Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

LATEINAMERIKA/057: Venezuela - Naturschutz kleingeschrieben, Umweltgruppen listen Versäumnisse auf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juni 2011

Venezuela: Naturschutz kleingeschrieben - Umweltgruppen listen Versäumnisse auf

Von Humberto Márquez


Caracas, 15. Juni. (IPS) - Im erdölreichen Venezuela ist die Artenvielfalt in Gefahr. Die Folgen des Klimawandels, der Umweltverschmutzung sowie der Zerstörung der Flussbetten und der Wälder sind unübersehbar. Ein Bündnis aus Umweltorganisationen wirft den Behörden des südamerikanischen Landes in einem Bericht gravierende Versäumnisse beim Naturschutz vor.

Das Umweltministerium erhalte lediglich ein Prozent des staatlichen Haushalts, kritisierte Alejandro Alvarez von der Organisation 'Ecojuegos', die dem ARA-Netzwerk aus 20 Ökogruppen angehört. Dabei stehen mehr als 40 Prozent des rund 900.000 Quadratkilometer großen Staatsgebiets unter Schutz. Immerhin hat das Land 43 Nationalparks, 30 Naturdenkmäler und acht Wildreservate.

Der kürzlich von Alvarez vorgestellte Bericht hebt die größten Gefahren für die Biodiversität in Venezuela hervor. Dazu gehören eine alles andere als nachhaltige Abfallbeseitigung, die Erdölförderung, der miserable Schutz der Wasserquellen und Naturschutzgebiete sowie die Folgen des globalen Klimawandels.

"Jedes Jahr stellen sich dieselben Probleme", sagte Diego Díaz, der Chef der Umweltorganisation 'Vitalis'. Daran zeige sich deutlich, dass es an effizienten Schutzstrategien fehle. Wälder gingen verloren, Wasserquellen verschmutzten, Böden könnten sich nicht mehr regenerieren und Müll werde nicht wieder aufbereitet. Vitalis hat bereits eine Umweltstudie durchgeführt, die sich auf das vergangene Jahrzehnt bezog.

Das Umweltministerium in Caracas erkannte immerhin an, dass die Versorgung mit Trinkwasser, die Produktion von Wasserkraft, Nahrung und Pharmaerzeugnissen, die Tourismusindustrie sowie der Schutz gegen Naturkatastrophen von dem adäquaten Erhalt der Artenvielfalt abhingen.


Eines der artenreichsten Länder der Welt

Auf der weltweiten Skala der artenreichsten Länder belegt Venezuela den neunten Rang. In dem Staat mit 27 verschiedenen Klimazonen sind unter anderem mehr als 137.000 Tierarten und 15.820 Spezies von Gefäßpflanzen heimisch. Laut ARA sind 748 Tierarten bedroht, darunter auch 160 der insgesamt 312 Amphibienspezies. Hinzu kommen 341 Pflanzenarten.

Venezuela gehört außerdem zu den zehn Staaten, in denen weltweit die meisten Wälder vernichtet werden. Ende des 20. Jahrhunderts war noch das halbe Territorium von Bäumen bedeckt. Jedes Jahr verschwinden jedoch durchschnittlich 290.000 Hektar Wald - jeweils mehr als ein Prozent des Baumbestands.

Die Erdölförderung, der wichtigstes Wirtschaftszweig des Landes, belaste die Umwelt auf lokaler Ebene, erklärte Alvarez. Doch die Raffinerien und der Ölkonsum sind noch folgenschwerer. Bei der Verarbeitung von mehr als einer Million Barrel Öl täglich entstehen dem Experten zufolge neben CO2 auch andere Gase, Schwefel und Verkokungsrückstände. Die rund 5,5 Millionen Autos, die auf venezolanischen Straßen fahren, schlucken täglich etwa 80 Millionen Liter Treibstoff. In den verstopften Straßen der Hauptstadt Caracas sind 2,3 Millionen Fahrzeuge und eine Million Motorräder unterwegs, wie die Bürgermeister der fünf Stadtbezirke mitteilten.

"Zur Umweltverschmutzung liegen uns keine genauen Zahlen vor", sagte Alvarez. Allerdings sei bekannt, dass es in dem Land über 300 große Mülldeponien unter freiem Himmel gebe. Ein großer Teil dieser Abfälle werde verbrannt, wobei unbekannte Mengen von Dioxinen und Furanen produziert würden.

In der 2001 verabschiedeten Stockholmer Konvention über langlebige organische Schadstoffe ('persistent organic pollutants' - POPs), der Venezuela und weitere 172 Staaten angehören, sind Richtlinien zur Vermeidung und Verringerung der POPs festgelegt. Venezuela sei bei der Umsetzung aber gewaltig ins Hintertreffen geraten, beanstandete Díaz. "Von den 19.000 Tonnen Abfall, die täglich entstehen, werden höchstens zehn bis 20 Prozent recycelt: 85 bis 90 Prozent des Aluminiums oder des Eisens, aber nur ein Prozent des organischen Materials, zwei Prozent des Plastiks und 20 Prozent des Papiers und der Pappen."


Extreme Klimaphänomene nehmen zu

Laut dem Vitalis-Report hat der Umgang mit Abfällen jahrelang ganz oben auf der Liste der Umweltprobleme in Venezuela gestanden. Seit 2010 setzen lange Dürreperioden und große Überschwemmungen dem Land allerdings noch mehr zu. Dabei kam es zu Stromausfällen und Unterbrechungen der Trinkwasserversorgung. Außerdem wurde die Infrastruktur stark beschädigt.

Die ARA-Experten warnten unterdessen davor, dass trotz der ungewöhnlich heftigen Regenfälle der vergangenen Monate damit zu rechnen sei, dass die Niederschläge in Zukunft um jährlich bis zu 25 Prozent zurückgehen. Zugleich wird ein Anstieg der Treibhausgase um 30 bis 80 Millionen Tonnen pro Jahr erwartet.

Die Umweltschützer sind außerdem über die Auswirkungen des Goldabbaus im Süden des Landes beunruhigt. Schätzungen zufolge gelangen jährlich etwa zwölf Tonnen Quecksilber in die Flüsse. Das giftige Schwermetall wurde bei einer Untersuchung in 13 von 18 kommerziell gehandelten Fischarten nachgewiesen. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.vitalis.net/AportesDiagnosticoAmbientalVenezuelaRedARA2011.pdf
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=56061

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Juni 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2011