacht- und Milchtiere liefern sie wertvolle Proteine, an denen gerade bei der Bevölkerung dieser Region großer Mangel besteht. Daneben enthält Kamelmilch zahlreiche Vitamine (u.a. dreimal so viel Vitamin C wie Kuhmilch) und antibakteriell wirkende Inhaltsstoffe, weshalb sie bei der örtlichen Bevölkerung auch wegen ihrer therapeutischen Wirkung hoch geschätzt wird.


Die Entdeckung des Kamels durch die internationale Wissenschaft

1982 wurde in einer Studie der FAO (Food and Agriculture Organization of the UN) festgestellt: "Camel milk can certainly play a far more important role in the prevention of malnutrition than it does today. Growing and raising foodstuffs for the rapidly increasing human population is especially precarious in the hot and arid zones of the world - the very areas where the camel is one of the few animals not only to survive, but also to benefit man."(3) Autor dieser Studie war der israelische Veterinärmediziner Dr. Reuven Yagil, der an der Ben- Gurion-Universität des Negev (Beerscheba/Israel) zu Kamelen und Kamelmilch forschte und lehrte.(4)

Zur gleichen Zeit (1982) begann der somalische Lebensmittelchemiker Dr. Zakaria Farah seine Tätigkeit als senior lecturer für Nahrungsmitteltechnologie in Entwicklungsländern am Institut für Lebensmittelwissenschaft, Ernährung und Gesundheit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). Er und andere Mitarbeiter des ETH-Labors für Milchwissenschaft beschäftigen sich seit Mitte der 1990-er Jahre vor allem mit der Erforschung von Inhaltsstoffen und Struktur von Kamelmilch, wobei sie eng mit Kamelfarmen und Forschungseinrichtungen in Kenia, Somalia und Äthiopien zusammenarbeiten.(5)

Auch in Ausbildungsprogramme unter Leitung von Reuven Yagil, die zeitweilig Deutschland mitfinanzierte, wurden Partner aus Kenia und Äthiopien sowie aus Kasachstan und Indien einbezogen.

1984 entstand im französischen Montpellier das CIRAD, das "Zentrum für internationale Zusammenarbeit bei agrarwirtschaftlicher Forschung für Entwicklung", als öffentliche Einrichtung mit industriell-kommerziellem Charakter aus dem Zusammenschluss von neun Instituten, die sich mit tropischer Landwirtschaft beschäftigten. 1996 übernahm Prof. Bernard Faye(6) die Leitung des Programms Tierproduktion. Zehn Jahre später wurde er zum Mitbegründer der International Society of Camelid Research and Development (ISOCARD).

Zum Thema Kamel erschienen bereits in den 1990-er Jahren an die 1900 Publikationen. Über zwanzig internationale Konferenzen widmeten sich seit 1990 dem gleichen Thema. Eine der jüngsten fand am 17./18. April 2013 in Khartoum/Sudan statt und beschäftigte sich mit "Future Aspects of Camel Improvement and Production". Dabei ging es auch um die Produktion, Behandlung und Vermarktung von Kamelmilch. Selbst die sonst eher historisch ausgerichtete School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London veranstaltete zum zweiten Mal am 29./30. April 2013 eine breit angelegte Camel Conference.(7)



Vermarktung von Kamelmilch

Wie aus dem eingangs zitierten Hadith hervorgeht, wird Kamelmilch als Geschenk Gottes betrachtet, dient vor allem der Selbstversorgung und wird dem Gast grundsätzlich kostenlos serviert. Ein Überschuss wird an die Bedürftigen in der Gemeinschaft verteilt. Diese Denkweise bremste die Entwicklung einer marktorientierten Milchwirtschaft. Ein Verkauf kommt erst in Betracht, wenn Sesshaftwerdung und Urbanisierung die einstigen Nomaden von den Herden trennen, der Bedarf an Kamelmilch aber erhalten bleibt. Ein Kochen der Milch wird traditionsgemäß abgelehnt, was der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht, dass durch das Erhitzen wertvolle Inhaltsstoffe Verloren gehen.

Als größter Kamelmilchproduzent in der Welt gilt Somalia, gefolgt von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Sudan und Mali.(8) Danach kommen die übrigen Länder der Sahelzone und Nordostafrikas (Kenia, Äthiopien, Eritrea). Über die Westsahara gibt es keine Angaben.

Bei der Entwicklung einer modernen Kamelwirtschaft nahm Indien neben den oben genannten Wissenschaftlern eine Vorreiterrolle ein: Südöstlich der Stadt Bikaner in der Wüste Thar im Norden des indischen Bundesstaats Rajasthan entstand 1984 das Project Directorate on Camel, aus dem 1995 das National Research Centre for Camels (NRCC) hervorging. Das Forschungszentrum besitzt eine Stammherde von ca. 270 Tieren und gilt als einzige staatliche Kamelfarm Asiens. Auf 689 ha Weideland werden Futterpflanzen angebaut, Futterbäume gepflanzt und ein wissenschaftlich fundiertes System der Vorbeugung und Überwachung von Krankheiten zur Anwendung gebracht. Zu den Schwerpunktthemen des Zentrums gehören die Wertsteigerung und Beurteilung von Kamelmilch im Hinblick auf ihre therapeutische Wirkung und ihre Nutzung als funktionelles Lebensmittel sowie die molekulare Klassifikation von Kasein und Lactoferrin in der Kamelmilch. In der Praxis führte das zur Entwicklung einer umfangreichen Palette von Kamelmilchprodukten, wodurch die Verarbeitung und Vermarktung von Kamelmilch im ganzen Land gefördert werden soll.(9)

