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LATEINAMERIKA/221: Brasilien - Der Krieg des Jair Bolsonaro gegen Indigene (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2021

Der Krieg des Jair Bolsonaro gegen Indigene
In Brasilien wächst der Widerstand gegen die verheerende Politik des Präsidenten

von Thomas Fatheuer


Regelmäßig wird Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro für die von ihm zu verantwortende Zerstörung des Amazonas-Urwalds kritisiert. Die damit verbundenen Gefahren für das globale Klima sind groß und weithin bekannt. Doch die Zerstörung indigener Schutzgebiete wird viel seltener thematisiert. Dabei ist die Existenz ganzer indigener Völker bedroht. Diese wehren sich gegen Vertreibung und Landraub - auch auf internationalen Konferenzen wie dem UN-Klimagipfel in Glasgow.

UN-Resolutionen hat es schon zu viele gegeben - dennoch war es eine kleine Überraschung, als bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow (COP 26) Anfang November auch Brasilien die "Glasgow Declaration on Forests" unterzeichnete. Damit verpflichtet sich das Land, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen. Besonders bemerkenswert ist, dass die Erklärung eine deutliche Aufforderung enthält, die Rechte indigener Völker [1] zu respektieren. Ist dies nun als ein Zeichen zu werten, dass die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro aufgrund des internationalen Druckes ihre Politik ändert? Wohl kaum.

Kurz vor der Konferenz in Glasgow hatte CIMI, der katholische Missionsrat für Indigene, seinen jährlichen Bericht über die Lage der indigenen Völker in Brasilien veröffentlicht. Die Bilanz ist erschreckend. 182 Indigene wurden 2020 ermordet, 61% mehr als 2019. Drastisch stiegen auch die Invasionen und illegalen Aktionen (z. B. Holzeinschlag) in indigenen Gebieten, ihre Zahl erhöhte sich auf 263, im Jahr 2018 waren es noch 111 Fälle. Oft handelt es sich dabei um illegalen Goldabbau und Diamantensuche in indigenen Gebieten. Besonders betroffen ist das Gebiet der Yanomami. Ihr Siedlungsgebiet an der brasilianisch-venezolanischen Grenze ist doppelt so groß wie die Niederlande. Auf diesem Territorium schätzt man die Zahl der Menschen, die illegal Bodenschätze ausbeuten, auf 20.000. Sie schrecken auch nicht davor zurück, in Gebiete einzudringen, in denen indigene Gruppen in selbstgewählter Isolation leben. Nach Angaben der Organisation der Indigenen Völker Brasiliens (APIB) infizierten sich daher 2020 mehr als 43.000 Indigene an COVID-19 und Hunderte starben an den Folgen der Infektion.

Die Lage der indigenen Völker verschlechtert sich seit der Amtsübernahme der Regierung Bolsonaro Anfang 2019 deutlich und stetig. Dies ist das beabsichtigte Ergebnis der Politik der Regierung und nicht etwa die unbeabsichtigte Folge der Expansion von Landwirtschaft und Bergbau. Die Angriffe auf indigene Völker haben System, sie sind ein Kernpunkt der Politik des ultrarechten Präsidenten.

Jair Messias Bolsonaro agitierte schon während seiner langen Zeit als Abgeordneter gegen die Rechte indigener Völker. Er engagierte sich gegen die rechtliche Absicherung indigener Territorien und setzte sich für die Legalisierung des Goldabbaus ein. Seine aggressive Haltung gegenüber den Rechten indigener Völker war gut bekannt - und als Bolsonaro zum Präsidenten gewählt wurde, fühlten sich alle Gruppen, die sich indigene Gebiete aneignen wollen, ermutigt und ermächtigt. Sofort nach seiner Amtsübernahme begann er mit der Demontage der staatlichen Schutzorgane für die Rechte der Indigenen. Dies hatte eine weitgehende Straflosigkeit all jener zur Folge, die in indigene Gebiete vordrangen.


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Gesetze gegen Indigene

Im brasilianischen Parlament zirkuliert eine Reihe von Gesetzvorhaben (PL - Projeto de Lei), die die Rechte indigener Völker einschränken. Sie werden von der mächtigen überparteilichen Fraktion des Agrobusiness gestützt und vorangetrieben. 280 der insgesamt 513 Mitglieder der Abgeordnetenkammer des brasilianischen Nationalkongresses sind Mitglieder dieser sogenannten "Ruralistas"-Fraktion. Diese Kräfte gehören auch zu den Unterstützern der Regierung Bolsonaro.

Die wichtigsten dieser Vorhaben sind:
PL 490/2007 soll Infrastrukturprojekte in indigenen Territorien erleichtern. Hier findet sich auch das marco temporal, das den legalen Status der Schutzgebiete fundamental ändern würde.
PL 191/2020 soll den Bergbau, die Öl- und Gasförderung und die Energieerzeugung in indigenen Gebieten ermöglichen und erleichtern
PL2633/2020 ist auch als Gesetz des Landraubes bekannt geworden. Damit soll die Privatisierung von illegal besetztem Land erleichtert werden. Dies betrifft auch indigenes Land, das nicht rechtlich abgesichert ist.

Der Regierung Bolsonaro ist es bisher allerdings nicht gelungen, diese Vorhaben im Parlament zu verabschieden. Sie verfügt nicht über eine stabile Mehrheit. Und offensichtlich zeigt der Widerstand der indigenen Völker und der sie unterstützenden Zivilgesellschaft Wirkung.
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Der Kampf um Land in Amazonien

Der Angriff auf die indigenen Völker und deren Gebiete ist kein Zufall. Immer wieder hatte Bolsonaro beklagt, dass die Indigenen zu viel Land hätten und dass damit Erschließung und Entwicklung Amazoniens gefährdet seien. Die indigenen Völker und andere auf Wälder angewiesene Gemeinschaften werden also als Hindernis für die Inanspruchnahme von Wäldern, Agrarland und mineralischen Ressourcen betrachtet. Bolsonaro behauptet zudem, diese Völker seien von internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) dominiert, die er als Krebsgeschwür bezeichnete.

