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PROTEST/079: Chile - Staudammprojekt am Rio Cuervo, Patagonien bereitet sich auf neue Proteste vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. August 2014

Chile: Staudammprojekt am Rio Cuervo - Patagonien bereitet sich auf neue Proteste vor

von Marianela Jarroud


Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Die Region Aysén im chilenischen Patagonien ist reich an eindrucksvollen Flüssen und Gewässern
Bild: © Marianela Jarroud/IPS

Coyhaique, Chile, 28. August (IPS) - Nachdem die Bevölkerung der südchilenischen Region Patagonien nach fast zehnjährigen Protesten den Bau des HidroAysén-Wasserkraftwerks mit fünf großen Dämmen verhindert hat, sieht sich die unberührte Natur der Region nun mit einem weiteren Projekt konfrontiert: Diesmal sollen die Flüsse Cuervo, Blanco und Cóndor gestaut werden, um den wachsenden Strombedarf des südamerikanischen Landes zu decken.

In Chile kommt es immer wieder zu Engpässen bei der Stromversorgung. In dem Bemühen, den Mangel zu beheben, ist in einem unbesiedelten Gebiet in der Nähe des Yultón-Sees in der wasserreichen Region Aysén ein Wasserkraftwerk geplant.

"Doch aus technischer und ökologischer Sicht ist das Vorhaben noch weniger ratsam als HidroAysén", warnt Peter Hartmann, der Koordinator der Bürgerkoalition 'Aysén-Reservat des Lebens'. Die Gegner betrachten den Vorstoß als den Versuch, eine Art Ersatz für das HidroAysén-Vorhaben zu finden, das die sozialistische Staatspräsidentin Michelle Bachelet am 10. Juni endgültig abgesagt hatte.

Die Anlage wird von 'Energía Austral', einem Joint Venture der Schweizer Firma 'Glencore' und des australischen Unternehmens 'Origin Energy', entwickelt. Sie soll im Quellgebiet des Cuervo rund 45 Kilometer von der zweitgrößten Stadt der Region, Puerto Aysén, entfernt entstehen und nach der Fertigstellung rund 640 Megawatt Strom generieren. Sie wird auch mit der Aussicht beworben, die CO2-Emissionen des zentralen Versorgungsnetzes 'Sistema Interconectado Central de Chile' (SIC) um 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr zu senken.

Die Kraftwerke in dem südamerikanischen Land mit 17,6 Millionen Einwohnern verfügen derzeit über eine installierte Bruttoleistung von 18.278 Megawatt. 74 Prozent dieses Stroms werden über das SIC an die Verbraucher weitergeleitet. 25 Prozent fließen in das nördliche Versorgungsnetz 'Sistema Interconectado Norte Grande' und der Rest in mittelgroße Netze in den südchilenischen Regionen Aysén und Magallanes.


Projekt seit Jahren geplant

2007 hatte die regionale Umweltkommission die erste Umweltverträglichkeitsstudie des Unternehmens abgelehnt. Die überarbeitete Vorlage wurde dann zwei Jahre später eingereicht und genehmigt. Vorgesehen ist inzwischen ein um zwei weitere Kraftwerke erweitertes Vorhaben: So sollen eine 360-MW- am Blanco-Fluss und eine 54-MW-Anlage am Rio Cóndor gleich hinter dem Cuervo-Staudamm gebaut werden.

"Die Cuervo-Pläne gehen auf die Zeit zurück, als die Proteste gegen HidroAysén im vollen Gang waren. Für die Bewegung 'Patagonien ohne Dämme' genossen die Bemühungen, die Umsetzung des Cuervo-Damms zu verhindern, damals die zweithöchste Priorität", berichtet Hartmann, der außerdem regionaler Vorsitzender des Nationalen Komitees zum Schutz von Flora und Fauna (CODEFF) ist. "Doch dann gingen uns die Gelder aus und wir beschlossen, uns auf den Kampf gegen HidroAysén zu konzentrieren."