In Afrika war es ein mauretanisches Privatunternehmen, das 1989 unter dem Markennamen "Tiviski" (Hassaniyya: Frühling) erstmals Kamelmilch auf den Markt brachte, die sie direkt von den mehr oder weniger nomadischen Viehzüchtern bezog - die Laitière de Mauritanie.(10) Ihr Ziel war es, die Einwohner der Hauptstadt Nouakchott mit Milch zu versorgen und dabei die ausländischen Importe abzulösen. Gründerin war eine Ingenieurin mit britischen Wurzeln - Nancy Abeidarrahman. Das Startkapital in Höhe von 1,5 Mio. FF (ca. 230.000 EUR) wurde zu zwei Dritteln von der französischen Entwicklungsbank als Darlehen zur Verfügung gestellt. Man investierte in geeignete Transportfahrzeuge und - um die Region von Rosso mit einzubinden - in ein gekühltes Sammel-Zentrum, das durch eine gut ausgebaute Straße mit der Hauptstadt verbunden war. Gleichzeitig stimulierte man den Futtermittelanbau und die Gewinnung von Heu im Delta des Senegal. Das erste Produkt war frische, pasteurisierte und in 1/2 l-Tetra Paks abgefüllte Kamelmilch mit dem genannten Markennamen "Tiviski". Seit 1990 verarbeitet die Molkerei auch Kuhmilch und in geringerer Menge seit 1998 Ziegenmilch. Angeliefert werden heute täglich je nach Saison 12.000 - 18.000 l Milch, wobei die abgegebene Menge bei den einzelnen Viehbesitzern je nach Besitzgröße zwischen 1 und 300 l variiert. Die Molkerei beschäftigt zurzeit ca. 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im ganzen Land. Dazu kommen ca. 1000 Milchlieferanten sowie all jene, die mit dem Transport der Milch und anderen Dienstleistungen für das Unternehmen tätig sind. Die Kamelmilch bezieht Tiviski größtenteils von halbnomadischen Viehzüchtern, die ihre Tiere 50-70 km von der Hauptstadt entfernt weiden. Eine gewisse Konkurrenz sind sesshafte Kamelhalter in Nouakchott, die mehr Geld in die Zufütterung stecken, dafür aber auch ihre Milch teurer als die Molkerei verkaufen, was aber von den Kunden, die bei ihnen direkt kaufen, akzeptiert wird. Tiviski unterhält neben Nouakchott noch Sammelstellen in Rosso und Boghé im Tal des Senegal, wo neben Kamelmilch auch Kuh- und Ziegenmilch angenommen wird. Aus unternehmerischen Gründen hat die Molkerei ihre Produktpalette erweitert. So wird beispielsweise neben pasteurisierter Frischmilch auch "Leezib" verkauft - gesäuerte Kamelmilch, die mit Wasser verdünnt und mit Zucker gesüßt als zrig getrunken wird. Mit Hilfe der FAO hat man auch mit der Käseproduktion begonnen, die vor allem in Zeiten eines Überangebots an Milch zum Tragen kommen soll. Allerdings ist die Herstellung sehr kostspielig und der so erzeugte Käse nur im Ausland absetzbar, was aber z. B. durch die Einfuhrbestimmungen der EU blockiert wurde. Die Qualität der Milch ist von den Bedingungen beim Melken, beim Sammeln und beim Transport zur Molkerei abhängig. Es galt also, bei der Ankunft der Milch in der Molkerei ihre Qualität zu prüfen. Dabei wurde deutlich, dass die gesamte Kette in das Qualitätsmanagement einbezogen werden musste. Das führte zur Bildung einer Vereinigung der Milchproduzenten (APLT).

Das Beispiel von Tiviski machte Schule. 2002 gründete ein Unternehmer in Agadez (Niger) mit Unterstützung durch die nigerische NRO Kankara und französische Entwicklungszusammenarbeit die Laiterie de l'Air CAMELAC. Ein Jahr später erfolgte eine Neugründung unter dem Namen Laiterie de l'Air Azla Saveur, auch diese wieder mit Unterstützung durch Kankara und finanziert durch das Departement de la sécurité alimentaire (DSA) de la Coopération francaise. Am Beispiel dieser sehr kleinen Molkerei lassen sich die Anfänge einer modernen Kamelmilchaufbereitung in Nomadengebieten recht gut illustrieren:

Zunächst betrachtet man die Verteilung der Lager und organisiert daraufhin zwei getrennte Sammelrouten: Eine führt zu fünf Lagern im Westen (5-20 km entfernt), eine zweite zu drei Lagern im Süden (bis 50 km entfernt). Von ortsnahen Lagern im Osten (7 km entfernt) wird die Milch angeliefert. Die Kosten der Abholung werden vom Ankaufspreis abgezogen. Die Molkerei übernimmt die Reinigung und Desinfektion der Sammelbehälter, Siebe und Messgefäße und bringt sie danach wieder zurück. Gleichzeitig berät und sensibilisiert sie die Kamelhalter im Hinblick auf die Melkhygiene. Die technologische Aufbereitung der Kamelmilch beginnt mit einer Filterung mit Hilfe von Sieben oder Tüchern. Es folgt eine 15-minütige Pasteurisierung im Wasserbad bei 75° C und eine anschließende Abkühlung des Pasteurisierungsbehälters in Eiswasser. Dann wird die Milch in Viertel- und Halbliterbeutel abgefüllt, thermoverschweißt und bei 8° C in Kühlschränken gelagert. Die Leitung der Molkerei liegt in den Händen eines angestellten Geschäftsführers und des Eigentümers, der bei größeren Investitionsentscheidungen und strategischen Entscheidungen interveniert. Weiterhin sind vier Vollzeitmitarbeiter beschäftigt: ein Laborant, ein Fahrer des Abholfahrzeugs, zwei Abfüller. Zur Unterstützung der Kamelhalter hinsichtlich der Tiergesundheit verpflichtet die Molkerei private Dienstleister. Die mit der Molkerei verbundenen Kamelhalter, die in Genossenschaften oder Lagergemeinschaften organisiert sind, sorgen für die Primärsammlung, während die Molkerei für die zentralen Sammelpunkte verantwortlich ist. Der durchschnittliche Ertrag pro Tag lag 2004 bei nur 60 l. Außer der in Beutel abgefüllten frischen Kamelmilch erzeugt und verkauft die Molkerei Joghurt und Käse aus Ziegenmilch. Die Molkerei begann mit einer Minimalausstattung, bestehend aus Töpfen, einem Kühlbehälter, 3 Gaskochern und diversem Laborgerät (pH-Meter, Acidimeter, Lactodensimeter, elektronisches Mikrothermometer). Zur Erhöhung der Milchqualität organisierte das Unternehmen Schulungen der Viehzüchter bezüglich Melkhygiene und Grundkurse für die Angestellten zum Thema Hygiene und Laborarbeit. Man legte Normen und Kontrollmechanismen fest (Bromokresoltest, Siedetest, Milchsäure) und plante weitere Schulungsmaßnahmen zur Verbesserung der Tierhaltung und der Verarbeitung der Milch und tierärztliche Kontrolle der Herden. Die Kamelmilch wird direkt in der Molkerei (30 %) und in Läden (70 %) verkauft, die Werbung erfolgt auf lokalen Festen. Für den weiteren Ausbau der Molkerei wurden folgende Ziele formuliert:

