Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

LANDWIRTSCHAFT/055: EU-Exportindustrie gegen Bauern weltweit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2013
Holzplantage oder Ökosystem? - Wälder unter Nachfragedruck

Exportindustrie gegen Bauern weltweit
Ohne Zukunftsmärkte steigert Deutschland Überschüsse von Schweinefleisch

Von Berit Thomsen



Der Weltmarkt für Schweinefleisch habe Zukunft. Dort werde die Nachfrage steigen. Immer wieder tauchen Behauptungen dieser Art auf und sollen unterstreichen, dass es richtig sei, Überschüsse von Schweinefleisch in Deutschland (und auch EU-weit) für den Weltmarkt zu produzieren. In China wird fast jedes zweite, weltweit erzeugte Kilogramm Schweinefleisch verzehrt - aber auch produziert. Die Nachfrage in China ist in der letzten Dekade tatsächlich um 30 Prozent gestiegen, wurde aber von einer ebenbürtigen Produktionssteigerung im Land selbst aufgefangen. Auch laut Prognosen der OECD und FAO für die kommenden zehn Jahre gehen in den Schwellenländern Nachfrage- und Produktionszunahmen Hand in Hand. Diesen Marktdaten zu Folge zeichnen sich mittelfristig kaum nennenswerte Nachfragelücken ab. Und trotzdem läuft die europäische Exportmaschinerie weiter.


Die Produktion von Schweinefleisch ist in der EU von 2000 bis 2012 um sieben Prozent gestiegen, während die Nachfrage im selben Zeitraum um nur vier Prozent zugenommen hat. Dadurch steigerte die EU ihr Exportvolumen von 1,42 Millionen Tonnen auf aktuell 2,08 Millionen Tonnen. In der EU ist Deutschland mit 637,57 Millionen Tonnen (2000 noch 92,65 Millionen Tonnen) der größte Schweinefleischexporteur auf dem Weltmarkt. Dort konkurriert Schweinefleisch aus der EU mit Schweinefleisch der beiden anderen großen Exporteure USA und Kanada, die ihre Produkte deutlich billiger auf dem Weltmarkt anbieten. Um die Übermengen aus der EU und auch aus Deutschland unter dieser Konkurrenz absetzen zu können, stehen die Preise für Schweinehalter unter Druck und sind in der Vergangenheit kontinuierlich gesunken. Die Futterkosten hingegen sind um fast 50 Prozent gestiegen. Diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass in der letzten Dekade in Deutschland fast 42 Prozent der Schweinehalter aufgegeben haben.

Zurzeit exportieren sowohl die EU als auch Deutschland überwiegend niedrigpreisige Produkte vom Schwein auf den Weltmarkt, wie Schnauzen und Speckbäuche. Die Exporte dieser Nebenprodukte sind in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. Der Absatz von hochwertig verarbeitetem Schweinefleisch, der auch pro exportorientierte Einheit wesentlich höhere Erlöse bringt, ist anteilig sehr gering. Somit werden überwiegend Massenwaren statt Qualitätsprodukte auf dem Weltmarkt exportiert.

Export vor allem in Länder mit niedrigem Einkommen
Die Entwicklungsländer sind ganz klar Zielländer der Exportindustrie, denn im Zeitraum 2000 bis 2011 sind die Exporte von Schweinefleisch aus der EU in Ländern mit einem niedrigem Einkommen (weniger als 1,025 US Dollar/Kopf/Tag) um fast 270 Prozent gestiegen. Auch aus Deutschland sind die Exportzuwächse in Länder mit niedrigem Einkommen mit knapp 6.500 Prozent im gleichen Zeitraum exorbitant. In einer Aufteilung nach Länderregionen fällt auf, dass die Exporte aus Deutschland nach Subsahara-Afrika um ein Vielfaches angezogen haben (fast 8.500 Prozent). Fallstudien von Brot für die Welt und Misereor belegen immer wieder, dass lokale Existenzen, Märkte und Entwicklungen in armen Ländern durch solche Exporte aus der EU gestört werden. Da weder die EU noch Deutschland über ausreichend eigene Ressourcen für die Überschüsse verfügen, werden Futtermittel, allen voran Soja, importiert. Diese Flächen fehlen in den meist ärmeren Anbauländern für die dortige lokale Nahrungsmittelversorgung.

Notwendige Reformen werden verhindert
Diese Entwicklung wird agrarpolitisch gesteuert. Die Marktpolitik setzt lediglich darauf, Überschüsse mittels Intervention zu verwalten, das heißt überschüssiges Schweinefleisch wird eingelagert, wenn der Preis abfällt. Erholt sich der Preis wieder, dann werden Interventionsbestände auf den Markt zurückgegeben. Dadurch gerät der Preis erneut unter Druck. Hingegen entwickeln sich Konzepte, bedarfs- und marktorientiert Schweinefleisch zu erzeugen, noch viel zu zaghaft. Ansätze für einen verbesserten Tierschutz und geringeren Antibiotikaeinsatz sind derzeit zu schwach. Im EU-Agrargesetz ist das Prinzip der »Internationalen Verantwortung« noch nicht verankert. Das umfasst u.a. einen Beschwerdemechanismus für Entwicklungsländer, wenn ihre Märkte durch Importe aus der EU gestört werden.

Tiefgreifende, notwendige Reformen der Agrarpolitik werden von der Schlachtindustrie und Futtermittelhändlern verhindert, denn sie verdienen an der Überproduktion. Ihr Ziel ist Expansion und Marktkonzentration, also größere Mengenanteile für einzelne Unternehmen, und ihre Ziele sind konträr zu denen der Bäuerinnen und Bauern weltweit, nämlich kostendeckende und existenzsichernde Preise für ihre Produkte zu erhalten.

Die hier verwendeten Fakten sind der neuen Studie: »System billiges Schweinefleisch - Folgen der europäischen Exportorientierung für bäuerliche Strukturen in Deutschland und Bedeutung für Entwicklungsländer«(1) zu entnehmen, die von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) herausgegeben wurde - mit Unterstützung von Brot für die Welt und Misereor.


Autorin Berit Thomsen arbeitet bei der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).



(1) www.abl-ev.de/themen/fairer-welthandel/materialien


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2013, S. 35
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2014