Den Experten zufolge ist der Damm am Cuervo nicht nur aus ökologischen Gründen umstritten. Er soll in Liquiñe-Ofqui, einem Gebiet mit geologischen Bruchstellen, entstehen, in dem die Gefahr von Erdstößen besteht. Wie Hartmann berichtet, hatte schon ein kleinerer Vulkanausbruch im Oktober 2011 die Evakuierung der im Umfeld lebenden Menschen erforderlich gemacht.

"Der Hudson-Berg liegt in der Nähe der Stelle, an der der Blanco-Dann gebaut werden soll", unterstreicht Hartmann. "Energía Austral gibt sich sehr viel Mühe, jeden Bezug zum Hudson-Vulkan zu vermeiden."

Auf derartige Vorwürfe reagiert das Unternehmen mit der Zusicherung, dass kein Risiko bestehe. Die geologischen Bruchstellen begrenzten sich zudem nicht allein auf das Gebiet im Umfeld des Cuervo. Darüber hinaus gebe es in Chile und anderswo viele Staudämme, die in der Nähe von geologischen Bruchstellen oder Vulkanen lägen und die sich selbst noch bei Erdstößen als funktionstüchtig erwiesen hätten.

Die chilenischen Behörden hatten dem Cuervo-Damm im letzten Jahr ihre Zustimmung erteilt. Doch kurz danach ließ der Oberste Gerichtshof eine Klage von Umweltschützern und Bürgerorganisationen gegen das Projekt zu. Diese forderten außerdem eine Untersuchung der möglichen Risiken. Am 21. August urteilten die Richter zugunsten für die Genehmigungen der Behörden und ebneten damit den Weg für eine Zustimmung durch die Regierung.

"Wir sind daran interessiert, dass die Projekte, die uns helfen, unsere Infrastrukturdefizite abzubauen, vorankommen", meinte dazu Energieminister Máximo Pacheco im Juni. Und im Juli erklärte er, dass "wir uns nicht mit einem so geringen Anteil der Wasserkraft an unserem Energiemix zufriedengeben dürfen, zumal diese saubere Energiequelle in unserem Land reichlich vorhanden ist."

Aus dem Energieministerium ist zu hören, dass die Nachfrage nach Strom in Chile bis 2020 auf 100.000 MW steigen könnte. Zusätzliche 8.000 MW an installierter Kapazität sind nötig, um den Bedarf zu decken.


Hohe Stromimporte

Chile importiert derzeit 60 Prozent seines Stroms. Wasserkraft ist mit 40 Prozent am nationalen Energiemix beteiligt. Abhängig ist das Land nach wie vor von fossilen Energieträgern. Sie treiben die Wärmekraftwerke im Land an. Derzeit sind 62 Prozent aller neuen Energieanlagen Wärmekraftwerke, die mit Kohle betrieben werden.

Wie der regionale Energieminister Juan Antonio Bijit betonte, hat Wärmekraft, unabhängig von dem ungeheuren Wasserkraftpotenzial den größten Anteil am nationalen Energiemix. "Deshalb ist es nur logisch, den Bereich der Wasserkraft auszubauen." Die Region Aysén produziert seinen Angaben zufolge derzeit 40 MW Strom, wodurch sich gerade einmal der Eigenbedarf decken lasse.

Bijit zufolge verfügt Chile auch über andere vielversprechende erneuerbare Energien wie Wind und Sonne. "Die Kapazitäten der Region für die Stromgewinnung sind gut. Doch müssen wir genau überlegen, wie und wofür wir den Strom generieren." Seiner Meinung nach sollte diese Frage zusammen mit der Lokalbevölkerung geklärt werden. "Wir können solche Entscheidungen nicht einfach hinter geschlossenen Türen treffen. Wir müssen mit den Menschen reden", fügte er hinzu. Das geschehe in aller Regel in Workshops, wie sie auch vor der HidroAysén-Entscheidung organisiert worden seien. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/08/la-amenaza-hidroelectrica-persiste-para-la-patagonia-chilena/
http://www.ipsnews.net/2014/08/threat-of-hydropower-dams-still-looms-in-chiles-patagonia/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2014