  • Optimierung der Leistung der Molkerei durch Verbesserung des Sammelsystems, - Stärkung der Struktur der Zulieferer und vertragliche Bindung,
  • Verbesserung der Milchsammlung,
  • Ansporn der Produzenten und Förderung der Milchproduktion durch Bereitstellung von Futterreserven in der Trockenzeit,
  • Schaffung eines Instrumentariums zur Motivierung der Mitarbeiter.(11)

Zur Abrundung soll ein Beispiel aus Ostafrika nicht unerwähnt bleiben: die von dem Tropenlandwirt Holger Marbach 2005 gegründete Kamelmilchfarm Vital Camel Milk Ltd. in Nanyuki (Kenia). Sie vermarktet Kamelmilch betont als Bioprodukt, wobei sie die Erzeugnispalette von pasteurisierter Kamelmilch über Sauermilch und Trinkjoghurt bis hin zum Speiseeis in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen ausgedehnt hat. In engem Kontakt mit einschlägigen Forschungseinrichtungen, darunter mit der ETHZ (Zakaria Farah) bemüht sich H. Marbach auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit um eine Verbindung der Erfahrungen der örtlichen Viehzüchter mit neuen Erkenntnissen der Forschung und unternehmerischen Gesichtspunkten. Die Umsatzzahlen geben wie bei Tiviski Anlass zum Optimismus.


Kamelzucht in der Wilaya Tindouf (Algerien)(12)

Die Provinz Tindouf gehört neben dem Souf im Südosten und dem Ahaggar im Süden zu den drei großen Kamelzuchtgebieten Algeriens. Der hier vorhandene Dromedarbestand wurde 2008 mit 15.000 Dromedaren angegeben. Die Weiden umfassen mit ca. 60.000 km² mehr als ein Drittel des Territoriums der Wilaya, befinden sich aber vor allem im zentralen, nördlichen, südwestlichen und nordwestlichen Teil der Wilaya (Gemeinde Umm al-Asal), d. h. mehr als 200 km von den saharauischen Flüchtlingslagern entfernt.

Die Dürreperioden der letzten zwanzig Jahre haben die Futtergrundlage stark angegriffen. So ist askaf (Nucularia perrini), eine Weidepflanze, die sowohl dem Fleisch als auch der Milch eine besondere Qualität verleiht, von einigen Weiden völlig verschwunden. Zahlreiche Kamele starben und die Geburten gingen zurück. Viele Tiere wurden verkauft, um das Geld für Gerste zu bekommen, mit der der Rest der Herde überleben konnte.

Begrenzt wird die Weidenutzung auch durch den Mangel an Brunnen (ein Brunnen auf 612 km²), deren oft schlechter Zustand und die unbefriedigende Qualität desWassers (Salz). Beispielsweise gingen im Juni 1991 im Gebiet von Laachar 80 Kamele aus Wassermangel zugrunde. Die durch den Futtermangel bedingte Schwächung der Tiere erhöhte ihre Anfälligkeit gegenüber Krankheiten. Da 2008 in den beiden Verwaltungszentren der Provinz nur vier Tierärzte tätig waren, von denen keiner auf Kamele spezialisiert war und die nicht über geeignete Fahrzeuge zum Besuch der Herden verfügten, waren die Kamelzüchter weitestgehend auf sich allein gestellt.

Ca. 87 % der Kamelzüchter in diesem Gebiet sind Nomaden. Sie gehören sämtlich zum Stamm der Regibat, nach denen bis 1980 auch die heutige Gemeinde (baladiya) Umm al-Asal benannt wurde: Reguibat. Nach Adamou verfügen sie über 89 % des Kamelbestands, wobei fast die Hälfte der Herdeneigentümer mehr als 50 Dromedare besitzt. Das Durchschnittsalter der Kamelzüchter lag 2008 bei 54 Jahren. Durch die Mobilität der Familien und die Entfernung zu den nächsten Orten ist es nur wenigen Kindern der Nomaden (2,7 %) möglich, die Schule zu besuchen. Jede Familie betreut ihre Tiere selbst. Lediglich einige wenige Kaufleute vom Stamm der Tajakant in Tindouf lassen Kamele von Lohnhirten betreuen.

Einige Kamelzüchter (7 %) sind Halbnomaden. Sie gehören vor allem zum Stamm der Awlad Abd al-Wahid (50 %), zu den Slalka und den Awlad Bessba. Sie besitzen nur 4,5 % des Kamelbestands, wobei sich die Herdengröße zwischen 25 und 50 Tieren bewegt. Die halbnomadischen Viehzüchter leben zeitweise im Zelt, zeitweise in festen Häusern. Ihr Durchschnittsalter ist niedriger als bei den Nomaden. Der Schulbesuch liegt bei den Halbnomaden Südalgeriens bei 60 %.

