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LATEINAMERIKA/019: Argentinien - Casino am Fluss, Fischer wehren sich gegen Großinvestition (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. September 2010

Argentinien: Casino am Fluss - Fischer wehren sich gegen Großinvestition

Von Marcela Valente


Buenos Aires, 21. September (IPS) - Im kleinen Fischerort San Pedro Pescador in der argentinischen Provinz Chaco soll ein Tourismusressort mit Kinos, Casino und Restaurants entstehen. Die Einwohner sind gegen das Großprojekt in idyllischer Lage am Fluss. Sie leben vom Fischfang und befürchten die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage sowie ihre Vertreibung.

"Ein Casino bringt uns keinen Fortschritt", erklärt Walter Barrios, Vorsitzender des Nachbarschaftskommitees von San Pedro Pescador. Der kleine Ort liegt in der Provinz Chaco, an den Ufern des Flusses Paraná, etwa 1.000 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Buenos Aires. Die Artenvielfalt im Chaco ist hoch, allerdings ist auch der Armutsindex der Provinz einer der höchsten im ganzen Land. Die Einwohner an den Ufern des Flusses leben und überleben vom Fischfang.


Vertreibung aus dem Paradies

"Das hier ist, was die Landschaft, die Natur und die Feuchtgebiete angeht, ein Juwel. Und offenbar sollen Arme an solch einen wundervollen Ort nicht wohnen dürfen", ergänzt Barrios, der auch Mitglied in der Fischervereinigung der Provinz Chaco ist. Das geplante Casino ist seiner Meinung nach nur der Anfang von Investitionen der Immobilienbranche.

Die Idee, ein Casino mitten in dieses Paradies zu setzen, kommt von der provinzeigenen 'Lotería Chaqueña'. Die Lotteriegesellschaft verwaltet einen Entwicklungsfonds, aus dem Sozial- und Gesundheitsprojekte sowie Kleinindustrie finanziert werden. In einer öffentlichen Ausschreibung für Privatunternehmen hat Lotería Chaqueña dieses Jahr den Bau eines Veranstaltungszentrums mit einem Casino, einem Veranstaltungs- und Theatersaal, einem Restaurant, Cafés, Kinosälen und einem Parkplatz für 400 Fahrzeuge für den beschaulichen Fischerort angeboten.

Mit dem Projekt sollen im Gegenzug lange aufgeschobene Forderungen der Gemeinde erfüllt werden, wie etwa eine Verbesserung der Zufahrtswege zum Ort oder Maßnahmen gegen Überschwemmungen. Auch wurde den Bewohnern, die meist seit Jahrzehnten ohne Eigentumsnachweise auf ihrem Land leben, Unterstützung beim Erlangen von Eigentumstiteln zugesagt. Der Leiter von Lotería Chaqueña, Daniel Pascual, hatte im September bei einer informellen Zusammenkunft mit den Einwohnern versichert, dass niemand von seinem Land vertrieben werde und etwa 40 Arbeitsplätze durch das Touristenzentrum entstehen würden.

Befürchtungen der Bewohner, vor allem der Frauen, dass das Großprojekt die Sicherheit ihrer Kinder gefährden könnte, sind Pasqual zufolge völlig unbegründet. Es sei eine "irrige Annahme", dass Glücksspiel mit Prostitution in Zusammenhang stehe. Die Bewohner würden mit der Zeit selbst sehen, dass das Großprojekt ihr Leben nicht beeinträchtigen werde.


Fischer favorisieren Projekt für nachhaltigen Tourismus

"Es gefällt uns überhaupt nicht, dass man uns hier ein völlig überdimensioniertes Großprojekt vor die Nase stellen will. Wir werden unsere Lebensweise ändern müssen, unsere Kultur. Die bisherige Ruhe und Glückseligkeit werden der Vergangenheit angehören", ärgert sich Barrios. Die Bewohner des Ortes, so sagt er, glaubten nicht an die Versprechungen, die ihnen jetzt gemacht werden.

Sie setzen sich stattdessen dafür ein, dass ein Projekt der Fakultät für Architektur der Staatlichen Universität des Nordwestens umgesetzt wird. Das Projekt wurde von der Regierung der Provinz Paraná in diesem Jahr bereits bewilligt, allerdings ist die Finanzierung nicht gesichert. Dieses Vorhaben beziehe die Bewohner mit ein und ermögliche eine nachhaltige Entwicklung, meint Barrios. "Es ist ein großer Traum, aber wir können ihn wahr werden lassen", unterstreicht der Vorsitzende der Gemeinde.

Das Projekt der Universität sei auf Bestreben von Umweltorganisationen zustande gekommen, die sich für die Anliegen der Bewohner einsetzten, erklärt Ramón Vargas von der Stiftung Gemeinsam für das Leben (Encuentro por la Vida). Auch die Stiftung gehört zu den Unterstützerorganisationen.


Kein Geld für nachhaltiges Uni-Projekt

Der alternative Entwicklungsplan sieht beispielsweise ein Aquarium mit 200 Arten vor, die im Fluss Paraná vorkommen, und Zentren für biologische Studien. Es sollen Gesundheitseinrichtungen und Pfahlbauten für Bewohner besonders tief gelegener Häuser errichtet werden, die häufig von Überschwemmungen betroffen sind. Auch schlägt das Programm vor, die Larven heimischer Fischarten wieder in den Fluss einzusetzen - ein Projekt, das bereits die Unterstützung der Regierung hatte, allerdings nie umgesetzt wurde.

Vorgesehen sind außerdem kleine Schankwirtschaften am Flussufer, wo lokale Produkte verzehrt und Kunsthandwerk verkauft werden kann. Für Touristen, die übernachten wollen, sollen einfache Bungalows errichtet werden. "Dieses Projekt ist kein Exklusiv-Tourismus für VIP-Personen, sondern sanfter Tourismus, der die besonderen Bedingungen vor Ort respektiert", so Vargas. Allerdings zeigen staatliche Stellen kein Interesse, das Projekt umzusetzen. (Ende/IPS/beh/2010)


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IPS-Tagesdienst vom 21. September 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2010