Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


WIRTSCHAFT/060: Wachstum über alles - G20, alles andere als ein Gipfel der Nachhaltigkeit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014
Goldgräberstimmung
Bioökonomie zwischen Welthunger und Rohstoffalternativen

Wirtschaftswachstum über alles
G20, alles andere als ein Gipfel der Nachhaltigkeit

Von Jürgen Maier


Was will man erwarten, wenn Australiens erzkonservativer Regierungschef Tony Abbott die anderen 19 Staatschefs der G20 einlädt? Sicherlich nicht unbedingt neue Impulse für nachhaltige Entwicklung oder soziale Gerechtigkeit. Der G20-Gipfel in Brisbane erfüllte diese Erwartungen und wer die Gipfelbeschlüsse liest, kommt nicht um die Feststellung herum: Je tiefer die Fixierung auf endloses Wirtschaftswachstum real in die Krise kommt, desto intensiver halten die Regierungschefs der Welt an ihr fest.


Wirtschaftswachstum als zentrales Stichwort des diesjährigen G20-Gipfels. Mehr als 800 der von den 20 Regierungschefs sowie der EU-Kommission zugesagten Einzelmaßnahmen sollen das gemeinsame Wachstum bis 2018 um 2,1% über die bisherigen Voraussagen hinaus steigern. Zwei Billionen Dollar zusätzliche Wirtschaftsleistung sollen dadurch generiert werden. Prüfen soll die Umsetzung der Internationale Währungsfond (IWF), Maßnahme für Maßnahme. Allerdings fehlen ihm dabei Sanktionsmöglichkeiten für diejenigen Länder, die die Wachstumsziele nicht erreichen. "We will monitor and hold each other to account for implementing our commitments, and actual progress towards our growth ambition, informed by analysis from international organisations", so das Gipfelkommuniqué.

"Dank unserer Beschlüsse der letzten 48 Stunden wird es den Menschen rund um die Erde künftig besser gehen", erklärte Premier Abbott nach dem Gipfel, eine nicht gerade von Bescheidenheit geprägte Aussage. "Our actions to increase investment, trade and competition will deliver quality jobs", wird im Gipfelkommuniqué verkündet - da reicht die bloße Behauptung schon aus, auch wenn die Realität der letzten Jahre in den meisten Ländern eher ein Wachstum im Bereich prekärer und unsicherer Beschäftigung war und hochwertige Arbeitsplätze immer seltener werden.


Nationalen Wachstumsstrategien fehlt Nachhaltigkeit

Als Anhang zu den Gipfelbeschlüssen gibt es von jedem Land plus der EU sogenannte "Comprehensive Growth Strategies". Liest man sich diese umfangreichen Wachstumsstrategien durch, ist selbst bei den angeblichen Nachhaltigkeits-Vorreitern Deutschland und EU wenig davon zu erkennen, dass man in irgendeiner Weise etwas anderes als "business as usual" machen will oder die Welt vielleicht vor dem Problem steht, dass ein erfolgreiches "weiter so" den ökologischen Kollaps unvermeidlich nach sich ziehen würde. Unter den Maßnahmen, die die EU auflistet, stehen so originelle Dinge wie "advancing the multilateral and bilateral trade agenda, including the full and timely implementation of the trade facilitation agreement and progress in concluding free trade agreements" (EU) oder "Two key ongoing FTA negotiations of the EU are TTIP and the FTA talks with Japan. The Federal Government is actively contributing to these negotiations, not least by informing and discussing with the business community, the press and NGOs about the challenges and opportunities of these trade talks" (Deutschland). Abkommen wie TTIP zwischen EU und USA und CETA zwischen EU und Kanada sollen multinationalen Konzernen das Recht auf Schadensersatzklagen vor einer privaten Paralleljustiz gegen Gesetze geben, mit denen Nachhaltigkeit vorangebracht werden soll und damit unvermeidlich die sogenannten "legitimen Profiterwartungen" mancher problematischer Industriesektoren geschmälert werden. Wie das mit Nachhaltigkeit vereinbar sein soll, bleibt wohl das Geheimnis von Kommission und Bundesregierung.


Ressourcenverbrauch wird nicht hinterfragt

In all den vielen Gipfeldokumenten sucht man vergeblich irgendeinen relativierenden Zwischenton, dass mit Wirtschaftswachstum allein noch gar kein Problem gelöst wird und diese Fixierung auf immer mehr Wachstum vielleicht sogar Probleme schaffen kann. Kein Satz über die ökologischen Folgewirkungen eines ungebremsten Rohstoff-Booms oder wachsenden Energieverbrauchs, ein Dokument wie aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, aber offenbar repräsentativ für die regierende liberale Partei Australiens, in deren Parteiprogramm Umweltpolitik überhaupt nicht vorkommt. Sie regiert seit einem Jahr und in dieser Zeit fand eine energiepolitische Kehrtwende weg von Klimaschutz und erneuerbaren Energien statt, wurde ein riesiger Kohlehafen direkt am Great Barrier Reef genehmigt, Gesetze zum Schutz der tasmanischen Regenwälder abgeschafft, der Versuch unternommen, den UNESCO-Welterbestatus dieser Wälder abzuschaffen, und ein Prozess begonnen, bestehende Meeresschutzgebiete wieder abzuschaffen. Wenn man solchen Leuten die Federführung über G20-Gipfeldokumente überlässt, kann kaum etwas Vernünftiges herauskommen. Premier Abbott ist in den Umfragen auf Talfahrt, da kam ihm eine Wachstums-Jubelshow gerade recht.