Weniger als 6 % der Kameleigentümer sind sesshaft, besitzen aber mehr Dromedare als die Halbnomaden (6,9 % des Gesamtbestands der Wilaya). Die Mehrzahl (80 %) lebt in Tindouf, der Rest im Verwaltungszentrum Um l-asel (Umm al-asal). Sie gehören vor allem zu den Stämmen der al- Foqra und Sellam (beide Rgibat l-eGwasim). Auch Tazakant, die in Tindouf vor allem im Handel aktiv waren, investieren in zunehmendem Maße in Kamele. Sie alle nutzen die gleichen Weiden, wobei sie die Tiere entweder Lohnhirten (40 %) oder Nomaden anvertrauen. Wichtige Instrumente sind dabei mniha und udiya.

Die mniha ist eine Nutzleihe. Man übergibt einem Bedürftigen eine oder zwei Kamelstuten zu unbegrenzten Nutzung als Milchtiere und vielleicht ein Kamel als Lasttier. Die Dromedare und ihre Nachzucht bleiben Eigentum des Leihgebers und können bei Bedarf jederzeit zurückgefordert werden. Sie dürfen vom Leihnehmer weder geschlachtet noch verkauft werden. Die Vereinbarung erfolgt nur mündlich, indessen wird von der Gesellschaft streng auf ihre Einhaltung geachtet. Der Mangel an Lohnhirten fördert diese Art der Herdenbetreuung.

Bei der udiya handelt es sich um eine Übergabe zur zeitweiligen Betreuung. Bei der Rückgabe der Tiere kann der betreuende Viehzüchter das eine oder andere Tier für seine Dienste oder die Umwandlung in eine mniha fordern.

Während die Kamelwolle in der Wilaya Tindouf keine Rolle spielt, hat die Konsumtion von Kamelfleisch im Süden und Südwesten Algeriens rasant zugenommen. So stieg der Verbrauch in der Region Tindouf allein zwischen 1992 und 2000 um mehr als ein Drittel. So wurde 2008 in Tindouf in 38 von 44 Fleischereien nur Kamelfleisch verkauft. Einer der Gründe hierfür ist wohl das gewachsene Angebot als Folge der anhaltenden Dürre.

Auch auf dem Markt in Tindouf wird Kamelmilch vor allem aus therapeutischen Gründen verkauft.



Kamelmilch in der Westsahara

Milch war in der bis 1975 von Spanien besetzten Westsahara die Nahrungsgrundlage der saharauischen Bevölkerung. Das änderte sich in den 1960er und 1970er Jahren, als die Viehzüchter durch zwei aufeinander folgende Dürrekatastrophen mehr als zwei Drittel ihrer Tiere verloren. Als die Spanier 1975 das Land verließen, übergaben sie dessen Administration in einem Geheimabkommen an Marokko und Mauretanien. Es folgte ein erbitterter Kampf mit der saharauischen Befreiungsbewegung Frente POLISARIO, der erst 1991 durch einen Waffenstillstand mit Marokko unterbrochen wurde, nachdem sich Mauretanien bereits 1979 aus dem Konflikt zurückgezogen hatte. Das versprochene Referendum, das unter Aufsicht der UNO stattfinden und über das weitere Schicksal des Landes (Unabhängigkeit oder Anschluss an Marokko) entscheiden soll, wurde bis heute nicht durchgeführt.


Situation der Kamelzucht in den besetzten Gebieten(13)

In den von Marokko besetzten Gebieten der Westsahara gab es 2004 nach Schätzung von Faye 104.000 Dromedare. Nahezu ein Viertel davon gehörte ca. 1.700 Kamelzüchtern in der Provinz Laayun, im phosphatreichen Nordwesten des Landes. Über ein Projekt der marokkanischen Regierung zur Förderung der Kamelzucht begann im September 1996 ein erster Kamelzüchter, von 30 Stuten täglich 120 l Milch an den Markt abzugeben. In den folgenden 9 Monaten kamen weitere 21 Produzenten hinzu, wodurch sich die Zahl der Milchtiere auf 500 und die Milchmenge auf 2000 l pro Tag erhöhte. Die Zahl der Kamele pro Besitzer bewegte sich dabei zwischen 5 und 62 Tieren. 1999 lieferten 30 Kamelhalter Milch nach Laayun, was im darauffolgenden Jahr auf 17 Lieferanten mit 400 Kamelstuten absank. Gleichzeitig begannen Kamelbesitzer in der Nähe von Dakhla und Smara mit 148 Milchkamelen für den Markt zu produzieren. Die Kamelstuten werden während der Laktationszeit (10-12 Monate) auf marktnahen Weiden (in 10-20 km Entfernung) gehalten, während der Rest der Herde in üblicher Weise wandert. Für die Milchherde ist eine Zufütterung erforderlich, was nur bei Kamelstuten mit relativ hohen Milcherträgen sinnvoll ist. Die Hälfte der Milchlieferanten war auf die Haltung von Milchtieren spezialisiert und erzielte damit einen relativ hohen Gewinn. Für andere war die Kamelhaltung ein zweites Standbein neben der Landwirtschaft und mit höheren Kosten verbunden. Für einige spielte die Milchkamelhaltung eher eine marginale, spekulative Rolle. Bei kleinen Kamelbesitzern waren die Produktionskosten auch bei geringen Investitionen hoch. Der Produzent erhielt 1997 für 1 Liter 10 Dirhem (ca. 1 EUR), während der Verkaufspreis 14 Dirhem (ca. 1,40 EUR) betrug. 70 % der in Laayun gehandelten Kamelmilch kam in Läden, die den Eigentümern der Herden gehörten (21 "Hofläden"), 20 % wurden in Lebensmittelgeschäften verkauft, 7 % nach Hause geliefert und 3 % unter den Produzenten ausgetauscht. Abnehmer waren hauptsächlich (95 %) Saharauis, die von den therapeutischen Eigenschaften der Kamelmilch überzeugt sind. Der Einfluss des Staates konzentrierte sich auf Forschung und Entwicklung. So wurde 1997 zwischen der Provinz-Verwaltung von Laayun und dem IAV in Rabat eine Vereinbarung geschlossen, die Forschungen zur Wertsteigerung der Kamelmilch und ihrer Umwandlung in Käse vorsieht. Da die gegenwärtige Milchproduktion bei weitem nicht ausreicht, den Bedarf der Bevölkerung zu decken, erscheinen Untersuchungen zur Käsebereitung eher kontraproduktiv, da diese dem Binnenmarkt große Mengen an Frischmilch entziehen würde, um kleine Mengen an sehr teurem Käse zu gewinnen, der unter der saharauischen Bevölkerung kaum Abnehmer finden dürfte. Auch wurde damals über ein Gesetz nachgedacht, dass den Zugriff auf bewässerte Senken (grayir, Sing.: grara) zum intensiven Futteranbau erleichtern sollte. Traditionell werden die grayir von den Saharauis für den Getreideanbau genutzt. Hatten staatliche Maßnahmen vor 1998 die Milchkamelhaltung nur marginal berührt, begann man nun mehr Investitionshilfen für den Bau von Ställen und Lagerhäusern und den Kauf von Wasserbehältern und Wassertankwagen auszureichen. Zufütterung (Rübenmus, Gerste, Hirse) und veterinärmedizinische Maßnahmen (Schutz vor Parasiten, Salzlecksteine) werden umfassend subventioniert, da die Entfernung zwischen den Weiden und Laayun die Produkte verteuert. So übernimmt der Staat 10-30 % der Transportkosten. Ausgehend von Erfahrungen in anderen Gebieten ist es für jene Halter, die auf Milchkamele spezialisiert sind, sinnvoll, die Kamelstuten kurz vor dem Abfohlen zu kaufen und am Ende der Laktationsperiode wieder zu verkaufen, während die übrigen Herdenbesitzer ihre Tiere unabhängig von den Milchsammelstellen weiden können.



Situation in den Flüchtlingslagern

Der Ausbruch des Krieges zwang mehr als hunderttausend Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Die meisten suchten Zuflucht im Nachbarland Algerien. In Flüchtlingslagern in einem abgelegenen Wüstengebiet nahe der Stadt Tindouf leben noch heute mehr als 160.000 Saharauis hauptsächlich von internationaler Hilfe. 1976-1986 sicherte die algerische Regierung die Versorgung der Flüchtlinge. 1986 wandte sie sich an die internationale Gemeinschaft mit der Bitte um Unterstützung. Seitdem leisten das WFP und das UNHCR, aber auch die EU (über das ECHO-Programm) einen wesentlichen Beitrag zur Deckung des Grundbedarfs an Lebensmitteln. Wichtigster algerischer Partner bei der Umsetzung ist der Algerische Rote Halbmond und dessen Partner, der Saharauische Rote Halbmond. Auch Oxfam hat sich von Anfang an in die Versorgung der Flüchtlinge eingebunden, wobei sein Schwerpunkt auf der Bereitstellung von frischem Obst und Gemüse liegt.

Die BRD beteiligte sich zwischen 1996 und 2001 unmittelbar mit umgerechnet 5-10 EUR pro Jahr und Kopf an der Grundversorgung der Flüchtlingsbevölkerung, was über NRO (vor allem über Medico International) realisiert wurde.(14) Danach erfolgte die humanitäre Hilfe Deutschlands für die saharauischen Flüchtlinge ausschließlich im Rahmen seiner Beiträge zum EU-Haushalt und ist daher schwer zu beziffern.

Wie ernst die Versorgungslage ist, zeigt eine Einschätzung der Hilfsorganisation Oxfam, der zufolge in den Lagern akute Unterernährung (18,2 %), chronische Unterernährung (31,4 %) und Untergewicht (31,6 %) festzustellen sind.(15)

Durch den Verlust der Herden wird nur noch wenig Milch (hauptsächlich von Ziegen) produziert. Die Folge sind Mangelkrankheiten und Schwächung des Immunsystems, vor allem bei Kindern und alten Menschen. Noch vor einigen Jahren schloss die Nahrungsmittelzuteilung auch 1 kg Trockenmilch/Person im Monat (!) ein. Diese ist heute weggefallen.

Im Oktober 2011 besuchte eine Abordnung von WFP und UNHCR (JAM) die Flüchtlingslager, um die aktuelle Versorgungslage zu begutachten. Sie wurden begleitet von Vertretern des Algerischen Roten Halbmonds und des Sahrauischen Roten Halbmonds, die mit der Verteilung der Hilfslieferungen betraut sind.

Auch sie mussten feststellen, dass Unterernährung und Anämie unter den Flüchtlingen noch immer weit verbreitet sind.

Bereits im Frühjahr war nach einer Prüfung der Schulspeisung empfohlen worden, in Kindergärten und Grundschulen täglich 2 Glas Milch in die Pausenversorgung einzubeziehen und dafür monatlich ca. 2,2 kg Magermilchpulver (Dried Skimmed Milk) pro Kind zur Verfügung zu stellen. Dieser Vorschlag wurde von der JAM aufgegriffen und für alle Schulkinder empfohlen. Gleichzeitig wurde eine dringende Kontrolle der Verteilung und der hygienischen Bedingungen angemahnt, da das Abzweigen von Trockenmilch zur Versorgung von Babys unter 12 Monaten zu Gesundheitsschäden führt, worauf auch von Herstellern nachdrücklich hingewiesen wird.(16) Wahrscheinlich liegt hierin auch der Grund, warum Trockenmilch vor einigen Jahren aus den Hilfslieferungen herausgenommen wurde. Anfang 2013 wurde allerdings erneut Trockenmilch verteilt, möglicherweise aus Restbeständen, wie saharauische Freunde vermuten. Von einer regelmäßigen Bereitstellung von Milch aus Milchpulver für die Kinder in Schulen und Kindergärten ist im Lager El Aiún zurzeit noch nichts bekannt.

Als Alternative zum Milchpulver wurde in Diskussionsrunden mit der JAM wiederholt die Versorgung mit Kamelmilch angesprochen. Hier liegt das Hauptproblem in der sehr begrenzten Haltbarkeit der Frischmilch. Durch hohe Erhitzung oder gar Trocknung gehen Vitamine und andere Inhaltsstoffe verloren, die gerade den Wert der Kamelmilch ausmachen. Die Versorgung mit Frischmilch aber ist an folgende Bedingungen gebunden: ausreichende Produktion in einwandfreier Qualität, schnelle Distribution und systematische hygienische und qualitative Kontrolle der Milch.

