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LATEINAMERIKA/205: Brasilien - Strategien gegen die Zerstörung Amazoniens (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Brasilien
Strategien gegen die Zerstörung Amazoniens

von Steffi Wassermann


(Berlin, npla, 24. Dezember 2019) Agrobusiness, Bergbau und Staudämme, Eisenbahntrassen, Brandrodungen und illegaler Holzeinschlag: alles Faktoren, die die Zerstörung Amazoniens vorantreiben. Die Unterstützung des Zerstörungsprozesses reicht bis in höchste Regierungskreise, die das größte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Erde der wirtschaftlichen Ausbeutung preisgeben. Die Bewohner*innen des Amazonas haben eigene Strategien entwickelt, um ihr Territorium vor der Zerstörung zu bewahren.


Waldschutz ist lebensgefährlich

Der Kampf um den Amazonas, die grüne Lunge der Erde, kann lebensgefährlich sein. Anfang November 2019 wurde Paulo Paulino Guajajara, ein bekannter Vertreter der "Wächter des Waldes", ermordet. Und innerhalb von wenigen Wochen wurden drei weitere Guajajara von bisher unbekannten Täter*innen getötet. Bisher gibt es keine offiziellen Zahlen zu ermordeten Aktivist*innen des vergangenen Jahres. Das Missionswerk der Katholischen Kirche in Brasilien (CIMI) veröffentlichte aber bereits im September Daten, die belegen, dass allein zwischen Januar und September die illegalen Invasionen in indigene Gebiete um mehr als 40 Prozent im Vergleich zum gesamten Jahr 2018 zunahmen. Dass damit auch die Gewalt gegen die Bewohner*innen steigt, liegt nahe. Brasilienexperte Thomas Fatheuer hat eine Erklärung für die systematischen Morde: "Die Indigenen werden zur Abschreckung ermordet. Als Drohung gegenüber derjenigen, die sich für die den Erhalt des Amazonas einsetzen."


Indigene Territorien und Schutzgebiete

Aber trotzdem sind indigene Territorien und Schutzgebiete noch immer die am wenigsten von Entwaldung betroffenen Regionen des Amazonas - dank dem Einsatz ihrer Bewohner*innen. Eigentlich haben diese das Gesetz auch auf ihrer Seite. In indigenen Gebieten ist der private Besitz von Land verboten. "Die Bewohner*innen haben aber das Recht, das Land gemeinsam zu nutzen", erklärt Fatheuer. Für das Agrobusiness und andere Großinvestoren ist es deshalb wenig attraktiv, dort einzudringen, da Investitionen nur langfristig und mit großem Aufwand getätigt werden können. Für illegale Holzfäller oder Goldschürfer, die sogenannten Garimpos, lohnt es sich hingegen. Sie kommen mit kleinem Gerät und haben nicht vor, sich langfristig dort zu etablieren. Schnell ziehen sie weiter, zurück bleiben Zerstörung und mit Quecksilber verseuchte Böden und Gewässer.

Von Seiten der brasilianischen Regierung ist keine Unterstützung bei der Durchsetzung bestehender Rechte zu erwarten. Ganz im Gegenteil, seit Amtsantritt des rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro wurden die Mittel des Umweltministeriums und der Behörde für indigene Angelegenheiten FUNAI massiv gekürzt und die Arbeit damit fast völlig zum Erliegen gebracht.

Den Bewohner*innen bleibt keine andere Wahl, als die Verteidigung ihrer Gebiete selbst in die Hand zu nehmen. Der Kampf um das Territorium ist aber viel mehr als der Kampf um ein Stück Land. Es ist der Einsatz für den Erhalt eines vielschichtigen sozialen und ökologischen Gefüges, das Einfordern von Autonomie, Selbstbestimmung und einer selbstgewählten Lebensweise.