Mit diesen Positionen steht Bolsonaro keineswegs allein. Die Gefährdung der nationalen Souveränität durch indigene Völker und internationale NGOs ist auch eine Obsession des brasilianischen Militärs. Die Behauptung, indigene Völker und andere traditionelle Gemeinschaften besäßen zu viele Ansprüche auf Land, gehört seit 1988 zur Agenda der konservativen Partei und des Agrobusiness. In jenem Jahr wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die die Ansprüche und Rechte der Indigenen festschrieb. Die Angriffe auf die indigenen Völker sind also keineswegs nur Ausdruck der Radikalität Bolsonaros, sondern werden von vielen politischen Akteuren unterstützt. Anders gesagt: Der Angriff auf Indigene und ihre Territorien ist Teil des Kampfes um Land in Amazonien.

Für die Indigenen waren die ersten drei Jahre der Regierung Bolsonaro eine Katastrophe. Die für indigene Territorien zuständige Behörde FUNAI wurde durch Sparpolitik und Personalentscheidungen zu einer Anti-Indigenen Behörde gemacht. An ihrer Spitze steht mit Marcelo Xavier, ein Polizist und erklärter Unterstützer des Goldabbaus in indigenen Gebieten. Ein Wahlversprechen hat Bolsonaro eingehalten: Kein Hektar indigenes Land wurde seit seiner Regierungsübernahme demarkiert.

Doch der Kampf um die Rechte der indigen Völker verschärfte sich 2021 mit der Debatte um ein marco temporal (portug. Zeithorizont) für die Demarkierung indigener Gebiete. Dabei geht es um die Einführung einer Stichtagsregelung, nach der die juristische Anerkennung eines indigenen Territoriums von dem Nachweis seiner Nutzung am 5. Oktober 1988, dem Tag der Verkündung der heute gültigen Verfassung Brasiliens, abhängen soll. Die indigene Gemeinschaft, die Anspruch auf ein bestimmtes Gebiet erhebt, müsse am Stichtag auf diesem Land gelebt, sich in einem gerichtlichen Streit um das Land oder in einem direkten Konflikt mit Eindringlingen befunden haben.

Die Legalisierung von Gewalt und Vertreibungen

Für die Indigenen ist klar: Diese Regelung soll mit einem Handstreich 500 Jahre kolonialer Ausbeutung und Landraub legalisieren. Der nationale Zusammenschluss der indigenen Völker (APIB) sieht deshalb den marco temporal als verfassungswidrig an, da dieser die Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und die Gewalt, die Angehörige verschiedener indigener Gemeinschaften vor 1988 erlitten haben, als Grundlagen des neuen Gesetzes legitimiert. Bisher konnte die Regierung Bolsonaro den Widerstand der indigen Völker nicht brechen. Im August 2021 versammelten sich in Brasilia 6.000 Indigene aus 173 Völkern im Protest gegen die herrschende Regierung und das marco temporal. "Dies ist die größte Mobilisierung indigener Völker seit der Re-Demokratisierung Brasiliens, denn unser Leben und das Leben der Menschheit ist in Gefahr", sagte Sôonia Guajajara, Präsidentin der APIB. Mit diesen Protesten zeigten sich die indigenen Völker als wichtige Akteure des Widerstands gegen die Bolsonaro-Regierung. Auch in Glasgow waren die indigenen Völker Brasiliens sehr präsent und hatten mehr zu bieten als Absichtserklärungen und Versprechen. Die indigenen Territorien haben sich in Brasilien trotz zunehmender Bedrohung als wirksame Bremse gegen Entwaldung erwiesen. Eine neue Erhebung zeigt, dass zwischen 1995 und 2020 nur 1,6% der Entwaldung in Amazonien auf indigenen Gebieten stattfand. Ihre Absicherung ist damit auch ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Erderwärmung.

"Wir werden der Verschmutzung durch leere Wort Einhalt gebieten. [...] Es ist notwendig, immer daran zu glauben, dass sich der Traum verwirklichen lässt."
Txai Surui

Die junge indigene Aktivistin Txai Surui fand im Plenarsaal der COP26 eindrucksvolle Worte: "Wir werden die Emissionen lügnerischer und unverantwortlicher Versprechungen beenden. Wir werden der Verschmutzung durch leere Wort Einhalt gebieten. (...) Es ist notwendig, immer daran zu glauben, dass sich der Traum verwirklichen lässt."


Der Autor ist Sozialwissenschaftler und arbeitet als freier Autor und Berater in den Bereichen Globale Klima-, Wald- und Biodiversitätspolitik.



Anmerkungen:

[1] Etwa 900.000 Menschen in Brasilien gelten nach der letzten Volkszählung von 2010 als Indigene. Das sind 0,4% der Bevölkerung. Der Zensus identifizierte 305 verschieden Ethnien und 274 Sprachen. Offiziell anerkannt sind 690 indigene Territorien, die 13% der Fläche Brasiliens ausmachen. In ihnen leben 57% der Indigenen Brasiliens. Die größten indigenen Gebiete finden sich in Amazonien und machen circa 23% der Region aus (1.128.700 km2). Das ist etwa dreimal die Fläche Deutschlands.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2021, Seite 18-20
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 17 75 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. Juni 2022

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