In der Hamada von Tindouf liegt der Grundwasserspiegel nahe an der Oberfläche, was dazu führte, dass von den Flüchtlingsfamilien überall kleine Brunnen gegraben wurden, die sowohl für das Tränken der Tiere als auch für die Versorgung mit Trinkwasser genutzt wurden. Die Bevölkerungsdichte in den Lagern, ungenügende Abwasserbehandlung und mangelnde Hygiene an den Brunnen begünstigten die Ausbreitung von Krankheiten. So beschloss die Regierung der DARS, zur Trinkwasserversorgung nur einzelne Tiefbrunnen zuzulassen, von denen das Wasser mit Tankwagen oder durch ein Rohrleitungssystem zu den Verbrauchern gebracht wird. Das Tränken der wenigen Haustiere erfolgt nach wie vor an den alten Wasserstellen.

Während sich Schafe und Ziegen ihr Futter in den Lagern suchen und mit Küchenabfällen ernährt werden, weiden die meisten Kamele außerhalb der Lager. Allerdings können auch sie ohne die Zufütterung von Mehl, Heu und Getreide kaum überleben. Sie werden außerhalb der Lager gefüttert und an gesonderten Brunnen getränkt. Von unseren Gewährsleuten wurde die Zahl der innerhalb des Lagers gehaltenen Kamele mit ca. 10 angegeben, während der Gesamtbestand in der Wilaya El Aiún auf ca. 1000 Tiere geschätzt wurde. In den anderen vier Wilayat soll die Anzahl der Dromedare wesentlich geringer sein.

Jede Wilaya besitzt eine staatliche Herde, die im Gegensatz zu den privaten Herden hauptsächlich aus Milch gebenden Kamelstuten und ihren Fohlen besteht. Die Milch wird an Bedürftige in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Einrichtungen für Behinderte verteilt, wobei jeder zweimal im Monat einen halben Liter erhält.

Der Milchertrag der Kamele ist derzeit mit 3-4 l/Tag relativ niedrig, wobei auch der Verbrauch der Fohlen noch berücksichtigt werden muss. Einzelne Händler fahren daher in die befreiten Gebiete und holen von ihren eigenen Herden Milch, die sie in 20 l-Behältern in die Flüchtlingslager bringen. Dort werden sie in Wasserflaschen aus Plastik umgefüllt und verkauft. Die Herden werden während der Abwesenheit des Eigentümers von Hirten betreut.



Perspektive: Mobiles Milchkurheim

Das Ziel ist die Bekämpfung der Unterernährung, Stärkung des Immunsystems und Verringerung der Anfälligkeit gegenüber Krankheiten.

Hierbei sollten traditionelle Gepflogenheiten, private Initiative, staatliche Förderung und die Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft miteinander verknüpft werden.

Die klimatischen Bedingungen in der Westsahara, die örtlich, zeitlich und mengenmäßig sehr unregelmäßig auftretenden Niederschläge zwingen zu einer hochmobilen Form der Tierhaltung - der Wanderweidewirtschaft. Kamelmilch Verliert mit zunehmender Transportstrecke mehr und mehr von ihrer Qualität. Daher empfiehlt es sich, die Verbraucher zu den Herden zu bringen.

Seit langer Zeit gibt es bei den Saharauis den Brauch der Milchkur (tablih): Mädchen und junge Frauen werden vor allem in der kühleren Jahreszeit zu verwandten oder befreundeten Hirtenfamilien gebracht, um dort möglichst große Mengen Kamelmilch zu trinken. Als Ziel dieser Aktion wird eine Körperfülle gesehen, die dem traditionellen Schönheitsideal entspricht. Der rationelle Kern, der sich hinter dieser Tradition verbirgt, liegt auf der Hand: Unter den harten Wüstenbedingungen ist das Überleben des Nachwuchses nur möglich, wenn sich die Mütter in einem guten gesundheitlichen Zustand befinden und genügend Reserven haben, um lang anhaltende Dürreperioden zu überstehen.

Eine weitere Tradition betrifft die Verwendung der Kamelmilch: Im Vordergrund steht der Eigenverbrauch durch die Familie und die Bewirtung von Gästen, was eben bei der genannten Milchkur der Fall ist. Ein darüber hinausgehender Milchüberschuss wird an Bedürftige in der Nachbarschaft verteilt. Dieser Brauch bietet den Ansatz dafür, dass die Milch der kommunalen bzw. staatlichen Herden in den Flüchtlingslagern an Bedürftige in sozialen Einrichtungen gegeben wird.

Eine weitere Möglichkeit, weidereiche Zeiten zu nutzen, auch wenn man keine eigene Herde besitzt, bietet die bereits erwähnte traditionelle Nutzleihe (mniha): Kamelstuten mit Fohlen, manchmal auch noch ein Lastkamel zum Transport der Utensilien, werden einer Familie zur kostenlosen Nutzung übergeben. Die Tiere dürfen weder verkauft noch geschlachtet werden.

In den 1980er Jahren hatte der saharauische Staat begonnen, bedürftige Kinder und alte Menschen zu Kuraufenthalten (al-wiqaya) in die befreiten Gebiete zu schicken. Sie lebten dort in eigenen Zelten und wurden von Familienangehörigen begleitet, die sich während der Kur um sie kümmerten. Der Staat versorgte sie in dieser Zeit mit Kamelmilch und -fleisch.