Internationale nachhaltige Entwicklungsagenda wird konterkariert

"Our growth strategies contain major investment initiatives", es ist offenbar völlig unwichtig, in was investiert wird - Nachhaltigkeitskriterien jedweder Art findet man nicht. Das einst so beliebte Wörtchen "sustainable" kommt im Gipfelkommuniqué im Wesentlichen in der Kombination als "sustainable growth" vor, ein einziges Mal entdeckt man auch "sustainable development". Da wird nämlich einfach behauptet: "our actions will support sustainable development, economic growth, and certainty for business and investment". So einfach geht das. 22 Jahre nach Rio wird einfach behauptet, "sustainable development" sei dasselbe wie ein bloßes "weiter so". In einer solchen Kühnheit hat diese Behauptung in internationalen Gipfeldokumenten Seltenheitswert. Geradezu bizarr mutet vor diesem Hintergrund die Passage an: "We support efforts in the United Nations to agree an ambitious post-2015 development agenda. The G20 will contribute by strengthening economic growth."

Selbst in den Schwellenländern ist die Öffentlichkeit mittlerweile über die Phase einer derart blinden Wachstumsgläubigkeit hinaus, wie sie aus den Gipfelbeschlüssen von Brisbane spricht. Wenn die geplante Post-2015-Agenda auch nur ansatzweise Fortschritte in Richtung sustainable development, in Richtung Anerkennung der ökologischen Grenzen des Wachstums enthalten soll, wird sie mit der G20-Agenda unvermeidlich auf Kollisionskurs geraten.

Man kann allerdings getrost davon ausgehen, dass die G20-Beschlüsse in einigen Jahren genauso Makulatur sein werden wie viele vorausgegangene G7, G8, G20-Beschlüsse auch. Der Versuch, mit einer Art globalem Fünfjahresplan 2,1% Wachstum regelrecht zu planen, wird an der Realität scheitern müssen. Da hilft es auch nicht, dass man sich versichert: "We will monitor and hold each other to account for implementing our commitments". So etwas würde man sich für die Post-2015-Agenda auch wünschen, dass sich die Staaten gegenseitig zur Rechenschaft ziehen wollen, wenn sie ihre vereinbarten Ziele nicht erreichen.


Auch deutsche G7-Präsidentschaft thematisiert Weltwirtschaft

Der andere G-Prozess, G7, wird am 7. und 8. Juni 2015 seinen nächsten Gipfel unter deutscher Präsidentschaft im bayerischen Schloss Elmau abhalten. Weltwirtschaft wird natürlich auch ein Schwerpunktthema sein, schließlich begannen die G7-Gipfel in den 1970er Jahren mal als "Weltwirtschaftsgipfel". Weitere Schwerpunktthemen sind: Meeresumweltschutz, Meeresgovernance und Ressourceneffizienz im Bereich Umwelt; Antibiotikaresistenzen, vernachlässigte und armutsassoziierte Krankheiten sowie Ebola im Bereich Gesundheit; Standards in Handels- und Lieferketten; sowie die Stärkung von Frauen bei Selbständigkeit und beruflicher Bildung. Die G7-Staaten beraten zudem über die Energieversorgungssicherheit, am zweiten Gipfeltag sollen außerdem einige Regierungschefs vor allem aus Afrika eingeladen werden. Vor dem Gipfel in Elmau sind des Weiteren einige Minister-Treffen geplant: Die Außenminister treffen sich vom 14. bis 15. April 2015 in Lübeck, die Energieminister vom 11. bis 12. Mai 2015 in Hamburg und die Finanzminister vom 27. bis 29. Mai 2015 in Dresden.


Meeresgovernance und Antibiotika als Akzentsetzung

Was genau beim G7 unter deutscher Präsidentschaft herauskommen soll beziehungsweise könnte, kann natürlich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden. Man kann nur hoffen, dass keine Neuauflage der platten Wirtschaftswachstumshymnen von Brisbane in der Pipeline ist. Aus dem Thema Meeresumweltschutz kann sicher einiges gemacht werden: Es gibt eine Reihe drängender Probleme von Meeresverschmutzung bis Überfischung sowie Hochsee-Schutzgebiete und keinen übergreifenden Verhandlungsort dafür. Bei entsprechendem politischen Willen könnten die G7 auf jeden Fall positive Akzente für die Verhandlungen zur Post-2015-Agenda setzen, und sich selbst einige wichtige Reformen verordnen. Mit der EU und Japan sitzen zwei der Hauptverursacher der Überfischung der Weltmeere in Elmau am Tisch.

Auch die Antibiotika-Thematik bietet für die Zivilgesellschaft interessante Ansatzpunkte - eine der Hauptursachen für die steigende Antibiotikaresistenz ist bekanntlich die Massentierhaltung. Standards in Handels- und Lieferketten sind ein immer aktuelles Thema. Aus NGO-Sicht kann es hier aber nicht bei freiwilligen Selbstverpflichtungen oder unverbindlichen Absichtserklärungen bleiben, sondern es muss zu einer verbindlichen Regulierung kommen. Nur so können die teilweise unhaltbaren Zustände - Stichwort Bangladesch-Textilien - wirklich geändert werden. Dies bedeutet aber einen Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen Außenwirtschaftspolitik der G7-Länder, die immer noch darauf abzielt, mit Handelsabkommen verbindliche Regulierungen immer weiter zu erschweren.

Der G7-Gipfel in Elmau findet vor einer anderen innenpolitischen Kulisse statt als der australische G20-Gipfel. Jede Regierung ist immer auch bemüht, einen Gipfel zu veranstalten, der vor dem heimischen Publikum gut ankommt. Es wird sich zeigen, welche Akzente die deutsche G7-Präsidentschaft in den kommenden Monaten setzen kann, setzen will und setzen muss.


Autor Jürgen Maier ist Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2014, Seite 17-18
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang