Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INTERNATIONALES

MEER/083: Die Meere - ein vernachlässigtes Politikfeld (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012
Mehr, Mehr, Mehr?
Handelspolitik zwischen "Weiter so" und Nachhaltigkeit

Die Meere - ein vernachlässigtes Politikfeld

von Jürgen Maier



Die Meere, ein gemeinsames Erbe der Menschheit? Das Fragezeichen hinter dem Titel der Tagung war kein Versehen. 30 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Seerechtskonvention luden der Arbeitsschwerpunkt »fair oceans« des Vereins für Internationalismus und Kommunikation und die AG Meere des Forums Umwelt und Entwicklung zu einer Tagung ein, die die wachsende Bedeutung der Meerespolitik im Zeitalter der Globalisierung diskutierte.

Meerespolitik ist ein Schnittpunkt zahlreicher Politikfelder: Handelsschifffahrt, Ressourcenförderung im Meer, Energiegewinnung vor den Küsten, Fischerei, Meeresspiegelanstieg, riesige Müllstrudel, Konflikte um Seegrenzen und viele andere Themen machen dies deutlich. Mehr und mehr sind meerespolitische Fragestellungen deshalb auch von großer Bedeutung für das Nord-Süd-Verhältnis und die Entwicklungspolitik.

Sieht man sich die UN Convention on the Law of the Sea (UNCLOS) heute an, wäre vermutlich vieles kaum noch politisch zu erreichen, was vor 30 Jahren beschlossen wurde. Nicht nur der kooperative Ansatz bei der Nutzung, sondern auch die finanziellen Unterstützungsmechanismen für Entwicklungsländer wären heute wohl kaum noch durchsetzbar. Eine UN-Behörde vergibt die Lizenzen für die wirtschaftliche Nutzung des Meeresbodens, und erhält Anteile an den Erträgen. Dies macht auch deutlich, wie sehr sich die internationale Politik in den letzten 30 Jahren trotz Rio und trotz Millenniums-Entwicklungszielen verändert hat - und zwar zu mehr Egoismus, mehr »Shareholder Value« (neudeutsch für Gier) und zu weniger Solidarität und weniger »our common future«. Die Seerechtskonvention trat dann auch erst 1994 in Kraft, nachdem die meisten der Industrieländer sich mit der Ratifizierung viel Zeit ließen. Und die USA sind, wen wundert's, bis heute nicht dabei - zusammen mit Iran, Israel, Nordkorea und dem Vatikan.

Neue Baustelle Tiefseebergbau Geregelt wird mit der Seerechtskonvention aber nicht die Fischerei, sondern die wirtschaftliche Nutzung des Meeresbodens jenseits der nationalen Wirtschaftszonen - sprich der Tiefseebergbau. Nachdem in den neunziger Jahren die Rohstoffpreise in den Keller gegangen waren, war diese Option wirtschaftlich lange Zeit uninteressant. Aber mit dem aktuellen Boom der Metallpreise beginnt dies wieder interessant zu werden, auch wenn bis heute kein kommerzieller Tiefseebergbau existiert, wie Dr. Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe betonte. Aus ökologischer Sicht sollte dies auch so bleiben - Onno Groß von der Meeresschutzorganisation Deepwave stellte dar, welche enormen Konsequenzen durch den Tiefseebergbau für das Ökosystem Meer verbunden sein können.

Bei der Tagung wurde aber auch deutlich, dass es noch viele Fragen gibt, die völkerrechtlich noch gar nicht geregelt sind. Dazu gehört auch der Prüfauftrag der Rio+20-Konferenz an die UN-Generalversammlung, bis 2015 zu klären, ob man ein rechtsverbindliches Instrument für die Einrichtung von Meeresschutzgebieten unter der UNCLOS schaffen will. Bereits im Oktober 2010 hatte die Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention beschlossen, bis 2020 zehn Prozent der weltweiten Meeresoberfläche zu schützen - dafür hat sie aber außerhalb der Territorialgewässer kein Mandat, so dass dafür UNCLOS das geeignete Forum ist. Aus NGO-Sicht ist das Ergebnis des Prüfauftrags klar - wir brauchen ein solches Instrument!

Volle Netze - leere Meere

Ein weiteres wichtiges Thema der Tagung war die Fischerei. Francisco Mari von Brot für die Welt/EED präsentierte eine Reihe deutlicher Zahlen:

Der Welt-Prokopf-Jahresverbrauch an Fisch ist von zwei Kilogramm 1850 auf heute 17 Kilogramm gestiegen - bei dramatisch höherer Weltbevölkerung. Seit 1970 haben sich die Fangflotten verdoppelt. Von den 3.5 Millionen Fangschiffen fangen gerade mal ein Prozent der Schiffe 50 bis 60 Prozent der Fische. 800 Millionen Menschen leben direkt oder indirekt von der Fischerei. 50 Prozent des Welthandels mit Fischen kommt aus den Entwicklungsländern, Deutschland importiert immerhin 80 Prozent seines Fischkonsums. 90 Prozent der weltweit 55 Millionen Fischer arbeiten in den Entwicklungsländern. 25 Milliarden Euro verdienen die Entwicklungsländer mit Fischereiexporten - das ist mehr als mit Kakao, Tee, Kaffee und Zucker zusammen! Die dramatische Überfischung der Meere ist also nicht nur ein ökologisches Problem ersten Ranges, sondern auch ein entwicklungspolitisches und hat außerdem enorme Konsequenzen für die Welternährung, weil die Proteinquelle Fisch nicht so einfach zu ersetzen ist.

Bei der Fischerei ist allerdings vom »gemeinsamen Erbe der Menschheit« bisher wenig zu spüren, Fische auf hoher See gehören denjenigen die sie fangen, die bekannte »tragedy of the commons«.

Die Tagung gab eine gute Übersicht über den aktuellen Stand der internationalen Meerespolitik. Und es wurde auch deutlich, dass Meerespolitik für die deutsche Innenpolitik offensichtlich kein Thema darstellt. Welche Positionen die Bundesregierung in internationalen und europäischen Gremien einnimmt und welche nicht, ist allenfalls einer kleinen Fachöffentlichkeit bekannt. Die AG Meere des Forums Umwelt und Entwicklung hat sich vorgenommen, dies zu ändern.

Der Autor ist Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2012, Seite 34
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2013