Eine neuzeitliche Erfahrung verbindet sich mit dem Programm "Ferien in Frieden", bei dem alljährlich Tausende von saharauischen Kinder aus den Flüchtlingslagern im Alter von 8-12 Jahren den Sommer in Europa verbringen. Der allergrößte Teil fährt zu Gastfamilien nach Spanien. Andere kommen in Gruppen mit 1-2 Betreuerinnen und Betreuern u. a. auch nach Deutschland.(17)

Aus diesen Traditionen und Erfahrungen heraus ließe sich folgendes Modell eines mobilen "Kurheims" oder einer "Milchkurstation" für bedürftige, d. h. kranke oder unterernährte Kinder, entwickeln:

In einem weidereichen Gebiet wird vom Staat ein Zeltlager für Kinder und betreuendes Personal errichtet. Eine mobile Molkerei fährt zu den privaten Herdenbesitzern und kümmert sich um das Sammeln, die hygienische Aufbereitung und die Verteilung der Milch. Die Lieferanten erhalten für ihre unentgeltliche Beteiligung am Projekt Kamelstuten als mniha aus der staatlichen Herde und/oder Futtergutscheine für die weidearme Zeit. Denkbar ist auch eine leistungsbezogene Prämie zum Ende der Saison. Die mobile Molkerei wird mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft eingerichtet und betrieben. Sie kann von einem privaten Eigentümer oder vom Staat übernommen werden, nachdem die Bedingungen für eine Rückzahlung der Investitionen ausgehandelt wurden. Es macht Sinn, die Einrichtung und das Personal der Molkerei in der weidearmen Zeit stationär in den Flüchtlingslagern anzusiedeln, um die Milch der staatlichen Herden aufzubereiten, aber auch, um sich in den privaten Handel mit frischer Kamelmilch einzuschalten und deren Qualität zu verbessern.

Ein Überschuss an Kamelmilch, der über den örtlichen. Bedarf hinausgeht (was zuweilen im Tiris im Südosten der Westsahara der Fall ist) wird in den Kamelzüchterfamilien traditionell zu Butter verarbeitet, die als Medizin hoch geschätzt ist. Die Verarbeitung von Kamelmilch zu zrig in einer Molkerei wird skeptisch betrachtet, da jede saharauische Frau im Hinblick auf Wassergehalt und Süße ihre eigenen Vorstellungen hat und sie lieber selbst aus Frischmilch herstellt.



Im "toten Winkel"

Die DARS ist auf Grund der Tatsache, dass den Saharauis ihr Selbstbestimmungsrecht verweigert wird und des Anspruchs Marokkos auf dieses Gebiet als einziges arabisches Land nicht Mitglied der Arabischen Liga. Demzufolge hat sie keinen Zugang zu Förderprogrammen und Finanzierungsquellen, die mit der Arabischen Liga in Verbindung stehen. Das betraf z. B. das von 1996-2004/2005 durchgeführte Programm CARDN (Camel Applied Research and Development Network), das von der UN-Organisation IFAD, der Islamischen Entwicklungsbank IDB (über ACSAD), von der arabischen Entwicklungsbank AFESD und Frankreich finanziert wurde.

Nach dem Arabischen Frühling richtete sich die Aufmerksamkeit der europäischen Entwicklungshilfe auf Tunesien und Ägypten, für die das Hilfsprojekt PROCAMED (2012-2015) initiiert wurde. PROCAMED ist die Abkürzung des etwas sperrigen Programmnamens, der aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt lautet: "Förderung innovativer Systeme der. Kamelhaltung und der lokalen Verarbeitung für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Saharagebiete". Projektpartner sind Frankreich mit den Forschungseinrichtungen CIRAD und UMR SELMET, Italien mit der Universität von Bari, Bereich Tierproduktion, Tunesien mit dem Institut des Regions Arides in Medenine und Ägypten mit dem Desert Research Center in Marsa Matruh. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln der EU im Rahmen von EuropeAid über IEVP, das Nachfolgeprogramm von TACIS und MEDA, und das damit verbundene Programm CTMED. Ein Blick auf die Karte der Fördergebiete von EuropeAid zeigt, dass in Afrika nur ein Land ausgeschlossen ist - die Westsahara.

Der bereits erwähnte Fonds der Vereinten Nationen für landwirtschaftliche Entwicklung IFAD unterstützt bzw. unterstützte Projekte überall in Nordafrika - außer in Libyen und der Westsahara. Auch von Aktivitäten der FAO in der Westsahara ist nichts bekannt.

Kein Problem mit dem "ungeklärten Status" der Westsahara haben die Programme der humanitären Hilfe: WFP und UNHCR (UN) sowie ECHO (EU). Allerdings konzentrieren sie sich ebenso wie Algerien, die spanischen Autonomen Gemeinschaften sowie die großen Nichtregierungsorganisationen wie Algerischer Roter Halbmond, Medico International, Oxfam usw. auf die Flüchtlingslager.

Übersehen wird dabei, dass sich in dem von der POLISARIO kontrollierten Ostteil der Westsahara große, wenn auch instabile Weideressourcen befinden, die sehr wohl zur Linderung der prekären Versorgungslage beitragen können. Allerdings bedarf es dazu logistischer, technologischer und ausbildungsmäßiger Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft.

Auf der Internetseite
http://www.camelmilkmagic.com/#!overseas-connections lesen wir: "Over the years Prof. Yagil proposed emergency aid with camels to feed starving infants. Once again the NGOs do not see the immediate benefits of such a program and prefer sending money or food."

Bleibt zu hoffen, dass dieser Appell auch die internationale Hilfe für die Westsahara erreicht.



Abkürzungen:

ACSAD Arab Center for the Studies of Arid Zone and Dry Lands

AFESD Arab Fund for Economic and Social Development

CARDN Camel Applied Research and Development Network

CIRAD Centre de coopération internationale en recherche agronomique pour le développement

CTMED Coopération Transirontalière en Méditerranée

DARS Demokratische Arabische Republik Sahara

ECHO European Commission Humanitarian Aid & Civil Protection

ETHC Eidgenössische Technische Hochschule Zürich

FAO Food and Agriculture Organization of the United Nations

IAV Institut Agronomique et Vétérinaire Hassan II., Rabat

IDB Islamic Development Bank

IEVP instrument européen de voisinage et de partenariat

IFAD International Fund for Agricultural Development

JAM UNHCR/WFP Joint Assessment Mission

MEDA Mésures d'accompagnement financières et techniques

NRO Nichtregierungsorganisation

POLISARIO Frente Popular para la Liberación de Saguía e| Hamra y Río de Oro

PROCAMED Promotion des systèmes camelins innovants et des filières Iocales pour une gestion durable des territoires sahariens

SOAS School of Oriental and African Studies. London University

TACIS Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States

UMR SELMET Unité mixte de recherche systèmes d'élevage méditerranéens et tropicaux

UNDP United Nations Development Programme

UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees

VAE Vereinigte Arabische Emirate

WFP UN World Food Programme

Eine ausführliche Link-Liste und eine Übersicht über internationale Konferenzen können bei artikuliertem Bedarf über die Redaktion: redaktion@kritische-oekologie.de bezogen werden.