Selbstdemarkation des Territoriums

"2013 haben wir eine Selbstdemarkation unseres Landes durchgeführt. Die Regierung kam ihrer Verpflichtung nicht nach und hat uns nicht unterstützt, also haben wir es selbst gemacht", erzählt Alessandra Korap, Vertreterin der indigenen Munduruku, bei einem Besuch im Herbst 2019 in Berlin. Nicht erst seitdem die rechtskonservative Regierung an der Macht ist, gehen die Prozesse zur Ausweisung neuer indigener Gebiete in Brasilien nur schleppend voran. Inzwischen führen viele indigene Gemeinden und Quilombolas Selbstdemarkationen durch. Dies ist auch deshalb notwendig geworden, weil Bolsonaro sich weigert, neue Gebiete auszuweisen. "Die Gemeinden organisieren dafür Treffen und Workshops, um den Umgang mit Landkarten und GPS zu lernen. Dann legen sie gemeinsam die Grenzen ihres Landes fest", erklärt Leticia Rangel Tura, Direktorin der brasilianischen Menschenrechts- und Umweltorganisation FASE, den Prozess genauer. Mit der Demarkation von Land ist ein erster wichtiger Schritt vollzogen, um Gebieten offiziell einen Status als indigenes Territorium zu verleihen. Für Korap ist klar: "Die Demarkation ist eine der wenigen Möglichkeiten, unser Land zu schützen."


Entwicklung spezifischer Konsultationsverfahren

Doch nicht nur die Ausweisung neuer Gebiete, auch bereits bestehende indigene Territorien müssen geschützt werden. Zu groß sind die Begehrlichkeiten, auf die natürlichen Ressourcen Zugriff zu bekommen. Eine herausragende Rolle spielt dabei die sogenannte ILO-Konvention 169. Sie besagt, dass indigene Gemeinschaften konsultiert werden müssen, wenn auf ihrem Gebiet Wirtschaftsprojekte geplant sind. Voraussetzung für die Durchführung ist die freie vorherige Zustimmung auf der Grundlage hinreichender Informationen, der der sogenannte FPIC, das englische Kürzel für free prior informed consent. "In Amazonien leben auch isolierte indigene Gemeinschaften, die gar kein Portugiesisch sprechen. Und jetzt wird darüber diskutiert, ob sie deshalb vorher überhaupt konsultiert werden müssen", berichtet Alessandra Korap. Damit die ILO 169 wirksam werden kann, ist also entscheidend, dass sie den lokalen Gegebenheiten angepasst wird. Die Munduruku haben deshalb ein Konsultations-Protokoll entwickelt, das ihren Bedürfnissen entspricht. "Eine Anhörung darf zum Beispiel nicht in einer Stadt stattfinden, die für uns schwer zu erreichen ist", erklärt die Munduruku-Vertreterin. Früher habe das zu Korrumpierungsversuchen der Vertreter*innen geführt, die immer wieder erfolgreich gewesen seien.

Dass am Ende ein Protokoll steht, das das Verfahren der Konsultation festlegt, ist nicht der einzige zielführende Aspekt. Bereits die Erarbeitung sei ein Prozess der Politisierung: "In erster Linie, weil sich die Gemeinden über ihr Territorium und ihre Rechte bewusst werden", beschreibt Leticia Rangel Tura von der NGO FASE. "Es ist ein Prozess der Bewusstseinsbildung." Währenddessen gehen die Bedrohungen gegen die Waldschützer*innen weiter. Ende November wurde in das Haus von Alessandra Korap eingebrochen. Gestohlen wurden keine Wertgegenstände sondern Dokumente, ein Tablet, die Speicherkarte einer Kamera und ein Handy. Kurz zuvor hatte sie gemeinsam mit anderen Indigenen in der Hauptstadt Brasilia die Zerstörung durch Goldschürfer und illegalen Holzeinschlag angeprangert. Gemeinsam mit ihrer Familie musste sie ihr Haus vorerst verlassen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Dezember 2019

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