Anmerkungen

(1) Diese Auffassung widerspiegelte sich im Buch von Rolf Herzog: "Seßhaftwerden von Nomaden" (Köln 1963)

(2) Für den Autor des vorliegenden Beitrags war es ein Vergnügen, sich seit 1968 mit Herzogs Thesen auseinanderzusetzen, was schließlich in der Diplomarbeit mündete (s. Seiwert 1973).

(3) Yagil 1982, introduction

(4) s. http://www.camelmilkmagic.com/

(5) s. http://www.camelgate.com/

(6) s. http://isocard.org/Who%27s_Who_in_Camelid_Research/Faye_Bernard.pdf

(7) s. http://www.soas.ac.uk/camelconference/

(8) s. http://www.fao.org/ag/againfo/themes/en/dairy/camel.html

(9) s. http://nrccamel.res.in/

(10) Abeiderrahmane et al. 2011

(11) Hammo et al. 2003

(12) s. Adamou 2008

(13) Faye et al. 2004, S. 117-120

(14) Deutscher Bundestag, Drucksache 14/7278 vom 06.11.2001.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/14/072/1407278.pdf

(15) http://www.oxfam.org/en/western-sahara

(16) zur Bewertung s. http://www.tesco.com/groceries/Product/Details/?id=258290438

(17) seit 2004 organisiert von der Salma e.V.
(http://www.salma-online.de)



Literatur:

ABEIDERRAHMANE, Maryam et Nancy

ABEIDERRAHMANE: Tiviski: une laiterie qui s'approvisionne en lait auprès des pasteurs en Mauritanie. In: LPP, LIFE Network, IUCN-WISP et FAO; Donner de la valeur ajoutée à la diversité du bétail: Commercialiser pour promouvoir les races locales et améliorer les moyens d'existence. Études FAO: Production et santé animales. Numéro 168. Rome 2011, S. 95-110

ADAMOU, Abdelkader: L'élevage camelin en Algérie: quel type pour quel avenir? In: Sécheresse, Ouargla 19(2008)4, S. 253-60

AGUE, Kouassi Messan: Étude de la filière du lait de chamelle (Camelus dromedarius) en Mauritanie. Thèse de doctorat. Dakar 1998

EBERLEIN, Valérie: Hygienic status of camel milk in Dubai (United Arab Emirates) under two different milking management systems (Diss.). München 2007

FAYE, B., et M. BENGOUMI, A. BARKAT: Le développement des systèmes camélins laitiers périurbains en Afrique. In: LHOSTE, Frédéric (Hrsg.): Lait de chamelle pour l'Afrique. Atelier international sur la filère laitiére caméline en Afrique. Niamey, 5-8 Novembre, 2003. FAO: Division production et santé animals. Rome 2004, S. 115-124

GAYE, Mamadou: Tiviski Dairy: Africa's First Camel Milk Dairy Improves Livelihoods for Semi-Nomadic Herders in Mauritania. UNDP Case Study. 2008.

GRANDVAL, Fanny: Tiviski: une entreprise de valorisatian du lait local en Mauritanie. 2012

HAMMO, A., et M. AKHMAD, I. ILOU: Organisation de la collecte de lait de chamelle à Agadez (Niger). In: LHOSTE, Frédéric (Hsg.): Lait de chamelle pour l'Afrique. Atelier sur la filière laitière caméline en Afrique. Niamey, 5-8 novembre 2003, S. 167-172

HERZOG, Rolf: Seßhaftwerden von Nomaden. Köln 1963

JAM: Joint needs assessment of Sahrawi refugees in Algeria. WFP/UNHCR Joint Assessment Mission Algeria October 2011.

RAMET, J.P.: The technology of making cheese from camel milk (Camelus dromedarius). FAO Animal Production an Health Paper 113. Rome 2001

SEIWERT, Wolf-Dieter: Ökonomische und soziale Bedingungen für die wirtschaftliche Integration der Hirtennomaden in den arabischen Ländern. In: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Berlin XXIX (1973), S. 83-135

TOURETTE, I., et S. MESSAD, B. FAYE: Interactions entre les pratiques de traite et la qualité sanitaire du lait de chamelle. In: LHOSTE, Frédéric (Hrsg.): Lait de chamelle pour l'Afrique. Atelier international sur la filière laitiére caméline en Afrique. Niamey, 5-8 Novembre, 2003. FAO: Division production et santé animals. Rome 2004, S. 61-70

WIBAUX, Aurélie, et Nathalie NGONGO, Hakim MEHALEBI, Clément CARRIERE, Nicolas GARET: Une laiterie UHT en Mauritanie: Tiviski. Compiègne: UTC 2002.

YAGIL, Reuven: Camels and Camel Milk. FAO Animal Production and Health Paper 26. Rome 1982

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Die Landschaft Tiris im Südosten der Westsahara gilt in guten Jahren als "Paradies" der Nomaden
- Bei den Saharauis wird eine Schale des Kamelmilchgetränks zrig noch vor dem obligatorischen Tee als Begrüßungstrank gereicht
- Im Frühjahr finden die Dromedare oft auch im Nordosten der Westsahara einen reich gedeckten Tisch
- Begegnung, Zemmur/Westsahara
- Fohlen trinkt bei der Kamelstute, Zemmour/Westsahara

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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 80 Ausgabe 28 [1] - Sommer 2013, Seite 21-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2013